SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/ 1896 18. Wahlperiode 27/ Mai 2014 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Ministerpräsident Depublikation politischer Fernsehsendungen 1. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass es ein demokratisches, soziales und kulturelles Bedürfnis der Gesellschaft gibt, die Informationssendungen politischen Inhalts der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (z.B. Nachrichtensendungen und -magazine wie das Schleswig-Holstein-Magazin, Politmagazine , politische Talkshows) der Öffentlichkeit zeitlich unbegrenzt über das Internet zum Abruf bereitzustellen, um das gesellschaftliche Wissen zu erhalten und weil so wiederkehrende politische Diskurse zu bestimmten Themen verknüpft und dadurch die politische Meinungsbildung bereichert werden kann? Erkennt die Landesregierung dieses Bedürfnis auch ohne "breites Nutzerinteresse " an? Antwort: Den Auftrag an die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, Telemedien anzubieten , welche „journalistisch-redaktionell veranlasst und journalistischredaktionell gestaltet sind“ (§11 d Absatz 1 RStV), haben alle Länder gemeinsam im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) geregelt. Dieser Auftrag ist ein Unterfall des Programmauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in § 11 RStV. Er umfasst das Angebot von „zeitlich unbefristeten Archiven mit zeit- und kulturgeschichtlichen Inhalten nach Maßgabe der gemäß § 11 f RStV zu erstellenden Telemedienkonzepte“ (§ 11 d Absatz 2 Nummer 4). Der Auftrag umfasst ferner das Angebot von „Sendungen und sendungsbezogenen Telemedien“ ebenfalls nach Maßgabe von Telemedienkonzepten (§ 11 d Absatz 2 Nummer 3 RStV). Diese Telemedienkonzepte beschreiben u. a. die Verweildauer der geplanten Angebote näher und werden (staatsfrei) über einen so genannten Drei-Stufen-Test legitimiert (§ 11 f RStV). Außerdem umfasst der Auftrag das Angebot von Sendungen der Programme der jeweiligen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt auf Abruf bis zu sieben Tage nach deren Ausstrahlung, Sendungen auf Abruf von Großereignissen gemäß § 4 Absatz 2 RStV sowie von Spielen der 1. und 2. Fußball-Bundesliga bis zu 24 Stunden danach. Im letztgenannten Fall ist ein Drei-Stufen-Test nicht erforderlich. Auf der Grundlage dieser Regelungen entscheiden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Träger der Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG autonom über die konkrete Umsetzung ihres Telemedienauftrages. Auf Nachfrage hat der NDR mitgeteilt, dass er von der Möglichkeit Gebrauch macht, kulturhistorisch bedeutsame Inhalte in einem Archiv zu bündeln und nicht zu depublizieren. Entsprechende Inhalte, die für die Erfüllung des öffentlich -rechtlichen Auftrags besonders bedeutsam sind, können folglich dauerhaft angeboten werden. Bei dem vom NDR verantworteten Telemedienangebot tagesschau.de werden ebenfalls Inhalte mit zeit- und kulturgeschichtlicher Bedeutung im Archiv unbefristet zur Verfügung gestellt; hierzu zählen die 20-Uhr- „tagesschau“, die „Tagesthemen“, der ARD-Jahresrückblick, Ergebnisse der Bundestags-, Landtags- und Europawahlen, der „DeutschlandTrend“, ausgewählte Beiträge über die EU, das Archiv der Hintergrundinformationen, Analysen und Interviews zu politischen und zeitgeschichtlichen Ereignissen sowie die dokumentierten Chats mit Politikern und Experten. 2. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass es europarechtlich unbedenk- lich wäre, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Informationssendungen politischen Inhalts unbefristet (ohne Verweildauerbegrenzung) über das Internet zum nachträglichen Abruf bereitstellen dürften und würden (Mediatheken ), weil a) die Mediatheken der Rundfunkanstalten nicht Gegenstand des Beihilfever- fahrens der EU-Kommission waren und in dem Einstellungsschreiben der EU-Kommission nicht angesprochen sind, b) die EU-Kommission umgekehrt das Recht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten , "Fernsehinhalte über neue Plattformen zu verbreiten", ausdrücklich anerkannt und die "bloße Verbreitung ähnlicher oder identischer Inhalte über verschiedene Plattformen" nicht beanstandet hat, c) die EU-Kommission nur solche Online-Angebote der Rundfunkanstalten problematisiert hat, "die vom Markt bereits in ähnlicher oder identischer Form angeboten werden" wie "Online-Spiele, Chat-Rooms, Rechner, Links zu Angeboten/Diensten von Dritten und Online-Kontaktdienste", d) Informationssendungen politischen Inhalts der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nach ihrer Depublikation an keiner anderen Stelle vom Markt angeboten werden, es insbesondere keinen Markt für die Bereitstellung solche Sendungen auf Abruf gibt (anders als vielleicht bei Sportereignissen , Fernsehserien, Spielfilmen)? Antwort: Die in der Antwort zur Frage 1 genannten Regelungen sind durch den Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag (12. RÄStV) geschaffen worden, der im Dezember 2008 unterzeichnet wurde und dessen Ausgangspunkt ein von den privaten Fernsehveranstaltern initiiertes beihilferechtliches Verfahren der EU- Kommission war. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der GD Wettbewerb wurde zur Beilegung des förmlichen Beschwerdeverfahrens ein Kompromiss vereinbart, der in der Form des 12. RÄStV von der EU-Kommission notifiziert worden ist. Im Nachgang hierzu hat die Kommission in einer öffentlichen Mitteilung für staatliche Beihilfen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Amtsblatt C 257 vom 27.10.2009) die Grundsätze des „Beihilfekompromisses “ allgemein verbindlich gemacht. Bereits in der Antwort vom 4. März 2014 auf die Kleine Anfrage „Überlegungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Drucksache 18/1619 – Frage 1 r)) hat die Landesregierung auf den Beschluss der Rundfunkkommission der Länder auf Ebene der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien vom 12. Februar 2014 hingewiesen, dass in Aussicht genommen ist, die Regelungen zur Beauftragung von Telemedien einer generellen Prüfung zu unterziehen und in diesem Zusammenhang auch eine Änderung der 7-Tage-Regelung für sendungsbezogene Telemedien zu prüfen. Etwaige Änderungen bedürften wiederum der Notifizierung. Deshalb werden im Rahmen der Prüfung auch Gespräche mit der EU-Kommission zu führen sein. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten haben den Ländern mitgeteilt, dass sie für ihre Telemedien § 11 d Absatz 2 Nummer 1 RStV bisher seit seinem Inkrafttreten nicht angewendet haben, sondern die Möglichkeiten nach § 11 d Absatz 2 Nummern 3 und 4 nutzen. Auf Nachfrage hat der NDR mitgeteilt, dass alle Telemedienangebote einem Dreistufentest in Form eines Bestandtests zu unterziehen waren. Die Mediatheken waren nicht von dieser Aufforderung ausgenommen, da sie einen Teil der Onlineangebote darstellen. Weiterhin sei es dem NDR aufgrund des Verweildauerkonzepts und den dortigen Kategorien, die die jeweiligen Höchstgrenzen der Abrufbarkeit von Inhalten festlegen, möglich, eine umfassende und lückenlose Berichterstattung auch im Internet zu gewährleisten. 3. Stellen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten anderer EU-Mitgliedstaaten nach Kenntnis der Landesregierung politische Fernsehsendungen zeitlich unbegrenzt zum Abruf über das Internet bereit? Antwort: Entsprechende Kenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. 4. Wie viele der vom NDR über das Internet zum nachträglichen Abruf bereit ge- stellten Sendungen mussten infolge des zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrags gelöscht werden und welchen prozentualen Anteil an den insgesamt bereitgestellten Sendungen machte dies aus? Antwort: Dazu hat der NDR auf Nachfrage folgendes mitgeteilt: Im Zeitraum Januar 2013 bis Mai 2014 sind 6.524 von 7.895 Sendungs-Videos gelöscht worden. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle ist die Verweildauer der Grund dafür, in einem kleinen Teil der Fälle sind lizenzrechtliche Beschränkungen oder andere Gründe ausschlaggebend. Allerdings würde ein Teil der derzeit aufgrund der Verweildauer nicht mehr angebotenen Inhalte nach einer gewissen Zeit auch aus Lizenzgründen entfallen. Es handelt sich bei diesen Inhalten nicht um die zeit- und kulturhistorisch bedeutsamen Inhalte. 5. Wird sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Bezug auf politische Informationssendungen nicht länger eine Verweildauerbegrenzung vorgeschrieben wird? Antwort: Auf den Absatz 2 der Antwort zur Frage 2 wird hingewiesen. Nach Auffassung des NDR führt das derzeitige Verweildauerkonzept dazu, dass die Nutzerinnen und Nutzer kompetente und verlässliche Beiträge abrufen können und daher den Informationsbedarf umfassen gedeckt wird. Eine rundfunkrechtliche Lockerung der Verweildauern würde nicht zwangsläufig auch tatsächlich zu längeren Abrufzeiten führen, da auch andere – z.B. urheberrechtliche - Vorgaben zu beachten sind. 6. Kann das Land nach Auffassung der Landesregierung den Norddeutschen Rundfunk oder auch alle schleswig-holsteinischen Rundfunkanbieter gesetzlich verpflichten, über das Internet zum Abruf bereitgestellte Informationssendungen an die Deutsche Digitale Bibliothek abzuliefern? Antwort: § 6 Absatz 1 RStV enthält folgende Aufforderung: „Die Fernsehveranstalter tragen zur Sicherung von deutschen und europäischen Film- und Fernsehproduktionen als Kulturgut sowie als Teil des audiovisuellen Erbes bei.“ Mit dieser Formulierung wird der Europäischen Konvention zum Schutz des audiovisuellen Erbes Rechnung getragen. Über die konkrete Umsetzung des § 6 Absatz 1 RStV entscheiden die Fernsehveranstalter als Träger der Rundfunkfreiheit autonom und staatsfrei. Das Land könnte den NDR nicht zu Ablieferungen verpflichten, hierzu wäre ein Staatsvertrag der vier NDR-Länder erforderlich. Hinsichtlich des privaten Rundfunks bedürfte es einer Änderung des Medienstaatsvertrages Hamburg /Schleswig-Holstein. Eine solche gesetzliche Verpflichtung aller Rundfunkanbieter zur Ablieferung, die einen Eingriff in Eigentumsrechte (Artikel 14 Absatz 1 GG) bedeuten würde , wäre nach den Maßstäben der „Pflichtexemplar-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1981 (1 BvL 24/78, BVerfGE 58, 137) gemeinsam von den Staatsvertragsländern zu prüfen. Hinsichtlich der privaten Rundfunkunternehmen wäre also der Umfang der Verpflichtung mit den finanziellen Folgen differenziert abzuwägen. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre hinsichtlich der finanziellen Folgen zu bedenken, dass er dem Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gesetzlich verpflichtet ist. Der NDR sieht eine entsprechende Verpflichtung kritisch. 7. Können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach Auffassung der Landesregierung gesetzlich bzw. aufgrund Staatsvertrags verpflichtet werden, die freie nichtkommerzielle Weiterverwendung politischer Informationssen- dungen zu erlauben, um die Einrichtung privater Mediatheken zu ermöglichen ? Könnte die Verwendung freier Lizenzen insbesondere für solche aus Gebührengeldern hergestellten Beiträge vorgeschrieben werden, bei denen eine weitergehende kommerzielle Verwertung nicht abzusehen ist? Antwort: Auf die Antwort zu Frage 6 wird hingewiesen. Keine Bedenken sind ersichtlich , wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach eigener freier Entscheidung Programmteile zur nichtkommerziellen Weiterverwendung im Sinne der Frage 7 weitergibt, solange – im Interesse des Beitragszahlers - der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eingehalten sowie bezogen auf die interessierte nichtkommerzielle Seite diskriminierungsfrei vorgegangen wird. Der NDR teilt mit, dass er als erste Rundfunkanstalt in Deutschland bereits Creative Commons Lizenzen nutzt. Er teilt mit, generell können freie Lizenzen nur verwendet werden, wenn auch alle Bestandteile eines Videos entsprechend lizensiert sind. Dies ist meistens nicht der Fall, insofern ist eine derartige Vorgabe in der Praxis auch nicht umsetzbar.