SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 19/2297 19. Wahlperiode 2020-07-30 Kleine Anfrage der Abgeordneten Birte Pauls (SPD und Antwort der Landesregierung – Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen - Beratungs- und Präventionsangebote 1. Wie haben sich die Zahlen bei den Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie „Kinderpornografie“ in den letzten fünf Jahren in Schleswig- Holstein entwickelt? Wie viele Fälle konnten davon aufgeklärt werden? In wie vielen Fällen kam es zur Verurteilung? (bitte Angaben zur Altersstruktur der Opfer und Aufschlüsselung auf Kreise und kreisfreie Städte) Antwort: Aus der polizeilichen Kriminalstatistik ergeben sich folgende Fallzahlen: Jahr Berichtete Fälle aufgeklärte Fälle 2019 450 395 2018 413 347 2017 493 447 2016 477 403 2015 458 407 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB Jahr Berichtete Fälle aufgeklärte Fälle 2019 35 31 2018 30 30 2017 50 44 2016 45 42 2015 39 33 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen § 182 StGB Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 2 Die Polizeiliche Kriminalstatistik und die Justizstatistik sind nicht miteinander verknüpft und stellen keine Verlaufsstatistik dar. Daher können die bei der Polizei erfassten Anzeigen und Fälle nicht einzelnen Verurteilungen zugeordnet werden. Die Zahl der Verurteilungen lässt sich deshalb nur bezogen auf das jeweilige Geschäftsjahr und die einschlägigen Delikte beantworten. In den Jahren 2015 bis einschließlich 2019 sind Strafverfahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen (§§ 176, 176a, 176b, 182 StGB als führendes Delikt) in folgender Zahl mit einer Verurteilung abgeschlossen worden: Jahr LG-Bezirk Flensburg LG-Bezirk Itzehoe LG-Bezirk Kiel LG-Bezirk Lübeck Summe 2015 17 13 23 15 68 2016 8 9 32 13 62 2017 8 5 29 11 53 2018 7 5 11 11 34 2019 5 3 11 8 27 Strafverfahren wegen des Vorwurfs der „Kinderpornographie“ (§§ 184b, 184c, 184d, 184e StGB als führendes Delikt) sind in den Jahren 2015 bis 2019 in folgender Zahl mit einer Verurteilung abgeschlossen worden: Jahr LG-Bezirk Flensburg LG-Bezirk Itzehoe LG-Bezirk Kiel LG-Bezirk Lübeck Summe 2015 26 15 19 15 75 2016 30 9 10 12 61 2017 16 26 24 12 78 2018 22 15 15 25 77 2019 9 13 25 15 62 2. Welche Erkenntnisse gibt es hinsichtlich der Dunkelziffer im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in den letzten fünf Jahren in Schleswig- Holstein? Antwort: Die Dunkelfeldbefragung fand jeweils im Frühjahr 2019, 2017 und 2015 statt. Die Opferprävalenzen und Anzeigequoten wurden retrospektiv für das jeweils der Befragung Jahr Berichtete Fälle aufgeklärte Fälle 2019 456 430 2018 309 243 2017 247 232 2016 213 171 2015 203 178 Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornographischer Schriften Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode Drucksache 19/2297 3 vorausgehende Jahr erfragt und liegen demnach für die Jahre 2018, 2016 und 2014 für die schleswig-holsteinische Bevölkerung ab 16 Jahren vor. In den potentiell hinsichtlich der Fragestellung auswertbaren Altersklassen der 16- und 17-Jährigen ist für ein solch niederprävalentes Delikt keine ausreichend große Stichprobe vorhanden, um hieraus Aussagen hinsichtlich der Hell-Dunkelfeld-Relation ableiten zu können. 3. Wie haben sich die Fallzahlen der Vertraulichen Spurensicherung im Bezug auf Kinder und Jugendliche in den letzten fünf Jahren entwickelt? (bitte Angaben zur Altersstruktur ) Antwort: Die Landesregierung finanziert seit 2015 die flächendeckende, niederschwellige „vertrauliche Spurensicherung“ bei häuslicher und sexualisierter Gewalt im Rahmen des Opferschutzes. Die vertrauliche Spurensicherung ermöglicht Opfern von Gewalt (Frauen, Kinder und Männer), die zunächst keine Strafanzeige erstatten wollen, eine zeitnahe und gerichtsverwertbare Dokumentation ihrer Verletzungen. Projektträger sind das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sowie das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dort haben sich die Fallzahlen wie folgt entwickelt: UKSH Hinweis: Für das Jahr 2016 war nach Aktenlage keine Differenzierung nach Alter möglich UKE Hinweis: Für das Jahr 2015 waren nach Aktenlage keine Angaben mehr möglich 4. Wie erfolgen die Beratung und der weitere Umgang mit den Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Vertraulichen Spurensicherung? Antwort: Im UKSH ist in der Mehrzahl der Fälle das Jugendamt Auftraggeber bzw. wird oftmals im Verlauf hinzugezogen, so dass die weitere Betreuung bzw. Beratung durch das Jugendamt erfolgt und zumeist eine enge Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzzentrum besteht. Am Standort in Lübeck besteht durch enge Zusammenarbeit zwischen Rechtsmedizin und Pädiatrie über die Kinderschutzgruppe eine enge Anbindung an das sozialpädiatrische Zentrum des UKSH am Standort Lübeck, so dass eine Vermittlung hier direkt erfolgen kann. Auch dem Jugendamt steht diese Möglichm w m w m w m w m w 0-4 1 1 1 6 3 7 6 3 5-9 0 1 2 5 3 5 2 5 10-14 0 1 1 3 4 5 1 7 >14 0 0 0 3 1 7 0 5 1 3 1 12 4 17 11 24 9 20 2019 Alter 2015 2016 2017 2018 m w m w m w m w m w 0-4 1 3 1 10 0 5 2 5 5-9 2 2 1 2 2 4 3 3 10-14 3 1 0 3 1 2 0 0 >14 0 0 0 0 0 4 0 2 0 0 6 6 2 15 3 15 5 10 2019 Alter 2015 2016 2017 2018 Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 4 keit grundsätzlich zur Verfügung und wurde in der Vergangenheit durch rechtsmedizinische bzw. pädiatrische Vermittlung mehrfach genutzt. Grundsätzliche externe Anfragen hinsichtlich Beratung bzw. Betreuung werden seitens der rechtsmedizinischen Institute entweder an die Jugendämter oder an die Kinderschutzzentren vor Ort verwiesen . Das Angebot zur Spurensicherung und Dokumentation bei sexualisierter Gewalt umfasst im UKE: - Telefonische Beratung rund um die Uhr, auch anonym - Es kann sich jeder an das UKE wenden, um beraten zu werden - auch persönlich vor Ort, wenn es sinnvoll erscheint - Vorstellung des Kindes nach telefonischer Vereinbarung und Klärung der rechtlichen Ausgangssituation - Untersuchung und Spurensicherung mit schriftlicher und fotografischer Dokumentation von Verletzungen, ggf. kindergynäkologische Spurensicherung für molekularbiologische Untersuchungen - Im Regelfall Kombination mit interdisziplinärer kinderärztlicher Untersuchung im Rahmen der Vorstellung - Im Anschluss Besprechung der Ergebnisse mit Auftraggeber, u.a. zu möglichen weiteren Schritten - Zielgruppen: Ärzte, KITA und Mitarbeiter an Schulen, Allgemein Soziale Dienste 5. Welche Maßnahmen zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Familie bzw. im sozialen Umfeld, im Sport und innerhalb von Institutionen werden in Schleswig-Holstein angeboten sowie von der Landesregierung in welcher Höhe gefördert? Antwort: Landesweit gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe , die präventive Angebote zum Schutz vor sexueller Gewalt bereithalten. Die Jugendabteilung im Sozialministerium arbeitet hier insbesondere mit den vier Kinderschutz-Zentren, der landesweiten Informations- und Fortbildungsstelle des Landesverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes und dem Institut für Gewaltprävention PETZE zusammen. Für den schulischen Bereich bietet das Präventionsbüro PETZE unterschiedliche Fortbildungen, Entwicklung von Unterrichtsmaterialien sowie Beratung und Supervision für Schulleitungen und Lehrkräfte an. Themen sind z.B.: - Sexualisierte Gewalt unter Jugendlichen - Entwicklung von Schutz- und Präventionskonzepten - Gesprächsführung mit Betroffenen Vom Sozialministerium seit 2008 geförderte Kinderschutzfortbildungen und Weiterbildungsreihen für Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung, Schulsozialarbeit und den Allgemeinen Sozialen Diensten qualifizieren für einen professionellen Umgang mit Fällen (vermuteter) sexueller Gewalt. Im 2. Quartal 2021 wird in Kooperation mit dem Deutschen Kinderschutzbund ein großer landesweiter Fachkongress zur Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt stattfinden. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode Drucksache 19/2297 5 Aktuell wird für Schleswig-Holstein unter Federführung des Innenministeriums gemeinsam mit Plan International und Save the Children ein Kinderschutzkonzept für Flüchtlingsunterkünfte erarbeitet – auch hier mit dem besonderen Blick auf Prävention von sexueller Missbrauch. Vom Sozialministerium gefördert werden: Förderung pro Jahr DKSB Landesverband 234.000 Euro Institut für Gewaltprävention PETZE 128.500 Euro Kinderschutz-Zentren in Kiel, Lübeck, Westküste und Ostholstein-Segeberg 114.000 Euro je KIZ Finanzierungsbeteiligung des Landes an den Aufwendungen der Kommunen für den Kinderschutz (§58 JuFöG) Daneben wurden im Zeitraum 2016 bis 2020 durch den Rat für Kriminalitätsverhütung / Landespräventionsrat (LPR) folgende Einzelmaßnahmen und Projekte im benannten Themenfeld gefördert: - In 2016 wurde eine Flyer-Kampagne des PETZE-Institutes für Gewaltprävention zu den Komplexen Selbstbehauptung/Selbstverteidigung mit 5.600€ gefördert. Kernthemen waren „Selbstverteidigung ALLES GECHECKT?“ (Selbstverteidigungs - und Selbstbehauptungskurse für Kinder und Jugendliche), „Mitschnacker“- ALARM? (Was kann Mädchen und Jungen vor sexuellem Missbrauch schützen – Informationen für Eltern) und „Starke Kinder sind AUFGEKLÄRT“ (Argumente für Sexualpädagogik, Vielfalt und Akzeptanz für Eltern, Lehrkräfte und pädagogisches Fachpersonal). - Ergänzend zur Flyer Kampagne des PETZE-Institutes für Gewaltprävention erhielt die Gemeinschaftsschule Schenefeld 2016 eine Förderung in Höhe von 750€ für ein Gastspiel des Schauspielkollektivs Lüneburg. Das dargebotene Theaterstück „Untenrum“ hatte das Thema Sexualität zum Gegenstand und bot in der Nachbereitung unter anderem Raum für anschließende Diskussionen über sexuelle Gewalt sowie Gewalt in einer Teenagerbeziehung. - Im Jahr 2017 wurde die Erstellung eines Flyers des Petze-Institutes für Gewaltprävention zum Thema „Prävention von sexuellem Missbrauch, Kinder und Jugendschutz vs. Elternsorgen und Instrumentalisierung durch rechte Kräfte“ mit insgesamt 2.358€ bezuschusst. - In 2018 konnten sowohl das „PETZE-Institut für Gewaltprävention“, als auch die „Freie Jugendhilfe Mölln“ mit Landesmitteln in Höhe von 3.876€ bzw. 1.477€ finanziell unterstützt werden. Das PETZE-Institut wurde bei der Erstellung von Info-Broschüren/Info-Heften in leichter Sprache zu den Themen „Recht auf Selbstbestimmung, sexuelle Bildung, Partnerschaft, Beratung und Hilfe sowie die Rechte im Alltag (korrespondierend mit der dortigen Ausstellung ECHT MEIN RECHT) für Menschen mit Behinderung bezuschusst. Diese Unterstützung stand in engem Sachzusammenhang zu der Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 6 beim LPR anhängigen interministeriellen Arbeitsgruppe 33, die sich mit sexueller Gewalt gegen Menschen mit Behinderung auseinandergesetzt hatte. Die Freie Jugendhilfe Mölln e.V. erhielt Zuschüsse für ein präventives Projekt zur Sensibilisierung und Vermeidung von sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. Gefördert wurde ein Theaterstück des Tandera Theaters mit dem Titel „Das Familienalbum“. Zielgruppe waren Kinder zwischen 6 bis 10 Jahren, Eltern und Lehrer*innen, die Informationen über das Themenfeld des sexuellen Missbrauchs formgerecht dargeboten bekamen und Stärkung in ihren Handlungsmöglichkeiten und ihrem Selbstbewusstsein erfahren konnten. 2019 förderte der Landespräventionsrat das PETZE-Institut für Gewaltprävention in zwei Einzelprojekten mit insgesamt 7.252€. Mit 2.252€ wurde zum einen ein Informationsflyer aus dem Programm „ECHT MEIN RECHT“ für Angehörige von Menschen mit Behinderung unterstützt, in welchem über Themen, wie Selbstbestimmung, Partnerschaft, Heirat, Sexualität, Kinderwunsch , Schutz vor sexualisierter Gewalt sowie Angebote zur Beratung und Hilfe ausgeführt worden ist. Auch hier bestand ein enger Bezug zur Arbeitsgruppe 33 des Landespräventionsrates. Zum anderen konnte mit einer Zuwendung in Höhe von 5.000€ ein Puzzlekonzept aus den erstellten Handlungsleitlinien der Arbeitsgruppe 33 erarbeitet werden. Das darin beschriebene Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und der Schutz vor sexualisierter Gewalt wurde anhand von verschiedenen Puzzles für Menschen mit Mehrfacheinschränkungen barrierefrei zugänglich gemacht. Dazu wurden verschiedene Puzzles beispielsweise mit einem Hörsystem ausgestattet. Ausgehend von den erstellten Handlungsleitlinien aus der Arbeitsgruppe 33 beim Landespräventionsrat zur Umsetzung des Rechtes auf sexuelle Selbstbestimmung und den Schutz vor sexualisierter Gewalt für Menschen mit Behinderungen wurden für eine Fortbildungsreihe von ProFamilia zur Beschulung von Fach- und Leitungskräften von Einrichtungen der Behindertenhilfe im Jahre 2020 insgesamt 4.200€ an Landesmitteln bewilligt. Aufgrund der andauernden Corona-Pandemie ist die Veranstaltung auf den Herbst 2020 verschoben worden. Eine Förderung von Maßnahmen durch das Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung für Maßnahmen zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen speziell für den Sportbereich gibt es nicht. Der organisierte Sport (Federführung hat die Deutsche Sportjugend) hat sich 2010 einen Handlungsleitfaden gegeben. In diesem wurden folgende Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt im Sport benannt: - Verankerung im Leitbild, in der Satzung - Benennung von Beauftragten - Vereinsinterne Qualifizierung - Aufstellung eines gemeinsamen Verhaltensleitfadens - Ehrenkodex - Möglichkeit zum Einsatz des erweiterten Führungszeugnisses Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode Drucksache 19/2297 7 Im Rahmen der Studie „Safe Sport“ (2014-2017) wurden Defizite bei der Umsetzung auf der Vereinsebene festgestellt. Daher wurde seit der Änderung der Sportförderrichtlinie (2019) im Rahmen der Vereins- und Verbandsförderung als Voraussetzung einer Förderung das Vorhandensein von Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt im Sport mit aufgenommen. 6. Welche Angebote zur Beratung und Unterstützung bei Verdacht auf sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gibt es in Schleswig-Holstein und welche Angebote zur Beratung und Unterstützung stehen den Opfern von sexuellem Missbrauch zur Verfügung? (bitte Aufschlüsselung auf Kreise und kreisfreie Städte) Antwort: Die unten aufgeführten Angebote aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren können sowohl bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch als auch von Betroffenen genutzt werden. Kinderschutz-Zentrum Kiel Kiel Kinderschutz-Zentrum Lübeck Lübeck Kinderschutz-Zentrum Westküste Nordfriesland und Dithmarschen Kinderschutz-Zentrum OHSE Ostholstein-Segeberg Nummer gegen Kummer – Kinder- und Jugendtelefon landesweit Mädchenhaus Lotta e.V. Kiel N.I.N.A. e.V. – Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sex. Gewalt gegen Mädchen und Jungen landesweit Wendepunkt e.V. Kreis Pinneberg Pro familia – Beratungsstelle Wagemut Flensburg Darüber hinaus wird speziell für männliche Opfer sexueller Gewalt ab 16 Jahren an drei Standorten (Kiel, Flensburg, Elmshorn) ein Beratungsangebot mit insgesamt 90.000 Euro vom Land gefördert. Im Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz ist seit dem 1. Juli 2020 eine Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straftaten und deren Angehörige eingerichtet , deren Angebot allen Betroffenen einer Straftat zur Verfügung steht. Von dort aus beantwortet ein Team aus zwei Juristinnen, einer Pädagogin und einer Justizangestellten u. a. verfahrensunabhängige Fragen zu Zeugen- und Opferrechten und vermittelt an Opferhilfeeinrichtungen, psychosoziale Prozessbegleiter/innen sowie an Ansprechpersonen zum Thema Opferentschädigung. Im Übrigen wird auf den 4. Opferschutzbericht der Landesregierung (LT-Drs. 18/5142) verwiesen. Eine Aktualisierung ist für 2021 geplant. Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 8 7. Welche Therapieangebote stehen den Tätern zur Verfügung? (bitte Aufschlüsselung auf Kreise und kreisfreie Städte) Antwort: Therapeutische Leistungen für Sexual- und Gewaltstraftäterinnen und für Sexualund Gewaltstraftäter - auch in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen - werden in Schleswig-Holstein vorrangig durch forensische Ambulanzen nach § 68a StGB erbracht. Die Anerkennung einer therapeutischen Einrichtung als forensische Ambulanz erfolgt durch das für Justiz zuständige Ministerium. Forensische Ambulanzen leisten im Auftrag des für Justiz zuständigen Ministeriums forensisch kompetente Behandlung und Betreuung von Menschen, die im Rahmen von strafbaren Handlungen entsprechende gerichtliche Weisungen erhalten haben oder sich freiwillig einer derartigen Behandlung und Betreuung unterstellen. Die Finanzierung der forensischen Ambulanzen erfolgt durch das für Justiz zuständige Ministerium auf Grundlage der Richtlinie zur Förderung von Maßnahmen der Freien Straffälligenhilfe und von Maßnahmen des Opferschutzes 2019 bis 2021 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein 2019; Ausgabe 14. Januar 2019, S. 28ff). Als forensische Ambulanzen anerkannt sind die folgenden Einrichtungen: - Forensische Fachambulanz des „Zentrums für Integrative Psychiatrie (ZIP) – Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie (AFPP)“ Standort: Kiel - Forensische Fachambulanz der „pro familia Schleswig-Holstein“ Standorte: Flensburg Kiel (mit Außenstelle Neumünster) Lübeck (mit Außenstelle Neustadt i.H.) - Forensische Fachambulanz des „Wendepunkt e.V.“ Standorte: Elmshorn Hamburg-Altona Die breit verteilten Standorte der forensischen Ambulanzen gewährleisten eine gute Erreichbarkeit aus allen Regionen des Landes. Für finanziell bedürftige Klientinnen und Klienten mit justiziellen Weisungen besteht die Möglichkeit einer Fahrtkostenübernahme vom Wohnort zu den Therapiestandorten und zurück durch das für Justiz zuständige Ministerium. In Einzelfällen finanziert das für Justiz zuständige Ministerium Therapien auch bei qualifizierten ortsansässigen Therapeuten. Das ZIP in Kiel ist darüber hinaus Träger des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“, das auf Initiative der Landesregierung seit 2009 in Schleswig-Holstein besteht. Pädophile Männer und Frauen erhalten hier die Möglichkeit, anonym und kostenfrei an einer sexualmedizinisch- sexualtherapeutischen Diagnostik, Beratung und Therapie teilzunehmen . Die Betroffenen, die befürchten, (wieder) zum Täter zu werden, werden in ihrem selbstgesetzten Ziel unterstützt, Kindesmissbrauch oder die Verwendung von Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode Drucksache 19/2297 9 Missbrauchsabbildungen zu verhindern. Dieses Projekt wird seit 2018 als Modell durch die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert. Das für Justiz zuständige Ministerium engagiert sich weiterhin durch die Förderung einer Kampagne zur Bekanntmachung des Angebots. Eine Kooperation mit dem ZIP sowie ProFamilia als Träger findet auch für jene Täter statt, gegen die in Folge einer Verurteilung für eine Sexual- oder Gewaltstraftat - auch in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen - eine Haftstrafe vollstreckt wird. Sowohl in den Justizvollzugsanstalten Lübeck und Neumünster als auch in der Jugendanstalt Schleswig sind entsprechende regelmäßige Therapieangebote für Sexualstraftäter in Form von Einzel- und Gruppeninterventionen implementiert . Überdies wird insbesondere bei Tätern dieser Deliktgruppe bereits bei Haftantritt die Möglichkeit einer sozialtherapeutischen Behandlung geprüft. 8. Wie beurteilt die Landesregierung die Gesamtsituation im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern in Jugendlichen sowie „Kinderpornographie“ in Schleswig-Holstein? Sieht die Landesregierung konkreten Handlungsbedarf? Antwort: Der in den letzten Jahren festzustellende, dynamisch verlaufende Fallzahlenanstieg im Deliktsfeld Kinderpornografie (siehe Antwort zu Frage 1) ist in Schleswig-Holstein ebenso zu beobachten wie im übrigen Bundesgebiet. Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik zum § 184b StGB mit allen beinhaltenden Tatbestandsvarianten erfassten Fälle haben sich in Schleswig-Holstein seit dem Berichtsjahr 2016 mehr als verdoppelt . Es besteht auch per dato ein ungebrochener Trend zu einem steil dynamisch verlaufenden jährlichen Anstieg. Diese Entwicklung wird durch das Landeskriminalamt aufmerksam beobachtet, die Bearbeitung findet in den jeweiligen Sachgebieten auf den Kriminalpolizeistellen im Land statt. Der Einsatz audiovisueller Vernehmungen und die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft sind gut, allerdings sind die personellen Ressourcen auf den Dienststellen eng bemessen. Nahezu durchgehend wurden in diesem Deliktsbereich Videovernehmungen durchgeführt. Durch entsprechend angestiegenes Meldeaufkommen relevanter Inhalte wird seitens des Landeskriminalamtes von einer Dunkel-/Hellfeldverschiebung ausgegangen, die sich entsprechend im zu bewältigenden Arbeitsaufkommen der Kriminalpolizei in diesem Deliktsfeld niederschlägt, was mit einer erheblichen Ressourcenbindung einhergeht . So ist festzustellen, dass über die Jahre hinter jedem einzelnen Fall immer größere sichergestellte und durch die Polizei auszuwertende Datenvolumina stehen. Da täterseitig immer größere Speicherkapazitäten genutzt werden, bedeutet dies in der Folge einen erheblichen Auswerteaufwand, d. h. vorrangig personellen Aufwand. Darüber hinaus ist die Weiterentwicklung einer angemessenen Sachausstattung ebenfalls Gegenstand derzeitiger Betrachtung. Als Beispiel genannt sei die derzeit betriebene Entwicklung neuronaler Netze, - sog. „künstliche Intelligenz“ -, zur Detektierung deliktischen Datenmaterials und diesbezügliche Entlastung bzw. Effizienzsteigerung der Sachbearbeitung. Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 10 Die Ansprechstelle Kinderpornografie des LKA hält insofern sowohl intensive Präventionsanstrengungen für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Vermittlung digitaler Medienkompetenz, als auch eine Intensivierung der Sachbearbeitung für erforderlich. Dies sowohl unter der Prämisse der Verhinderung, Opfer (von z. B. Cybergrooming oder der unbefugten Weitergabe selbst gefertigter freizügiger Aufnahmen) zu werden, jedoch ebenso, um der Begehung von Taten durch mangelndes Unrechtsbewusstsein vorzubeugen. Aus Sicht des Landespräventionsrates wird insgesamt ein weiterer Handlungsbedarf im Umgang mit der potentiellen Opfergruppe (Kinder und Jugendliche) an sich gesehen . Das Augenmerk soll hierbei in der ganzheitlichen, institutionellen Begleitung/Unterstützung der Zielgruppe durch Akteure liegen, die aktiv in diesem Bereich tätig sind. Ziel muss es dabei sein, durch pädagogisch aufbereitete Maßnahmen und Aktionen , Kinder und Jugendliche weiterstgehend zu sensibilisieren, zu stärken und umfassend im Sinne der Sexualpädagogik auch über ihre Rechte aufzuklären. Soweit es um Handlungsbedarf auf der Ebene bundesgesetzlicher Regelungen, insbesondere des Straf- und Strafverfahrensrechts sowie des familiengerichtlichen Verfahrens , geht, hat die Bundesjustizministerin ein Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder bereits in Aussicht gestellt (Eckpunktepapier vom 1. Juli 2020). Die Landesregierung wird den angekündigten Gesetzentwurf zu gegebener Zeit sorgfältig prüfen und ggf. notwendige Verbesserungsvorschläge in das weitere Gesetzgebungsverfahren einbringen. Bezogen auf Schleswig-Holstein hat der Generalstaatsanwalt in seiner Jahrespresseerklärung vom 25. Juni 2020 zu den Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgeführt: „2019 ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang des Fallaufkommens zu verzeichnen. Eine kontinuierliche Entwicklung lässt sich insoweit im 10-Jahres-Vergleich aber nicht feststellen. Der Anteil der Verfahren, die im Zusammenhang mit der Nutzung von Informationstechnologie stehen, ist nach wie vor vergleichsweise hoch, was u. a. auf die zunehmende Nutzung des Internets und sozialer Medien sowie auf den Umgang - insb. junger Menschen - mit privaten Dateien und sexualbezogenen Bildern z. B. auch in Chatforen zurückzuführen ist. Die Entwicklung bedarf weiter aufmerksamer Beobachtung .“ Und zur Entwicklung der Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kinderpornographie in Schleswig-Holstein heißt es dort: „2019 ist zum wiederholten Mal ein signifikanter Anstieg der Fallzahlen festzustellen. Dieser Trend hat seine Ursache in der zunehmenden Digitalisierung und damit immer leichteren Verfügbarkeit einschlägiger Foto- und Videodateien sowie der schnell wachsenden Verbreitung entsprechenden Materials über Gruppen in Messenger-Diensten. Die im Rahmen der Ermittlungen auszuwertenden Datenmengen steigen dabei kontinuierlich an, was die Ermittlungsbehörden vor immer größere organisatorische Herausforderungen stellt. Zur Aufhellung des Dunkelfelds und infolge dessen einer Steigerung der Fallzahlen hat überdies die verstärkte Übermittlung von Erkenntnissen über strafrechtlich relevante Sachverhalte durch ausländische, insbesondere US-amerikanische Institutionen Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode Drucksache 19/2297 11 beigetragen, die aufgrund einer entsprechenden Meldeverpflichtung für in den USA ansässige Provider einen bedeutenden Umfang erlangt haben. Eine zuverlässige Bewertung des Dunkelfeldes und damit der Kriminalitätsentwicklung in diesem Bereich ist aber letztlich nicht möglich.“ Unzulängliche Kooperation und fehlende Vernetzung sind auch aus Sicht des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren bedeutsame Risikofaktoren in Fällen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Deshalb unterstützt und fördert die Landesregierung ein breites Präventionsnetzwerk mit Informations - und Beratungsangeboten öffentlicher und freier Träger. Diese Träger sind für das Land wichtige Kooperationspartner bei der fachlichen Weiterentwicklung im Bereich sexueller Gewalt und anderer Kindeswohlgefährdungen. Eine vielfältige Hilfelandschaft mit einem breiten Angebotsspektrum - von niedrigschwelligen , präventiven und mobilen Beratungsangeboten bis hin zu stationären Kriseneinrichtungen - ermöglichen passgenaue Hilfen und Interventionen, um Kinder zu schützen. Es gibt landesweit über Jahre gewachsene Kooperations- und Arbeitsstrukturen, die in Fällen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gut und professionell vor Ort zusammenarbeiten. Ergänzend gibt es eine ständige Fortschreibung in der Sensibilisierung und Fortbildung von Fachkräften wie auch der Konzipierung von präventiven Fachkonzepten. Aktuelle Themen werden aufgegriffen und zielgruppenspezifisch bearbeitet. Dennoch werden folgende Handlungsbedarfe gesehen: Sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ist im Kinderschutz ein besonders sensibles Thema, unterliegt einer stärkeren Tabuisierung und erfordert in hohem Maße Fachkompetenz und Empathiefähigkeit bei den zuständigen Fachkräften . Die Unsicherheit im Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen ist häufig groß, insbesondere bei Erzieherinnen und Erziehern und bei Lehrerinnen und Lehrern , die nicht regelmäßig mit dieser Problematik konfrontiert sind. Aus diesem Grund ist es weiter wichtig zu diesem Kinderschutzthema fortlaufend spezifische Qualifizierungen für Fachkräfte in unterschiedlichen Arbeitsfeldern anzubieten , damit ihre Handlungssicherheit gestärkt werden kann. Die aktuellen Fälle von Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster zeigen, dass den Hilfesystemen insbesondere im Bereich der sogenannten „Kinderpornografie“ und „neuen“ Medien immense Herausforderungen bevorstehen. Die Fälle zeigen auch, dass sich die Formen sexualisierter Gewalt u.a. durch Digitalisierung und Globalisierung schon seit vielen Jahren im Wandel befinden. Hier gibt es ständigen Qualifizierungs - und Handlungsbedarf, z.B. bei der Entwicklung, Umsetzung und Implementierung von professionsübergreifenden, gemeinsamen Fortbildungen für Jugendämter und Familiengerichte. Um die Kooperation an den Schnittstellen zu fördern und dem interdisziplinären Anspruch im Arbeitsfeld Kinderschutz gerecht zu werden, bedarf es fortlaufend weiterer Drucksache 19/2297 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 19. Wahlperiode 12 Anstrengungen. Sensible, kindgemäße Strafverfahren sind hier genauso zu nennen wie fachlich qualifizierte und gut ausgestattete Jugendämter und Familiengerichte. Sie bilden die Basis für einen qualifizierten Kinderschutz.