SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4515 18. Wahlperiode 2016-08-24 Kleine Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer (Piratenfraktion) und Antwort der Landesregierung – Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Fütterung von Wildtieren Das Jagdgesetz des Landes Schleswig-Holstein (LjagdG) regelt die Wildfütterung, gilt allerdings nur für die jagdbaren Arten. Für alle anderen Arten gilt (bis auf den Wolf), dass Fütterungsverbote von den Städten und Gemeinden für einzelne Arten bedarfsgerecht verhängt werden können. 1. Ist es Ziel der Landesregierung, menschliche Eingriffe in das Leben von Wildtieren – sowie in deren Lebensräume – möglichst gering zu halten? Die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Funktionen des Naturhaushaltes sind für die Landesregierung von hoher Bedeutung. Zudem existieren zahlreiche Regelungen, die das Land Schleswig-Holstein verpflichten, sich für die oben genannten Ziele einzusetzen. Der Schutz natürlicher Abläufe innerhalb der verschiedenen Ökosysteme, der sogenannte Prozessschutz, spielt hier eine zunehmend wichtige Rolle. Allerdings sind die menschlichen Einflüsse auf die Landschaften Schleswig- Holsteins häufig so schwerwiegend, dass es nicht immer möglich ist, ohne jegliche Steuerung (Management) die gesteckten Ziele im Naturschutz zu erreichen . Die Fütterung von Wildtieren stellt in diesem Zusammenhang lediglich einen von zahlreichen zu berücksichtigenden Aspekten dar. 2. Kann die Landesregierung in Bezug auf den damit verbundenen Eingriff in das jeweilige Ökosystem substanzielle Unterschiede hinsichtlich der Fütterung von jagdbaren und nicht jagdbaren Arten feststellen? Die Fütterung von Wildtieren stellt im Naturschutz eine vergleichsweise seltene Maßnahme dar. Ob und wann gefüttert wird beziehungsweise darf, beruht zudem bei unterschiedlichen Arten und/oder Lebensräumen auf unterschiedlichen fachlichen Herleitungen. Allgemeine Aussagen über substanzielle Unterschiede hinsichtlich der Fütterung von jagdbaren und nicht jagdbaren Arten und des damit verbundenen Eingriffs lassen sich deshalb nicht treffen. 3. Falls hinsichtlich der Fütterung von jagdbaren und nicht jagdbaren Arten kein nennenswerter Unterschied in Bezug auf die ökologischen Auswirkungen besteht : Wie erklärt sich die Landesregierung diese Ungleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte? Die Entscheidung, welche Arten gefüttert und welche nicht gefüttert werden sollten oder dürfen, kann nicht aufgrund der Einordnung dieser Arten in einen bestimmten Rechtsbereich (z.B. Jagd- und Naturschutzrecht) getroffen werden . Zudem sind im Rahmen entsprechender fachlicher Abwägungen weitere Rechtsbereiche (z.B. tierseuchenrechtliche Bestimmungen) zu berücksichtigen . Dahingehende Abwägungen müssen im Einzelfall vorgenommen werden. Es handelt sich aus diesem Grund auch nicht um eine Form der „Ungleichbehandlung “, sondern jeweils um Ergebnisse bestimmter fachlicher Überlegungen . Dies sei an einigen Fällen nachfolgend beispielhaft erläutert: a) Fütterungsverbot beim Wolf: Hier soll vermieden werden, dass große Beutegreifer, die aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten prinzipiell auch Menschen gefährlich werden können, die Scheu vor Menschen verlieren beziehungsweise gezielt das Wohnumfeld von Menschen aufsuchen, um dort nach Nahrung zu suchen. b) Fütterungsverbot von Wasservögeln: Hier soll vermieden werden, dass sich an kleineren Gewässern Ansammlungen von Wasservögeln allein aufgrund des Umstands konzentrieren, dass dort regelmäßig durch Menschen gefüttert wird. Sowohl die durch das Gewässer nicht zu tragende Menge an Wasservögeln als auch der zusätzliche Eintrag von Nährstoffen durch die oftmals in sehr großen Mengen angebotenen Futtermittel führen in solchen Fällen unter Umständen zu einem Umkippen dieser Gewässer und damit zu einem Verlust der jeweiligen ökologischen Funktionen. c) Fütterungsverbote von Möwen: Hier soll vermieden werden, dass Möwen in Touristenzentren daran gewöhnt werden, einen Teil ihres Nahrungsbedarfes aus der Hand von Menschen zu decken. Hier besteht zwar keine echte Gefährdung, allerdings spielt der Aspekt der Belästigung von Menschen durch Vögel eine Rolle. Zudem besteht für solche Tiere die Gefahr, dass sie mit Dingen gefüttert werden, die sich gesundheitsgefährdend auf die betroffenen Vögel auswirken könnten. d) Winterfütterung von Singvögeln: Neben Umweltbildungsaspekten wird in den letzten Jahren unter Fachleuten auch der ökologische Nutzen entsprechender Fütterungen intensiv diskutiert. Häufig ist die Lebensraumausstattung für viele Vogelarten im Siedlungsbereich insgesamt gut, so dass im Prinzip für eine Vielzahl von Individuen und Arten die jeweils benötigen Habitate zur Realisierung der verschiedenen Lebensphasen (Brut, Rast-, Schlaf- und Ruheplätze ) vorhanden sind. Häufig stellt aber die Nahrungsverfügbarkeit insbesondere im Winter ein Problem dar. Diese Lücke kann durch fachgerechte Fütterung unter Beachtung hygienischer Grundsätze häufig geschlossen werden . Diese Form der Fütterung wäre vergleichbar zum Beispiel dem Aufhängen von Nistkästen. Durch letztere Maßnahme wird beispielsweise das Fehlen einer hinreichenden Anzahl natürlicher Baumhöhlen ausgeglichen. e) Ablenkungsfütterung bei verschiedenen Tierarten: Aufgrund der weitgehend ausgeräumten Landschaften konzentrieren sich viele Vogelarten unter Umständen dort, wo in der Fläche fehlende Nahrungsangebote vorhanden sind. Hierbei kann es sich um Fischteiche ebenso handeln wie um landwirtschaftliche Sonderkulturen (z.B. Erdbeeren) aber auch Grünland. Hierbei kommt es häufig zu Konflikten mit den jeweiligen Nutzern oder Betreibern dieser Anlagen/Produktionsflächen. Durch geeignete Ablenkungsfütterung lassen sich diese Probleme unter Umständen minimieren. 4. Wie steht die Landesregierung dem Ziel gegenüber, das natürliche Nahrungsangebot der Wildtiere zu verbessern – etwa durch Anpflanzungen von natürlichen Futterpflanzen an geeigneten Plätzen – anstatt in Notzeiten Nahrung an Futterplätzen auszubringen? Grundsätzlich ist es Ziel der Landesregierung, durch Erhaltung oder Wiederherstellung natürlicher bzw. naturnaher Lebensräume die Ernährungsbedingungen für die heimischen Tierarten sicher zu stellen. Wo dies nicht bzw. nicht kurzfristig möglich ist, kann eine Verbesserung z.B. auch durch Anpflanzung von geeigneten Futterpflanzen erfolgen. Wie unter Nr. 3 aufgeführt können solche Maßnahmen aus Sicht des Natur- und Artenschutzes unter folgenden Umständen grundsätzlich begrüßt werden: ● Bei der Wahl entsprechender Pflanzen beziehungsweise Saatgutmischungen sind standortgerechte Arten zu wählen. ● Die gewählten Arten sollten nicht allein gute Wachstumsprognosen haben , sondern sollten auch jeweils gebietsheimischen Populationen angehören. Die Wahl nicht gebietsheimischer Arten oder gar landwirtschaftlicher Produkte ist aus Sicht des Artenschutzes wenig hilfreich. ● Entsprechende Futterpflanzen dürfen nicht auf Flächen angebaut werden , die schon vorher aus Sicht des Natur- und Artenschutzes aus unterschiedlichen Gründen als wertvoll eingestuft werden. ● Entsprechende Angebote sollten nicht nur für eine oder wenige Arten ein attraktives Nahrungsangebot darstellen, sondern möglichst für eine Vielzahl von Arten Lebensraum und Nahrung bieten. In diesem Zusammenhang sind mehrjährige blütenreiche Saatgutmischungen gebietsheimischer Pflanzen zu bevorzugen. ● Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Anbau von Futterpflanzen überhaupt sinnvoll ist. 5. In Schleswig-Holstein wird immer wieder von Angriffe auf Menschen – insbesondere durch Krähen – berichtet1. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, ob solches Verhalten durch Fütterungen – ggf. sogar Handaufzuchten in menschlicher Obhut – begünstigt wird? Falls ja: Welche Erkenntnisse liegen dazu konkret vor? Entsprechende belastbare Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. 6. Hat die Landesregierung ungefähre Erkenntnisse darüber, wie viele der Gewässer (insbesondere stehende Gewässer) in Schleswig-Holstein unnatürlich hohen Nährstoffeinträgen ausgesetzt sind, die auf einen unnatürlich hohen Wasservogelbestand zurück zu führen sind? Entsprechende belastbare Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. 7. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, in welchem Umfang Wildtiere durch offen zugängliche Lebensmittelabfälle aus ihren natürlichen Biotopen in die Siedlungsgebiete gelockt werden? Es ist bekannt, dass Orte, an denen regelhaft als Nahrung nutzbare Abfälle oder Lebensmittelreste gelagert werden, durch Wildtiere in teils erheblichem Umfang genutzt werden können. Dieses Phänomen konnte insbesondere an den früher regelhaft genutzten offenen Mülldeponien des Landes beobachtet werden. Dieses Problem hat sich mittlerweile gelöst, da diese Lagerstätten nicht mehr betrieben werden dürfen. Darüber hinaus wird in einzelnen Fällen immer wieder einmal bekannt, dass Wildtiere Müllsäcke oder offene Mülltonnen nach Nahrung durchsuchen. Auch dieses Problem lässt sich aber durch entsprechende Maßnahmen vermeiden. 8. Sieht die Landesregierung einen Bedarf Änderungen hinsichtlich der Lagerung , dem Transport sowie der Entsorgung von Lebensmittelabfällen – insbesondere in Ballungsräumen – vorzunehmen bzw. eine Notwendigkeit, die Aufklärung in diesem Bereich zu verbessern? Aus naturschutzfachlicher Sicht bedarf es keiner grundsätzlichen Überarbeitung der entsprechenden Verfahren. 1 http://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/warum-kraehen-angriffe-auf-menschenzunehmen -id13755151.html 9. Wie steht die Landesregierung einem generellen, landesweiten Fütterungsverbot für Wildtiere gegenüber, dass Ausnahmen für bestimmte Arten (z. B. selten gewordene Singvogelarten) an bestimmten Plätzen und zu bestimmten Zeiten erlaubt? Aus naturschutzfachlicher Sicht besteht keine Notwendigkeit, allgemein verbindliche Regelungen mit Ausnahmen einzuführen. Wie oben dargestellt, bedarf es in jedem Einzelfall einer sorgfältigen fachlichen Überprüfung. Die daraus abzuleitenden Maßnahmen und Vorgehensweise lassen sich am effektivsten einzelfallbezogen umsetzen.