SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/968 18. Wahlperiode 2013-07-04 Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Franzen (CDU) und Antwort der Landesregierung - Ministerin für Bildung und Wissenschaft Schreibentwicklung in der Grundschule Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Kultusminister haben im Jahr 2002 Bildungsstandards auch für den Primarbereich beschlossen. Der Grundschule wird dabei die Förderung der sprachlichen Kompetenzen zugewiesen. Im individualisierenden und differenzierenden Unterricht soll der Erwerb grundlegender Lese- und Schreibfähigkeiten gefördert werden. Vorbemerkung der Landesregierung: In der Präambel der am 15.10.2004 durch die Kultusministerkonferenz beschlossenen Bildungsstandards für das Fach Deutsch wird – vergleichbar mit entsprechenden Aussagen im Lehrplan Deutsch/Grundschule/SH - die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen als zentraler Bestandteil des Bildungsauftrags der Grundschule genannt . Der Schriftspracherwerb wird im Lehrplan - nach der Lautsprache - als Aneignung eines zweiten Sprachsystems definiert. Beide Vorgaben – die KMKBildungsstandards wie auch der Lehrplan Schleswig-Holsteins – sind dementsprechend schreibdidaktisch dem Prinzip der Prozessorientierung verpflichtet. Folglich wird der Erwerb von Rechtschreibkompetenz überwiegend funktional in den Schreib- Drucksache 18/968 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 kompetenzerwerb – ganz konkret in die Phase der Überarbeitung von Texten – eingeordnet . Bei der Beurteilung didaktischer Konzepte ist daher grundlegend zu unterscheiden, ob sie unter dem Aspekt der Rechtschreibsicherheit oder der Fähigkeit, adressatenund sachgerecht kohärente und verständliche Texte zu schreiben, bewertet werden sollen. Über den Erfolg der Kompetenzentwicklung entscheidet nicht nur die Wahl der Methoden und didaktischen Konzepte, sondern ganz wesentlich die sach- und vor allem schülergerechte Umsetzung derselben. 1. Welche methodischen und didaktischen Strategien werden in den Grundschulen des Landes Schleswig-Holstein angewandt, um die Schreibentwicklung der Schülerinnen und Schüler zu fördern? Antwort: Für den Schriftspracherwerb steht eine große Bandbreite unterschiedlicher didaktischer und methodischer Konzepte zur Verfügung – vom offenen schreibdidaktisch akzentuierten Schreiben mit Unterstützung von Anlauttabellen vom ersten Schultag an bis zum geschlossenen, auf den systematischen Erwerb von Rechtschreib- und Lesekompetenz ausgerichteten Kieler Leseaufbau. Häufig werden diese Konzepte nicht „in Reinkultur“, sondern als Mischung unterschiedlicher Aspekte und im Kontext unterschiedlicher Fibeln oder Unterrichtsmaterialien für den Schriftspracherwerb umgesetzt. Die Auswahl geschieht dabei in eigener Verantwortung der Schulen. Maßgeblich sind hierfür pädagogische Leitziele der Schule, Arbeitsweisen und Lernkulturen sowie die Vorgaben von Bildungsstandards und Lehrplänen und nicht zuletzt die individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/968 3 2. Werden bei der Schreibentwicklung auch Strategien nach den Ideen des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen angewendet? Wenn ja, welche und an welchen Grundschulen? Antwort: Die Grundideen des Ansatzes „Lesen durch Schreiben“ nach Reichen sind in den Schulen bekannt und vermutlich im Kontext von Methodenvielfalt und –freiheit auch verbreitet. Denn die Anlauttabelle von Reichen ermöglicht dem Grundsatz der Aneignung eines zweiten Sprachsystems folgend, das Schreiben von Anfang an: Selbstständig und in individuellem Tempo schreiben Schülerinnen und Schüler Texte auf der Basis des eigenen, gesicherten Wortschatzes. Auch wenn der Schwerpunkt dabei auf der Verschriftung von Sprache liegt, werden „ganz nebenbei“ über Hypothesenbildung zum richtigen Schreiben Rechtschreibsensibilität und später auch – strategien entwickelt, die u.a. als sinnvolle Grundlage für die Systematisierung der Rechtschreibkenntnisse genutzt werden können. Mittlerweile haben mehrere Schulbuchwerke zum Schriftspracherwerb die Idee der Anlauttabelle aufgegriffen und Ansätze von Jürgen Reichen mit dem Angebot unterschiedlicher Materialien akzentuiert . Daten zur Verbreitung dieses methodischen Ansatzes in schleswig-holsteinischen Grundschulen werden nicht erhoben. 3. Wie haben sich die Schreibfähigkeiten von Viertklässlern in Schleswig-Holstein innerhalb der vergangenen zehn Jahre entwickelt? Antwort: Es gibt kein Monitoring, das über die Entwicklung der Orthografie- und Schreibkompetenz von Viertklässlern in Schleswig-Holstein innerhalb der vergangenen zehn Jahre empirisch fundiert Auskunft geben kann. Drucksache 18/968 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 4. Wie werden Lehramtsstudenten während ihres Studiums auf die Vermittlung der Sprachgesetze in der Grundschule vorbereitet? Antwort: Grundlage des Studiums für das Lehramt ist die Prüfungsordnung zur ersten Phase der Lehrerbildung, die u.a. auch konkrete Aussagen zu den Studieninhalten der einzelnen Fächer macht, so auch zum Fach Deutsch1. Für dieses Fach gliedert sich die Prüfungsordnung in die Bereiche Fachdidaktik, Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft . Vorwiegend in der Sprachwissenschaft werden Themen des schriftlichen Sprachhandeln gelehrt: • Methoden und Theorien der Sprachbeschreibung, • Teilbereiche der deutschen Sprache: Phonologie und Graphematik, • Morphologie, Lexikologie, Semantik, Syntax, Textlinguistik, • Theorie des Sprachgebrauchs und der Prozesse und Formen mündlicher und schriftlicher Kommunikation, • Erst- und Zweitspracherwerb einschließlich psycholinguistischer Grundla- gen, • Störungen der Prozesse des mündlichen und schriftlichen Spracherwerbs und der mündlichen und schriftlichen Kommunikation, • Geschichte der deutschen Sprache einschließlich der Beziehungen zu • anderen Sprachen, • Varietäten des Deutschen, • Sprachnormen und ihre Problematik einschließlich Fehleranalyse, • sprachwissenschaftliche Analyse mündlicher und schriftlicher Texte. Die obige Aufzählung der Gebiete stellt weder eine Reihenfolge für die Behandlung noch eine Gewichtung dar. Sie ist auch nicht so zu verstehen, als seien die Inhalte grundsätzlich getrennt voneinander zu behandeln. Vielmehr bedingen sich die Inhalte in vielfältiger Weise untereinander, ihre Vernetztheit erfordert eine integrierte, übergreifende Bearbeitung. 1 Anlage zu § 5 Abs. 1 Satz 2 (POL I) Voraussetzungen und Anforderungen in den Prüfungsfächern der Ersten Staatsprüfungen I Laufbahn der Grund- und Hauptschullehrerinnen und Grund- und Hauptschullehrer Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/968 5 5. Wie werden Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung auf die Vermittlung der Sprachgesetze in der Grundschule vorbereitet? Antwort: Grundlage der Ausbildung für das Lehramt in der zweiten Phase ist das Kerncurriculum zur Lehrerbildung, das u.a. auch konkrete Aussagen zu den Ausbildungsinhalten der einzelnen Fächer macht. Der Erwerb einer fachspezifischen Handlungskompetenz im Fach Deutsch bezieht sich auf die vorangestellten allgemeinen Ausbildungsstandards zum Vorbereitungsdienst in der zweiten Phase der Lehrerbildung. Der fachspezifische Kompetenzerwerb basiert vor allem auf den Vorgaben der KMKBildungsstandards und der Lehrpläne Schleswig-Holsteins einschließlich ihrer Ergänzungen . Einzelheiten sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Ausbildungsmodule: Grund- und Hauptschulen/Deutsch Durchgängig integriert sind: Inklusion, Medien, durchgängige Sprachbildung, Differenzierung und Individualisierung Block A Block B Block C Schreibkompetenz entwickeln und fördern • Schreibkompetenz im Kontext von Schreibprozessmodellen • Schreiben initiieren, Überarbeitungsverfahren wie z.B. Schreibkonferenz , Textlupe, Text-Hand,… • Schreibkompetenzentwicklung dokumentieren und bewerten Integrativer Deutschunterricht • integrativer Deutschunter- richt • verschiedene Modelle zur kompetenzorientierten Unterrichtsplanung • LP und BS • lyrische Texte als themati- scher Rahmen für eine Unterrichtsplanung Sprachhandlungskompetenz entwickeln und fördern: Sprache und Sprachgebrauch untersuchen • aktuelle fachdid. Grundsätze • Grammatik als integrativer Bestandteil des Deutschunterrichts (Sonderstellung des Kompetenzbereichs) • Diagnose, Förderung und Leistungsentwicklung • kompetenzorientierte Unterrichtsplanung Rechtschreiben als integrativer Bestandteil des Deutschunterrichts • Methoden des Rechtschreiblernens • Kompetenzorientierte Aufgabenkultur • Diagnostik und individuelle Förderung u.a. durch VERA • LRS • Dokumentation und Bewertung von Rechtschreibkompetenz • Alternativen zum Diktat • kompetenzorientierte integrative Unterrichtsplanung Umgang mit Literatur /Literarisches Lernen • handlungs- und produktionsorientierte Verfahren der Texterschließung im Kontext von Leseverstehen/- analyse • exemplarisches Arbeiten an ausgewählten Werken der Kinder- und Jugendliteratur • literarisches Leben, Autoren • Lesesozialisation Sprachhandlungskompetenz entwickeln und fördern: Erzählen und Argumentieren • Funktionen der Sprache (exemplarische Auseinandersetzung mit ausgewählten Aspekten, z.B.: erzählen , argumentieren,…) • Diagnose, Förderung und Bewertung mündlicher Leistung Drucksache 18/968 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 Lesen und Schreiben im Anfangsunterricht • Schriftspracherwerb • unterschiedliche Konzeptionen des Schriftspracherwerbs • Formen der Beobachtung der in- dividuellen Lernvoraussetzungen, lernprozessbegleitende Diagnostik und Förderung • Organisation des individualisierenden Unterrichts • Eingangsphase, jahrgangsübergreifendes Lernen Lesekompetenz entwickeln und fördern • Lesekompetenzmodelle (PISA, IGLU) • Lesestrategien • Sachtexte lesen und ver- stehen • diskontinuierliche Texte • Lesen in allen Fächern Sprachhandlungskompetenz entwickeln und fördern: Hören und Zuhören • Komponenten des Hörverstehens • Zuhörtechniken • Hörmedien • Literarisches Hörverstehen • Hörkompetenzen einschätzen und bewerten Diagnostik/Lern- und Leistungsentwicklung • Individuelle Lern -und Leistungsentwicklung dokumentieren, Portfolio • Berücksichtigung von Migrationshintergrund • Analyse von Schülertexten Aufgabenentwicklung • Lern- und Leistungsaufga- ben • Didaktisierung von Texten • Diagnostik • Förderung (z.B. NZL) • VERA /ZA Medienkompetenz entwickeln und fördern • Möglichkeiten des Medieneinsatzes (z.B.: visuelle, auditive, audiovisuelle Medien ) • Lernprogramme • Medienanalyse, Nutzungs- möglichkeiten, Spezifika (z.B.: Film, Hörmedien, Internet , Analyse und Funktion ) • Medienkritik • symmedialer Deutschunter- richt am Beispiel ausgewählter Inhalte aus C1-C3 Verpflichtende Wahlmodule: Niederdeutsch und Durchgängige Sprachbildung 6. Welche Fort- und Weiterbildungsangebote zum Thema Schreibentwicklung werden den Lehrerinnen und Lehrern angeboten und wie oft wurden sie in Anspruch genommen ? Antwort: Zum Themenbereich Schreib- und Rechtschreibdidaktik bietet das IQSH – auch mit dem Schwerpunkt im Schriftspracherwerb zusätzlich zu den fachdidaktisch aktuellen Angeboten des alljährlichen Landesfachtags Deutsch und zu den Angeboten des Projekts „Eingangsphase“ – eine große Anzahl unterschiedlicher Fortbildungsangebote als Termin- und Abrufveranstaltungen ( für ganze Fachkonferenzen, mehrfach abrufbar) an, die insgesamt sehr gut nachgefragt sind, z. B.: DEU0023 DEU0496 Rechtschreiblernen an eigenen Texten?! DEU0389 Individuelle Lernwege im Fach Deutsch - Hospitationsangebote (Grundschule) DEU0469 Schreiben und Rechtschreiben: Konzept zum individuellen Rechtschreibtraining nach Beate Leßmann Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/968 7 DEU0478 Film: "Jedes Kind wertschätzen! Wie individuelle Lernwege im Schreiben und Rechtschreiben Kinder stark machen" - Präsentation ausgewählter Filmteile, Überlegungen im Hinblick auf die Übertragbarkeit ausgewählter Lernformen für den eigenen Unterricht DEU0531 Schriftspracherwerb mit lernprozessbegleitender Diagnostik DEU0974 Individuelle Lernwege im Deutschunterricht DEU1081 Schreiben und Rechtschreiben: Konzept zum individuellen Recht- schreibtraining in der Grundschule DEU1125 Rechtschreibkompetenz überprüfen DEU1129 Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben- eine Herausforderung! DEU1147 "Klasse Texte!" - Filmpräsentation ausgewählter Filmteile und Überle- gungen zur Arbeit im Fach Deutsch DEU1148 Studienkreis Schreibkompetenzentwicklung: Entwicklungen in eige- nen Texten über 4 Jahre (Klassen 1 bis 4) DEU1162 Multiplikatorinnenforum: Individuelle Schreib- und Rechtschreibkom- petenzentwicklung - Schreibkompetenz: Austausch, Moderationsbausteine , Filmsequenzen DEU1163 Individuell bedeutsames Schreiben als Grundlage von Schreibkompetenzentwicklung DEU1166 Fester Arbeitskreis Grundschule: Individuelle Lernwege im Deutschunterricht DEU1169 Schuljahresbegleitender Arbeitskreis: Individuelle Lernwege im Fach Deutsch DEU1171 Arbeit mit der Texthand - ein Beitrag zur individuellen Schreibkompetenzentwicklung DEU1178 Einführung in den Anfangsunterricht nach dem Konzept der Rechtschreibwerkstatt DEU1179 Vom Anfangsunterricht zur Arbeit in der Rechtschreibwerkstatt 7. Welche Fort- und Weiterbildungsangebote zum Thema Schreibentwicklung werden den Lehrerinnen und Lehrern in Ausbildung angeboten und wie oft wurden sie in Anspruch genommen? Antwort: Die Teilnahme an den zu Frage 5 aufgelisteten Ausbildungsmodulen ist verbindlich, darüber hinaus können die Lehrerinnen und Lehrer im Vorbereitungsdienst an Landesfachtagen sowie an anderen Fortbildungsveranstaltungen zu bestimmten Terminen oder im eigenen Kollegium teilnehmen. Drucksache 18/968 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 8 8. Welche unterstützenden Maßnahmen werden angeboten, um Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Familien und mit Migrationshintergrund beim Lernen der korrekten Rechtschreibung zu unterstützen? Antwort: Der Unterricht in allen Fächern der Grundschule folgt dem Prinzip der durchgängigen Sprachbildung, die sowohl Kindern mit Migrationshintergrund als auch Kindern aus bildungsfernen Familien zugutekommt. Die Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund wird durch das System der dreistufigen „Deutsch als ZweitspracheZentren “ ergänzt. Darüber hinaus wird die durchgängige Sprachbildung für sämtliche angehenden Lehrkräften in der zweiten Phase ihrer Ausbildung für alle Schularten und Fächer verbindlich gemacht. Die Entwicklung von Schreib- und Lesekompetenzen gehört unabhängig davon zur Aufgabe der individuellen Förderung eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin. Zu den Maßnahmen der speziellen Förderung zählt namentlich „Lesen macht stark“, ein Projekt, das im kommenden Schuljahr an zehn Grundschulen gestartet wird mit dem Ziel, die dabei gewonnenen Erkenntnisse zum Schriftspracherwerb vom Schuljahr 2014/2015 an landesweit für alle Schulen nutzbar zu machen.