SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/2790 18. Wahlperiode 18.03.15 Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann (CDU) und Antwort der Landesregierung - Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung 24-Stunden-Kindertageseinrichtungen 1. Wie hoch ist die derzeitige tägliche Maximalbetreuungszeit für Kinder in Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein? Antwort: Erhebungen zu Maximal-Betreuungszeiten in Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein existieren nicht. Rechtlich findet die Betreuungszeit ihre Grenze , wenn eine Beeinträchtigung des Kindeswohls zu befürchten ist. Wann dies der Fall ist, ist einzelfallbezogen zu entscheiden. Im Hinblick auf den Betreuungsumfang von Kindern unter drei Jahren wird auf das Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V. „Rechtsanspruch U3“ verwiesen. Dieses Gutachten ist auch Grundlage für das Tätigwerden der Aufsichtsbehörden. 2. Wie schätzt die Landesregierung den Bedarf nach 24-StundenKindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein ein? Antwort: Nach Rückmeldung aus den Kreisen und kreisfreien Städten gibt es in einigen wenigen Regionen Bestrebungen, Übernacht-Betreuung in Kindertageseinrichtungen aufzubauen und vorzuhalten. Grund dafür ist der Wunsch nach flexiblen Betreuungszeiten. Eltern bzw. alleinerziehende Elternteile, die im Schichtdienst arbeiten, sind bei fehlender familiärer Drucksache 18/2790 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 Unterstützung auf solche flexiblen Betreuungszeiten, zum Teil auch über Nacht, angewiesen. 3. Welche Kriterien müssen für die Errichtung und Inbetriebnahme einer 24- Stunden-Kindertageseinrichtung erfüllt werden? Antwort: Im Hinblick auf die Bestrebungen in einigen Regionen, Betreuungszeiten in Kindertageseinrichtungen auch über Nacht anzubieten, hat das zuständige Fachreferat im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung (MSGWG) Empfehlungen für deren Ausgestaltung herausgegeben. Diese Empfehlungen dienen den Heimaufsichten als Entscheidungshilfe für die Erteilung einer Betriebserlaubnis und sind als Anlage beigefügt. 4. Wie viele Anträge auf Einrichtung einer 24-Stunden-Kindertageseinrichtung liegen der Landesregierung bisher vor? Sind Anträge bisher genehmigt worden? Wenn ja, wie viele und wo? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Anträge für eine entsprechende Betriebserlaubnis werden bei den Heimaufsichten der Kreise und bei Einrichtungen aus kreisfreien Städten bei dem Landesjugendamt gestellt. Konkret wird bei zwei Trägern in Flensburg an der Umsetzung eines Angebotes gearbeitet. Ein Antrag auf Betriebserlaubnis liegt der Heimaufsicht derzeit noch nicht vor. Frühere Initiativen sind nicht realisiert worden. Die Träger haben bisher ihre Anträge wieder zurückgezogen. 5. Wie bewertet die Landesregierung den aktuellen Bedarf an zeitlich flexiblen Betreuungsangeboten über die regulären Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen hinaus? Antwort: Die Globalisierung der Wirtschaft, Veränderungen des Arbeitsmarktes und die Pluralisierung der Lebenslagen führen zu wachsenden Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an Erwerbstätige. Eine zeitgemäße Kindertagesbetreuung muss sich daher auf wandelnde familiale (Zeit-)Bedarfe einstellen und Lösungsansätze für alle Beteiligten entwickeln. Daraus resultiert der Anspruch, Betreuungsangebote zu etablieren, die dem Bildungsauftrag der Kindertagesbetreuung gerecht werden und sich zugleich an den Bedarfslagen der Familien orientieren. Insofern müssen die Betreuungsangebote den Bedarf des Kindes und den Bedarf von Eltern mit gegebenenfalls atypischen und variablen Arbeitszeiten berücksichtigen (vgl. auch Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter zur Flexibilisierung der Kindertagesbetreuung, S. 3 vom Nov. 2014, auf www.bagljae.de). Dieser neuen Herausforderung haben sich die Einrichtungen in SchleswigHolstein gestellt. Dies wird auch deutlich an den erweiterten Öffnungszeiten der Einrichtungen, die bereits heute weit über reine Vormittagsangebote hinausge- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/2790 3 hen. Gemäß der Statistik der Kinder- und Jugendhilfe vom 01.03.2014 bewegen sich die Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein überwiegend zwischen 7.00 Uhr und 16.30 Uhr. 7,8% der Einrichtungen bieten eine Betreuung vor 7.00 Uhr an, 38,3 % der Einrichtungen schließen zwischen 16.30 und 18.00 Uhr, 1,2 % der Einrichtungen halten ein Angebot nach 18 Uhr vor. Insofern hat sich schon bei den Öffnungszeiten der Einrichtungen in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen und die Bedürfnisse der Eltern, die aus den Anforderungen der Arbeitswelt resultieren, finden vielfach schon Berücksichtigung. Die Landesregierung begrüßt dieses Engagement der Träger, eine bedarfsgerechte Betreuung für Kinder sicherzustellen. Um der Flexibilisierung der Angebote einen Rahmen zu geben, hat das MSGWG die unter Frage 3 genannten Empfehlungen entwickelt. Damit soll eine Balance zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und den Bedürfnissen von Kindern nach Kontinuität und Stabilität hergestellt werden . 6. Welchen Stellenwert hat die Bereitstellung zeitlich flexibler Betreuungsangebote bei der Landesregierung zum Ausbau der Kindertageseinrichtungen? Antwort: Familienunterstützende Kindertagesbetreuung zeigt sich auch in Form von Abend-, Nacht- und Wochenendbetreuung, Notfall- und Ferienbetreuung und der Buchbarkeit von Betreuungsmodulen bei unregelmäßigem Bedarf. Die Ermittlung dieser Bedarfe und die Vorhaltung von entsprechenden Angeboten liegen zunächst in der Verantwortung der örtlichen Träger der Jugendhilfe. Die Landesregierung unterstützt die Kommunen bei dem Ausbau der Kindertagesbetreuung und den laufenden Betriebskosten, damit ein bedarfsgerechtes Angebot vor Ort vorgehalten werden kann. Im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf misst die Landesregierung bedarfsgerechten Angeboten eine hohe Bedeutung bei. Allerdings liegt dies nicht allein in der Verantwortung von Kommunen, Trägern und Land. Auch die Arbeitgeber tragen eine Verantwortung für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Maßnahmen dieser Verantwortung gerecht zu werden, sind nach Auffassung der Landesregierung u.a. Arbeitszeiten familiengerecht auszugestalten, sich an Kindertagesbetreuung zu beteiligen oder sie selbst zu organisieren .. Dabei darf jeweils das Kindeswohl nicht außer Acht gelassen werden . Anlage Rahmenempfehlungen für die Genehmigung von flexiblen Angebotsformen der Kinderbetreuung Tageseinrichtungen für Kinder sollen die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern. Gleichzeitig haben sie den Auftrag, den Eltern dabei zu helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII und §§ 4 und 14 Abs. 1 KiTaG). Mit dem seit 01.08.2013 geltenden Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren gibt es erstmals einen subjektiven Anspruch auf eine bedarfsgerechte Betreuung (§ 24 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 SGB VIII). Intention dieser Regelung ist, dass alle Eltern für ihr Kind ein Betreuungsangebot erhalten, das ihren individuellen Erfordernissen entspricht. Im Wesentlichen wird sich hier der Bedarf aus beruflichen Gründen herleiten lassen. Vor dem Hintergrund dieses erweiterten und individuellen Rechtsanspruches werden neue Anforderungen an die Kinderbetreuung gestellt. Die Ausweitung von Angeboten über die Vormittagsbetreuung ist vielfach schon umgesetzt. Die Öffnungszeiten von Kindertagesstätten haben sich in den vergangenen Jahren deutlich flexibilisiert und ermöglichen Eltern, die Früh- oder Spätdienst leisten müssen, eine Unterbringung ihrer Kinder auch in den Randzeiten. Hier nimmt die Bedeutung der Tagespflege zu, die häufig noch flexibler auf Betreuungszeiten reagieren kann. Die Ausweitung des Betreuungsanspruchs ermöglicht aber auch Trägern von Kindertagesstätten im Rahmen ihrer Autonomie zu beschließen, diese neuen Ansprüche wie z.B. eine Übernacht-Betreuung bedienen zu wollen. Diese neuen Angebotsformen müssen aber mit dem Kindeswohl vereinbar sein und finden auch dort ihre Grenzen. Aus Sicht des Kindeswohls sind der Flexibilität der Kindertagesbetreuung Grenzen gesetzt. Flexibilität um jeden Preis geht an den Bedürfnissen von Kindern nach Kontinuität und Verlässlichkeit vorbei. Insofern ist bei der Gestaltung der Angebote die Zumutbarkeit für Kinder unterschiedlichen Alters in den Blick zu nehmen (vgl. BAG LJÄ 2014). Aus fachlicher Sicht sollte die Betreuung über Nacht daher die Ausnahme bleiben und nur dann in Frage kommen, wenn die berufliche und familiäre Situation der Eltern keinen anderen Spielraum lässt. Dabei liegt es zunächst in der Verantwortung des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten seiner Beschäftigten grundsätzlich so auszugestalten, dass Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren sind. Beispiele wie die „Initiative Beruf und Familie“ im Kreis Stormarn zeigen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Dialog hier zu kompatiblen Lösungen gelangen können, die die persönliche Situation der Erwerbstätigen berücksichtigt und Kindererziehung ermöglicht. Sofern im Einzelfall eine Betreuung über Nacht oder an den Wochenenden erforderlich wird, sollten vorrangig Betreuungsformen gewählt werden, die familienähnliche Strukturen aufweisen können (Tagespflege oder Notfallbetreuung; vgl. auch DIJuF Gutachten zum Rechtsanspruch U3 s. 14). Hierbei werden Familienzentren künftig eine wichtige Rolle einnehmen. Sie können Betreuungsangebote vermitteln oder auch Dialogprozesse mit den Arbeitgebern unterstützen. Anlage Begrüßenswert wäre, wenn Arbeitgeber oder Gemeinden für Eltern, die berufsbedingt über Nacht abwesend sein müssen, einen Pool an Betreuungspersonen vorhalten, die im Bedarfsfall die Kinder im Haushalt der Eltern über Nacht betreuen. Denn nur dann, wenn die Eltern ihr Kind in Fürsorge betreut wissen, werden sie ihre Arbeitskraft mit vollem Einsatz zur Verfügung stellen können. Im Hinblick auf Studien wie z.B. „NICHD Early Child Care Study 2007-2010“, „Family, Children and Child Care Study 2012“ und eine Schweizer Studie „Averdiyk 2011“, die belegen, dass eine frühzeitige und gleichzeitig zu lange Unterbringung in Institutionen mit wechselnden Bezugspersonen zu sozialen und emotionalen Schwierigkeiten von Kindern führen, sollte bei einer Übernacht-Betreuung zunächst die Tagespflege die erste Wahl sein. Sofern ein Träger einer Kindertageseinrichtung ein Übernachtungsangebot aufbauen und vorhalten möchte, sollten im Hinblick auf das Kindeswohl Vorgaben zur Kontinuität von Betreuungspersonen, Betreuung in Kleingruppen sowie Begrenzung von Betreuungszeiten in der Betriebserlaubnis festgehalten werden. Vor diesem Hintergrund werden folgende Empfehlungen für die Ausgestaltung einer Übernacht- Betreuung in einer Kindertageseinrichtung gegeben: - Für die Übernachtungskinder ist ein zusätzlicher Schlafraum vorzuhalten, der sich vom Normalbetrieb der Kita deutlich unterscheidet. Dieser Raum soll so gelegen sein, dass die Übernachtungskinder nicht durch den normalen Kita-Betrieb (z.B. Frühdienste) gestört werden. Die Abendaktivitäten sollen sich an den familiären Ritualen orientieren. Wenn möglich soll das Abendessen gemeinsam mit dem bringenden Elternteil eingenommen werden (vgl. auch BAG LJÄ Positionspapier 2008, S. 8). - Es sollen maximal nicht mehr als fünf Kinder gleichzeitig übernachten. - Nachts sollen mindestens zwei Kräfte, davon zumindest eine Fachkraft, anwesend und ggfs. abwechselnd wach sein. Ein durchgängiger Aufenthalt im Schlafraum der Kinder ist nicht erforderlich, wenn eine Überwachung per Baby-Phone aus dem Nachbarraum erfolgt. - Die Kräfte sollen den Kindern bekannt sein und sowohl beim Zubettbringen als auch beim Aufwachen nicht wechseln (vgl. auch BAG LJÄ Positionspapier 2008, S. 8). - Kindertageseinrichtungen mit Übernachtungsangeboten sollen über eine Brandmeldeanlage und detaillierte Notfallpläne für den Brandfall verfügen. Der Träger hat die örtliche Feuerwehr und die zuständige Polizeiinspektion darüber zu informieren, dass sich auch nachts Kinder in der Kita befinden. - Die Kita-Leitung und die Eltern bzw. eine von ihnen betraute Person müssen stets telefonisch erreichbar sein. Anlage - Ein Übernachtungskind soll bis spätestens 18.30 Uhr gebracht werden. - Am nächsten Morgen soll das Kind zwischen 07.00 und 08.00 Uhr aus der Betreuung abgeholt werden. Für den Fall, dass die Eltern in Nachtschicht gearbeitet haben, kann das Kind bis max. 12 Uhr in der Kita verbleiben. - Bring- und Holzeiten nach 19.30 Uhr bzw. vor 07.00 Uhr sollen möglichst vermieden werden. Insbesondere bei Kindern U3 sind Abholzeiten nach 19.30 Uhr nur in Ausnahmefällen zulässig. Vorrangig sollten bei U3 Kindern häusliche Betreuungsformen gefunden werden. - Betreuungszeiten von wöchentlich 45 Stunden stellen für Kinder U3 den Höchstrahmen dar (s.a. DIJuF Gutachten zum Rechtsanspruch U3 S. 13). Bei Übernachtung können im Mittel - bei einer vierwöchigen Betrachtung – bis zu 53 Stunden wöchentlich geduldet werden. - Es ist darauf zu achten, dass Kinder, die in der Kita übernachten bzw. im Wechsel der Arbeitszeiten der Eltern / des Elternteils zu unterschiedlichen Zeiten in der Kita betreut werden, möglichst wenig Personalwechsel ausgesetzt sind. Dies hat der Träger im Konzept zu erläutern. - Es ist darauf zu achten, dass Kinder, die die Übernacht-Betreuung in Anspruch nehmen, auch ausreichend an der Bildungsarbeit in der Kita partizipieren können. Dies hat der Träger im Konzept zu erläutern. - Bei der Gewährleistung der Betreuung für Frühdienste können Kinder ab 05.30 Uhr gebracht werden.