SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/3124 18. Wahlperiode 6. Juli 2015 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung Konsequenzen aus dem Fall Friesenhof I 1. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung des Runden Tischs Heimerziehung , die Partizipations- und Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung etwa durch Entwicklung eines Rechtekataloges, durch Einführung von Beschwerdemöglichkeiten und Beteiligungsgremien zu stärken? a) Welche Möglichkeiten hat das Land, um im Rahmen seiner Zuständigkeiten darauf hinzuwirken (z.B. Erlass, generelle Auflage)? b) Welche Schritte beabsichtigt die Landesregierung diesbezüglich? Antwort: Die Landesregierung begrüßt die Forderung des Runden Tisches Heimerziehung zur Verbesserung der Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung. Die Forderung des Runden Tisches wurde im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes in § 45 SGB VIII aufgenommen. Danach setzt seit 2012 die Erteilung der Betriebserlaubnis für eine Einrichtung voraus, dass geeignete Beteiligungs - und Beschwerdemöglichkeiten Anwendung finden (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII); dies ist in der Konzeption darzulegen (§ 45 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII) und wird im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens für neue Einrichtungen entsprechend geprüft. Von den bei Inkrafttreten des BKiSchG bereits bestehenden Einrichtungen wurden 2012 ebenfalls entsprechende Konzeptergänzungen eingefordert, obwohl Drucksache 18/3124 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 dies gesetzlich nicht zwingend ist. Anforderungen an die Konzeptionen und Ausgestaltungsmöglichkeiten wurden mit den Einrichtungsträgern im Rahmen einer Fachveranstaltung am 14.12.2012 (Fachforum Heimerziehung) diskutiert. Die praktische Umsetzung der Konzeption wird im Rahmen von Betriebsbesuchen und örtlichen Prüfungen überprüft, falls erforderlich werden die Einrichtungsträger zu möglichen konzeptionellen und praktischen Verbesserungen der Beteiligungs - und Beschwerdemöglichkeiten beraten. Bereits im Herbst 2010 führte die Landesregierung zudem - unabhängig vom Abschlußbericht des Runden Tisches - eine erste landesweite Fachtagung zum Thema „Partizipation in der Heimerziehung“ durch, an deren Vorbereitung und Durchführung zahlreiche freie Träger der Jugendhilfe beteiligt wurden. Anschließend konnten sich schleswig-holsteinische Träger der stationären Hilfen zur Erziehung mit eigenen Projektideen für die Teilnahme am Landesmodellprojekt „Demokratie in der Heimerziehung“ (2011/2012) bewerben. Im September 2012 wurden die Ergebnisse dieser Projekte der Fachöffentlichkeit im Rahmen einer Abschlusstagung sowie in Form einer anschließend landesweit an alle Einrichtungen versandten Broschüre vorgestellt. Für die qualifizierte Durchführung von Beteiligungsprozessen sowie die strukturelle Absicherung von Beteiligungsrechten in den stationären Einrichtungen der Jugendhilfe kommt der Fachkräfteaus- und -weiterbildung eine entscheidende Rolle zu. Daher wurde in den Jahren 2013 und 2014 in Schleswig-Holstein die bundesweit erste Ausbildungsreihe von 25 Fachkräften für Partizipation in der Heimerziehung durchgeführt. Die Ausbildungsreihe wurde in sechs dreitägigen Modulen umgesetzt . Eine zweite Ausbildungsreihe startet im Sommer 2016. Über die Gemeinschaftsaktion „Schleswig-Holstein – Land für Kinder“ können Träger der Jugendhilfe zudem eine finanzielle Förderung für Teamfortbildungen zur Partizipation, für die Erarbeitung von Rechtekatalogen oder ein Beschwerdemanagement erhalten. Auf Initiative der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie und in Kooperation mit der Gemeinschaftsaktion „Schleswig-Holstein – Land für Kinder“ fand im April 2012 der erste zweitägige Landesjugendkongress „auf Augenhöhe – Du bestimmst mit“ für 65 Kinder und Jugendliche aus stationären Jugendhilfeeinrichtungen statt. Der trägerübergreifende Erfahrungsaustausch von Kindern und Jugendlichen , aber auch der begleitenden Fachkräfte ist, so hat sich gezeigt, gut geeignet, Beteiligungsprozesse in der stationären Jugendhilfe anzuregen sowie Beteiligungspotenziale bei den Betreuten, den Einrichtungen und den Leistungsträgern zu aktivieren. Vor diesem Hintergrund fand im Sommer 2014 der zweite Landesjugendkongress statt, auf dem neben den Workshops und Angeboten für die Kinder und Jugendlichen zusätzlich auch mit den die Kinder und Jugendlichen begleitenden 30 Fachkräften zwei Tage ein Begleitprogramm „Demokratie in der Heimerziehung“ durchgeführt wurde. Die Planungen für den dritten Landesjugendkongress im Juli 2016 haben begonnen. Einen entsprechenden Landesjugendkongress für Heim- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/3124 3 jugendliche gibt es bisher außer in Schleswig-Holstein lediglich in den Bundesländern Bayern und Hessen, im Juli 2015 findet dieser auch in NordrheinWestfalen statt. 2. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung des Runden Tischs Heimerziehung , Kinder und Jugendliche an der Einrichtungsaufsicht zu beteiligen, insbesondere an der Beratung und Aufsicht während Betriebsführungen? a) Welche Möglichkeiten hat das Land, um im Rahmen seiner Zuständigkeiten darauf hinzuwirken (z.B. Erlass)? b) Welche Schritte beabsichtigt die Landesregierung diesbezüglich? Antwort: Bei Betriebsbesuchen und örtlichen Prüfungen der Heimaufsicht wird den in den Einrichtungen anwesenden Kindern und Jugendlichen grundsätzlich Gelegenheit gegeben, sich zu ihrer allgemeinen Zufriedenheit mit der Heimunterbringung und ggf. zu konkreten Sachverhalten in der Einrichtung zu äußern. Eine institutionelle Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Einrichtungsaufsicht ist aus Gründen der Praktikabilität (Wer wählt aus? Wer rückt nach, wenn die Einrichtungen verlassen wird?) aber auch aus inhaltlichen Gründen (Aufsicht ist staatliche Aufgabe, die Heimaufsichten erhalten auch Einblicke in zu schützende Daten – bei Einbeziehung von Privatpersonen, zumal minderjährigen, können Vertraulichkeit und Datenschutz nicht gewährleistet werden; außerdem wird u. U. die Position der Fachkräfte „untergraben“ und die pädagogische Arbeit erschwert) nicht unbedingt hilfreich. Grundsätzlich vorstellbar ist eine allgemeine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Entwicklung von Einrichtungsstandards z.B. über den Landesjugendkongress. Siehe im Übrigen auch die Antwort auf Frage 1. 3. Wie steht die Landesregierung zu Vorschlägen, Heimkindern einen uneingeschränkten Zugang zu Telekommunikations- und Postleistungen ohne Mithörer /Mitleser einzuräumen, eine kostenfreie Beschwerdehotline einzurichten, mindestens einmal im Monat ein persönliches Gespräch mit einer externen Vertrauensperson anzubieten und/oder alle Bewohner schriftlich und durch Aushang über Kontaktmöglichkeiten aufklären zu lassen (analog § 12 PsychKG)? a) Welche Möglichkeiten hat das Land, um im Rahmen seiner Zuständigkeiten darauf hinzuwirken (z.B. durch generelle Auflage)? b) Welche Schritte beabsichtigt die Landesregierung diesbezüglich? Antwort: Die Landesregierung geht davon aus, dass die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen für Beschwerden grundsätzlich freien Zugang zu Post- und Telekommunikationsdiensten haben und erwartet, dass Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten in den Konzeptionen dargestellt und in der Praxis umgesetzt werden (s. Antwort zu Frage 1). In Einzelfällen kann der freie Zugang zu Postund Telekommunikationsdiensten eingeschränkt sein, wenn dies zum Schutz der Kinder und Jugendlichen erforderlich ist. Die Entscheidung darüber treffen die entsendenden Jugendämter in Abstimmung mit den Personensorgeberechtigten Drucksache 18/3124 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 bzw. ggf. mit den Familiengerichten. Es wird aber von Seiten der Heimaufsicht immer darauf hingewirkt, dass die Kinder und Jugendlichen uneingeschränkt die Möglichkeit haben, zu ihrem zuständigen Jugendamt oder zum Landesjugendamt Kontakt aufzunehmen. Grundsätzlich liegt es in der Entscheidung der Träger, welche Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten sie vorsehen und auf welchen Wegen sie die Kinder und Jugendlichen über Beschwerdemöglichkeiten informieren. Einige Einrichtungen informieren die bei ihnen untergebrachten Kinder z. B. über Taschenkarten oder Infobroschüren o. ä., die sie bei Aufnahme der Kinder/Jugendlichen an diese ausgeben. 4. Werden Betroffene entwürdigender Behandlung in Heimen, wie sie etwa in der Auflage vom 30. Januar 2015 (Az. VIII 302) untersagt werden, entschädigt? Wenn ja, von wem (z.B. im Insolvenzfall)? Hält die Landesregierung die Entschädigungsmöglichkeiten für ausreichend und welche Schritte beabsichtigt sie diesbezüglich ? Antwort: Über etwaige Entschädigungs- oder Schadenersatzzahlungen entscheiden die zuständigen Behörden und Gerichte im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Verfahren.