SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/2893 18. Wahlperiode 2015-04-17 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Ministerin für Schule und Berufsbildung Vorträge von Nachrichtendienstmitarbeitern vor Schulgruppen Vorbemerkung des Fragestellers: Nach Angaben des Berliner Senats1 haben Gruppen von schleswig-holsteinischen Schulen (Gymnasium Brunsbüttel, Lornsen-Schule Schleswig, Eckener Schule Flensburg, Gemeinschaftsschule Viöl), bestehend aus je ca. 40 Personen, Veranstal- tungen des Berliner Verfassungsschutzes besucht. Über eine Stunde lang wurden „Arbeitsweise des Verfassungsschutzes“ und „einzelne Extremismusfelder“ darge- stellt und diskutiert. Vorbemerkung der Landesregierung: Klassenfahrten und Exkursionen werden von den Schulen eigenverantwortlich ge- plant und durchgeführt. Eine systematische Datenerfassung und Dokumentation fin- det nicht statt. 1. Bestanden die Gruppen aus Schülern und, wenn ja, wie alt waren diese? 1 http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-15254.pdf Drucksache 18/ #N!# Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 Antwort: Vgl. Vorbemerkung. 2. Waren die Schüler zur Teilnahme verpflichtet? Wenn nein, sind sie über die Freiwilligkeit aufgeklärt worden? Wurden im Vorfeld die Eltern informiert und einbezogen? Antwort: Gruppenfahrten von Schulen sind schulische Veranstaltungen, bei denen grundsätz- lich Teilnahmepflicht besteht. Die Eltern werden über das Fahrtenprogramm informiert. 3. Wie ist es zu erklären, dass eine Reihe schleswig-holsteinischer Schulen den Berliner Verfassungsschutz aufsucht? Wie sind die Kontakte zwischen den je- weiligen Bildungseinrichtungen und der Behörde zustande gekommen? Antwort: Der Verfassungsschutz ist eine Behörde. Lehrkräfte können auf den Internet-Seiten des Verfassungsschutzes Informationsbroschüren bestellen und aktuelle Informatio- nen abrufen. Es ist grundsätzlich möglich, darüber auch einen direkten Kontakt her- zustellen und ggf. Informationsveranstaltungen beispielsweise im Rahmen von Klas- senfahrten und Exkursionen zu besuchen. 4. Hat es weitere Schulveranstaltungen mit Vertretern von Nachrichtendiensten gegeben (Besuche oder Einladungen)? Antwort: Vgl. Vorbemerkung. 5. Als Grundprinzip politischer Bildung fordert der „Beutelsbacher Konsens“: "Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen". a) War bei den Auftritten von Mitarbeitern von Verfassungsschutzbehörden vor Schulgruppen gewährleistet, dass die Kontroverse um Existenz, Grundlagen 3 (Extremismusbegriff) und Methoden dieser Ämter einschließlich deren öffentlich diskutierter Skandale deutlich wurde? Wenn ja, wie? b) Gibt es Vorgaben oder Empfehlungen von Seiten des Landes zur Gewähr- leistung der Kontroversität (Gegensätzlichkeit)? Antwort: zu a) Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden leisten Öffentlichkeitsarbeit, aber keine Bildungsarbeit. Sie sind zur Sachinformation verpflichtet, unterliegen aber nicht dem „Beutelsbacher Konsens“. Die Lehrkräfte entscheiden im Rahmen ihrer fachli- chen und pädagogischen Verantwortung, wie eine sachgerechte Kontroversität ge- geben ist. Sie sind ggf. verpflichtet, eine sachlich fundierte und reflektierte Urteilsbil- dung der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Zu b) Das schleswig-holsteinische Schulgesetz (SchulG) macht in § 4 entsprechende Vorgaben: „(3) Die Schule soll jungen Menschen kulturelle und gesellschaftliche Orientierung vermitteln. Sie soll dazu ermuntern, eigenständig zu denken und vermeintliche Ge- wissheiten und gesellschaftliche Strukturen auch kritisch zu überdenken. …“ „(12) Die Schule darf Sachverhalte nicht politisch einseitig behandeln. Sie muss sich parteipolitisch neutral verhalten.“ 6. Sammelten die Nachrichtendienstmitarbeiter aus Anlass der genannten Vorträ- ge Informationen, beispielsweise über die Eignung von Teilnehmern als nach- richtendienstliche Verbindung? Antwort: Nach § 29 Absatz 2 und § 30 Absatz 3 SchulG ist die Übermittlung personenbezoge- ner Daten von Schülerinnen, Schülern oder Eltern an Dritte nicht zulässig. Die beglei- tenden Lehrkräfte tragen für die Einhaltung dieser Bestimmung Sorge. 7. Welche Vortrags- und Aufklärungsangebote anderer Veranstalter betreffend antidemokratische Strömungen existieren nach Kenntnis der Landesregierung, insbesondere in Schleswig-Holstein? Drucksache 18/ #N!# Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Antwort: Die Landesregierung fördert über die beim Rat für Kriminalitätsverhütung angebun- denen Programme Maßnahmen gegen antidemokratische Strömungen durch Einsatz von Landes- und zielgerichtete Steuerung von Bundesmitteln aus dem aktuellen Programm „Demokratie leben!“. Der Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig- Holstein unterstützt daraus z.B. die Kommunen in ihrem Engagement gegen den Rechtsextremismus, indem er finanzielle Unterstützung für die Durchführung von Maßnahmen und Projekten mit Inhalten rechtsextremistischer (Gewalt-)Prävention leistet. Er führt dazu Fachtagungen durch und veröffentlicht Präventionskonzepte, z.B. „Rechtsextremismus und Gewalt im Jugendalter“. Seit Mitte 2013 ist der Rat für Kriminalitätsverhütung mit der Umsetzung des Landesprogramms zur Demokra- tieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung beauftragt. Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus (Beranet) in SH sowie die regionalen Beratungsteams leisten Beratung, Aufklärung und konzeptionelle Arbeit. Eine neue Komponente ist die Prävention gegen den extremistischen Salafismus; Akteure sind hier seit dem Start des Landesprogramms zum 01.04.2015 zukünftig die im aufzubauenden Beratungsnetzwerk gegen religiös motivierten Extremismus ver- tretenen Organisationen und Verbände. Eine Landeskoordinierungsstelle ist im Auf- bau, die Multiplikator/innen, aber auch einzelne Engagierte und Betroffene informiert und Maßnahmen koordiniert. Grundsätzlich werden gegen antidemokratische Strömungen in Kooperation staatli- cher und nichtstaatlicher Stellen Veranstaltungen, Demokratiefeste, (telefonische) Beratung Angehöriger, Schulungen im Rahmen von Fachtagungen, etc. auf Basis eigener Schwerpunktsetzungen durchgeführt oder auf Antrag nach entsprechender Prüfung durch finanzielle Projektförderung bei privaten Vereinen, Runden Tischen oder entsprechenden Initiativen umgesetzt. 8. Werden in schleswig-holsteinischen Schulen Comics oder andere Materialien von Verfassungsschutzbehörden als Unterrichtsmaterial eingesetzt? Antwort: Über den Einsatz von Unterrichtsmaterialien entscheiden die Lehrkräfte im Rahmen ihrer fachlichen und pädagogischen Verantwortung. 5 9. Weist die Landesregierung Lehrkräfte auf die Kontroverse um eine Zusammen- arbeit mit Verfassungsschutzmitarbeitern2 sowie auf alternative, nicht-staatliche Vortragsangebote betreffend antidemokratische Strömungen3 hin oder beab- sichtigt sie dies? Antwort: Der Rat für Kriminalitätsverhütung und das Beranet unterhalten einen Webauftritt, der umfangreiche Informationen enthält. 10. Ist der Landesregierung bekannt, dass der DGB-Bundesjugendausschuss, der Arbeitskreis Extremismusbegriff, die Humanistische Union, das Demokratische JugendFORUM Brandenburg und der Landesjugendring Rheinland-Pfalz Vor- träge von Nachrichtendienstmitarbeitern vor Schulgruppen ablehnen? Sind der Landesregierung weitere Kritiker bekannt? Antwort: Ja; weitere Kritiker sind der Landesregierung nicht bekannt. 11. Wie beurteilt die Landesregierung Vorträge von Nachrichtendienstmitarbeitern vor Schulgruppen? Antwort: Nachrichtendienstmitarbeiter/innen des Bereiches Öffentlichkeitsarbeit vertreten eine Behörde. Sie haben bei Vorträgen einen Aufklärungsauftrag. Lehrkräfte können die angebotenen Informationen nutzen ebenso wie den jährlichen Verfassungsschutzbe- richt und die Broschüren, die vom Verfassungsschutz herausgegeben werden. Es wird erwartet, dass diese Informationen im Rahmen des Unterrichts nach fachlichen Methoden erschlossen und entsprechend dem Prinzip der Kontroversität zu einem reflektierten Urteil geführt werden. 12. Hat der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz einen gesetzlichen Auftrag zur Bildungs- und direkter Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere an Schulen? 2 http://www.verfassung-schuetzen.de/wp-content/uploads/2014/10/Rosalux-Brosch%C3%BCre-Bildung-ohne-VS.pdf 3 http://www.verfassung-schuetzen.de/wp-content/uploads/2014/10/Bildungsalternativen.pdf Drucksache 18/ #N!# Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 Antwort: Die zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes gem. § 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Absatz 1 sowie § 21 Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG) ist die Unterrichtung der Landesregierung, des Landtages aber auch der Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Hierdurch soll die Möglichkeit eröffnet werden, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen (vgl. § 1 Satz 2 LVerfSchG). Auch Schulen sind somit direkte Adressaten dieser Unterrichtung. Die Entscheidung, wie die Informationsweitergabe innerhalb der Schulen erfolgt - also durch eigene Lehrkräfte oder z.B. im Wege des Vortrags durch den Verfassungsschutz - treffen die Schulen in eigener Verantwortung nach den Maßgaben des Schulgesetzes. 13. Gibt es eine Kooperation zwischen Verfassungsschutz und der Landeszentrale für politische Bildung bzw. den Zentren für Lehrerfortbildung? Antwort: Bisher gab es keine regelmäßige, aber zweimal eine anlassbezogene Kooperation zwischen dem Verfassungsschutz und der Landeszentrale für Politische Bildung so- wie dem IQSH. So hat die Verfassungsschutzbehörde des Landes Schleswig- Holstein anlassbezogen im Rahmen der Extremismusprävention mit der Landeszent- rale für politische Bildung Schleswig-Holstein und dem Institut für Qualitätsentwick- lung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) zusammengearbeitet. Im März 2012 wurde in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung die Wander- ausstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) „Die missbrauchte Religi- on - Islamisten in Deutschland“ organisiert. Auch nahm die Verfassungsschutzbehör- de Schleswig-Holstein im Februar 2015 an der ersten landesweiten Fachtagung des IQSH zu „Islamismus und Salafismus als Herausforderung in der Schule“ mit einem Fachvortrag zu „Grundlagen und Begriffserläuterungen“ sowie mit einem Diskussi- onsforum zum „Umgang mit religiös motivierten Verhaltensweisen in der Schule“ teil. Es wird geprüft, ob es im Rahmen der AG 26, die unter der Leitung des Rates für Kriminalitätsverhütung arbeitet, in Zukunft eine feste Kooperation geben sollte. 7 14. Welche Bildungs- bzw. Informationsveranstaltungen hat der schleswig- holsteinische Verfassungsschutz seit 2010 durchgeführt bzw. daran teilgenom- men? (bitte jeweils Datum, Institution, Dauer, Art und Ort der Veranstaltung so- wie Anzahl der Teilnehmenden und grober Teilnehmerkreis angeben) Antwort: Im Bereich Linksextremismus wurden in den letzten fünf Jahren keine Veranstaltun- gen im Sinne der Anfrage durchgeführt. Im Phänomenbereich Rechtsextremismus wurden seit 2010 auf Anforderung von Behörden oder anderen öffentlichen Einrich- tungen jährlich ein bis fünf Vorträge zu einzelnen Schwerpunkten des Rechtsextre- mismus gehalten. Vom 15. März bis 29. März 2012 wurde in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein die Wanderausstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) „Die missbrauchte Religion - Islamisten in Deutsch- land“ in Kiel präsentiert und eine Podiumsdiskussion zu dem Thema „Islamkritik und Islamophobie“ mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis im Landeshaus durchgeführt. In diesen zwei Wochen hatten sich insgesamt 65 Gruppen aus den Bereichen Schule, Polizei, Bundeswehr und Migrantenvereine für eine Füh- rung angemeldet. Die Ausstellung wurde von ca. 800 Personen besucht. Die Podi- umsdiskussion wurde von ca. 200 Teilnehmern aufgesucht. Am 26.02.2015 nahm die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein an der ers- ten landesweiten Fachtagung in Kiel zum Umgang mit religiös motiviertem Extremis- mus „Islamismus und Salafismus als Herausforderung in der Schule“ des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein teil. Die Landesfachtagung mit mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern richtete sich an alle Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Schulen und deren Umfeld. Die Verfassungsschutzbehörde des Landes Schleswig-Holstein beteiligte sich mit einem Fachvortrag zu „Grundlagen und Begriffserläuterungen“ sowie mit einem sich anschließenden Diskussionsforum zum „Umgang mit religiös motivierten Verhaltens- weisen in der Schule“.