SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4855 18. Wahlperiode 2016-11-21 Kleine Anfrage des Abgeordneten Uli König (Piraten) und Antwort der Landesregierung - Minister für Inneres und Bundesangelegenheiten Reichsbürger 1. Seit wann unterliegen Mitglieder der „Reichsbürgerbewegung“ der Beobachtung durch den Verfassungsschutz Antwort: Die sog. Reichsbürgerbewegung ist seit 2015 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes Schleswig-Holstein. 2. Sind oder waren seit 2012 Mitglieder, gegebenenfalls auch ehemalige Mitglieder dieser Bewegung (wie in Bayern) in Schleswig-Holstein bei Behörden, anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen oder staatlich kontrollierten privatrechtlichen Einrichtungen als Beamte oder Angestellte beschäftigt, z.B. bei der Polizei? Falls ja, bitte nach Behörde, Einrichtung oder Dienststelle getrennt auflisten. Antwort: Der Landesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor. Drucksache 18/4855 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 3. Gab es seit Anfang 2015 Straftaten unter Beteiligung von Mitgliedern dieser Bewegung? Falls ja, bitte die einzelnen Vorkommnisse mit Nennung der Tatzeit , des Tatortes und des Tatvorwurfes auflisten. Antwort: Eine statistische Erfassung von Ermittlungsverfahren, die gegen Täter geführt werden oder wurden, die der Gruppierung der sog. Reichsbürger angehören, findet nicht statt. Eine händische Auswertung der Verfahren ist in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar. 4. Wie sind die Mitglieder dieser Bewegung bislang aufgefallen? Antwort: Die Mitglieder der sog. Reichsbürgerbewegung fallen im Allgemeinen durch ihre Weigerung, die staatliche Rechtsordnung als solche bzw. Handlungen staatlicher Organe anzuerkennen, auf. Sog. Reichsbürger reichen beispielsweise bei Behörden „Entlassungsurkunden“ aus der Bundesrepublik Deutschland ein. Sie fordern beispielweise eine „Umtragung“ sämtlicher Dokumente auf das „Deutsche Reich“. Einige Reichsbürgergruppierungen stellen eigene Dokumente wie „Reichspersonenausweise“, „Reichsführerscheine“ und sogar eigene Kfz-Kennzeichen aus. Reichsbürger zweifeln die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten an und weigern sich beispielsweise Steuern oder Bußgelder zu entrichten. Im Rahmen von Amtshilfeersuchen oder im Rahmen eigener Aufgabenwahrnehmung kam es in Einzelfällen zu verbalen Drohungen und Widerstandhandlungen gegenüber Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten sowie Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. 5. Welche Erkenntnisse über Waffenbesitz durch „Reichsbürger“ liegen vor. Antwort: Von den 32 beim Verfassungsschutz Schleswig-Holstein bislang als „Reichsbürger “ erfassten Personen haben fünf Personen laut Auskunft des Nationalen Waffenregisters (NWR) eine waffenrechtliche Erlaubnis. Auf diesen waffenrechtlichen Erlaubnissen sind zwölf Waffen eingetragen. Das Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten hat die Waffenbehörden aufgefordert, die waffenrechtliche Zuverlässigkeit der amtsbekannten sog. Reichsbürger mit dem Ziel des Entzuges der Waffen und dem Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse zu überprüfen. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/4855 3 6. Bieten "Reichsbürger" aus Sicht der Landesregierung allgemein keine Gewähr für die Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, so dass sie grundsätzlich nicht über die Zuverlässigkeit verfügen , die ein rechtmäßiger Waffenbesitz erfordert? In welchen Fällen (wann und wo) wurde die Erlaubnis nach dem WaffG entzogen? Antwort: Ja, denn Personen, die signalisieren, dass sie nur ihre eigene Rechtsordnung anerkennen und sich an Gesetze der Bundesrepublik und die Handlungen ihrer staatlichen Organe nicht gebunden fühlen, können keine Gewähr dafür bieten, dass sie Waffen und Munition unter Beachtung der bestehenden Rechtsordnung aufbewahren und nutzen. Darum dürften im Regelfall berechtigte Zweifel bestehen, dass Anhänger der sog. Reichsbürgerbewegung sorgsam und verantwortungsbewusst im Rahmen der bestehenden Gesetze mit Waffen und Munition umgehen und sie so als waffenrechtlich zuverlässig eingestuft werden können. Einem Ehepaar in Handewitt (Kreis Schleswig-Flensburg) sind die waffenrechtlichen Erlaubnisse infolge ihrer bekundeten „Reichsbürger-Zugehörigkeit “ aberkannt worden. Infolgedessen wurden im November 2016 von der Ordnungsbehörde des Kreises Schleswig-Flensburg erwirkte Durchsuchungsbeschlüsse gegen das Ehepaar vollstreckt. Nach längerer mündlicher Verhandlung vor Ort konnten mehrere Waffen und Munition gewaltfrei eingezogen werden. Für den Vollzug des Waffengesetzes sind die Waffenbehörden der Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Eine Abfrage aller Behörden ist in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar. 7. Wie stuft die Landesregierung das von dieser Bewegung ausgehende Risiko ein? Antwort: Angehörige der sog. Reichsbürgerbewegung fallen in Schleswig-Holstein in erster Linie durch verbalen Radikalismus und öffentlich demonstrierte Renitenz gegenüber staatlichen Stellen auf. Es besteht zunehmend die Gefahr einer weiteren Radikalisierung. Dies verdeutlicht beispielsweise folgender Vorfall: Im Juli 2016 kam es auf einem Campingplatz in Lehmrade (Kreis Herzogtum Lauenburg) zu einer Schussabgabe durch einen 57jährigen Reichsbürger auf einen 46jährigen Camping- Drucksache 18/4855 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 nachbarn. Dabei wurde der 46jährige durch ein Projektil der eingesetzten Gasdruckwaffe am rechten Unterarm verletzt. Bei der anschließenden Durchsuchung des Wohnwagens des Beschuldigten konnten weitere Waffen und Munition sichergestellt werden. Dieser Sachverhalt ist nicht unter Frage 6 aufgeführt , da es sich um einen Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern handelt, für dessen waffenrechtliche Erlaubnisse die dortigen Behörden zuständig sind. 8. Welche Maßnahmen sind in Bezug auf diese Bewegung zur Aufklärung der Bevölkerung und Vermeidung von Gewalt geplant? Antwort: Die Beobachtung im Bereich der sog. Reichsbürgerbewegung durch die Verfassungsschutzbehörde wurde verstärkt. Sog. Reichsbürger werden regelmäßig auf eine waffenrechtliche Erlaubnis sowie auf Tatbestände, die zu Versagungsgründen führen können, überprüft. Die einschlägigen Erkenntnisse werden den örtlich zuständigen Waffenbehörden zur rechtlichen Prüfung der Entziehung waffenrechtlicher Erlaubnisse übersandt. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ ist für das nächste Jahr die kritische Beschäftigung mit den einzelnen Ideologiefragmenten und mit dem Thema „Reichsbürgerideologie“ besonders im ländlichen Bereich als Kernbestandteil einer effektiven Prävention vorgesehen. Außerdem bieten die überregionale Fachstellen für Demokratiepädagogik (AKJS) und der AWO Landesverband Schleswig-Holstein e.V. Hintergrund- und Informationsmaterialien sowohl allgemein über rechtsextreme Einstellungen und Gruppierungen als auch speziell über die „Reichsbürgerbewegung“ an. Die Entwicklung einer Broschüre „Die Mythen der ‚Reichsbürger‘“ ist in Kooperation mit den Hochschulen in Schleswig-Holstein geplant. In dieser sollen Falschinformationen, Gerüchte und Mythen als solche aufgezeigt und die entsprechenden wissenschaftlich belegten Fakten entgegengesetzt werden.