SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/3129 18. Wahlperiode 2. Juli 2015 Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (FDP) und Antwort der Landesregierung - Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung „Friesenhof“ – Vereinbarung zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Trägerin Vorbemerkung des Fragestellers: Mit Verfügung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung vom 30. Januar 2015 (Az.: VIII 302) wurden der Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung "Friesenhof" Auflagen nach § 45 Absatz 4 SGB VIII erteilt. Darin wurde unter anderem untersagt, dass die Betreuten sich vor dem Betreuungspersonal nackt ausziehen müssen und Briefe und andere Postsendungen von den oder an die Betreuten zu öffnen, zu lesen oder zurückzuhalten. Die sofortige Vollziehung der Auflagen wurde angeordnet. Laut Presseberichten haben das Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, und die Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung "Friesenhof" im April 2015 eine Vereinbarung geschlossen. Nach § 1 der Vereinbarung sichert das Land zu, den Bescheid vom 30. Januar 2015 aufzuheben. Im Gegenzug verpflichtet sich die Trägerin zur Rücknahme der fristwahrend eingelegten Klage. In § 2 der Vereinbarung wird vereinbart, dass, soweit ein vollständiges Entkleiden der Bewohnerin im Einzelfall erforderlich ist, die Kontrolle durch weibliche Betreuungskräfte erfolgt und dokumentiert wird. Drucksache 18/3129 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 1. Welche Rechtsqualität hat die o.g. Vereinbarung zwischen dem Land SchleswigHolstein und der Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung "Friesenhof"? Antwort: Bei der Vereinbarung vom 09.04./15.04.2015 handelt es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag nach § 53 Abs. 1 SGB X mit dem Regelungsinhalt eines Vergleichsvertrages nach § 54 SGB X. 2. Warum wurde die Vereinbarung zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung "Friesenhof" geschlossen? Antwort: Die Vereinbarung vom 09.04./15.04.2015 ist geschlossen worden, nachdem der Einrichtungsträger Klage gegen die Rechtmäßigkeit der Auflagenverfügung vom 30.01.2015 erhoben hat. Der Vertragsschluss erfolgte, weil das Ministerium den Abschluss des Vergleichsvertrages zur Beseitigung von Ungewissheiten nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckdienlich gehalten hat. Ungewissheiten hinsichtlich der Sach- und Rechtslage sind aufgrund der Klagerhebung des Einrichtungsträgers entstanden. Der Aufwand, der mit der Beseitigung der Ungewissheit verbunden war, war bei verständiger Würdigung des Sachverhaltes und der Rechtslage erheblich. Die Ungewissheit hätte sich letztlich erst nach Abschluss eines zeitaufwendigen Klageverfahrens endgültig beseitigen lassen. Mit den in der Vereinbarung vom 09.04./15.04.2015 festgelegten Auflagen ist darüber hinaus das Regelungsziel des Bescheides vom 30.01.2015 erreicht worden. 3. Wer hat die Vereinbarung formuliert? Wer hat den Verfasser oder die Verfasserin der Vereinbarung mit der Erstellung beauftragt? Wer hat die Kosten für die Erstellung getragen? Antwort: Die Vereinbarung wurde, wie bei Vertragsverhandlungen üblich, in mehreren Schritten durch Beiträge von beiden Vertragsparteien entwickelt. Auf Seiten des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung waren die zuständige Sachbearbeitung gemeinsam mit den Juristinnen der Heimaufsicht im Rahmen der eigenverantwortlichen Bearbeitung nach Nr. 3.3 der GGO damit befasst. Der von der Trägerin beauftragte Rechtsanwalt wurde von der Trägerin bezahlt. 4. Hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung Kenntnis von der Vereinbarung gehabt? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Die Ministerin hatte keine Kenntnis von der Vereinbarung. Die Arbeitsebene hat diese Vereinbarung als Verwaltungsvorgang betrachtet, der keine Information der Ministerin erforderlich machte. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/3129 3 5. Wurde der Bescheid vom 30. Januar 2015 aufgehoben? Wenn ja, in welcher Form und auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte die Aufhebung? Ist die Landesregierung der Ansicht, dass die Aufhebung materiell rechtmäßig ist? Bitte begründen . Antwort: Der Bescheid vom 30.01.2015 ist aufgehoben worden. Es handelt sich um den Widerruf eines rechtmäßigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes. Der Widerruf ist nach § 46 Abs. 1 SGB X ohne weiteres zulässig. Die Aufhebung ist daher materiell rechtmäßig. 6. Durch die Vereinbarung wird die private Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeein- richtung "Friesenhof" ermächtigt, in Grundrechte der Betreuten einzugreifen. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Ermächtigung? Nach welcher Rechtsgrundlage ist eine private Trägerin zu solchen Eingriffen berechtigt? Antwort: Die Fragestellung geht von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Durch die Vereinbarung vom 09.04./15.04.2015 wird die private Trägerin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung „Friesenhof“ keineswegs ermächtigt, in Grundrechte der Betreuten einzugreifen. Im Gegenteil begrenzt die Vereinbarung auf anderweitigen Rechtsgrundlagen beruhende rechtliche Möglichkeiten der Einrichtungsträgerin , Maßnahmen gegenüber Bewohnerinnen zu erlassen. Derartige Maßnahmen können von der Einrichtungsträgerin auf der Grundlage der aus dem – insoweit übertragbaren – Personensorgerecht folgenden Aufsichtsverpflichtung gegenüber minderjährigen Bewohnerinnen unter Beachtung der entsprechenden Rechtmäßigkeitsanforderungen erlassen werden. Die Vereinbarung schränkt diese Berechtigung weiter ein. 7. Wie erklärt die Landesregierung die inhaltlichen Unterschiede zwischen dem Be- scheid vom 30. Januar 2015 und der Vereinbarung? Bitte einzeln begründen. Antwort: Inhaltliche Änderungen gibt es bei: § 2 der Vereinbarung gegenüber Ziffer 1.1 der Auflage insofern, als dass das vollständige Entkleiden nicht mehr grundsätzlich untersagt, sondern auf erforderliche Einzelfälle beschränkt und nur unter weiblicher Aufsicht zulässig sein sollte. Die Trägerin hat im Verlauf der Anhörung nachvollziehbar vorgetragen, dass in Einzelfällen eine solche Durchsuchung zur Abwendung einer Selbst- oder Fremdgefährdung notwendig werden kann und auch vom Recht der Personensorge gedeckt ist. § 3 schränkt die ursprünglichen und zu weit gefassten Auflagen der Ziffer 1.2 ein, da aus pädagogischen Gründen und vom Recht der Personensorge gedeckt, nicht nur gefährliche Gegenstände zulässigerweise im Rahmen des pädagogischen Konzeptes in der Einrichtung untersagt werden können. Drucksache 18/3129 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 § 5 stellt eine Konkretisierung und Modifizierung der Ziffern 1.4 und 1.5 des Auflagenbescheides dar. Hier wurde zur Abwendung von Selbstgefährdungen der Betreuten, die zu einem nicht unerheblichen Teil bereits Kontakte ins Drogenmilieu oder Prostitutionserfahrungen hatten, ein unkontrolliertes Telefonieren nicht in jedem Einzelfall für realisierbar und im Rahmen der Personensorge für einschränkbar gehalten. Gleiches gilt für den Briefverkehr. § 6 enthält gegenüber der Ziffer 1.7 eine Abweichung, da Foto- und Filmaufnahmen nicht mehr grundsätzlich untersagt werden. Diese Änderung soll derartige Aufnahmen z.B. bei Festen oder Ausflügen ermöglichen. 8. Sieht die Landesregierung in Hinblick auf den Auflagenbescheid und die diesen ersetzende Vereinbarung die Garantien aus der UN-Konvention über die Rechte des Kindes in jedem Fall gewahrt? Antwort: Die Vereinbarung vom 09.04./15.04.2015 beachtet sämtliche Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention. Sie bezweckt gerade die Verwirklichung der Regelungsziele der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere die Sicherung des Kindeswohles i.S.v. Art. 3 Abs. 1 KRK. 9. Hat die Landesregierung vor Abschluss der Vereinbarung die Rechtmäßigkeit des Inhalts geprüft? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ist die Landesregierung der Ansicht, dass die Vereinbarung materiell rechtmäßig ist? Bitte begründen. Antwort: Ja, siehe hierzu auch die Antwort zur Frage 3. 10. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, ob ein solches Vorgehen üblich ist und auch in anderen Bereichen Anwendung gefunden hat? Antwort: Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist nicht nur im Bereich der Sozialgesetzbücher ein zulässiges und übliches Mittel des Verwaltungshandelns. Gleiche Regelungen finden sich z.B. in §§ 121, 122 LVwG und in §§ 54,55 VwVfG. 11. Bestehen weitere Vereinbarungen dieser Gestalt zwischen dem Land und anderen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen? Antwort: Nein.