1 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/963 18. Wahlperiode 2013-07-03 Kleine Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung – Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Wasserwerk Wacken - Nachweis von Pestiziden im Rohwasser Vorbemerkung der Fragestellerin: Aus Prüfberichten zur Beprobung des Rohwassers aus den Brunnen der Fassung Wacken des Wasserwerks Wacken geht hervor, dass 2009, 2010 und 2011 Pestizide nachgewiesen wurden, häufig in Konzentrationen, welche die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung übersteigen. 2009 und 2011 wurde in mehreren Brunnen Desphenylchloridazon gefunden. Zudem wurde bei jeder Beprobung im Brunnen IV Bentazon nachgewiesen. Vorbemerkung der Landesregierung: Bei der Bewertung der chemischen Beschaffenheit sind die Begriffe Rohwasser und Reinwasser (Trinkwasser) zu unterscheiden. Rohwasser ist das ungefilterte, unbehandelte und unverschnittene Wasser einer Entnahmeanlage (z.B. eines Grundwasserbrunnens), das in ein Wasserwerk geleitet wird. Dort wird es weiter aufbereitet (z.B. gemischt, belüftet, gefiltert) und schließlich als Reinwasser (Trinkwasser) in Speicherbehältern gesammelt. Diese Unterscheidung ist für die Beantwortung der nachfolgenden Fragen von Bedeutung. Drucksache 18/963 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 1. Welche bundes- und landesgesetzlichen Regelungen, Erlasse und Richtlinien, ggf. auch Handlungsanweisungen von Bundes- und Landesbehörden, regeln das Vorgehen der zuständigen Kreisbehörde in so einem Fall? Die Aufsicht über die Gewässer einschließlich des Grundwassers ist im Wasserhaus- haltsgesetz und im Landeswassergesetz geregelt. Die Zuständigkeit liegt bei den unteren Wasserbehörden der Kreise/kreisfreien Städte. Die Beschaffenheit des Trinkwassers ist in der Trinkwasserverordnung geregelt. Die Einhaltung der Trinkwasserverordnung wird von den Gesundheitsbehörden der Kreise/kreisfreien Städte überwacht. An beide Behörden richtet sich darüber hinaus ein Erlass (XI 260b-402.18-1.3-1 vom 9. Juli 1990) des damaligen Ministers für Natur, Umwelt und Landesentwicklung, der Hinweise zum Vorgehen bei der Feststellung von Belastungen mit Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen gibt. 2. Welche Aktionen und Maßnahmen sind nach den unter 1. erfragten Vorgaben vorgesehen? Bei den genannten Befunden handelt es sich um Belastungen mit Pflanzenschutzmittel- Wirkstoffen bzw. deren Metaboliten im Grundwasser einzelner Brunnen. Die Grenzwerte im Trinkwasser am Werksausgang werden nicht überschritten. Bei Kenntnis von Belastungen des Rohwassers durch trinkwasserrelevante Stoffe ist ein am Einzelfall orientiertes Vorgehen vorgesehen. Wenn Wirkstoffe aus Pflanzenschutzmitteln im Rohwasser festgestellt werden, die Grenzwerte im Trinkwasser jedoch nicht überschritten werden, sind in der Regel wiederkehrende Kontrollen durch den Wasserversorger durchzuführen und dem Gesundheitsamt zur Bewertung vorzulegen. 3. Gibt es eine Pflicht der zuständigen Kreisbehörde, einen derartigen Befund an Landesbehörden oder andere zentrale Stellen zu melden? Falls ja: Wann hat die Kreisbehörde diese Meldung abgegeben? Nein. 4. Wie hat die zuständige Kreisbehörde seit 2009 auf den Nachweis von Pestiziden im Rohwasser der Wackener Brunnen reagiert? In 2011 und 2013 fanden Gespräche zwischen dem Kreisgesundheitsamt, dem Wasserwerksbetreiber und der unteren Wasserbehörde statt. Die Entwicklung der vorgefundenen Einzelstoffe wird überwacht. Das Kreisgesundheitsamt hat eine halbjährliche Beprobung des Reinwassers und der Brunnen angeordnet. 5. Gab es Reaktionen anderer Kreis- und Landesbehörden auf den Nachweis von Pestiziden im Rohwasser der Wackener Brunnen? 3 Wenn ja, welche? Diesbezügliche Reaktionen sind der Landesregierung nicht bekannt. 6. Wie erklärt sich und wie bewertet die Landesregierung den Nachweis von Desphenylchloridazon (bis zu 0,70 μg/l) und Bentazon im Rohwasser der in der Fassung Wacken betriebenen Brunnen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass auch unter Deckschichten verfilterte Brunnen betroffen sind? Desphenyl-Chloridazon ist ein sogenannter nicht relevanter Metabolit (Abbauprodukt) des Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffes Chloridazon. Im Gegensatz zu den Ausgangs-Wirkstoffen besitzen nicht relevante Metaboliten weder eine definierte pestizide Restaktivität, noch ein pflanzenschutzrechtlich relevantes humantoxisches oder ökotoxisches Potenzial. Die Bewertung ihrer Anwesenheit folgt deshalb dem Vorsorge-Konzept der gesundheitlichen Orientierungswerte (GOW) für „nicht bewertbare“ Stoffe des Umweltbundesamtes (UBA). Der GOW für Desphenyl-Chloridazon liegt nach Bewertung des UBA und des Bundes- instituts für Risikobewertung bei 3 µg/l. Herbizide mit dem Wirkstoff Chloridazon wurden seit Mitte der 1960er Jahre zur Unkrautbekämpfung vorwiegend im Rübenanbau einge- setzt. Ein Zusammenhang zwischen den aktuellen Funden dieses Abbauproduktes und dem früheren intensiven Anbau insbesondere von Futterrüben ist daher zu vermuten. Herbizide mit dem Wirkstoff Bentazon sind seit Anfang der 70er Jahre zugelassen. Die Einsatzbereiche betreffen diverse Getreide- und Gemüsebaukulturen sowie Mais. Vor allem in den 70er Jahren wurden Bentazon-haltige Mittel in Schleswig-Holstein verbreitet und großflächig im Frühjahr im Getreide zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Ein Zusammenhang mit den aktuellen Funden im Wasserwerk Wacken ist daher auch bei diesem Wirkstoff zu vermuten. Die mittlere Fundhäufigkeit dieses Wirkstoffes für Deutschland liegt bei etwa 1 %. Sie ist im Vergleich zur Fundhäufigkeit anderer Pflanzen- schutzmittel-Wirkstoffe relativ hoch. Vor diesem Hintergrund wurden bereits 2005 vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verstärkt Manage- mentauflagen für die Anwendung Bentazon-haltiger Pflanzenschutzmittel erlassen. Als Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff gilt für Bentazon im Trinkwasser der Grenzwert von 0,1 µg/l. Der Grenzwert ist ein Vorsorgewert und nicht toxikologisch begründet. Eine Über- schreitung des Grenzwertes ist nicht unweigerlich mit einer Gesundheitsgefährdung gleichzusetzen. Die Brunnen mit Nachweisen von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen bzw. Metaboliten fördern das Grundwasser aus eiszeitlichen Sanden, die durch gering wasserdurchlässige Schichten mit lokal sehr unterschiedlichen Mächtigkeiten bedeckt sind. Aus umfänglichen hydrogeologischen Untersuchungen ist bekannt, dass die eiszeitliche Schichtenfolge im Raum Wacken in Folge von starken Bewegungen der Inlandgletscher während der Eiszeiten gestaucht und zum Teil steilgestellt ist. Sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung sind kleinräumige Wechsel in der geologischen Schichtenfolge bekannt. Hieraus resultiert ein lokal sehr unterschiedliches Schutzpotenzial der grundwasserüberdeckenden Schichten. Über natürliche „Schwachstellen“ der Drucksache 18/963 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Deckschichten kann oberflächennahes Grundwasser gegenüber durchgehend abgedeckten Bereichen des Nutzhorizontes relativ schneller absinken und partiell erhöhte Schadstoffeinträge zur Folge haben. Die festgestellten Belastungen dokumentieren somit Einträge, die vor mehreren Jahrzehnten im Einzugsgebiet der Brunnen stattgefunden haben. Aufgrund der hohen Sicherheitsfaktoren bei der Festlegung von Grenzwerten ist davon auszugehen, dass bei Einhaltung der Grenzwerte im Trinkwasser für den Menschen auch langfristig keine Gesundheitsgefährdung zu besorgen ist. Dennoch wird das Auftreten dieser Stoffe im Grundwasser von der Landesregierung kritisch gesehen. Grundwasser ist in Schleswig-Holstein zu 100 Prozent die Grundlage der öffentlichen Wasserversorgung. Dem Schutz dieser Ressource ist ein hoher Stellenwert beizumessen. Alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sind auszuschöpfen, um den Pflanzenschutzmittel-Einsatz soweit wie möglich zu verringern und Belastungen der Umwelt zu verhindern. 7. Der wasserrechtliche Bewilligungsbescheid für das Wasserwerk Wacken aus dem Jahre 2007 ist durch eine Klage des Wasserwerksbetreibers und das derzeit ruhende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Schleswig nicht rechtskräftig. In der Nebenbestimmung 4.6 nimmt der Gerichtsbescheid Bezug auf das Merkblatt zur Ermittlung der Grundwasserbeschaffenheit an Brunnen und Grundwassermess- stellen. Dort steht: „An Proben des Rohwassers der [...] genannten Brunnen sind mindestens einmal halbjährlich [...] folgende Messgrößen zu bestimmen“. Darunter werden u. a. „CKW“ und „PAK“ aufgeführt. Im Merkblatt werden explizit auch Desphenylchloridazon und Bentazon erwähnt. Der Bewilligungsbescheid von 2007 hat noch keine Bestandskraft und enthält auch keine Vorgabe zur Untersuchung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen. Das zitierte Merkblatt gibt allgemeine Empfehlungen zur Ermittlung der Grundwasserbeschaffenheit. Es enthält keine Bezüge auf Desphenyl-Chloridazon oder Bentazon. Trifft es zu, dass bei der Kreiswasserbehörde für den Zeitraum ab 2007 bis 2011 Analysendaten des Rohwassers der Wackener Brunnen auf Pestizide nur von jeweils einer Beprobung pro Jahr vorliegen? Ja. Wenn ja, hält die Landesregierung die nur einmal jährliche Untersuchung des Rohwassers der Wackener Brunnen für ausreichend, insbesondere nach dem Nachweis von Pestiziden im Jahre 2009? Die Untersuchungshäufigkeit orientiert sich an den jeweiligen hydrogeologischen Gegebenheiten. Je tiefer das Wasser entnommen wird bzw. je mächtiger die Grundwasserüberdeckung ist, umso langsamer vollziehen sich Änderungen der chemischen Beschaffenheit des geförderten Grundwassers. In der Regel ist eine jährliche 5 Beprobung ausreichend. Bei konkreten Belastungssituationen ist das Intervall entsprechend anzupassen. Dies ist in diesem Fall von Seiten der Gesundheitsbehörde veranlasst worden (s. Antwort zu Frage 4). 8. Wurde das Rohwasser in den Brunnen der Fassungen Wacken 2012 auf Pestizide und insbesondere auf Desphenylchloridazon und Bentazon untersucht? Ja. Wenn ja: a) An welchen Terminen wurden die Proben entnommen? Die Probenahme ist in allen Brunnen am 07.02.2012 durchgeführt worden. b) In welchen Brunnen wurden Pestizide und insbesondere Desphenylchloridazon und Bentazon in welchen Konzentrationen nachgewiesen? Die Konzentration von Desphenyl-Chloridazon betrug in Brunnen I: 0,12 µg/l, Brunnen II: 0,19 µg/l, Brunnen III: 0,35 µg/l, Brunnen IV: 0,32 µg/l, Brunnen VII: 0,66 µg/l und Brunnen IX: 0,12 µg/l. In Brunnen VII wurde Glyphosat in einer Konzentration von 0,05 µg/l nachgewiesen. Weitere Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe (auch Bentazon) und Metabolite wurden nicht nachgewiesen.