SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4077 18. Wahlperiode 29.04.2016 Kleine Anfrage der Abgeordneten Astrid Damerow (CDU) und Antwort der Landesregierung - Ministerium für Justiz, Kultur und Europa Umwidmung von EU-Fördergeldern für Projekte zur Flüchtlingsintegration Vorbemerkung: Die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft stellt eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Sie erfordert neben einem erheblichen haupt- und ehrenamtlichen Engagement einen hohen finanziellen Einsatz , insbesondere von den Kommunen. Die EU-Kommission ist deshalb bereit, Änderungen oder Umstrukturierungen bei den Programmen für die Europäischen Struktur - und Investitionsfonds zugunsten von Flüchtlingen und Migranten zu ermöglichen. Dieses soll möglichst unbürokratisch geregelt werden. 1. Ist der Landesregierung bekannt, dass seitens der EU-Kommission die Möglichkeit der Umwidmung der Mittel von EU-Struktur- und Investitionsfonds zugunsten von Projekten der Flüchtlings- und Migrationsarbeit bestehen? Wenn ja, seit wann und durch wen? Antwort Der Landesregierung ist dies bekannt. Die Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der EU- Kommission hat mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 die Verwaltungsbehörden des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) darüber informiert, auf welche Weise der Fonds nach Auffassung der Kommission einen Beitrag zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen leisten kann. Drucksache 18/4077 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 Die für Regionalpolitik zuständige Kommissarin Corina Crețu hat mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 angekündigt, dass sie und ihre Dienststellen gegenüber Änderungen bei den laufenden operationellen Programmen des ESF und EFRE zur Bewältigung neuer Aufgaben, die sich im Zusammenhang mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage ergeben, aufgeschlossen seien. Die Generaldirektion Beschäftigung hat mit Schreiben vom 2. Dezember 2015 mitgeteilt , dass eventuelle Änderungsanträge der Mitgliedstaaten zeitnah geprüft werden, dass jedoch grundsätzlich von den in den einschlägigen EU-Verordnungen vorgeschriebenen Verfahrensregeln nicht abgewichen werden wird. Die Umsetzung der EU-Struktur- und Investitionsfonds erfolgt mittels Operationeller Programme, die vom Mitgliedstaat bzw. vom Bundesland der EU Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Wenn eine inhaltliche Änderung eines genehmigten Programms in Betracht gezogen wird, ist hierfür ein Änderungsantrag zu stellen. Ein Umwidmen von Mitteln für neue Förderschwerpunkte ist nicht ohne das formale Verfahren eines Änderungsantrags möglich. Die Kommission ist insoweit der Forderung der Konferenz der Arbeits - und Sozialminister 2015, OP-Änderungen zu erleichtern und die finanzielle Ausstattung des ESF so zu verstärken, dass sie der Lastenverteilung innerhalb der Union aufgrund der Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten entspricht, bislang nicht gefolgt. 2. Wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeit der Umwidmung von EU-Mitteln für die Integrationsmaßnahmen der Flüchtlinge? Antwort Grundsätzlich begrüßt die Landesregierung die Initiative der Europäischen Kommission . Allerdings sind die EU-Struktur- und Investitionsfonds in unterschiedlicher Weise geeignet, Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge zu unterstützen. Darüber hinaus muss auf die aufwändige Antrags- und Genehmigungsprozedur für die Änderung der operationellen Programme (OP) hingewiesen (s.o.) werden. Im Einzelnen: ELER: Die Ankündigung der Kommission, die Mitgliedstaaten bei Programmänderungen, die auf einen verbesserten Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingssituation abzielen, unterstützend zu begleiten und die entsprechenden Verfahren zu beschleunigen, wird ausdrücklich begrüßt. Drucksache 18/4077 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 3 EFRE: Die Strategie des Operationellen Programms für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Förderperiode 2014-2020 (OP EFRE 2014-2020) basiert auf den Vorgaben der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Europa 2020-Strategie (intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum) und nach einer stärkeren thematischen Konzentration. Nach Artikel 4 der VO (EU) Nr. 1301/2013 (EFRE-Verordnung) sind mindestens 80% der EFRE-Mittel für die thematischen Ziele 1, 3 und 4 (Innovation, Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen, Reduzierung von CO2-Emissionen) und davon mindestens 20% für das thematische Ziel 4 (Reduzierung von CO2-Emissionen) einzusetzen. Darüber hinaus berücksichtigt das OP EFRE 2014-2020 die Ergebnisse der sozioökonomischen Analyse und der Stärken-Schwächen-Analyse (u. a. signifikante FuE- Schwäche in Schleswig-Holstein) und die von der Landesregierung im Dezember 2012 beschlossenen strategischen Ziele. Übergeordnete Zielsetzung des EFRE ist der Aufbau eines innovationsfördernden Umfeldes, womit ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Schaffung attraktiver Arbeitsplätze und eine umweltgerechte Entwicklung des Landes unterstützt werden sollen. Darüber hinaus enthält das OP EFRE 2014-2020 das neue Instrument der Integrierten Territorialen Investitionen (ITI) für die Westküste. Für die Umsetzung der ITI „Tourismus- und Energiekompetenzregion Westküste“ ist ein EFRE-Mittelvolumen von 30 Millionen Euro reserviert. Vor dem Hintergrund eines im Vergleich zur Förderperiode 2007-2013 deutlich reduzierten EFRE-Mittelvolumens, der notwendigen thematischen Konzentration und der Gesamtstrategie des OP EFRE 2014-2020 wird eine Umwidmung für direkte Integrationsmaßnahmen der Flüchtlinge nicht verfolgt. ESF: Die Ausgestaltung der Förderschwerpunkte des Operationellen Programms (OP) für den Europäischen Sozialfonds (ESF) für den Zeitraum 2014-2020 wurde als Ergebnis einer umfangreichen sozioökonomischen Analyse ausgearbeitet und definiert verschiedene Handlungsfelder (Förderung nachhaltiger und hochwertiger Beschäftigung , Fachkräftegewinnung und -sicherung, Förderung der sozialen Inklusion, Bildung , Ausbildung und Berufsbildung, Bekämpfung von Armut und Diskriminierung). Das OP richtet sich an Zielgruppen, bei denen aus Sicht der Landesregierung ein Förderbedarf besteht. Die durch die Entwicklung des Zuzugs von Flüchtlingen zusätzlich entstandenen Bedarfe von Flüchtlingen führen aus Sicht der Landesregierung nicht dazu, dass die zuvor festgestellten Unterstützungserfordernisse für andere Drucksache 18/4077 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Zielgruppen in den Hintergrund treten. Alle Förderangebote stehen auch Flüchtlingen offen, soweit diese die sonstigen Fördervoraussetzungen erfüllen. Land und Bundesagentur für Arbeit sowie Jobcenter fördern Flüchtlinge ab 1. Juni 2016 im Rahmen des Programms BÜFAA-SH (Begleiteter Übergang für Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung) durch zusätzliche Maßnahmen ohne Einsatz von Mitteln des ESF. Hierdurch wird ohne Vernachlässigung der bisherigen Zielgruppen der großen Herausforderung der Integration von Flüchtlingen angemessen begegnet. 3. Hat die Landesregierung zur Möglichkeit der Umwidmung der EU-Mittel weitere Informationen eingeholt? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Antwort ELER: Das Schreiben der Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung vom 26. Oktober 2015 war Gegenstand einer Erörterung zwischen den Programmkoordinatoren von Bund und Ländern mit der EU-Kommission. Darüber hinaus wurde das Dokument wiederholt in dem bei der EU-Kommission eingerichteten Ausschuss für die Entwicklung des ländlichen Raums mit den Mitgliedstaaten erörtert. In diesen Erörterungen wurden jeweils die Empfehlungen des Schreibens vertieft und Fragen der praktischen Umsetzung diskutiert. EFRE: Hinsichtlich der Umwidmung von EFRE-Mitteln hat die EU Kommission (Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung) bestätigt, dass direkte Fördermaßnahmen für Flüchtlinge derzeit nicht kompatibel mit der strategischen Ausrichtung des schleswig-holsteinischen OP EFRE 2014-2020 sind. ESF: Die EU Kommission hat mitgeteilt, Anliegen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem ESF-Mitteleinsatz für Flüchtlinge zeitnah zu prüfen. Die EU Kommission hat dabei deutlich gemacht, dass sie eine umfangreiche Umwidmung von ESF-Mitteln zugunsten von Flüchtlingen nicht für sinnvoll hält, da diese zulasten von bisher begünstigten Zielgruppen ausfallen würde. Sie sieht den ESF als Instrument zur Flankierung von eigenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Drucksache 18/4077 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 5 4. Hat die Landesregierung den Einsatz beantragter Mittel von EU-Struktur- und Investitionsfonds auf mögliche Umwidmungen geprüft? Zu welchem Ergebnis ist die Landesregierung dabei gekommen? Antwort ELER: Bei der Prüfung des ELER-Fonds auf mögliche Umwidmung sind auch die im LPLR programmierten Maßnahmen 7.4 „Lokale Basisdienstleistungen in ländlichen Gebieten “ und 19 „Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen der lokalen Entwicklungsstrategien “ (AktivRegionen/LEADER) betrachtet worden. Die Projekte der Fördermaßnahme 7.4 werden nach Vorgabe der EU im Rahmen eines Projektauswahlverfahrens (Calls) auf der Grundlage von Projektauswahlkriterien (PAK) ausgewählt. Förderfähig sind multifunktionale Angebote zur Sicherung der Bildung und Nahversorgung in ländlichen Räumen (investive Infrastrukturmaßnahmen ). In den PAK ist das Kriterium „Integration“ bereits erfasst. Angebote, die auch der Integration von Flüchtlingen dienen, können in diesem Rahmen bereits jetzt Bestandteil von Projektkonzepten sein und sind somit förderfähig. Als Zuwendungsempfänger kommen Kommunen sowie juristische Personen des öffentlichen Rechtes in Frage. Die Maßnahme 19 „AktivRegionen/LEADER“ folgt einem bottom-up-Ansatz. Das bedeutet , dass die Beschlussgremien der AktivRegionen selbst auf der Basis der anerkannten jeweiligen Integrierten Entwicklungsstrategie (IES) und von ihnen definierter Projektauswahlkriterien über die Auswahl der zu fördernden Projekte entscheiden. Eine Durchsicht der IESn der 22 AktivRegionen hat ergeben, dass in der Mehrzahl der IESn die Stichworte "Integration, Daseinsvorsorge, Inklusion, Qualifizierung, demographischer Wandel" vorhanden sind. Begleitende, flankierende Maßnahmen zum Thema "Flüchtlinge" können somit von den Beschlussgremien der jeweiligen Aktiv- Region entschieden werden, sofern sie den Zielen der jeweiligen IES entsprechen und die jeweiligen Projektauswahlkriterien (inkl. Mindestpunktzahl) erfüllen. Somit ist festzuhalten, dass mit den programmierten Instrumenten der Ländlichen Entwicklung in den Maßnahmen 7.4 und 19 des LPLR bereits jetzt von den zuständigen Entscheidungsebenen Projekte gefördert werden können, die unterstützende Wirkungen bei der Integration von Flüchtlingen erzielen können. Vor diesem Hintergrund wird aktuell keine Veranlassung für eine Umwidmung gesehen. EFRE: Siehe Antwort zu 2. Drucksache 18/4077 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 ESF: Vor dem Hintergrund der eigenen Bewertung und der Hinweise der EU Kommission hat sich Schleswig-Holstein im Bereich des Landesprogramms Arbeit für den beschriebenen integrativen Ansatz entschieden. Bestehende ESF-Programme stehen soweit möglich Flüchtlingen offen. Auf die neuen Herausforderungen reagieren Landesregierung , Bundesagentur für Arbeit und Kommunen mit einem landes- und bundesmittelfinanzierten Programm. 5. Bei welchen konkreten Fonds plant die Landesregierung Umwidmungen von EU- Mitteln? Wenn ja: In welcher Höhe sollen finanzielle Mittel umgewidmet werden? (Bitte nach Projekten getrennt auflisten.) Welche ursprünglichen Projekte sind betroffen? Wofür sollen die Mittel konkret neu eingesetzt werden? Wenn nein: Aus welchen Gründen will die Landesregierung keine Umwidmungen von EU-Mitteln beantragen? Antwort ELER: Für den Bereich der ELER-Förderung wird gegenwärtig keine Notwendigkeit gesehen , EU-Mittel umzuschichten. Zu den Einzelheiten wird auf die entsprechenden Ausführungen zu Frage 4 dieser Anfrage verwiesen. EFRE: Siehe Antwort zu 2. ESF: Siehe Antwort zu 2.