SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/2245 18. Wahlperiode 2014-09-19 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung – Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Nachfrage zum Fall der BSE-Whistleblowerin Dr. Margrit Herbst Vorbemerkung: Die Antworten der Landesregierung in Drucksache 18/2133 geben Anlass zu Nachfragen. 1. Trifft es zu, dass ausweislich der histologischen Befundberichte die 1990/1991 vorgenommenen Untersuchungen durch Prof. Polenz von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover "keine eindeutigen Hinweise auf das Vorliegen einer spongiformen Encephalopathie" bzw. "keine sicheren Anhaltspunkte für BSE" ergaben? Finden sich diese Formulierungen in den Befundberichten? In den Befundberichten der Tierärztlichen Hochschule Hannover 1990/91 mit den Einsendungs-Nummern E-90/3198, E-90/3199, E-91/1019 und E- 91/1453 finden sich u.a. diese bzw. ähnliche Formulierungen. 2. Wenn ja, tragen diese Befunde nach Auffassung der Landesregierung die Aussage im Untersuchungsbericht des damaligen Landwirtschaftsministeriums vom 05.10.1994 an den Landtag, die Untersuchungen seien "mit eindeutig negativem Ergebnis auf BSE durchgeführt" worden? Auf die Antwort zur Drucksache 18/2133 wird hingewiesen. Die 1994 von der damaligen Landesregierung getroffenen Feststellungen wurden durch den für die Untersuchung Verantwortlichen der Tierärztlichen Hochschule Hannover mit Schreiben vom 13.08.1996 sowie 26.01.2001 bestätigt. Eine neue Bewertung durch die derzeitige Landesregierung ist lediglich aufgrund von Aktenlagen nicht möglich. 3. Mit Beschluss vom 22.07.1997 hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt: "Es ist verständlich, dass der Beklagte der Einschätzung aus dem Bericht des MELFF vom 05.10.1994 gefolgt ist, wonach sich der Verdacht, dass BSEverdächtige Rinder im Schlachthof Bad Bramstedt geschlachtet worden seien , nicht bestätigt habe. Die Befunde des Prof. Dr. Polenz sprechen jedoch, wie das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 23.05.1997 herausgearbeitet hat, dafür, dass der Verdacht nicht ausgeräumt worden war." Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass der BSEVerdacht nicht ausgeräumt worden war? Auf die Antwort zur Frage 2 wird verwiesen. 4. Trifft es zu, dass für eine aussagekräftige einfache feingewebliche Untersuchung frisches und unzerstörtes nicht durch Bolzenschussapparat und Rückenmarkszerstörer beschädigtes Hirnmaterial der unter BSE-Verdacht stehenden Tiere benötigt worden wäre, welches aber nicht zur Verfügung gestellt wurde? Es trifft zu, dass für eine feingewebliche Untersuchung unzerstörtes Hirnmaterial erforderlich ist. Durch den Einsatz des Bolzenschussapparates oder Rückenmarkzerstörers wird das Gehirnmaterial nicht in jedem Fall vollständig zerstört. Das Gehirnmaterial kann auch nach Kühlung untersucht werden. In wie weit die Untersuchungen entsprechend durchgeführt wurden, entzieht sich dem Wissen der derzeitigen Landesregierung. Wäre kein untersuchungsfähiges Material vorhanden gewesen, hätte eine entsprechende Untersuchung nicht durchgeführt werden können. 5. Trifft es zu, dass auch für die nachträglich durchgeführten immunhistologischen Untersuchungen frisches und unzerstörtes nicht durch Bolzenschussapparat und Rückenmarkszerstörer beschädigtes Hirnmaterial der unter BSEVerdacht stehenden Tiere benötigt worden wäre, welches aber nicht zur Verfügung stand? Bei der Nachuntersuchung 2001 hat Material aus den Probenahmen 1990/1991 zur Verfügung gestanden. Auf die Antwort zur Frage 4 wird verwiesen . Es geht aus den vorliegenden Dokumenten nicht hervor, in welcher Form die Fixierung der Proben durch den für die Untersuchung Verantwortlichen im Zeitraum 1990/1991 bis 2001 durchgeführt wurde. 6. Trifft es zu, dass erst mit Erlass des Landwirtschaftsministeriums vom 13.4.1993 ("Bovine Spongiforme Enzephalopathie ( BSE ) ; Maßnahmen und Untersuchungen bei Verdachtsfällen") angeordnet wurde, dass Verdachtstiere nicht mehr unter Einsatz des Bolzenschußgerätes geschlachtet werden durf- ten sondern eine medikamentöse Tötung vorzunehmen war, damit künftig frisches und unzerstörtes Hirnmaterial zur feingeweblichen Untersuchung und frisches eingefrorenes Hirnmaterial zum immunologischen Testverfahren gelangen konnte? Der Erlass vom 13.04.1993 – Az.: VIII 421-7211.33-1 wurde wie folgt formuliert : …„Im Hinblick auf die Bedeutung, die dieser Erkrankung beizumessen ist, bitte ich, im Falle des Vorliegens hinreichender Verdachtsmomente, wobei auch Rasse und Herkunft der Tiere zu beachten sind, von der Möglichkeit der diagnostischen Tötung Gebrauch zu machen, damit möglichst frisches Material zur Untersuchung gelangt.“ Mit dem Erlass wurden die Maßnahmen übermittelt , die nach einem Vorschlag der Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen beim Verdacht auf BSE zur Abklärung des Verdachts eingeleitet werden sollten. 7. Trifft es zu, dass der mit den Untersuchungen beauftragten Tierärztlichen Hochschule die klinischen Vorberichte nicht zur Verfügung gestellt worden waren ? Der Landesregierung liegen hierüber keine Kenntnisse vor. 8. Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass histopathologisch unauffälli- ge Befunde das Vorliegen einer BSE-Infektion nicht ausschlossen (vgl. Groschup /Kramer, Deutsches Tierärzteblatt 5, 2001, S. 515)? Wenn ja, wie hätte mit einem klinisch diagnostizierten Verdachtsfall verfahren werden müssen, wenn weitere Untersuchungen nicht möglich waren? Im frühen Stadium einer BSE-Infektion liegen unter Umständen noch keine histopathologisch auffälligen Befunde vor. Im späten Stadium der Infektion, wenn typische klinische Erscheinungen den Verdacht auf BSE begründen, liegen histopathologisch auffällige Befunde vor. Fehlen diese Befunde hätte sich der Verdacht nicht bestätigt. 9. Trifft es zu, dass nur mit einer immunologischen Untersuchung die nicht ein- deutigen Befunde näher hätten geklärt werden können, dass eine solche Untersuchung aber vor Verfassen des Untersuchungsberichts des damaligen Landwirtschaftsministeriums vom 05.10.1994 nicht erfolgte und für die spätere Nachuntersuchung kein fachgerecht entnommenes Probenmaterial (siehe Frage 4) mehr zur Verfügung stand? Auf die Antwort zu Frage 2 und 4 wird verwiesen. 10. Trifft es zu, dass aussagekräftige immunologische Untersuchungen bei Herrn Prof. Diringer vom Robert-Koch-Institut in Berlin nicht durchgeführt wurden, obwohl sich dieser dazu bereit erklärt hatte? Der Landesregierung liegen hierüber keine Kenntnisse vor. 11. Trifft es zu, dass bei infektiösen BSE-Rindern nicht in jedem Fall krankhafte Prion-Proteine überhaupt nachweisbar sind? Ein Nachweis von Prion-Protein am lebenden Tier ist nicht möglich, weil es kein zugelassenes Testverfahren gibt. Der Nachweis erfolgt daher aus dem Gehirnmaterial toter Rinder. 12. Trifft es zu, dass bei mehreren von Frau Dr. Herbst als BSE-verdächtig einge- stuften Tieren stattdessen Diagnosen wie Blindheit, Brünstigkeit, Ermüdung oder Ohrspeicheldrüsenentzündung gestellt wurden? Entsprechend des Untersuchungsberichts des damaligen Landwirtschaftsministeriums vom 05.10.1994 (Umdruck 13/2660) hat der Kreis Segeberg in drei Fällen 1993 bzw. 1994 einzelne dieser Diagnosen aufgeführt. 13. Sind die Tiere, bei denen Frau Dr. Herbst einen BSE-Verdacht sah, später in den Handel gegangen? Der Landesregierung liegen hierüber keine Kenntnisse vor. 14. Ist es noch heute so, dass Amtstierärzte die Diagnose eines Seuchenver- dachts oder sonstige Beanstandungen durch einen im Fleischhygieneamt eines Schlachthofs beschäftigten Tierarzt als „Vorverdacht" einstufen oder sonst ändern können? a) Werden die ursprünglichen Meldungen dokumentiert? Wenn ja, wird diese Dokumentation ausgewertet und kontrolliert? Wenn ja, von wem und mit welchen Ergebnissen ist dies in der Vergangenheit erfolgt? b) Wird das Nichtaufgreifen von Meldungen weiter berichtet und, wenn ja, an wen? c) Wird die Häufigkeit des Nichtaufgreifens von Meldungen - zumindest in statistischer Form – veröffentlicht? d) Wie häufig sind Beanstandungen durch angestellte Tierärzte in den letzten Jahren nicht weiter verfolgt worden? e) Sieht die Landesregierung Verbesserungsbedarf hinsichtlich der genannten Fragen? Der Begriff ‚Vorverdacht‘ ist im Tierseuchenrecht nicht definiert. Das Tiergesundheitsgesetz sieht im § 5 Abs. 2 vor, dass die Feststellung des Verdachts oder des Ausbruchs einer anzeigepflichtigen Tierseuche sowie die epidemiologischen Untersuchungen von einem approbierten Tierarzt der zuständigen Behörde (in Schleswig-Holstein die Kreisordnungsbehörden) durchzuführen ist. In § 4 Abs. 1 und 2 des Ausführungsgesetzes zum Tiergesundheitsgesetz wird diese Aufgabe den Amtstierärztinnen und Amtstierärzten übertragen. zu a) Bei der Schlachttieruntersuchung auffällige Befunde werden vom amtlichen Tierarzt erhoben und im Fleischuntersuchungstagebuch, ggf. auch elektronisch , erfasst. Die bei der Schlachttieruntersuchung erfassten Befunde fließen in die abschließende Beurteilung der Genusstauglichkeit der Schlachttiere ein. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung ist Aufgabe amtlicher Tierärzte. Die Ergebnisse der amtlichen Fleischuntersuchung werden in der amtlichen Fleischuntersuchungsstatistik veröffentlicht. Der Verdacht auf eine anzeigepflichtige Tierseuche, zu der BSE gehört, ist der zuständigen Kreisordnungsbehörde zu melden (§ 4 Tiergesundheitsgesetz); ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 Tiergesundheitsgesetz dar. Entsprechende Regelungen enthielt auch das bis 30.04.2014 geltende Tierseuchengesetz. Im Falle eines Verdachts auf das Vorliegen einer anzeigepflichtigen Tierseuche wird das Fachaufsicht führende Ressort durch die zuständige Kreisordnungsbehörde informiert. zu b) Im Zusammenhang mit der Feststellung eines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht einer Tierseuche würden Ermittlungen über Herkunft und Verbleib der betroffenen Tiere bzw. Schlachttierkörper erfolgen, in die das zuständige Fachressort eingebunden werden würde. zu c) Eine statistische Veröffentlichung von Verstößen gegen die Anzeigepflicht ist nicht vorgesehen. zu d) Es sind aktuell keine Beanstandungen zur Nichtbefolgung der Anzeigepflicht bekannt. zu e) Am geltenden System, das, wie einleitend zu Frage 14 dargestellt, grundlegend durch Gesetz vorgegeben ist, wird kein Verbesserungsbedarf gesehen. 15. Welche Urteile haben Gerichte im arbeitsgerichtlichen, im zivilgerichtlichen und im Restitutionsverfahren betreffend Frau Dr. Herbst gefällt (bitte bezeichnen nach Gericht, Aktenzeichen und Entscheidungsdatum)? Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, verkündet am 22. Juli 1997, 3Sa 58/96a; 3c Ca 2254/94 (Arbeitsgericht Neumünster) Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, verkündet am 23. Mai 1997, 1 U 29/96, 4 O 348/94 LG Kiel