SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4199 18. Wahlperiode 27.05.2016 Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (FDP) und Antwort der Landesregierung – Ministerium für Justiz, Kultur und Europa Resozialisierung in Schleswig-Holstein 1. Welche Maßnahmen zur Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung werden in den Justizvollzugsanstalten des Landes angeboten? Bitte nach Justizvollzugsanstalten aufschlüsseln. Antwort: Die Maßnahmen zur Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung wurden bereits im Rahmen der Kleinen Anfrage „Hilfsstrukturen für Gefangene in Schleswig-Holstein“ (Ds.18/3625) umfassend beantwortet. Zur Vermeidung von Redundanzen wird auf die Antwort zu 1. der Kleinen Anfrage „Hilfsstrukturen für Gefangene in Schleswig-Holstein“ verwiesen. 2. Welche ambulanten Unterstützungsmaßnahmen und Beratungsangebote gibt es in Schleswig-Holstein für straffällig Gefährdete, Bagatelltäter und Rückfallgefährdete ? Antwort: Vorbemerkung: Das MJKE entwickelt und unterstützt diverse ambulante Sanktionsalternativen , haftverkürzende und haftvermeidende Maßnahmen sowie Maßnahmen des Übergangsmanagements und pädagogische sowie therapeutische Angebote für Straffällige und Opfer von Straftaten. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4199 2 Die Mehrzahl der Maßnahmen der ambulanten Straffälligenhilfe richtet sich an Beschuldigte und/oder Verurteilte, die strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Eine klare und unmissverständliche Unterteilung dieser Klientel in „straffällig Gefährdete, Bagatelltäter und Rückfallgefährdete“ ist statistisch, strafrechtlich und kriminologisch nicht möglich. Es wird im Bereich der ambulanten Maßnahmen der Straffälligenhilfe traditionell zwischen den ambulanten Sozialen Diensten der Justiz und den Trägern der Freien Straffälligenhilfe unterschieden. Zu den ambulanten Sozialen Diensten der Justiz gehören die Bewährungsund die Gerichtshilfen. Die Bewährungshilfen sind den Landgerichten zugeordnet und arbeiten weit überwiegend mit zu einer Jugend- oder zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten, die i.d.R. eine positive Sozialprognose aufweisen. Daneben sind die Fachkräfte der Bewährungshilfe auch für unter Führungsaufsicht stehende Verurteilte zuständig, denen eine negative Sozialprognose attestiert wurde. Bei sämtlichen Probanden handelt es sich nicht um Bagatellstraftäter , sondern um Straffällige, die sich mit diversen sozialen, persönlichen und/oder wirtschaftlichen Problemen konfrontiert sehen und die daher eine tendenziell langfristige Betreuung (im Sinne von Hilfe und Kontrolle) benötigen . Die Hilfen und Maßnahmen, die die Fachkräfte der Bewährungshilfen selbst anbieten oder vermitteln, umfassen zahlreiche Beratungs-und Therapiefelder (z. B. Schuldnerberatung, Drogenberatung, Antigewaltmaßnahmen, Berufsfindungs - und Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitslosen- und Wohnungslosenberatung u.v.a.m.). Die Gerichtshilfen sind den Staatsanwaltschaften zugeordnet und erstellen im Auftrag einer StA oder eines Gerichts Persönlichkeitsberichte in Form von psychosozialen Diagnosen. Diese dienen der besseren Abbildung der Täterpersönlichkeit und werden im Ermittlungs- und Hauptverfahren sowie bei der Strafvollstreckung von den Fachkräften der Gerichtshilfe erstellt. Neben der Erstellung solcher Diagnosen leiten die Gerichtshilfen bei Bedarf erste Hilfsmaßnahmen für die Beschuldigten ein (Vermittlung von Beratungs- und Therapieangeboten ). Auch bei der Klientel der Gerichtshilfen handelt es sich i.d.R. nicht um Bagatellstraftäter, sondern um Beschuldigte und Verurteilte, die sich mit diversen sozialen, persönlichen und/oder wirtschaftlichen Problemen konfrontiert sehen und die oftmals weitergehende Unterstützung zur Vermeidung erneuter Straftaten benötigen. Daneben führen die Fachkräfte der Gerichtshilfen u.a. den Täter-Opfer- Ausgleich (TOA) durch, bei dem die unmittelbare Konfliktschlichtung zwischen Be-schuldigten und Geschädigten angestrebt wird. Die ambulanten Maßnahmen der Freien Träger der Straffälligenhilfe richten sich ebenfalls vorrangig an straffällig gewordene Menschen. Zu den zahlreichen Maßnahmen zählen - Täter-Opfer-Ausgleich und Restorative Justice Maßnahmen im Strafverfahren sowie nach Verurteilung gegen Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4199 3 - Vermittlung in freie gemeinnützige Arbeit zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen und Geldverwaltung - Therapeutische Angebote, Beratungs- und Trainingsprogramme für Sexual - und Gewaltstraftäterinnen und Sexual- und Gewaltstraftäter, einschließlich der Nachsorge im Rahmen des Übergangsmanagements sowie der Forensischen Nachsorgeambulanzen gemäß § 68 StGB - Maßnahmen zur Verhinderung sexuellen Kindesmissbrauchs. Einige der Maßnahmen richten sich an zu einer Geldstrafe Verurteilte (Vermittlung in freie Arbeit), die therapeutischen Angebote richten sich i.d.R. an unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht stehende Verurteilte, Maßnahmen des TOA richten sich an Beschuldigte und Geschädigte eines strafrechtlich relevanten Konflikts. Das Projekt „Kein Täter werden“ richtet sich an Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und deshalb therapeutische Hilfe suchen. Diesen wird ein Behandlungsangebot gemacht um zu verhindern, dass ihre Neigungen in strafrechtlich relevante Handlungen münden. Ein weiteres Projekt befindet sich aktuell in der Planung. Hierbei geht es um spezifische ambulante Maßnahmen für straffällige junge Flüchtlinge. Um eine gelingende Integration zu gewährleisten, müssen solche Angebote sprach-, kultur- und religionssensibel sein. Für die bestehenden Maßnahmen (v.a. Betreuungs- und Therapieweisungen, soziale Trainingskurse, TOA) sind deshalb eine schnelle Weiterqualifizierung der beteiligten Fachkräfte zum Thema „interkulturelle Kompetenz“ sowie eine Einbindung von Übersetzern mit kulturmittlerischer Zusatzqualifikation erforderlich. Die Einbindung von Ehrenamtlichen aus den entsprechenden Kulturkreisen wird angestrebt. Mit der Entwicklung und Durchführung sollen 4 freie Träger - ein Träger pro LG-Bezirk - beauftragt werden. Sämtliche hier beschriebenen ambulanten Maßnahmen sind in Schleswig- Holstein ein wichtiger Bestandteil der Sozialen Strafrechtspflege und einer auf soziale Integration ausgerichteten Kriminalpolitik. Daher sind in Ergänzung zu den Aufgaben des Justizvollzugs die ambulanten Sozialen Dienste der Justiz und die Freien Träger der Straffälligenhilfe an der sozialpädagogischen und psychotherapeutischen Betreuung und Behandlung Gefährdeter, Straffälliger sowie der von diesen geschädigten Menschen beteiligt. Mit ihren Angeboten kann die ambulante Straffälligenhilfe flexibel auf spezifische Hilfebedarfe eingehen und die Lebenslagen der jeweiligen Zielgruppen nachhaltig verbessern. 3. Wie ist die Entlassungsvorbereitung in den Justizvollzugsanstalten des Landes ausgestaltet? Bitte nach Justizvollzugsanstalten aufschlüsseln. Antwort: Die Entlassungsvorbereitung wird für jede und jeden Gefangenen individuell geplant. Die zuständige Vollzugsabteilungsleitung koordiniert die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der Vollzugsplanung. Drei Monate vor der Entlassung wird spätestens geprüft, ob die Grundvoraussetzungen für den Über- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4199 4 gang in die Freiheit vorliegen. Hierzu zählen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts und einer Unterkunft. 4. Kann geeigneten Gefangenen zurzeit keine Maßnahmen zur Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung angeboten werden? Wenn ja, wie vielen und warum nicht? Antwort: Da die Resozialisierung der gesetzliche Auftrag ist, werden allen Strafgefangenen Maßnahmen zur Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung angeboten . 5. Welche aktuellen Erkenntnisse liegen der Landesregierung über Rückfallquoten entlassener Straftäter vor? Antwort: Gemäß der aktuellsten hier vorliegenden Studie1 liegt die allgemeine Rückfälligkeit bei entlassenen erwachsenen Straftätern in Schleswig-Holstein nach 3 Jahren bei 47 %, nach 6 Jahren bei 60 %. Allgemeine Rückfälligkeit bedeutet hier, dass es zu irgendeiner Art von Folgesanktion kommt. Die Rückfälligkeit nach 3 Jahren kann wie folgt differenziert werden: 23 % der Haftentlassenen wurden erneut zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, 10 % zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung, bei 14% erfolgte eine sonstige ambulante Sanktion und bei 53 % keinerlei Folgeentscheidung. Die Rückfälligkeitsraten bei Jugendlichen liegen deutlich höher: die allgemeine Rückfälligkeit bei Entlassenen aus dem Jugendstrafvollzug in Schleswig- Holstein liegt nach 3 Jahren bei 77 %, nach 6 Jahren bei 88 %. Die Rückfälligkeit nach 3 Jahren kann wie folgt differenziert werden: 40 % der Haftentlassenen wurden erneut zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, 17 % zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe mit Bewährung, bei knapp 20% erfolgte eine sonstige ambulante Sanktion und bei 23 % keinerlei Folgeentscheidung. 6. Sieht die Landesregierung im Bereich Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung Handlungsbedarf, um die Situation Gefangener im schleswigholsteinischen Strafvollzug zu verbessern? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Die Landesregierung sieht im Bereich der Resozialisierung bzw. Wiedereingliederung insofern keinen Handlungsbedarf, da im Rahmen des Gesetzentwurfes für das neue Landesstrafvollzugsgesetz u.a. die Schwerpunkte wie 1 Die Angaben zur Rückfälligkeit entstammen einer landesspezifischen Teilauswertung der bundesweiten sogenannten „Jehle-Studie“ zur Legalbewährung bezüglich des Ausgangsjahres 2004. Die Rückfälligkeitswerte wurden also in den Jahren 2007 und 2010 erhoben. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4199 5 Familienorientierung und der Täter-Opfer Ausgleich aufgenommen wurden, die die Situation bzw. Resozialisierung der Gefangenen im schleswigholsteinischen Strafvollzug verbessern. 7. Plant die Landesregierung ein Resozialisierungsgesetz? Wenn ja, wie ist der Zeitplan? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa arbeitet derzeit nicht an einem Landesresozialisierungsgesetz. Nach Inkrafttreten des Landesstrafvollzugsgesetzes wird das MJKE prüfen, ob ein Landesresozialisierungsgesetz erarbeitet wird.