SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/2071 18. Wahlperiode 2014-07-09 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Innenminister Ausmaß elektronischer Überwachung durch den Verfassungsschutz Vorbemerkung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aus Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht abgeleitet, öffentlichen Zugang zu der Zahl der Bürger zu erhalten, die Ziel elektronischer Überwachung durch einen Nachrichtendienst gewesen sind (Urteil vom 25.06.2013, Az. 48135/06). Er hat die Einschätzung des Informationsfreiheitsbeauftragten aufrecht erhalten, wonach staatliche Geheimhaltungsinteressen hinter den öffentlichen Anspruch auf Informationszugang zurück stehen müssten. Auch in Deutschland werden auf Bundesebene Zahlen über die elektronische Überwachung durch Nachrichtendienste offen gelegt. Vorbemerkung der Landesregierung: Nach Auffassung der Landesregierung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entgegen der Darstellung des Fragestellers aus Art. 10 EMRK gerade kein allgemeines Recht auf Zugang zu Informationen staatlicher Stellen, hier eines Nachrichtendienstes, abgeleitet (so auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.02.2014, Az. 5 ZB 13.1559 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.03.2014, Az. OVG 6 S 48.13). In dem mit Urteil vom 25.06.2013 durch den EGMR entschiedenen Fall hat die Exekutive des betroffenen Landes einen nach dortigem innerstaatlichem Recht rechtskräftig festgestellten Zugangsanspruch auf Information willkürlich verweigert. Dies habe nach der Entscheidung des Gerichtshofes einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK dargestellt. Die nachfolgenden Antworten erfolgen jedoch nach Art und Umfang auf der Grundlage des in Schleswig-Holstein geltenden Rechts. Die Landesregierung kommt ihren Informationspflichten vollständig nach. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht. 1. Wie viele Personen sind in den Jahren 2010, 2011, 2012 und 2013 jeweils Gegenstand elektronischer Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes , also davon betroffen gewesen? Mit "elektronischer Überwachung" ist gemeint "die Erhebung von Daten über das Verhalten von Personen unter Ver- Drucksache 18/2071 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 wendung elektronischer Hilfsmittel". Antwort: Ausgehend von der Definition des Fragestellers werden durch den schleswigholsteinischen Verfassungsschutz gemäß § 5 LVerfSchG zu den dort genannten Bestrebungen und Tätigkeiten sowie in Mitwirkungsangelegenheiten des Verfassungsschutzes Daten erhoben. Bestrebungen sind gemäß § 6 Abs. 1 LVerfSchG Verhaltensweisen von Organisationen, unorganisierten Gruppierungen oder Einzelpersonen. Verhaltensweisen von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen werden durch das Verhalten ihnen zuzurechnender Personen bestimmt. Daher werden in Schleswig-Holstein im Zusammenhang mit der Beobachtung eines Beobachtungsobjektes des Verfassungsschutzes Daten über das Verhalten von Personen erhoben. Im Zuge des elektronischen Fortschritts der vergangenen Jahre erfolgt in Schleswig-Holstein inzwischen die zielgerichtete Erhebung von Daten durch den Verfassungsschutz ganz überwiegend auch unter Verwendung elektronischer Hilfsmittel. Als Beispiele sei hier auf die Erstellung von Video- und Bildmaterial im Zusammenhang mit einer Observation, die Erlangung von Informationen im Rahmen der Fernmeldeüberwachung oder – neben der klassischen Publikationsrecherche – auch auf die Überwachung des offenen Internet mittels PC verwiesen. In den erstgenannten, spezifischen Fällen von hoher Eingriffsqualität erfolgt eine statistische Erfassung, wie sie im Rahmen der Beantwortung zu Frage 2 dargelegt wird. Es liegt auf der Hand, dass eine statistische Auswertung zur Betroffenheit von konkreten Personen im Rahmen der offenen Internet-Recherche – vergleichbar der Auswertung von Publikationsmedien in der Prä-Internet-Zeit – nicht praktizierbar ist und deshalb auch nicht erfolgt. In der Vergangenheit wäre die vergleichbare Fragestellung: „Wie viele Namen haben Sie im Rahmen der Zeitungsauswertung im Jahre X zur Kenntnis genommen“ auch von niemandem zu beantworten gewesen. 2. Wie viele Maßnahmen der folgenden Art mit jeweils wie vielen Betroffenen hat der Verfassungsschutz in den Jahren 2010, 2011, 2012 und 2013 jeweils veranlasst (falls möglich, nach Maßnahme aufgeschlüsselt, andernfalls summiert beantworten): • das heimliche Aufklären des Internets • die Anfertigung verdeckter Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen • das Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel • der Einsatz sonstiger besonderer, für Observationszwecke bestimmter, technischer Mittel zur Erforschung des Sachverhaltes oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes der Zielperson • der Einsatz technischer Mittel zur Ermittlung a) der Geräte- und Kartennummer eines Mobilfunkendgerätes sowie b) des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes (Ausfin- digmachen eines Mobilfunkendgerätes), Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/2071 3 • die Postüberwachung • die Fernmeldeüberwachung? Antwort: Die Beantwortung erfolgt aus Gründen der Geheimhaltung als Verschlusssache gemäß der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen für das Land SchleswigHolstein (VS-Anweisung – VSA SH) zur Einsicht über die Geheimschutzstelle des Landtages. Soweit parlamentarische Anfragen Umstände betreffen, die aus Gründen des Staatswohls geheimhaltungsbedürftig sind, hat die Landesregierung zu prüfen, ob und auf welche Weise die Geheimhaltungsbedürftigkeit mit dem parlamentarischen Informationsanspruch in Einklang gebracht werden kann (BVerfGE 124, 161 [189]). Die Landesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage aus Geheimhaltungsgründen nicht in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil erfolgen kann. Die Beantwortung der Frage ist geheimhaltungsbedürftig, weil sie Informationen enthält, die im Zusammenhang mit Aufklärungsaktivitäten und Analysemethoden der Verfassungsschutzabteilung stehen. Der Schutz der Analysemethoden und -fähigkeiten des Verfassungsschutzes stellt für die Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes einen überragend wichtigen Grundsatz dar. Er dient der Aufrechterhaltung der Aussagefähigkeit des Verfassungsschutzes und damit dem Staatswohl. Eine Veröffentlichung von Einzelheiten betreffend Analysemethoden und -fähigkeiten würde zu einer wesentlichen Schwächung des Verfassungsschutzes führen. Dies würde für die Auftragserfüllung des Verfassungsschutzes erhebliche Nachteile zur Folge haben. Somit könnte die Offenlegung entsprechender Informationen gegenüber Unbefugten für das Land schädlich sein. Soweit der Fragesteller in seiner Vorbemerkung auf die Offenlegung von Zahlen auf Bundesebene verweist, liegt es auf der Hand, dass bei großen Datenmengen von Bundesbehörden genauere Rückschlüsse auf deren Arbeit nicht gezogen werden können. Umgekehrt ist es aber auch offenkundig, dass mit einer Veröffentlichung der Daten des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes, der als sehr kleine Behörde mit großen Bundesbehörden überhaupt nicht zu vergleichen ist, unmittelbar Rückschlüsse auf seine Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung zu ziehen wären. Deshalb sind die entsprechenden Informationen als Verschlusssache gemäß der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen für das Land Schleswig-Holstein (VSAnweisung – VSA SH) mit dem Geheimhaltungsgrad VS-Vertraulich eingestuft . Die Einsicht kann über die Geheimschutzstelle des Landtages erfolgen. Drucksache 18/2071 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 3. Wie viele strafrechtliche Ermittlungen wurden aufgrund dieser Maßnahmen eingeleitet? Wie viele Straftaten wurden aufgrund dieser Maßnahmen vereitelt ? Antwort: Werden bei der Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes im Vorfeld von Straftaten Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat bekannt, leitet der Verfassungsschutz unter Beachtung des informationellen Trennungsgebotes die weitergabefähigen Erkenntnisse der Polizei zu. Eine Statistik über die zahlreichen Kontakte zwischen Verfassungsschutz und Polizei im Sinne einer „Erfolgsübersicht “ wird nicht geführt. Ob die Weitergabe von bei dem Verfassungsschutz vorhandenen Erkenntnisse an die Polizei im Sinne der Fragestellung zu einer „Verhinderung“ einer Straftat führt, kann wegen des zum Weiterleitungszeitpunkt lediglich zu prognostizierenden unsicheren Kausalverlaufes eines womöglich auch geplanten Tatablaufs im Nachhinein regelmäßig nicht mit Sicherheit festgestellt werden. 4. Laut Drucksache 18/1800 speicherte der Verfassungsschutz mit Stichtag am 6. Januar 2014 in der Datei NADIS WN Informationen zu 23.096 Personen, davon 2.982 Personen mit Extremismusbezug und "knapp 20.000" aufgrund § 5 Abs. 2 LVerfSchG. Es verbleibt ein Rest von mindestens 114 Personen. Um wie viele Personen handelt es sich bei diesem Rest, und zu welchem Zweck sowie auf welcher Rechtsgrundlage werden Informationen über diese gespeichert? Antwort: In der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Patrick Breyer und Uli König (PIRATEN) – Drs. 18/1800 heißt es “knapp über 20.000“ Speicherungen und nicht wie vom Antragsteller vorgetragen „knapp 20.000“. Eine Differenz ist somit nicht feststellbar.