SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4570 18. Wahlperiode 07.09.2016 Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (FDP) und Antwort der Landesregierung – Ministerium für Justiz, Kultur und Europa Zwangsheirat Vorbemerkung: Bei dem vom Fragesteller in der Kleinen Anfrage mehrfach angeführten „§ 273 StGB“ dürfte es sich um ein Versehen handeln. Der Straftatbestand der Zwangsheirat ist in § 237 StGB normiert. Soweit es um Fälle und Fallzahlen von zwangsweisen Verheiratungen geht, betreffen die der Landesregierung zur Verfügung stehenden Daten von vornherein nur das sog. Hellfeld, also denjenigen Teil der Fälle, die den Strafverfolgungsbehörden bekannt geworden sind. Angesichts einer in diesem Deliktsbereich erfahrungsgemäß eher geringen Anzeige- und Kooperationsbereitschaft der Betroffenen steht zu vermuten , dass eine Mehrzahl der Fälle im Dunkelfeld verbleibt. 1. Wie hat sich die Zahl zwangsweiser Verheiratungen im Sinne von § 273 StGB in Schleswig-Holstein seit dem Jahr 2011 entwickelt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln . Antwort: In Schleswig-Holstein hat es seit 2011 keine Verurteilungen wegen des Tatbestands der Zwangsverheiratung gegeben. Drucksache 18/4570 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 2. In wie vielen Fällen wurden die Opfer in ihrem Herkunftsland genötigt, in Deutschland lebende Migranten zu heiraten und deshalb nach Deutschland zu kommen? 3. In wie vielen Fällen wurden in Deutschland lebende und z.T. auch hier aufgewachsene Mädchen oder Frauen in ihr Herkunftsland – z.B. in den Urlaub – gelockt, um sie dort gegen ihren Willen zur Heirat und zum weiteren Verbleib zu zwingen? 4. In wie vielen Fällen wurde das Opfer, das in Deutschland einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat, mit einer im Ausland lebenden Person verheiratet, um dieser die Einwanderung über den Ehegattennachzug zu ermöglichen? Antwort zur Fragen 2-4: Der jeweilige Sachverhalt, der den wegen des Tatbestands der Zwangsheirat im abgefragten Zeitraum anhängigen Ermittlungsverfahren zugrunde liegt, wird weder ausgewertet noch statistisch erfasst. Eine Beantwortung der Fragen 2-4 wäre nur durch eine händische Auswertung der Ermittlungsakten möglich. Eine solche zeitintensive Auswertung ist in dem für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich. 5. Reicht für eine Strafbarkeit von § 273 StGB auch das Ausnutzen einer Zwangslage aus? Wenn nein, in wie vielen Fällen schied eine Strafverfolgung wegen § 273 StGB aus diesem Grund aus und plant die Landesregierung sich für eine entsprechende Gesetzesänderung einzusetzen? Antwort: Der in § 237 StGB normierte Straftatbestand der Zwangsheirat lautet: (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. (2) Ebenso wird bestraft, wer zur Begehung einer Tat nach Absatz 1 den Menschen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren. Auf Grundlage des Wortlautes dieser Strafvorschrift reicht ein Ausnutzen einer Zwangslage für die Annahme des Straftatbestandes der Zwangsheirat ersichtlich nicht aus. Ob und ggf. in wie vielen Fällen eine Strafverfolgung aus diesem Grund gescheitert ist, wird statistisch nicht erfasst. Eine händische Auswertung der Ermittlungsakten ist in dem für die Beantwortung einer kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4570 3 Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich bereits im Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz vom 17. und 18. Juni 2015 mit den Phänomenen der Zwangsheirat und des Heiratshandels sowie möglichen Strafbarkeitslücken bei deren Verfolgung befasst und den Strafrechtsausschuss um Prüfung gebeten , ob und inwieweit die derzeitige Rechtslage Korrekturen und Ergänzungen bedarf. Die daraufhin eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe, an der sich Schleswig-Holstein beteiligt hat, hat ihren Abschlussbericht zur diesjährigen Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 1. und 2. Juni 2016 in Nauen vorgelegt. Bezüglich des Phänomens der Zwangsheirat hat die Arbeitsgruppe einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf verneint. Die Probleme bei der Strafverfolgung in Fällen der Zwangsverheiratung sind im Wesentlichen nicht rechtlicher, sondern tatsächlicher Natur: In allen Bundesländern endete der weit überwiegende Teil der seit Aufnahme des § 237 in das Strafgesetzbuch geführten Ermittlungsverfahren damit, dass diese mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Absatz 2 StPO eingestellt werden mussten. Grund hierfür war fast durchgehend, dass die Betroffenen sich regelmäßig auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO beriefen und damit einen Nachweis der Tat unmöglich machten. Anders bewertete die Arbeitsgruppe das Phänomen des Heiratshandels. Der Begriff des Heiratshandels beschreibt ein Tatgeschehen, bei dem Täter Mädchen und junge Frauen in deren Herkunftsländern nötigen, nach Deutschland zu kommen und hier lebende Männer zu heiraten, wobei die Frauen regelmäßig weder die deutsche Sprache beherrschen noch mit hiesigen Hilfsangeboten vertraut sind, so dass sie den Tätern in Deutschland weitgehend ausgeliefert sind. Die Arbeitsgruppe gelangte zu dem Ergebnis, dass das deutsche Strafrecht bislang keine Vorschrift enthält, die geeignet ist, entsprechende strafwürdige Konstellationen zu erfassen. Auf Grundlage dieses Berichts haben die Justizministerinnen und Justizminister auf der diesjährigen Frühjahrskonferenz einen von Schleswig-Holstein unterstützten Beschluss gefasst, der die an den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz gerichtete Bitte enthält, sich auf der Basis weiterer empirischer Grundlagen des Phänomens des Heiratshandels anzunehmen, um etwaige Gesetzeslücken zu schließen. 6. Wie hat sich die Aufklärungsquote bei zwangsweisen Verheiratungen im Sinne von § 273 StGB in Schleswig-Holstein seit dem Jahr 2011 entwickelt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Antwort: Auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik, in der die Zwangsheirat als Tatschlüssel seit 2012 erfasst wird, ergeben sich folgende Zahlen: Drucksache 18/4570 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Berichtsjahr Bekannt gewordene Fälle Aufklärungsquote 2012 3 100% 2013 2 100% 2014 1 100% 2015 3 100% Die Abweichung, die zwischen den Fallzahlen der polizeilichen Kriminalstatistik (bekannt gewordene Fälle) und den Verurteilungszahlen besteht, kann insbesondere auf folgenden Umständen beruhen: • Der tatsächlich festgestellte Sachverhalt erfüllt nicht die Anforderungen an den Tatbestand der Zwangsheirat. • In einem ursprünglich wegen des Tatbestands der Zwangsheirat geführten Ermittlungsverfahren erfolgt die Verurteilung letztlich wegen eines anderen Delikts. • Ein Tatnachweis kann nicht geführt werden, da das mutmaßliche Opfer sich im Zuge des Verfahrens auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) beruft und weitere Beweismittel nicht zu Verfügung stehen. Eine Verifizierung der Gründe im Einzelfall würde eine händische Auswertung der einschlägigen Ermittlungsakten voraussetzen, die in dem für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich ist. 7. In wie vielen Fällen schied eine Strafverfolgung wegen § 273 StGB aus, weil keine rechtlich wirksam geschlossene Ehe, sondern nur eine sogenannte Scharia- oder Imam-Ehe vorlag? Antwort: Die Inhalte einschlägiger Ermittlungsverfahren werden statistisch nicht erfasst. Eine sehr zeitintensive händische Auswertung der Ermittlungsakten ist in dem für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich. 8. In wie vielen Fällen war das Opfer jünger als 18 Jahre? Welche zivil- und sozialrechtlichen Folgen haben sich daraus ergeben? Antwort: Auf der Grundlage der statistischen Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik gab es in Schleswig-Holstein im abgefragten Zeitraum 2 Fälle, in denen das mutmaßliche Opfer jünger als 18 Jahre war. Im Jahr 2012 war ein mutmaßliches Opfer 16 Jahre alt und im Jahr 2014 war ein mutmaßliches Opfer 17 Jahre alt. Die Klärung der zivil- und sozialrechtlichen Folgen von Minderjährigenehen steht bereits auf der Agenda des Justizministeriums. Diese in zivil- und sozial- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4570 5 rechtlicher Hinsicht bestehenden Fragen sind nicht nur in Bezug auf Zwangsehen, sondern im Grundsatz zu klären. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat daher eine Arbeitsgruppe zur Prüfung des Umgangs des deutschen Rechts mit Minderjährigen- und Mehrfachehen einberufen . Diese Arbeitsgruppe hat am 5. September 2016 ihre Arbeit aufgenommen . Schleswig-Holstein beteiligt sich an dieser Arbeitsgruppe.