SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/709 18. Wahlperiode 2013-04-19 Kleine Anfrage des Abgeordneten Jens-Christian Magnussen (CDU) und Antwort der Landesregierung – Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Atommüll nach Schleswig-Holstein Vorbemerkung: Die „Lübecker Nachrichten“ berichteten am 25. März 2013 („Gorleben-Kompromiss: Mehr Atommüll nach Brunsbüttel?“) in ihrer Online-Ausgabe über die Möglichkeit einer Einlage- rung von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield in Brunsbüttel oder Geesthacht, da nach dem neuesten Kompromiss zur Endlagersuche zunächst kein weiterer Atommüll ins niedersächsische Gorleben gebracht werden solle. An der Erarbeitung dieses Kompromisses war dem Zeitungsbericht zufolge Dr. Robert Ha- beck beteiligt, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, der in dem Artikel der „Lübecker Nachrichten“ auch zitiert wird. Vorbemerkung der Landesregierung: Am 24. März 2013 hat sich Bundesumweltminister Altmaier mit Ministerpräsident Weil und Minister Wenzel für die niedersächsische Landesregierung politisch auf den zitierten „Gorle- ben-Kompromiss“ verständigt. Schleswig-Holsteins Minister Dr. Habeck war daran nicht be- teiligt. Das wird in dem genannten Zeitungsartikel auch nicht behauptet, der im Übrigen eine Agenturmeldung ist. 1.) Ist es zutreffend, dass Minister Dr. Habeck Teilnehmer der Bund-Länder- Arbeitsgruppe zur Suche eines Kompromisses bei der Endlagerfrage für stark radio- Drucksache 18/709 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 aktive Abfälle gewesen ist, die unlängst ihre Ergebnisse vorgelegt hat? Falls ja: a) Welches Mandat hat die Landesregierung wann Minister Dr. Habeck ggf. für seine Teilnahme an der o.a. Bund-Länder-Arbeitsgruppe konkret erteilt? b) Welche Zusagen hat Minister Dr. Habeck im Rahmen der Bund-Länder- Arbeitsgruppe konkret gemacht oder in Aussicht gestellt und welche Auf- zeichnungen gibt es hierüber? c) Werden ggf. durch Minister Dr. Habeck in der Arbeitsgruppe gemachte oder in Aussicht gestellte Zusagen durch die Landesregierung mitgetragen? Bitte be- gründen. d) Spiegelt der o.a. Artikel die Haltung der Landesregierung korrekt wider? Im November 2011 ist auf die Initiative des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann hin durch den damaligen Bundesumweltminister Dr. Röttgen ein erneuter Ver- such gestartet worden, einen politischen Konsens zu der Frage einer Endlagersuche für hochradioaktive Abfälle zu finden und sich hierzu mit allen Ländern auf einen in den Kern- punkten allseits akzeptierten Gesetzentwurf zu verständigen. An diversen Bund-Länder- Gesprächen zu einem Standortauswahlgesetz haben nachfolgend in verschiedenen Kons- tellationen und in diversen Gesprächen Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre und hochrangige Fachbeamte von Bund und Ländern teilgenommen. Sinn der Verhandlungen war es, im Vorfeld konkreter Bundestags- und Bundesratsberatungen gemeinsame Grundla- gen für ein Standortauswahlgesetz zu identifizieren. Minister Dr. Habeck hat in Vertretung des Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Chef der Staatskanzlei am 9. April 2013 an dem finalen Endlagergipfelgespräch teilgenommen, zu dem der Bundesumweltminister mit Schreiben vom 2. April 2013 eingeladen hatte. Sein Ver- handlungsmandat war durch einen Beschluss des Kabinetts gegeben. Im Ergebnis haben Bund, Länder und beteiligte Parteien sich am 9. April 2013 darauf ver- ständigt, dass ein in Eckpunkten konsentierter Gesetzentwurf zu einem Standortauswahlver- fahren für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in das Gesetzgebungsverfahren einge- bracht werden und zügig einer Verabschiedung zugeführt werden soll. Minister Dr. Habeck erklärte dort, nur im Rahmen einer fairen Lastenverteilung und unter der Erfüllung von Be- dingungen, die dem BMU und den anderen Teilnehmern zuvor bekannt gemacht wurden, einen Teil der aus Großbritannien und Frankreich ab 2015 zurück zu nehmenden 26 Castor- behältern in ein bestehendes Zwischenlager in Schleswig-Holstein aufzunehmen. Von diesen Bund-Länder-Gesprächen zu unterscheiden ist das in der Vorbemerkung ge- nannte Treffen am 24. März 2013 zwischen Minister Altmaier, Ministerpräsident Weil und Minister Wenzel, auf dem der zitierte „Gorleben-Kompromiss“ vereinbart wurde. An den Ver- handlungen hat Minister Dr. Habeck nicht teilgenommen. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/709 3 2.) Wie bewertet die Landesregierung insgesamt den unlängst gefundenen Kompromiss, der bis auf Weiteres Atommülltransporte ins niedersächsische Gorleben ausschließt? Die Landesregierung begrüßt das Zustandekommen des vorgenannten Kompromisses, weil damit der umwelt- und gesellschaftspolitisch so enorm wichtige Konsens zu einem zielorien- tierten, ergebnisoffenen Start einer Endlagersuche auf der Basis eines zu verabschiedenden Standortauswahlgesetzes ermöglicht wurde. Durch die Verständigung, bislang noch vorge- sehene weitere Castortransporte in das Zwischenlager Gorleben einzustellen, wird – auch nach Auffassung der schleswig-holsteinischen Landesregierung – politisch sichtbar unterstri- chen, dass die Endlagersuche nach dem zu verabschiedenden Gesetz ergebnisoffen durch- geführt wird und keine Vorfestlegung auf Gorleben erfolgt. 3.) Unterstützt die Landesregierung den Transport von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield an Standorte in Schleswig-Holstein als Ergebnis des jüngsten Gorleben-Kompromisses? Falls ja: a) Welche Standorte favorisiert die Landesregierung mit welcher Begründung als Zielorte für die Zwischenlagerung? Nach Auffassung der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist es nicht zu vertreten, den „Gorleben-Kompromiss“ zu begrüßen und andererseits Atommülltransporte in andere Zwi- schenlager zu verweigern. Dadurch würde der parteiübergreifend unterstützte letzte Versuch scheitern, noch vor der Bundestagswahl 2013 ein Standortauswahlgesetz zu verabschieden. Aus diesem Grunde hat Minister Dr. Habeck die Bereitschaft Schleswig-Holsteins erklärt, Mitverantwortung zu übernehmen, aber nicht allein die Last zu tragen. Die Landesregierung favorisiert keine Standorte, nimmt aber zur Kenntnis, dass Bundesum- weltminister Altmaier Brunsbüttel für geeignet hält. b) Welche Mengen sollten nach Ansicht der Landesregierung an welchen Standorten in Schleswig-Holstein wie lange zwischengelagert werden? Die Landesregierung ist bereit, Mitverantwortung zu übernehmen und einen solidarischen Beitrag zu einem Konsens hinsichtlich des Gesamtpakets Standortauswahlgesetz und not- wendige Zwischenlagerung zu leisten. Notwendige konkrete Genehmigungen für die einzu- lagernden Abfallmengen sind allerdings von den Betreibergesellschaften von Zwischenla- gern zu beantragen und von der Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für Strahlen- schutz, zu genehmigen. c) Mit welchen Verkehrsmitteln sollten solche Transporte von Sellafield nach Schleswig-Holstein bzw. in Schleswig-Holstein durchgeführt werden? Sollten Transporte von Sellafield nach Schleswig-Holstein durchgeführt werden, dürften die- se weit überwiegend per Schiff erfolgen. Drucksache 18/709 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 4.) Welche alternativen Standorte gibt es innerhalb Schleswig-Holsteins für die Zwi- schenlagerung von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield? Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) – der zuständigen Genehmi- gungsbehörde für atomare Zwischenlager – hat kürzlich in einem Interview mit der Tages- schau ausgeführt, dass „theoretisch …alle Zwischenlager an Standorten von Kernkraftwer- ken beziehungsweise die zwei zentralen Zwischenlagerstandorte denkbar“ seien, „weil sie von einer ähnlichen Baustruktur“ seien. Dies gilt auch für Schleswig-Holstein. Zutreffend weist der BfS-Präsident aber auch darauf hin, dass die dezentralen Zwischenlager bislang über keine Genehmigungen für die Einlagerung von Glaskokillen verfügen. Diese müssten erst erteilt werden. Hierfür müssten die Energieversorgungsunternehmen entsprechende Anträge stellen. 5.) Welche alternativen Standorte außerhalb Schleswig-Holsteins gibt es für die Zwi- schenlagerung von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield? Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in den Jahren 2002/2003 ebenso wie für die in Schleswig-Holstein gelegenen Kernkraftwerke an den übrigen Kernkraftwerksstandorten in Deutschland jeweils Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente genehmigt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 6.) Sind außerhalb Schleswig-Holsteins gelegene, alternative Standorte zur Zwischenla- gerung von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield aus Sicht der Landes- regierung weniger gut zur Aufnahme von Atommüll geeignet? Wenn ja, warum? Ein hoher Sicherheitsstandard ist laut Bundesamt für Strahlenschutz grundsätzlich in jedem deutschen Zwischenlager gegeben. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 7.) Wurden die laut Artikel der „Lübecker Nachrichten“ getätigten Stellungnahmen der Landesregierung bzw. ihres Mitglieds Dr. Robert Habeck mit den Kreisen Dithmar- schen bzw. Herzogtum Lauenburg oder mit den Städten Brunsbüttel bzw. Geesthacht zuvor erörtert? a) Wenn ja, wann, durch und mit wem und mit welchem Ergebnis? b) Wenn nein, warum nicht? Nachdem am Sonntag, 24. März 2013, der zwischen Bundesumweltminister Altmaier und Vertretern der niedersächsischen Landesregierung erzielte politische Kompromissvorschlag bekannt wurde, hat Minister Dr. Habeck – wie von den Lübecker Nachrichten am 25. März 2013 berichtet – hierauf und auf diesbezügliche Presseanfragen mit einer Presseerklärung reagiert und eine politische Einschätzung vorgenommen. Es ging der Landesregierung gera- de nicht darum, konkrete Standorte ins Gespräch zu bringen. Deshalb wurde in der Presse- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/709 5 mitteilung auf die Nennung von Zwischenlagern in Schleswig-Holstein verzichtet. Gespräche mit kommunalen Gebietskörperschaften waren nicht angezeigt, um keine verfrühten Standortdebatten zu initiieren. Wenn noch vor der Sommerpause 2013 ein Standortauswahlgesetz verabschiedet werden soll, kommt es jetzt darauf an, möglichst rasch auch eine Einigung zu dem offen gebliebenen Punkt der Zwischenlagerung zu erzielen. Die schleswig-holsteinische Landesregierung wird hierbei auch die Interessen der Kommunen und Landkreise im Blick haben. Die Landesregie- rung ist sich dessen bewusst, dass aufwändige Landtransporte von Castorbehältern wohl in keinem Bundesland von kommunalen Körperschaften begrüßt werden. 8.) Wurden die laut Artikel der „Lübecker Nachrichten“ getätigten Stellungnahmen der Landesregierung bzw. ihres Mitglieds Dr. Robert Habeck mit den Betreibern der Standortzwischenlager Brunsbüttel bzw. Krümmel zuvor erörtert? a) Wenn ja, wann, durch und mit wem und mit welchem Ergebnis? b) Wenn nein, warum nicht? Nein. Die Frage der Bereitschaft der Betreiber, an dieser Lösung mitzuarbeiten, muss vom BMU verhandelt werden. 9.) Teilt die Landesregierung die in dem Artikel der „Lübecker Nachrichten“ geäußerte Einschätzung, wonach der jetzt diskutierte Transport von Atommüll von Sellafield zum Beispiel nach Brunsbüttel einer Idee entsprechen würde, die bereits in der vori- gen Legislaturperiode erörtert worden ist? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wenn ja, welche Gründe gibt es, die 2013 zu einer anderen Einschätzung als in der vergangenen Legislaturperiode führen müssen? In der 17. Legislaturperiode gab es nach Kenntnis der Landesregierung keine Debatte über eine Zwischenlagerung in Schleswig-Holstein. Allerdings gab es einen vergleichbaren Vor- stoß der Niedersächsischen Landesregierung in der letzten Legislaturperiode. Im Unter- schied zu jetzt hat es damals jedoch keinen Zeitpunkt gegeben, zu dem eine Einigung über die Grundsätze eines Standortauswahlgesetzes möglich war. Der in der vorigen Legislatur- periode isoliert vorgetragene Vorschlag zum Verzicht auf Gorleben-Transporte hätte allen- falls Beförderungsrouten verlagert, aber nicht den Weg für ein Standortauswahlgesetz geeb- net. 10.) Warum hat die Landesregierung den Schleswig-Holsteinischen Landtag nicht Drucksache 18/709 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Suche eines Kompromis- ses bei der Endlagerfrage informiert? Begründung Die Landesregierung wird in der 10. Tagung des schleswig-holsteinischen Landtages und damit zum parlamentarisch frühestmöglichen Zeitpunkt die Diskussion zu dem vorgenannten Kompromiss im Landtag führen. Zuvor hat Minister Dr. Habeck in der ersten Sitzung des Umweltausschusses unmittelbar nach den Osterferien und damit zum frühestmöglichen Zeit- punkt den Landtag unterrichtet. 11.) Ist es zutreffend, dass die Landesregierung bzw. Minister Dr. Habeck die Medien, konkret die „Lübecker Nachrichten“, vor dem Schleswig-Holsteinischen Landtag über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Suche eines Kom- promisses bei der Endlagerfrage informiert hat? c) Falls ja, warum wurde dieser Weg der Information des Schleswig- Holsteinischen Landtags über die mediale Berichterstattung gewählt? d) Falls ja, ist die Landesregierung der Auffassung, dass dies das richtige Vor- gehen bei der Information des Schleswig-Holsteinischen Landtags ist? Minister Dr. Habeck hat für die Landesregierung am 24.3.2013 die Öffentlichkeit unterrichtet und danach auf alle Anfragen geantwortet. Anfragen aus dem parlamentarischen Raum wa- ren nicht darunter. 12.)Wie wird das weitere Vorgehen der Landesregierung zur Frage des Transports von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield an Standorte in Schleswig- Holstein als Ergebnis des jüngsten Gorleben-Kompromisses aussehen? Welche Schritte plant die Landesregierung? Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat mehrfach verdeutlicht, dass eine Ge- sprächsbereitschaft zur Aufnahme eines Teils des rückzuholenden Kernbrennstoffs in Standortzwischenlagern auch von anderen Bundesländern erwartet wird. Federführend für Gespräche zum weiteren Fortgang ist der Bund. 13.)Welche Gefahren für die Bevölkerung sind mit einem möglichen Transport von deutschem Atommüll aus dem britischen Sellafield an Standorte in Schleswig- Holstein verbunden? Das Bundesamt für Strahlenschutz darf nukleare Transporte nach dem Atomgesetz nur ge- nehmigen, wenn damit keine erkennbaren Gefahren verbunden sind.