SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4347 18. Wahlperiode 2016-07-07 Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann und Astrid Damerow (CDU) und Antwort der Landesregierung – Minister für Inneres und Bundesangelegenheiten Kinderehen in Schleswig-Holstein Vorbemerkung: Im Zusammenhang mit den erhöhten Zugangszahlen von Asylbewerbern in Deutschland ist es in der vergangenen Zeit häufiger zu einer medialen Berichterstattung über Anerkennung und Umgang mit Kinderehen in Deutschland gekommen. 1. Wie viele Fälle von Ehen, bei denen ein Ehepartner minderjährig ist, gibt es gegenwärtig im Land Schleswig-Holstein? Bitte jeweils getrennt nach Alter und Herkunft aufgliedern. Antwort: Angaben hierzu im Sinne statistischer Auswertungen liegen dem Land nicht vor. Drucksache 18/4347 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 2. Wie viele Fälle von Ehen, bei denen ein Ehepartner minderjährig ist, gab es in den vergangenen 5 Jahren in Schleswig-Holstein? Bitte jeweils getrennt nach Alter und Herkunft aufgliedern. Antwort: Angaben hierzu im Sinne statistischer Auswertungen liegen dem Land nicht vor. 3. Unter welchen Voraussetzungen werden im Ausland geschlossene Ehen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen in Deutschland anerkannt? Wie läuft das Anerkennungsverfahren ab? Antwort: a) Zu den Anerkennungsvoraussetzungen Im Ausland geschlossene Ehen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen sind im Grundsatz auch in Deutschland gültig. Maßgeblich ist insofern die Regelung des Artikel 13 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB); danach unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Haben dementsprechend Minderjährige zulässigerweise nach ihrem Heimatrecht geheiratet, ist ihre Ehe grundsätzlich auch in Deutschland anzuerkennen. Entgegen diesem Grundsatz ist die Anerkennung allerdings zu versagen, soweit der Eheschluss Minderjähriger zum einen gegen den so gen. ordre public verstößt und dieser Verstoß zum anderen die Unwirksamkeit der Ehe zur Folge hat. Abweichende ausländische Rechtsvorschriften sind nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (Artikel 6 Satz 1 EGBGB, so gen. ordre-public-Vorbehalt). Wann ausländische Ehemündigkeitsregeln gegen den ordre public verstoßen, ist gesetzlich nicht näher geregelt und wird von der Rechtsprechung im Einzelnen uneinheitlich beurteilt. Als unproblematisch angesehen werden üblicherweise Altersgrenzen von zumindest 16 Jahren . Regelungen, die eine Eheschließung vor Vollendung des 14. Lebensjahres erlauben, werden hingegen überwiegend für unzulässig gehalten. Für dazwischen liegende Altersschwellen existieren gegensätzliche Gerichtsentscheidungen . Im Übrigen kommt es für die Frage, ob eine im Ausland von Minderjährigen geschlossene Ehe als ordre-public-Verstoß anzusehen ist, Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4347 3 nicht nur auf den Zeitpunkt der Heirat an: Leben die Eheleute seit etlichen Jahren einvernehmlich zusammen, so kann dies einen früheren Verstoß heilen . Verstößt eine ausländische Ehemündigkeitsvorschrift gegen den deutschen ordre public, hat dies nicht automatisch zur Folge, dass die ausländische Ehe hier unwirksam ist. Vielmehr kann die Ehe zwar fehlerhaft, aber vorerst gültig sein, bis ein deutsches Familiengericht sie auf entsprechenden Antrag aufhebt (§ 121 Nr. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG). b) Zum Anerkennungsverfahren Ein förmliches Anerkennungsverfahren für ausländische Eheschließungen sieht das deutsche Recht – anders als beispielsweise bei ausländischen Ehescheidungen – nicht vor. Ob eine im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland anzuerkennen ist, wird vielmehr hauptsächlich als Vorfrage durch das jeweilige Standesamt geprüft, wenn die Eheleute beantragen, ihre Ehe im deutschen Eheregister zu beurkunden (§ 34 Absatz 1 Personenstandsgesetz). Daneben stellen Familiengerichte auf Antrag eines der Ehepartner das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe fest (§ 121 Nr. 3 FamFG). Im Übrigen haben Behörden und Gerichte in verschiedenen Konstellationen inzident zu prüfen, ob eine im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland wirksam ist. Dies betrifft etwa Ausländerbehörden (z. B. bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs; siehe auch unten zu Frage 5), Jugendämter als Amtsvormünder (z. B. bei der Prüfung, ob nach ihrem Heimatrecht verheirateten Minderjährigen der Zusammenzug und/oder der Kontakt zum Ehepartner verwehrt werden kann; dies ist bei wirksamer Ehe nicht möglich – vgl. § 1633 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), gesetzliche Krankenkassen (Prüfung, ob eine Familienversicherung besteht), Nachlassgerichte (bei der Prüfung eines Ehegattenerbrechts) oder Familiengerichte (z. B. bei der Prüfung von Trennungs- oder nachehelichem Unterhalt). Drucksache 18/4347 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 4. Werden minderjährige Ehepartner mit ihrem volljährigen Ehepartner gemeinsam untergebracht? Findet in solchen Fällen das SGB VIII Anwendung? Antwort: Verheiratete ausländische Minderjährige sind unabhängig von der Frage ihres Familienstandes als unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer im Sinne des SGB VIII zu qualifizieren, wenn sie sich ohne Sorge- und Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten, mit der Folge, dass sie grundsätzlich in Obhut zu nehmen sind (§ 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII). Die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Ehepartner hängt maßgeblich von einer Einzelfallprüfung im Hinblick auf das Alter des minderjährigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung, im Hinblick auf die Frage der Anerkennung der Ehe sowie im Hinblick auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung ab. Wird eine im Ausland geschlossene Ehe aufgrund des geringen Alters des minderjährigen Ehepartners bzw. mangelnder Freiwilligkeit der Eheschließung als unwirksam und damit als nicht anerkennungsfähig erachtet, so kommt eine gemeinsame Unterbringung mit dem volljährigen Ehepartner nicht in Betracht. Der oder die Minderjährige ist gemäß §§ 42 ff. SGB VIII (vorläufig) in Obhut zu nehmen und für ihn oder sie ist ein Vormund zu bestellen. Sofern die Ehe allein aufgrund des Alters der Minderjährigen nicht anerkennungsfähig scheint, kann geprüft werden, ob der volljährige Ehegatte als geeignete Person im Sinne des § 42a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 SGB VIII bestimmt werden und/oder die Vormundschaft übernehmen kann. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass die im Ausland geschlossene Ehe mit einem minderjährigen Ehepartner wirksam und anerkennungsfähig ist, kann der oder die Minderjährige gemeinsam mit dem volljährigen Ehepartner untergebracht werden. Die gemeinsame Unterbringung beruht insoweit auf dem freien Entschluss des minderjährigen Ehegatten gemäß §§ 1800, 1633 BGB. Für die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten ist ein Vormund zu bestellen. Auch in diesem Fall kann der Ehegatte ggf. als geeignete Person für die Inobhutnahme und die Bestellung als Vormund in Frage kommen. Der minderjährige Ehepartner soll über die in Betracht kommenden jugendhilferechtlichen Möglichkeiten informiert und aufgeklärt werden. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4347 5 Sofern volljährige Ehepartner in Begleitung minderjähriger Ehepartner beim Landesamt für Ausländerangelegenheiten um Asyl nachsuchen, werden beide in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommen. Voraussetzung ist, dass der/die begleitende minderjährige Ehepartner/in das 15. Lebensjahr vollendet hat. Der/die minderjährige Partner/in wird unverzüglich dem örtlich zuständigen Jugendamt gemeldet, das die aus seiner Sicht notwendigen jugendhilferechtlichen vorgenannten Maßnahmen veranlasst. 5. Wie wird mit im Ausland geschlossenen Ehen in Bezug auf die Möglichkeit des Familiennachzuges umgegangen, a) hinsichtlich des volljährigen Ehepartners, b) hinsichtlich des minderjährigen Ehepartners? Antwort: Die Rechtslage ist für a) und b) identisch. Gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug nur, wenn beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben . Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der in Deutschland lebende Ehegatte Resettlement-Flüchtling, Asylberechtigter oder GFK-Flüchtling ist. Gem. § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AufenthG entfällt beim Ehegattennachzug zu diesem Personenkreis lediglich der Nachweis einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Gem. § 30 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug aber zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Nach Ziffer 30.2 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz soll nach Ermessen ein Ehegattennachzug zur Vermeidung einer besonderen Härte auch dann zugelassen werden, wenn der nachziehende Ehegatte und/oder der Stammberechtigte das Mindestalter von 18 Jahren noch nicht erreicht haben. Die eheliche Lebensgemeinschaft muss das geeignete und notwendige Mittel sein, um die besondere Härte zu vermeiden . Nach Art und Schwere müssen die vorgetragenen besonderen Umstände so deutlich von den sonstigen Fällen des Ehegattennachzugs abweichen , dass das Festhalten am Mindestaltererfordernis im Hinblick auf das geltend gemachte Interesse der Führung der Lebensgemeinschaft in Deutschland – bei Vorliegen aller übrigen Zuzugsvoraussetzungen – unverhältnismäßig wäre (Einzelfallbetrachtung). Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie weit das Alter des/der Betroffenen das Mindestalter im Zuzugszeitpunkt unter- Drucksache 18/4347 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 schreitet. Dem Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten sind keine derartigen Einzelfälle bekannt geworden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass seit dem 1. November 2015 Ausländerinnen und Ausländer, die das 16. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr selbst Verfahrenshandlungen nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz vornehmen können. Halten sich die Eltern nicht im Bundesgebiet auf, müssen das Jugendamt oder der bestellte Vormund in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter entsprechend tätig werden. 6. Wie bewertet die Landesregierung die aktuelle Situation von verheirateten minderjährigen Mädchen in Schleswig-Holstein im Hinblick auf den Kinderund Jugendschutz? Antwort: Der Schutz von minderjährigen Personen ist in Deutschland verfassungsrechtlich festgeschrieben. In diesem Kontext ist die Ehemündigkeit von Personen auf ein Alter von 18 Jahren festgelegt, in Ausnahmefällen und mit Zustimmung des Familiengerichts können auch Ehen mit Minderjährigen ab 16 geschlossen werden (§ 1303 Abs. 2 BGB). Trotz der grundsätzlichen Schutzbedürftigkeit minderjähriger Personen und den daraus folgenden Normen der öffentlichen Ordnung, die Ehen mit Minderjährigen nicht erlauben, ist in dieser Frage eine Einzelfallbetrachtung wichtig. Insbesondere kann es im Falle von 16- oder 17-jährigen Mädchen zu einer Anerkennung der Ehe kommen, soweit keine Kindeswohlgefährdung feststellbar ist und die Ehebeziehung auf beiderseitigem Einvernehmen beruht. Dies gilt es in jedem Einzelfall abzuwägen. Entscheidungen hierüber müssen von Jugendamt und Familiengericht mit den betroffenen Personen gemeinsam getroffen werden. 7. Welche konkreten Hilfsangebote liegen für Betroffene von Kinderehen in Schleswig-Holstein vor? Antwort: Grundsätzlich stehen den Betroffenen unter der Voraussetzung des § 6 Absatz 2 SGB VIII Leistungen der Jugendhilfe zu, wie z.B. § 17 (Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung) und § 19 (Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder). Die Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser stehen auch jüngeren Frauen, also auch minderjährigen Kindsbräuten, zur Verfügung. Dort erhalten sie, wie Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4347 7 alle anderen Frauen auch, Beratung, Unterstützung und ggfs. auch eine Schutzunterkunft im Frauenhaus. 8. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Schließung von Kinderehen grundsätzlich zu verhindern? Antwort: Unter welchen Voraussetzungen Minderjährige Ehen schließen können bzw. im Ausland geschlossene Ehen Minderjähriger in Deutschland anerkannt werden , ist bundesrechtlich geregelt (vgl. § 1303 BGB für nach deutschem Recht geschlossene Ehen und Artikel 6, 13 EGBGB für nach ausländischem Recht geschlossene Ehen). Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben am Rande ihrer letzten Konferenz (01. und 02. Juni 2016) erörtert, ob diese Regelungen dahin verschärft werden sollten, dass die Altersgrenze für Eheschließungen nach deutschem Recht generell auf 18 Jahre angehoben und nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen die Anerkennung in Deutschland für den Fall versagt wird, dass nach deutschem Recht keine Ehemündigkeit besteht. Gesetzentwürfe liegen insoweit bislang nicht vor.