SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/5393 18. Wahlperiode 11. April 2017 Kleine Anfrage des Abgeordneten Oliver Kumbartzky (FDP) und Antwort der Landesregierung - Ministerpräsident Befürchteter "Wildwuchs" bei Windenergieanlagen in Schleswig-Holstein 1. Unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen ist nach Ansicht die Landesregierung ein "Wildwuchs" bei Windenergieanlagen in Schleswig-Holstein zu befürchten? 2. Wann bzw. unter welchen Voraussetzungen droht ein solcher "Wildwuchs" in Schleswig-Holstein und wie würde sich dieser im Falle seines Eintritts nach Ansicht der Landesregierung darstellen? Bitte begründen. 3. Wann bzw. unter welchen Voraussetzungen droht in Schleswig-Holstein eine Situation, in der für die Genehmigung von Windenergieanlagen nur § 35 BauGB maßgeblich ist? Bitte begründen. 4. Welche Instrumente zur Steuerung des Ausbaus der Windenergie in Schleswig -Holstein würden in diesem Fall verbleiben und wie beurteilt die Landesregierung die Geeignetheit dieser Instrumente zur Verhinderung von "Wildwuchs "? Vorbemerkung: Die Fragen 1. bis 4. werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Der Begriff „Wildwuchs“ wird verwendet, um einen Zustand zu beschreiben, bei dem keine Steuerung der Windenergienutzung im Rahmen eines gesamträumlichen Konzeptes erfolgt. Das gesamträumliche Konzept der Landesregierung Schleswig-Holstein sieht daher vor, die Windenergienutzung bestimm- Drucksache 18/5393 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 ten Flächen zuzuweisen und im Übrigen die Windenergienutzung auszuschließen (sogenannte Konzentrationsflächenplanung). Rechtlich ist die Errichtung von Windkraftanlagen zunächst gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässig, wenn keine öffentlichen Belange entgegenstehen und die Erschließung gesichert ist. Dies birgt die Gefahr von Wildwuchs. Nach dem sog. „Planvorbehalt“ in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB können daher durch Darstellungen in einem Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung für die Windenergienutzung bestimmte Flächen zugewiesen werden. Konsequenz ist, dass außerhalb der zugewiesenen Flächen eine Windenergienutzung nicht zulässig ist. Zweck dieser Regelung ist, den Gemeinden und den für die Raumordnung zuständigen Behörden ein Steuerungsinstrument hinsichtlich der nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässigen Vorhaben zu vermitteln, mit der Rechtsfolge, dass die privilegierte Zulässigkeit der Vorhaben auf Teile des Außenbereichs beschränkt wird. Voraussetzung hierfür ist ein schlüssiges gesamträumliches Konzept, welches eine Abwägung sowohl der ausgewählten, als auch der ausgeschlossenen Gebiete beinhaltet. Wird von dem Planvorbehalt des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB durch Flächennutzungspläne oder Ziele der Raumordnung kein Gebrauch gemacht, gilt die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB. Es könnten dann überall im Land Schleswig-Holstein Windkraftanlagen errichtet werden, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen gegeben sind. Ähnliches gilt für alternative raumordnerische Plankonzepte, die die Festlegung von Gebieten für die Windenergienutzung ohne Ausschlusswirkung vorsehen , ggf. kombiniert mit Ausschlussflächen. Diese Konzepte bedeuten, dass nicht im gesamten Gebiet Schleswig-Holsteins außerhalb dieser Gebiete die Windenergienutzung ausgeschlossen wird, sondern nur in ggf. festgelegten Ausschlussflächen. Windkraftanlagen können dann außerhalb der festgelegten Gebiete für die Windenergienutzung und der Ausschlussflächen nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB errichtet werden. Ein unkoordinierter Ausbau der Windenergie könnte in diesen Bereichen nicht landesweit durch die Landesplanung verhindert werden. Insoweit keine raumplanerische Steuerung und raumplanerischer Ausschluss der Windenergienutzung erfolgt, verbleibt als Steuerungsinstrument allein die gemeindliche Bauleitplanung. Der „Wildwuchs“ (volle Ausnutzung der Privilegierung ohne räumliche Konzentration gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) könnte dann nicht in ganz Schleswig-Holstein verhindert werden, weil Bauleitpläne nicht flächendeckend zwingend erforderlich sind. Zudem würde in diesem Fall die Konfliktlösung und der damit einhergehende Arbeitsaufwand sowie das Rechtsrisiko einer kommunalen Konzentrationsplanung allein den Kommunen auferlegt werden. Die Kommunalen Landesverbände haben in diesem Zusammenhang unmittelbar nach dem Urteil des OVG Schleswig ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die vielen kleinen Gemeinden in Schleswig- Holstein von der schwierigen und mit Rechtsrisiken behafteten gemeindlichen Windenergieplanung freigehalten werden sollen und dringend um eine zentrale Steuerung durch die Landesplanung gebeten. Auch aus diesem Grund hat sich die Landesregierung für das Konzept von Vorranggebieten für die Windenergienutzung mit Ausschlusswirkung entschieden. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/5393 3 Für die Flächen, die nicht für eine Windenergienutzung ausgeschlossen sind, besteht keine Steuerungsmöglichkeit der Windenergienutzung mehr. Es gilt allein die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. 5. Könnte die Windenergie in diesem Fall durch individuelle Untersagungen gemäß § 14 Absatz 2 ROG geordnet bzw. gesteuert werden? Wenn ja, inwiefern droht dann bei einem Rückfall auf § 35 BauGB noch ein "Wildwuchs"? Wenn nein, warum nicht? Nach § 14 Abs. 2 ROG können befristete Untersagungen ausgesprochen werden, wenn sich ein Raumordnungsplan in Aufstellung befindet und wenn zu befürchten ist, dass eine Planung oder Maßnahme die Verwirklichung der vorgesehenen Ziele der Raumordnung unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde. Für sämtliche Flächen, für die keine, bzw. noch keine in Aufstellung befindlichen raumordnerischen Ziele existieren, die die Windenergienutzung auf diesen Flächen ausschließen, könnte keine Untersagung ausgesprochen werden . Für diese Flächen gilt allein die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Eine Genehmigung zur Errichtung von Windkraftanlagen könnte allenfalls aufgrund anderer in Aufstellung befindlicher Ziele der Raumordnung, die nicht unmittelbar die Windenergienutzung betreffen (z. B. Ausweisung von Vorranggebieten für die Rohstoffsicherung oder von Vorranggebieten für den Naturschutz ), als entgegenstehende öffentliche Belange versagt werden. Dies ermöglicht aber keinesfalls die landesweite Verhinderung von Wildwuchs.