SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/755 18. Wahlperiode 2013-04-30 Kleine Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Innenminister „Wintermoratorium vorbei – was geschieht mit den Roma?“ Im November 2012 änderte der Landtag die Landesverfassung und nahm die Minderheit der deutschen Sinti und Roma als schützenswert in die Landesverfassung auf. [1] Am 14. Dezember 2012 verkündete das Innenministerium ein „Wintermoratorium“ für Abschiebungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten in Länder auf dem Balkan – Roma waren davon in besonderem Maße betroffen. [2] Dieser Abschiebestopp ist nun vorbei und die Betroffenen werden laut Mitteilung des Innenministeriums derzeit dazu aufgefordert, das Land zu verlassen. [3] Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hingegen fordert schon seit langem ein dauerhaftes Bleiberecht [4] und auch die Europäische Kommission forciert seit Jahren mit Rahmenrichtlinien die Verbesserung der Integration von Roma in die europäischen Nationalstaaten. Die Bundesregierung legte 2011 diesbezüglich einen Report vor. [5] 1. Wie viele Personen waren vom o.g. „Wintermoratorium“ betroffen? Ist der Landesregierung bekannt, wie viele Angehörige der Minderheit der Roma vom „Wintermoratorium“ betroffen waren (bitte sowohl nach Herkunftsland als auch nach Kreisen bzw. kreisfreien Städten aufschlüsseln)? Welche weiteren Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Auswirkung des „Wintermoratoriums“? Drucksache 18/755 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Antwort: Nach Erhebung der schleswig-holsteinischen Ausländerbehörden waren insgesamt 312 Personen vom o. g. „Wintermoratorium“ betroffen. Davon sind insgesamt 300 Personen nach eigenen Angaben der Minderheit der Roma zuzurechnen. 8 Personen gehören zur Minderheit der Ashkali und 4 Personen stammen aus Serbien, die keiner Minderheit zuzurechnen sind. Die Angehörigen der Minderheit der Roma verteilen sich auf die schleswig- holsteinischen Ausländerbehörden wie folgt: Angehörige der Minderheit der Roma Kreise und Kreisfreie Städte Serbien Mazedonien Montenegro Kosovo Dithmarschen 12 8 0 0 Herzogtum Lauenburg 29 8 0 0 Nordfriesland 0 0 0 0 Ostholstein 31 11 0 0 Pinneberg 19 10 0 0 Plön 4 11 0 0 Rendsburg- Eckernförde 17 5 0 0 Schleswig-Flensburg 19 0 0 0 Segeberg 8 0 0 0 Steinburg 13 3 0 0 Stormarn 11 0 6 0 Stadt Flensburg 0 0 0 0 Landeshauptstadt Kiel 50 0 0 0 Hansestadt Lübeck 0 0 0 0 Stadt Neumünster 0 0 0 0 Landesamt für Ausländer Neumünster 15 6 0 4 Gesamtzahl der Roma 228 62 6 4 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/755 Die Landesregierung hat keine weiteren Erkenntnisse über die Auswirkungen des „Wintermoratoriums“. 2. Wie bewertet die Landesregierung die räumlichen und finanziellen Kapazitäten der Kreise zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden (bitte nach Kreisen bzw. kreisfreien Städten aufschlüsseln)? Welche Auswirkungen hatte das „Wintermoratorium“ in Bezug auf diese Kapazitäten? Antwort: Infolge der seit geraumer Zeit stark gestiegenen Zugangszahlen der Asylsuchenden gestaltet sich die Versorgung dieser Personengruppe mit bezahlbarem Wohnraum bekanntermaßen landesweit schwierig. Derzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Landes und der Kommunen mit den Schwierigkeiten bei der dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden und potentiellen Lösungsmöglichkeiten. 3. Wie beabsichtigt die Landesregierung, aufenthaltsrechtlich mit Staatsangehörigen der EU-Länder Rumänien und Bulgarien umzugehen, die gemäß Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 [6] kein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate in der Bundesrepublik genießen? Ist der Landesregierung bekannt, wie viele Angehörige der Minderheit der Roma darunter sind (bitte sowohl nach Herkunftsland als auch nach Kreisen bzw. kreisfreien Städten aufschlüsseln)? Antwort: Von dem voraussetzungslosen Aufenthaltsrecht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen mit gültigem Ausweisdokument für die Dauer von drei Monaten nach § 2 Absatz 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) und Artikel 6 Freizügigkeitsrichtlinie kann auch zur Vorbereitung eines längerfristigen Aufenthalts (Artikel 7 Freizügigkeitsrichtlinie) Gebrauch gemacht werden. Der Aufenthalt von über drei Monaten richtet sich nach § 2 Absatz 2 FreizügG/EU. In der Regel gilt zunächst die Vermutung der Freizügigkeit. Die Ausländerbehörde kann die Glaubhaftmachung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen durch Angaben und Vorlagen der erforderlichen Nachweise verlangen und den Fortbestand der Drucksache 18/755 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Voraussetzungen für das Freizügigkeitsrecht aus besonderem Anlass im Einzelfall überprüfen. Unionsbürger sind solange freizügigkeitsberechtigt, bis eine förmliche Feststellung über das Nichtbestehen/den Verlust des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde getroffen wurde. Die ethnische Zugehörigkeit ist im Übrigen nicht Gegenstand behördlicher Erfassung. 4. Wie beabsichtigt die Landesregierung, aufenthaltsrechtlich mit Staatsangehörigen von Nicht-EU-Ländern auf dem Balkan (Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien, Kosovo, Montenegro sowie Türkei) umzugehen, die kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik genießen? Ist der Landesregierung bekannt, wie viele Angehörige der Minderheit der Roma jeweils darunter sind (bitte sowohl nach Herkunftsland als auch nach Kreisen/kreisfreien Städten aufschlüsseln)? Antwort: Die Landesregierung ist beim Umgang mit Ausländerinnen und Ausländern, die kein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besitzen, ebenso wie die Ausländerbehörden an die entsprechenden aufenthaltsrechtlichen Vorgaben gebunden. Diese sind darauf ausgerichtet, Ausreiseverpflichtungen durchzusetzen. Dabei sind individuelle Gründe, die einer Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung entgegenstehen können, zu berücksichtigen. Inlandsbezogene Vorträge prüft die Ausländerbehörde selbst; für zielstaatsbezogene Vorträge wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Der Landesregierung ist nicht bekannt, wie viel Angehörige der Minderheit der Roma dem in Frage 4 genannten Personenkreis angehören. Volkszugehörigkeiten dürfen durch die Ausländerbehörden nicht gesondert abgespeichert werden. Entsprechende Auswertungen sind daher nicht möglich. 5. Stellt aus Sicht der Landesregierung die Verfolgung im Herkunftsland aufgrund der Zugehörigkeit zur Minderheit der Roma einen hinreichenden Grund zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Aufenthaltsgesetz oder besonderen Schutzbedarf gemäß Art. 17 EU-Aufnahmerichtlinie dar (bitte ggf. nach Herkunftsländern aufschlüsseln und Gründe nennen, sofern möglich)? Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/755 Antwort: Ob die Situation der Roma in ihren Herkunftsländern einen Verfolgungsgrund darstellt, kann durch die Landesregierung nicht bewertet werden. Entscheidungen über Anträge auf Gewährung von --Asyl nach Art. 16a des Grundgesetzes --Flüchtlingsschutz nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention -GK-), --internationalen subsidiären Schutz und --nationalen subsidiären Schutz trifft im Asylverfahren ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Durch die §§ 4 und 42 des Asylverfahrensgesetzes sind die Ausländerbehörden an die durch das Bundesamt im Rahmen von Asylverfahren getroffenen Entscheidungen gebunden. Im Fall einer isolierten Beantragung subsidiären Schutzes bei einer Ausländerbehörde wird die entsprechende Entscheidung zwar durch diese getroffen, aber erst nach einer durch § 72 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes vorgeschriebenen Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. In den Fällen der negativen Entscheidung über isolierte Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes halten sich die Ausländerbehörden insbesondere für den Fall eines Klagverfahrens regelmäßig an die im Beteiligungsverfahren eingeholte Stellungnahme des Bundesamtes. 6. Wie ist die Haltung der Landesregierung gegenüber der Veto-Drohung der Bundesregierung gegenüber der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in das Schengen-Abkommen [7]? Antwort: Vertragspartner ist Deutschland, nicht Schleswig-Holstein. 7. Wird sich die Landesregierung dafür einsetzen, Roma-Flüchtlinge sowohl aus EU- als auch Nicht-EU-Staaten auf dem Balkan in der Bundesrepublik und insbesondere in Schleswig-Holstein dauerhaft aufzunehmen? Wenn ja, in welcher Form, wenn nein, warum nicht? Drucksache 18/755 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Antwort: Es gibt derzeit weder auf Bundes- noch auf Landesebene eine entsprechende Initiative zur Aufnahme von Roma-Flüchtlingen. 8. Wie bewertet die Landesregierung die nationale Strategie der Bundesregierung zur Integration von Roma (siehe Vorbemerkung) und darin insbesondere die Trennung zwischen „deutschen Sinti und Roma“ auf der einen und „ausländischen Roma“ auf der anderen Seite? Sieht die Landesregierung eine europäische Verantwortung für die europäische Minderheit der Roma und mit welchen Maßnahmen will sie ihr ggf. gerecht werden? Antwort: Die Bundesregierung ordnet die Integration von Roma in verschiedene nationale Integrationsmaßnahmen ein, die für alle Personen gelten, die im Zuge der Zuwanderung oder als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und ein Recht zum dauernden Aufenthalt haben. Einer Ethnisierung der Migrantinnen und Migranten und der Ursachen ihrer Migration wird damit entgegengewirkt. Gleichzeitig können Roma damit in den Zuzugsländern in ihrer spezifischen Situation als Angehörige einer Minderheit nicht entsprechend wahrgenommen werden. Hier sieht die Landesregierung Abstimmungsbedarf sowohl auf der Bund-Länder- Ebene als auch auf der Ebene der EU. Empfehlungen der entsprechenden Roma-Organisationen und der mit dem Thema befassten Nichtregierungsorganisationen, wie die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) oder die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), sollten dabei berücksichtigt werden. Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten gilt in Deutschland als Bundesgesetz.[1] Die Anerkennung als Angehörige der autochthonen Minderheit ist demzufolge auf Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit beschränkt. Hier teilt die Landesregierung die Auffassung der [1] „Das Rahmenübereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der nationalen Minderheit. Es ist deshalb Sache der einzelnen Vertragsstaaten zu bestimmen, auf welche Gruppen es nach der Ratifizierung Anwendung findet. Nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird auch auf die Angehörigen der traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppe der Friesen deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit angewendet.“ Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/755 Bundesregierung. Roma nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sind Ausländer und Ausländerinnen, unabhängig von ihrer Ethnie oder ihrem Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit. Die in Deutschland lebenden Roma ausländischer Herkunft haben je nach Herkunftsland und politischer Situation einen unterschiedlichen Status. Es lassen sich drei Gruppen unterscheiden: ---Angehörige von EU-Mitgliedsstaaten, ---ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge und ---Angehörige sonstiger Drittstaaten, d.h. Asylbewerber. Diese Unterscheidung bringt es mit sich, dass die ausländischen Roma mit verschiedenen Strategien konfrontiert werden. Aus minderheitenpolitischer Sicht ist es problematisch, dass die Gesamtsituation der Roma-Minderheit durch den EU- Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 oder die von der Bundesregierung vorgelegten Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland nicht umfassend in den Blick genommen wird. Notwendig ist es, dass alle nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten die vom Europäischen Rat am 22. Juni 1993 als Vorbereitung auf die EU- Osterweiterung verabschiedeten Kopenhagener Kriterien einhalten und auch im Kontakt untereinander auf ihre Einhaltung dringen. An diesem Punkt sieht die Landesregierung eine europäische Verantwortung aller nationalen Regierungen in der EU. Sie wird die Bundesregierung bei entsprechenden Initiativen unterstützen. __________ [1] http://www.schleswig- holstein.de/Portal/DE/LandLeute/Minderheiten/RomaSinti/romaSinti_node.html [2] http://www.schleswig- holstein.de/IM/DE/Service/Presse/PI/2012_neu/121214_im_abschiebestopp.html [3] http://www.schleswig- holstein.de/IM/DE/Service/Presse/PI/2013/130325_im_abschiebungsmoratorium.html [4] http://www.frsh.de/uploads/media/pe_14.11.2012.pdf) [5] http://ec.europa.eu/justice/discrimination/roma/national-strategies/ [6] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32004L0038:DE:NOT [7] http://www.kas.de/rumaenien/de/publications/33905/