SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/ 2041 18. Wahlperiode 14-07-07 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie Auswirkungen der Freihandelsabkommen CETA und TTIP mit Kanada und den USA auf das Land Vorbemerkung der Landesregierung: Die Freinandelsabkommen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) und „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) werden zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA bzw. Kanada verhandelt werden. In der Bundesrepublik Deutschland obliegt dem Bund gemäß Art. 73 (1) Ziff. 5 des Grundgesetzes die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Einheit des Zoll- und Handelswesens und über Handelsverträge. Die Länder sind offiziell nicht in Verhandlungen der EU über Freihandels- oder vergleichbaren Abkommen eingebunden. Die EU ist bei den Verhandlungen über die Freihandelsabkommen an das Mandat gebunden , das ihr die EU-Staaten erteilt haben. So genannten gemischten Handelsabkommen müssen sowohl das EU-Parlament als auch die Staaten zustimmen – bei umfassenden Abkommen wie CETA und TTIP müssen die Staaten das einstimmig tun. Sobald das Abkommen über reine Handelsfragen hinaus in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift, müssen es zudem die nationalen Parlamente ratifizieren. Es wird davon ausgegangen, dass dies für CETA und TTIP gilt. Die Bundesländer werden im üblichen Verfahren über den Bundesrat einbezogen. . I. Streitbeilegungsmechanismus ISDS 1. Gemäß der Europäischen Energiecharta besteht die Möglichkeit von InvestorStaat -Schiedsgerichtsklagen bereits heute. Nach deutschem Verwaltungsrecht erfolgte Auflagen der Freien und Hansestadt Hamburg als Genehmigungsbehörde gegen das Kohlekraftwerksprojekt Hamburg-Moorburg wurden vom schwedischen Betreiber Vattenfall vor einem solchen außerstaatlichen Schiedsgericht beklagt. Die Klage endete mit einem Vergleich, Hamburg schwächte seine Genehmigungsauflagen ab. Sieht die Landesregierung die Möglichkeit vergleichbarer Klagen von Investoren aus den USA oder Kanada auch für den Fall eines Inkrafttretens der jeweiligen Freihandelsabkommen? Welche politischen Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dieser Möglichkeit? 2. Wer würde im Falle einer erfolgreichen Klage eines Investors aus den USA bzw. Kanada gegen Verwaltungsentscheidungen oder gesetzgeberische Maß- nahmen des Landes haften, das Land oder der Bund? 3. Der Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, sich gegen die Einführung des geplanten Streitbeilegungsmechanismus, über den private Investoren Nationalstaaten direkt auf Schadensersatz verklagen können, einzusetzen. Wird die Landesregierung im Bundesrat einem Freihandelsabkommen der EU mit Kanada bzw. den USA zustimmen, das ein Investor-StaatSchiedsgerichtsverfahren beinhaltet, mit dem Investoren aus diesen Ländern im Gegensatz zu inländischen Investoren das Land außerhalb des üblichen Rechtswegs vor einem internationalen Schiedsgericht verklagen können und damit objektiv bessergestellt werden als inländische Investoren? Antwort zu I., Fragen 1. bis 3.: Im Rahmen der laufenden Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sowie CETA mit Kanada kommt den Vorschriften zum Schutz von Investitionen und zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten „Investor-to-State Dispute Settlement “ (ISDS) aus deutscher Sicht eine untergeordnete Bedeutung zu. Die Verhandlungen sind indes noch nicht abgeschlossen, so dass weder feststeht, ob in die Freihandelsabkommen Investitionsschutzkapitel aufgenommen werden, noch wie diese ggf. ausgestaltet sein werden. Dies wäre Voraussetzung, um Aussagen zu den Möglichkeiten einer Klage (Frage I.1) oder zur Haftungsfrage (Frage I.2) treffen zu können. Die Landesregierung teilt im Übrigen die Haltung der Bundesregierung, wonach aus deutscher Sicht spezielle Investitionsschutzvorschriften in einem Abkommen zwischen der EU und den USA nicht erforderlich sind, da die USA deutschen Investoren und Deutschland US-Investoren hinreichenden Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewähren. Bereits mit Beschluss vom 07.06.2013 hat der Bundesrat mit den Stimmen SchleswigHolsteins die Entschließung gefasst (BR-Drs. 464/13), wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, darauf zu dringen, dass in den Verhandlungen über Investitionsregeln auf einen Interessenausgleich geachtet und das bereits erreichte hohe Niveau des Rechtsschutzes in Europa berücksichtigt wird. II. Transparenz 1. Der Bundesrat hat am 7.6.2013 (Drs. 464/13) u.a. beschlossen: »Der Bundesrat ruft die Bundesregierung dazu auf, die Länder in regelmäßigen Abständen zum Fortgang der Beratungen im handelspolitischen Ausschuss der EU umfassend und kontinuierlich zu informieren, insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise tangierten Länderkompetenzen und die im Falle eines Inkraft- tretens möglicherweise umzusetzenden Rechtsvorschriften. Der Bundesrat verweist diesbezüglich auf die Verpflichtungen, die für die Bundesregierung aus dem Lindauer Abkommen erwachsen.« In welcher Weise ist die Bundesregierung dieser Aufforderung nachgekommen , die Landesregierung zu informieren? Antwort: Die Bundesregierung informiert die Länder fortlaufend über den Verlauf der Verhandlungen im Rahmen der Verfahren zur Beteiligung der Länder an EU-Vorhaben nach Maßgabe des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG). Dies geschieht auf Ebene der verschiedenen Ministerkonferenzen und auf Arbeitsebene. 2. Wie kann die Bundesregierung nach Auffassung der Landesregierung die Länder umfassend und kontinuierlich informieren, wenn die USA sich weiterhin weigern, der EU-Kommission die Erlaubnis zu erteilen, die amerikanischen Verhandlungspapiere den EU-Mitgliedsstaaten zugänglich zu machen, und die Bundesregierung somit selbst nur ein lückenhaftes Bild von den Verhandlungen hat? Antwort: In Deutschland ist eine frühzeitige und umfassende Beteiligung des Bundestages und des Bundesrates an Beratungen über Handelsabkommen, auch bei reinen EUAbkommen , sichergestellt. Die Verhandlungen und der Abschluss internationaler Abkommen sind EU-Vorhaben, über die die Bundesregierung den Bundestag und den Bundesrat nach Maßgabe der einschlägigen Beteiligungsgesetze umfassend unterrichtet . Darüber hinaus führt die Bundesregierung regelmäßig Informationsveranstaltungen und Anhörungen der Bundesländer durch. Die eigentlichen Verhandlungsdokumente liegen in einem Leseraum in Brüssel zur Einsicht aus. 3. Der Bundesrat hat am 7.6.2013 ferner beschlossen: »Der Bundesrat fordert angesichts der Tragweite und Bedeutung des zu verhandelnden Abkommens die Bundesregierung auf, sich für die Veröffentlichung der Verhandlungsmandate sowie eine transparente Verhandlungsführung einzusetzen.« Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass die Bundesregierung trotz klarer Aufforderung des Bundesrats im Rat gegen den französischen Vorschlag, das EU-Verhandlungsmandat zu veröffentlichen, gestimmt hat? Antwort: Die Bundesregierung setzt sich, wie Frankreich und andere Mitgliedstaaten, für die Veröffentlichung des Mandats ein, die dafür erforderliche Einstimmigkeit ist im Rat derzeit nicht gegeben. III. Öffentliche Daseinsvorsorge und öffentliche Beschaffung 1. Im geheimen EU-Verhandlungsmandat vom 17.6. werden in Punkt 24 »Öffentliches Beschaffungswesen« (Public Procurement) auch »öffentliche Versorgungsunternehmen « (public utilities) genannt (»The Agreement will aim at enhanced mutual access to public procurement markets at all administrative levels (national, regional and local), and in the fields of public utilities, covering relevant operations of undertakings operating in this field and ensuring treatment no less favorable than that accorded to local suppliers«). Nach der am 18.2. erzielten Vereinbarung zwischen EU-Handelskommissar de Gucht und dem US-Handelsbeauftragten Froman sollen alle Bereiche der »public utilities «, also der öffentlichen Daseinsvorsorge, von den Liberalisierungs- und Öffnungsverpflichtungen des TTIP betroffen sein, wenn sie nicht in einer »Negativliste « explizit ausgeschlossen sind. Der Bundesverband Öffentliche Dienstleistungen sieht in dieser TTIP-Negativliste am 20.01.2014 einen möglichen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip: »Die EU-Verträge sind hinsichtlich des weiten Ermessensspielraum und der Stellung der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in den Mitgliedstaaten zur Bereitstellung und Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen unmissverständlich und eindeutig. Folglich liegt die Kompetenz über entsprechende Maßnahmen zu entscheiden und diese umzusetzen bei den EU-Mitgliedstaaten und nicht bei den EUBehörden . Folglich würde eine Annahme der Negativliste, wenn sie nicht abgeschwächt formuliert wird, gegen den fundamentalen Wert des Prinzips der Subsidiarität verstoßen.« Sieht die Landesregierung in der beabsichtigten Negativliste eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips? Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Das Dokument liegt der Landesregierung nicht vor. Aussagen können erst getroffen werden, wenn alle Dokumente (auch mögliche Negativlösungen) zur Verfügung stehen. 2. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass freier Zugang amerikanischer und kanadischer Unternehmen zu sämtlichen öffentlichen Ausschreibungen sowohl des Landes als auch auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein in unserem Interesse liegt? Antwort: Das deutsche Vergaberecht sieht den Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung vor und unterscheidet nicht nach der Herkunft. Das deutsche Vergaberecht gewährt bereits seit 1960 auch US-amerikanischen und kanadischen Unternehmen diskriminierungsfreien Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. 3. Im Zuge der Diskussionen um die umstrittene Beauftragung der auch für die NSA tätigen CSC-Gruppe durch öffentliche Einrichtungen wird zurzeit geprüft, wie vergaberechtlich ein Ausschluss nicht vertrauenswürdiger Konzerne von ITVergaben möglich ist. Würde das geplante TTIP nach Einschätzung der Landesregierungen die Möglichkeiten von Verwaltung und Gesetzgebung einschränken, als nicht vertrauenswürdig eingeschätzte US-Konzerne von IT-Vergabeverfahren auszuschließen ? Wenn ja, welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Antwort: Es ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten, unzuverlässige US-Konzerne von ITVergabeverfahren auszuschließen, durch das künftige TTIP nicht eingeschränkt werden . IV. „Lebendes Abkommen“ 1. Die Europäische Kommission hat in ihrem Memo zur Verabschiedung des Ver- handlungsmandates (MEMO/13/564 v. 14.06.2013) ausgeführt, dass die Anpassung der Regulierungen nicht vollständig in dem Abkommen selbst er- folgen kann. Vielmehr soll hierfür ein institutionalisiertes Verfahren festgelegt werden: "Da sich nicht alle Regelungsunterschiede auf einmal beseitigen lassen, streben die beiden Seiten Rahmengrundsätze für ein 'lebendes Abkommen' an, bei dem stufenweise nach vorab festgelegten Zielen und einem festen Zeitplan auf mehr Regelungskonvergenz hingearbeitet wird. Dadurch lassen sich bestehende Hindernisse beseitigen; gleichzeitig kann aber auch verhindert werden, dass künftig wieder neue Hindernisse errichtet werden." Das im Dezember "geleakte" Positionspapier der Europäischen Kommission zum Thema "Regulatory Coherence" (Europäische Kommission: TTIP: Crosscutting disciplines and institutional provisions - Position paper - Chapter on Regulatory Coherence) schlägt hierfür einen detaillierten Rahmen von Informations- pflichten und Regulationsdialogen sowie die Einrichtung eines Regulierungsrates vor. Diesem Verfahren will die Kommission auch das Recht der Mitgliedsstaaten unterwerfen: "The rules of this Chapter should also extend to regulations by US States and EU Member States, subject to possible adaptations." Welche Auswirkungen hätte ein solches Verfahren für das Land? Antwort: Eine abschließende Prüfung und Bewertung erfolgt auf der Grundlage der Verhandlungsergebnisse , die dem Bundesrat in den bekannten Verfahren vorgelegt werden. Die Landesregierung vertritt die Position, dass die mögliche Verschiebung von regulatorischen Entscheidungsprozessen in Expertengremien die parlamentarischen Befugnisse nicht aushöhlen darf. 2. Hält die Landesregierung das vorgesehenen Verfahren für vereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip? Antwort: Siehe Antwort zu IV., 1. 3. Hält die Landesregierung diese Bestimmungen vor dem Hintergrund der BVerfG-Entscheidungen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon für verfassungsrechtlich unbedenklich? Antwort: Siehe Antwort zu IV., 1. 4. Welche Anforderung entspringen hieraus ggf. für eine Beteiligung der Länder a) an den laufenden Verhandlungen über das TTIP b) im späteren Ratifizierungsverfahren? Antwort: Siehe Antwort zu IV., 1. 5. Hält die Landesregierung vor diesem Hintergrund eine Überarbeitung der Regularien für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EUAngelegenheiten (Grundgesetz, Integrationsverantwortungsgesetz, Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union, Bund-Länder-Vereinbarung v. 10.06.2010) für erforderlich? Antwort: Nein. Die bestehenden Regelungen für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sehen für den eventuellen Fall eines „lebenden Abkommens“ ausreichende Möglichkeiten vor.