1 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/4909 18. Wahlperiode 2016-12-07 Kleine Anfrage des Abgeordneten Johannes Callsen (CDU) und Antwort der Landesregierung – Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Bedrohung des Dachdeckerhandwerks durch die Styropor-Verordnung Vorbemerkung des Fragestellers: Seit dem 1. Oktober 2016 muss Styropor mit dem gesundheitsschädlichen Brandschutzmittel HBCD als gefährlicher Abfall separat verbrannt werden. Die Müllverbrennungsanlagen haben aber gar keine Zulassung für die Verbrennung von HBCD. Das Bundesumweltministerium weist die Verantwortung für die Notlage der Dachdecker zurück. Stattdessen habe der Bundesrat gegen die Empfehlung des Bundesumweltministeriums gehandelt. Vorbemerkung der Landesregierung Der Landesregierung sind die zum Teil gravierenden Entsorgungsprobleme des Dachdeckerhandwerks aber auch anderer Abfallerzeuger im Zusammenhang mit Polystyrolabfällen bekannt; sie nimmt die damit verknüpften wirtschaftlichen Sorgen der Betriebe sehr ernst. Mit einem Hinweispapier vom 18. Oktober 2016 hat das MELUR in Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen eine praxisnahe Handlungshilfe veröffentlicht, auf deren Basis sich die Situation entspannen wird. Die Handlungshilfe zeigt Wege auf, nach denen die Abfälle – meistens nach einer erforderlichen Vorbehandlung – weiterhin in den Anlagen thermisch behandelt werden können, in denen dies bislang auch geschehen ist. Dafür sind entsprechend der neuen Rechtslage vereinzelte Anlagenzulassungen anzupassen, was eine gewisse Zeit in Anspruch genommen hat bzw. noch immer in Anspruch nimmt. Die Dauer der Anpassung von Anlagengenehmigungen ließe sich verkürzen, da in vielen Fällen das Instrument einer einfachen Anzeige nach § 15 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) für Drucksache 18/4909 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 ausreichend angesehen wird. Dies ist den Anlagenbetreibern bekannt. Entsprechende Anzeigen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz liegen inzwischen vor. 1. Wie beurteilt die Landesregierung diesen Sachverhalt? Die deutsche Abfallverzeichnisverordnung (AVV) wurde 2015 im Bundesrat beraten (BR-Drucksache 340/15). Auf Beschluss des Bundesrats vom 25. September 2015 wurde ein dynamischer Verweis in die AVV aufgenommen, der Abfälle mit Konzentrationen an Schadstoffen oberhalb der Grenzwerte des Anhangs IV der POP-Verordnung automatisch zu gefährlichen Abfällen erklärt. Die Änderung ist im März 2016 in Kraft getreten. Das als Flammschutzmittel wirkende Hexabromcyclododecan (HBCD) ist nach der REACH Systematik seit 2008 als „besonders besorgniserregender“ Stoff eingestuft . Er ist persistent, bioakkumulativ und toxisch (PBT) und wurde nach mehrjähriger Diskussion 2016 über sogenannte delegierte Rechtsakte der Europäischen Kommission in die Anhänge der Verordnung (EG) Nr. 850/2004 über persistente organische Schadstoffe (so genannte POP-Verordnung) aufgenommen. Damit sind Abfälle mit Gehalten über 1.000 mg/kg HBCD einer Behandlung zur Zerstörung oder unumkehrbaren Umwandlung zuzuführen. Dies ist momentan nur durch Verbrennung der Abfälle zu erreichen. Diese Rechtslage ist seit Inkrafttreten der Änderung der POP-V zum 30.09.2016 zu beachten. Auf Basis des Stockholmer Übereinkommens sind heute weltweit mit eng begrenzten Ausnahmen der Handel und die Verwendung von HBCD verboten. Dem Beschluss des Bunderates lag die Überlegung zugrunde, dass durch die für gefährliche Abfälle geltenden Getrennthaltungs- und Nachweispflichten die Einhaltung der Anforderungen der POP-V gewährleistet und überwacht werden kann. 2. Haben die Bundesländer bei der Vorbereitung der Entscheidung durch den Bundesrat die Konsequenzen der neuen Gesetzeslage für die Art der Entsorgung von Styropor diskutiert? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? 3. Wie hat die Landesregierung sich im Bundesrat verhalten? Die Fragen 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Im Rahmen des Bundesratsverfahrens wurde ein Änderungsantrag zum Regierungsentwurf für die Änderung der Abfallverzeichnisverordnung vorgelegt, der den 3 dynamischen Verweis auf Anhang IV der POP-Verordnung zum Gegenstand hatte . Eine Mehrheit der Länder, unter ihnen auch Schleswig-Holstein, folgte diesem Antrag . Aus ihrer Sicht überwogen die positiven Auswirkungen der besseren Überwachbarkeit des Gebots der unumkehrbaren Zerstörung von HBCD. Da die Abfälle zum überwiegenden Anteil bereits in der Vergangenheit thermisch behandelt wurden, und dies auch weiterhin die anzustrebende Technik ist, mussten die Länder davon ausgehen können, dass die Betreiber der Entsorgungsanlagen sich um die Zulassung der neuen Abfallschlüssel bemühen werden und damit eine Entsorgung im bisherigen Umfang gewährleistet würde. Tatsächlich haben sich die Anlagenbetreiber nicht rechtzeitig innerhalb der Übergangsfrist auf die neue Situation eingestellt. 4. In welcher Weise hat die Landesregierung vor der Beratung im Bundesrat die Interessen der Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein aufgenommen und mit den Betroffenen diskutiert? Aus den zur Änderung der AVV eingegangenen Stellungnahmen der Fachverbände , die vorwiegend positiv waren, ergab sich kein erkennbarer Anlass für Gespräche . 5. Welche Entsorgungsmöglichkeiten gibt es in Schleswig-Holstein für Styropor mit HBCD? In Schleswig-Holstein gibt es ca. 100 Anlagen, die zur Zwischenlagerung von Abfällen mit dem Abfallschlüssel 17 06 03* „anderes Dämmmaterial, das aus gefährlichen Stoffen besteht oder solche Stoffe enthält“ zugelassen sind. Bei der Behandlung von HBCD-haltigen Polystyrol-Abfällen aus dem Baubereich, die diesem Abfallschlüssel zuzuordnen sind, stellt sich die Situation derzeit folgendermaßen dar: Betreiber Standort Verfahren Status Remondis SAVA GmbH Brunsbüttel Sonderabfallverbrennung zugelassen Behrendt Recycling GmbH Neumünster Verpressung vor Verbrennung zugelassen Brockmann Recycling GmbH Nützen Ersatzbrennstoffaufbereitung zugelassen Abfallverbrennungs - und Bio- Tornesch- Ahrenlohe Siedlungsabfallverbrennung zugelassen (nur für Abfälle aus Drucksache 18/4909 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 kompostgesellschaft mbH dem Kreis Pinneberg ) Darüber hinaus ist der Landesregierung bekannt, dass für mindestens drei weitere Standorte von Abfallaufbereitungsanlagen Anzeigen nach § 15 BImSchG zur Aufnahme des Abfallschlüssels vorbereitet werden. 6. Wie wird aus Sicht der Landesregierung auch bei deutlich höheren Entsorgungskosten die sachgerechte Entsorgung von Styropor mit HBCD sichergestellt und welche Initiativen bzw. Maßnahmen plant die Landesregierung hierzu ? 7. Wie und mit welchen Maßnahmen unterstützt die Landesregierung die betroffenen Handwerksbetriebe? Die Fragen 6 und 7 werden gemeinsam beantwortet. Schon aufgrund der derzeit sehr hohen Auslastung der thermischen Abfallbehandlungsanlagen haben sich die Entsorgungskosten für zu verbrennende Abfälle erheblich erhöht – ausgehend von einem bis in das Jahr 2015 hinein sehr niedrigen Niveau. Die dem MELUR zwischenzeitlich bekannt gewordenen Übernahmeentgelte von mehreren Hundert Euro pro Kubikmeter Polystyrolabfall sind damit allerdings nicht zu erklären. Das MELUR ist nach Bekanntwerden des Engpasses bei der Entsorgung HBCDhaltigen Dämmmaterials Anfang September 2016 zunächst mittels Umfragen und Gesprächen mit den Beteiligten aktiv geworden. Mit den am 18.10.2016 veröffentlichten „Hinweisen zur Entsorgung HBCD-haltiger Abfälle“ werden die Möglichkeiten der bestehenden Rechtslage ausgeschöpft und praxisgerechte Lösungswege aufgezeigt. Mit einer Rundmail vom 03.11.2016 wurde die Entsorgungswirtschaft unter Hinweis auf die unhaltbaren Zustände in der Bauwirtschaft noch einmal aufgefordert , die Möglichkeiten des Hinweispapiers auszuschöpfen und Entsorgungsmöglichkeiten für HBCD-haltige Dämmmaterialien anzubieten. Nicht zuletzt diese Initiativen des MELUR sorgen dafür, dass künftig mehrere Behandlungsanlagen für den einschlägigen Abfallschlüssel zugelassen sind und sich durch den daraus generierten Wettbewerb die Entsorgungskosten reduzieren werden.