SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 19/1069 19. Wahlperiode 2018-11-20 Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Reichsbürger*innenbewegung“ in Schleswig-Holstein Drucksache 19/906 Federführend ist das Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 2 Vorbemerkung der Fragesteller Nach Informationen aus mehreren Anfragen1 ist die Anzahl der Personen, die von der Landesregierung als „Reichsbürger*innen“2 eingestuft werden, seit dem letzten Jahr stark angestiegen. Reichsbürger*innen sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die die Bundesrepublik als Staat ablehnen und weder Gesetze noch demokratisch gewählte Repräsentant *innen akzeptieren. Die Kernideologie der Reichsbürger*innen ist antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und demokratiefeindlich. Dazu stelle ich folgende Fragen: 1. Wie lautet die Definitionsgrundlage der Landesregierung für „Reichsbürger *innen“? Antwort: Die gemeinsame Definition der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern vom November 2016 für Reichsbürger lautet: „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab, oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Es besteht deshalb die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen . 2. Wie lautet die Definitionsgrundlage für „Gefährder“ im Zusammenhang mit der Reichsbürger*innenbewegung? Antwort: Der Begriff des Gefährders ist gesetzlich nicht verankert und kein Tatbestandsmerkmal einer Eingriffsbefugnis. Es handelt sich um eine 2004 durch die „AG Kripo“ der Innenministerkonferenz (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landes- 1 Siehe Drucksache 18/4855 und die Anfrage des Journalisten Carsten Janz im Oktober 2018. 2 Um die Geschlechterbinarität der deutschen Sprache aufzuheben wird im folgenden der Gender-Star "*" verwendet. Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 3 kriminalämter und des Bundeskriminalamts) entwickelte polizeitaktische Definition für den Bereich der Gefahrenabwehr im Aufgabenfeld des polizeilichen Staatsschutzes. Der Begriff des Gefährders gilt für alle Phänomenbereiche und findet somit auch bei Angehörigen der erfragten Gruppe Anwendung. Er ist wie folgt definiert: Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen , dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, begehen wird. 3. Wie lautet die Definitionsgrundlage für „relevante Personen“ im Zusammenhang mit der Reichsbürger*innenbewegung? Antwort: Eine Person ist aus polizeilicher Sicht als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle a) einer Führungsperson, b) eines Unterstützers/Logistikers, c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d) es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt. 4. Wie lautet die Definitionsgrundlage für die Unterteilung in „identifizierte“ Reichsbürger *innen und „Verdachtsfall“? Antwort: Die Bezeichnungen „identifiziert“ und „Verdachtsfall“ sind nicht gesetzlich verankert , sondern behördeninterne Arbeitsbegriffe. Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 4 Danach gelten als „identifizierte“ Reichsbürger solche Personen, die der Reichsbürgerbewegung eindeutig zugeordnet werden können. Bei den „Verdachtsfällen“ handelt es sich um Personen, die noch in der weiteren Sachverhaltsaufklärung durch die Verfassungsschutzbehörde sind. 5. Wie viele unterschiedliche Gruppierungen von „Reichsbürger*innen“ gibt es derzeit in Schleswig-Holstein? (Bitte tabellarisch aufzählen.) Über welches Personenpotential verfügen die unterschiedlichen Netzwerke und Gruppen? Was ist bekannt über die Ziele und Strategien solcher Netzwerke und Gruppen? Antwort: Die Reichsbürgerbewegung untergliedert sich in zahlreiche Organisationen. Die bedeutendsten Organisationen in Schleswig-Holstein sind: Gruppierung Personenpotential Ziele und Strategien Staatenbund Deutsches Reich mit fünf „Glied- /Bundesstaaten“ u. a. Freistaat Preußen 30 Der Staatenbund Deutsches Reich stellt sich als Dachorganisation dar und will z. B. mit seinem Freistaat Preußen die angeblich bis heute gültige Verfassung von 1920 reorganisieren . Die Akteure entfalten regen Schriftverkehr mit Behörden und geben monatlich „Amtsblätter“ heraus. Amt für Menschenrecht 15 Das Amt für Menschenrecht meint eine vermeintliche Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland darstellen zu können und bezieht sich dabei auf nicht nachvollziehbare Thesen zu Natur- und Menschenrechten. Öffentlichkeitswirksam über YouTube werden z. B. Exekutivmaßnahmen als Menschenrechtsverletzungen deklariert und „Betroffenen“ Hilfen angeboten . Seit Anfang 2018 bietet das Amt für Menschenrecht verstärkt Seminare an, durch die es seine Ideologie verbreitet und Mitgliederwerbung betreibt . Religionsgemeinschaft heilsamer Weg 10 Die Religionsgemeinschaft heilsamer Weg vertritt die These, dass Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg von den Siegermächten Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 5 nicht seine volle Souveränität zurückerhalten hat und fordert daher von Ihnen Gebietskörperschaften treuhänderisch analog zur Haager Landkriegsordnung zu verwalten. Die Gruppierung versendet zahlreiche Schreiben an deutsche Behörden und ausländische Botschaften. Üblich ist auch, die Feststellung der Staatsangehörigkeit zu beantragen. Geeinte Deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 5 Die Vertreter der GdVuSt zielen auf die Schaffung eines besseren und harmonischeren neuen Lebensmodells ab und orientieren sich dabei an alten Werten und Strukturen. In der neuen Gesellschaft sollen Menschen und Tiere im Einklang mit der Natur gesund und harmonisch zusammenleben . Die GdVuSt haben ein eigenes Rechtssystem entwickelt. Die Rechtsordnung und den Staat in seiner heutigen Form lehnen sie ab. Am 18. Januar 2017 richteten die GdVuSt in Berlin das Höchste Gericht geeinter Völker und Stämme ein, um damit dem angeblichen schöpferischen und christlichen Auftrag gegenüber ihren Ahnen und Kindern zu entsprechen. Um ihre Ziele durchzusetzen, verkünden die GdVuSt mit Schreiben an Behörden die Reaktivierung von Gemeinden und verbreiten ihre Ansichten in Broschüren und Workshops . 6. Wie viele Personen gelten nach aktuellem Wissen der Landesregierung als „identifizierte“ „Reichsbürger*innen“? Antwort: Die Zahl der als Reichsbürger identifizierten Personen wird jeweils zum Ende eines Quartals erhoben. Demnach hat die Verfassungsschutzbehörde Schleswig- Holstein mit Stand vom 30. September 2018 insgesamt 288 Personen als Reichsbürger identifiziert. Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 6 7. Wie ist die aktuelle Anzahl der „identifizierten“ „Reichsbürger*innen“ auf die Kreise in Schleswig-Holstein verteilt? Antwort: Die 288 als Reichsbürger identifizierten Personen verteilen sich auf die Kreise und kreisfreien Städte wie folgt: Kreisfreie Städte Personen Kiel 11 Lübeck 17 Neumünster 11 Flensburg 14 Kreise Nordfriesland 13 Schleswig-Flensburg 21 Dithmarschen 20 Rendsburg-Eckernförde 25 Segeberg 22 Plön 13 Steinburg 14 Pinneberg 32 Ostholstein 23 Stormarn 15 Herzogtum Lauenburg 37 8. Wie viele Personen gelten nach aktuellem Wissen der Landesregierung als „Verdachtsfall “, ein Teil der „Reichsbürger*innenbewegung“ zu sein? Antwort: Mit Stand vom 30. September 2018 gelten 30 Personen als „Verdachtsfälle“. Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 7 9. Wie ist die aktuelle Anzahl der „Verdachtsfälle“ von „Reichsbürger*innen“ auf die Kreise in Schleswig-Holstein verteilt? Antwort: Über die regionale Aufteilung sogenannter Verdachtsfälle wird keine fortlaufende Statistik geführt. Nach einer aus Anlass der Großen Anfrage vorgenommenen Auswertung verteilen sich die „Verdachtsfälle“ auf die Kreise und kreisfreien Städte wie folgt: Kreisfreie Städte Personen Kiel 2 Lübeck 0 Neumünster 13 Flensburg 0 Kreise Nordfriesland 4 Schleswig-Flensburg 2 Dithmarschen 2 Rendsburg-Eckernförde 1 Segeberg 0 Plön 2 Steinburg 1 Pinneberg 3 Ostholstein 0 Stormarn 0 Herzogtum Lauenburg 0 10. Wie viele „Reichsbürger*innen“ sind derzeit als „Gefährder*innen“ eingestuft? Antwort: Es sind aktuell keine Reichsbürger als Gefährder eingestuft. Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 8 11. Wie viele „Reichsbürger*innen“ sind derzeit als „relevante“ Personen eingestuft? Antwort: Es sind aktuell keine Reichsbürger als „relevante Personen“ eingestuft. 12. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über „Reichsbürger*innen“ in gesellschaftlich relevanten, sozialen Berufen, wie Lehrer*in, Erzieher*in oder ähnlichen ? Antwort: Siehe Antwort zu Frage 13. 13. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über „Reichsbürger*innen“ im öffentlichen Dienst? Sowohl über verbeamtete, als auch Angestellte, sowie Dienstleister *innen und Beschäftigten privater Versorgungsunternehmen in öffentlicher Hand. Antwort: Zu den 288 als Reichsbürger identifizierten Personen liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein erhält Kenntnisse über Beschäftigungsverhältnisse von Reichsbürgern im Einzelfall aufgrund entsprechender Hinweise oder aus konkreten Anhaltspunkten, die sich aus einem Sachverhalt ergeben. In diesen Fällen erfolgt eine Anfrage aufgrund von Sozialgesetzbuch (SGB) X § 72 Absatz 1 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) beziehungsweise aufgrund von § 89 Absatz 4 Landesbeamtengesetz bei der personalaktenführenden Dienststelle. Diese Anfragen sind rechtlich nur in begründeten Einzelfällen möglich. Ein systematischer , standardisierter Abgleich des Personenpotentials der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene mit dem Datenbestand der genannten Einrichtungen ist rechtlich unzulässig. Fallen aus dem so beschriebenen Verfahren Erkenntnisse an, dass ein Reichsbürger in einem aktiven Beschäftigungs- beziehungsweise beamtenrechtlichen Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 9 Verhältnis bei einem öffentlichen Arbeitgeber stehen sollte, würde die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein diese Erkenntnisse im Rahmen seiner gesetzlichen Möglichkeiten grundsätzlich dem betroffenen Arbeitgeber mitteilen. Diese Fälle hat es bislang nicht gegeben. 14. Welche Plattformen im Internet sind für die Reichsbürger*innenbewegung in Schleswig-Holstein wichtig und warum? Antwort: Für die Reichsbürgerbewegung in Schleswig-Holstein sind die Plattformen wichtig , die von den in der Antwort auf Frage 5 genannten Gruppierungen betrieben werden. Dabei handelt es sich um die in Schleswig-Holstein bedeutendsten Gruppierungen. Reichsbürger nutzen das Internet als Kommunikationsmittel zur Verbreitung ihrer Ideologie, zur Rekrutierung weiterer Anhänger und um ihre politisch motivierten, ziel- und zweckgerichteten Betätigungen einem möglichst weitem Adressatenkreis ohne großen Aufwand problemlos zur Verfügung zu stellen. Die Aufmachung der Internetseiten, die den Anschein erwecken, als stünden große Organisationen dahinter, lässt keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Größe und Bedeutung der Organisation zu. 15. Wie weit ist nach Einschätzung der Landesregierung die Aufhellung des Dunkelfeldes in der Reichsbürger*innenbewegung vorangeschritten? Antwort: Die Aufklärung der Reichsbürgerbewegung von Beginn der Beobachtung durch den Verfassungsschutz 2015 bis heute zeigt, dass eine kontinuierliche Aufhellung des Phänomenbereichs erfolgt ist. Die konkreten Zahlen lauten: 2015: 24 Reichsbürger, 2016: 54 Reichsbürger, 2017: 230 Reichsbürger, 2018 (Stand 30. September 2018): 288 Reichsbürger. Mit der jüngsten Zahl dürfte die Entwicklung noch nicht abgeschlossen sein. Wenn auch nicht mehr so zahlreich wie noch in 2017, so erreichen die Landesregierung auch weiterhin Hinweise von kommunalen Behörden, staatlichen Stellen und auch vereinzelt aus gesellschaftlichen Organisationen zu Personen mit möglichen Bezügen zur Reichsbürgerbe- Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 10 wegung. Dieses hat zur Aufhellung des Phänomenbereichs nicht unwesentlich beigetragen. Die erforderliche Sensibilität für eine erfolgreiche Aufklärung der Reichsbürgerbewegung ist nach Einschätzung der Landesregierung insgesamt sehr hoch. 16. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Verbindungen von Rechtsextremen und „Reichsbürger*innen“? Antwort: Mit Stand vom 30. September 2018 hatten von den 288 als Reichsbürger identifizierten Personen 12 Personen Bezüge in das rechtsextremistische Spektrum, beispielsweise zur NPD, zu Gruppierungen wie der Europäischen Aktion, der Artgemeinschaft oder in den subkulturell geprägten Rechtsextremismus. 17. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über „Reichsbürger*innen“ und mögliche Parteizugehörigkeit sowie parteipolitisches Engagement? Antwort: Zu den 288 als Reichbürger identifizierten Personen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse über Parteizugehörigkeit sowie parteipolitisches Engagement vor. 18. Wie viele der Landesregierung bekannte „Reichsbürger*innen“ haben eine „waffenrechtliche Erlaubnis“? Antwort: Von den 288 als Reichsbürger identifizierten Personen haben 20 waffenrechtliche Erlaubnisse, auf die 46 Waffen eingetragen sind. In bisher 10 Fällen wurden die waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen, denen 19 erlaubnispflichtige Schusswaffen zugeordnet waren. Dazu kommt eine Person, die ihre waffenrechtliche Erlaubnis freiwillig abgegeben hat. In den übrigen Fällen prüfen die zuständigen Waffenbehörden, ob die vorliegenden Erkenntnisse ausreichen, um die waffenrechtlichen Erlaubnisse nach den Vorschriften des Waffengesetzes widerrufen zu können. Da die rechtlichen Voraussetzungen für die Beobachtung von Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 11 Reichsbürgern durch den Verfassungsschutz von den Regelungen zur Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach dem Waffengesetz abweichen, kann ggf. zum jetzigen Zeitpunkt nicht in allen Fällen ein Widerrufsverfahren eingeleitet werden.“ Ein Erlass des Ministeriums für Inneres, ländliche Räume und Integration vom 22. August 2017 stellt einen behördenübergreifenden Informationsaustausch sicher , so dass bei Bekanntwerden von gerichtsverwertbaren Erkenntnissen schnellstmöglich auf den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse hingewirkt werden kann. 19. Wie viele „identifizierte“ Reichsbürger*innen besitzen wie viele legale Waffen? Antwort: Siehe Antwort zu Frage 18. 20. Wie viele als „Verdachtsfall“ eingestufte „Reichsbürger*innen“ besitzen wie viele legale Waffen? Antwort: Angaben über waffenrechtliche Erlaubnisse bei so genannten Verdachtsfällen sind nicht möglich, da die Landesregierung Schleswig-Holstein Auskünfte aus dem Nationalen Waffenregister (NWR) zu waffenrechtlichen Erlaubnissen nur bei Personen einholt, die bereits eindeutig der Reichsbürgerbewegung zugeordnet wurden. 21. Welche Fälle sind der Landesregierung seit 2009 bekannt, in denen „Reichsbürger *innen“ in Schleswig-Holstein gegen das Waffengesetz und/oder Sprengstoffgesetz verstießen? Antwort: Die Reichsbürgerbewegung ist seit 2015 Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein. Daher beziehen sich die Angaben frühestens auf den mit dem Jahr 2015 beginnenden Zeitraum. Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 12 Erkenntnisse über Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz liegen der Landesregierung nicht vor. Erkenntnisse über Verstöße gegen das Waffengesetz liegen der Landesregierung in zwei Fällen vor. Dabei handelt es sich jeweils um einen Fall aus dem Jahr 2017 und aus dem Jahr 2018. In dem Fall aus dem Jahr 2017 handelte es sich um einen Reichsbürger, dem die Erlaubnis für eine Kleinkaliberpistole durch die Waffenbehörde entzogen worden war. Die Person weigerte sich jedoch, die Waffe und Waffenbesitzkarte an die Waffenbehörde auszuhändigen (Verstoß gegen § 51 Waffengesetz). Im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung wurde die Waffenbesitzkarte, nicht jedoch die Pistole aufgefunden. Ein entsprechendes Strafverfahren wurde eingeleitet. In dem Fall aus dem Jahr 2018 handelte es sich um einen Reichsbürger, bei dem im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen ein Einhandmesser (Cuttermesserklinge ) aufgefunden wurde (Verstoß gegen § 53 Waffengesetz). 22. Wie schätzt die Landesregierung dies in Bezug auf das Gefahrenpotenzial der „Reichsbürger*innen“ ein? Antwort: Das Gefährdungspotential der Reichsbürgerszene muss – insbesondere wegen der großen Affinität zu Waffen (siehe dazu die Antwort auf Fragen 18) – weiterhin als latent hoch eingeschätzt werden. Ein weiterer nicht unwesentlicher Gefährdungsgesichtspunkt ergibt sich unmittelbar aus der Reichsbürgerideologie, die im Kern durch eine fundamentale Ablehnung des Staates bis hin zur kategorischen Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gekennzeichnet ist. Daraus leiten Reichsbürger ihre Legitimation zu einer rigiden Abwehrhaltung gegenüber staatlichen Maßnahmen ab. Daher kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass Reichsbürger im Einzelfall über die bereits im Milieu weit verbreiteten Gewaltandrohungen auch tatsächlich Gewalt ausüben. Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 13 Die Landesregierung hat daher in ihrem der Öffentlichkeit am 24. Mai 2018 vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2017 darauf hingewiesen, dass Angehörige der Reichsbürgerbewegung auch weiterhin versuchen werden, ihre Überzeugungen aktiv gegenüber Behörden und deren Vertretern durchzusetzen, und dass mit zunehmendem staatlichen Druck auf die Szene, insbesondere bei der Einforderung säumiger Zahlungen und dem Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse, die Gefahr wächst, dass es beim Aufeinandertreffen von Reichsbürgern und Behördenmitarbeitern zu Eskalationen kommen kann. 23. Welche Fälle sind der Landesregierung bekannt, in denen „Reichsbürger*innen“ als eigene „Hoheitsgewalt“ gegenüber Behörden und/oder Bürger*innen auftraten ? Antwort: Das Phänomen, dass Reichsbürger mit „eigener Hoheitsgewalt“ auftreten, tritt hauptsächlich bei den sogenannten Selbstverwaltern auf. Selbstverwalter nehmen für sich in Anspruch, aus der Bundesrepublik Deutschland „austreten“ zu können und reklamieren für sich rechtliche Autonomie. Die Vorstellung, ein „Deutsches Reich“ bestünde fort, spielt nur bedingt eine Rolle. Nach Erkenntnissen der schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbehörde mit Stand vom 30. September 2018 gehören 11 Personen zu den so genannten Selbstverwaltern, die beispielsweise nicht nur ihre Immobilien, sondern ganze Gemeinden und Städte zu einem souveränen Staatsgebiet ausrufen und unter ihre „Verwaltung“ nehmen. Dazu gehören Tating/Kreis Nordfriesland, Neumünster-Brachenfeld, Hohenwestedt/Kreis Rendsburg-Eckernförde und Lübeck. Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 14 24. In welchem Kreis in Schleswig-Holstein wurden wie viele Personalausweise durch Reichsbürger*innen bei Behörden abgegeben? Antwort: Kreisfreie Städte Abgegebene Personalausweise Kiel 1 Lübeck 2 Neumünster 0 Flensburg 1 Kreise Nordfriesland 5 Schleswig-Flensburg 3 Dithmarschen 0 Rendsburg-Eckernförde 4 Segeberg 2 Plön 0 Steinburg 3 Pinneberg 9 Ostholstein 1 Stormarn 2 Herzogtum Lauenburg 9 25. In welchem Kreis in Schleswig-Holstein wurden wie viele Staatsangehörigkeitsausweise beantragt, wie viele davon wurden bewilligt? Antwort: Vorbemerkung: Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz hat jedermann das Recht, ohne Angabe besonderer Gründe einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zu stellen. Das heißt, dass die alleinige Tatsache der Antragstellung ohne zusätzliche Erkenntnisse kein ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkt für den Verdacht ist, dass die betreffende Person der Reichsbürgerbewegung angehört. Schleswig-Holsteinischer Landtag – 19. Wahlperiode Drucksache 19/1069 15 Mit Hinweis auf diese Vorbemerkung ergeben sich von Beginn der Beobachtung der Reichsbürgerbewegung durch die Verfassungsschutzbehörde Schleswig- Holstein im Jahr 2015 bis zum Zeitpunkt der Großen Anfrage folgende Zahlen: Kreisfreie Städte beantragte Staatsangehörigkeitsausweise bewilligte Staatsangehörigkeitsausweise Kiel 50 36 Lübeck 41 28 Neumünster 39 26 Flensburg 20 17 Kreise Nordfriesland 42 6 Schleswig- Flensburg 4 4 Dithmarschen 23 15 Rendsburg- Eckernförde 96 85 Segeberg 65 31 Plön 54 40 Steinburg 29 3 Pinneberg 97 89 Ostholstein 41 16 Stormarn 42 31 Herzogtum Lauenburg 69 41 26. In wie vielen Fällen führte eine Weigerung von berechtigten Forderungen staatlicher Stellen zur behördlichen Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber „Reichsbürger *innen“? Antwort: Eine Abfrage in allen Ressorts der Landesregierung ergab, dass in 68 Fällen ei- Drucksache 19/1069 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 16 ne Weigerung der Begleichung von berechtigten Forderungen staatlicher Stellen zu behördlichen Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber Reichsbürgern führte. 27. Bei wie vielen dieser Vollstreckungsmaßnahmen kam es zu Widerstand gegenüber Gerichtsvollzieher*innen und Polizeibeamt*innen? Antwort: Unter dem Begriff „Widerstand“ wird der Straftatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte “ gemäß § 113 Abs. 1 StGB herangezogen, der ein Handeln „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt“ erfordert. Demnach kam es in keinem Fall zu Widerstand gegenüber Gerichtsvollziehern und Polizeibeamten.