13.10.2015 Drucksache 6/1167Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 22. Oktober 2015 Masern und Infektionskrankheiten in Thüringen Die Kleine Anfrage 447 vom 7. August 2015 hat folgenden Wortlaut: Im Jahr 2015 hat die Anzahl der Masernerkrankungen den höchsten Stand seit 2001 erreicht. Vor diesem Hintergrund ist es für die Eindämmung einer weiteren Ausbreitung notwendig, einen ersten Überblick über Ursachen und Gegenmaßnahmen zu gewinnen. Ich frage die Landesregierung 1. Wie hat sich die Anzahl der jährlichen Masernerkrankungen von 1990 bis 2015 entwickelt (bitte in Jahresscheiben angeben und nach Landkreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln)? 2. Welche Ursachen liegen dieser Entwicklung zugrunde? 3. Wie hat sich die Durchimpfungsrate in Thüringen von 1990 bis 2015 entwickelt? 4. Mit welchen Mitteln versucht die Landesregierung den Schutz gegen die Verbreitung der Masern zu gewährleisten (bitte Angabe der Maßnahme und die dafür bereitgestellten Haushaltsmittel in Jahresscheiben seit 2009)? 5. Befürwortet die Landesregierung eine Impfpflicht für Infektionskrankheiten oder lehnt sie diese ab? 6. Wie hoch ist der Anteil der Masernerkrankungen und anderer Infektionskrankheiten bei Flüchtlingen und Asylbewerbern in den Erstaufnahmelagern des Freistaats Thüringen? 7. Mit welchem Szenario (prozentualer Anteil der Erkrankungen, Art der Infektionskrankheit) begründet die Landesregierung die Aufstockung der Mittel von 119.700 Euro im Ansatz des Jahres 2014 auf 1.300.000 Euro im Jahr 2015 im Haushaltstitel 08 29 685 01 "Schutzimpfungen und andere Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz "? 8. Besteht für die Landesregierung ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Masern- und weiterer Infektionserkrankungen und einer möglichen Zuwanderung infizierter Personen? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Herold (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1167 Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Eine Meldepflicht für Masern wurde in Deutschland erst mit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 1. Januar 2001 eingeführt. Nach dem vorher geltenden Bundesseuchengesetz, das durch das Infektionsschutzgesetz abgelöst wurde, waren Masern nicht meldepflichtig. Daher kann für die Jahre von 1990 bis 2000 keine Aussage zu Erkrankungszahlen getroffen werden. Tabelle 1 (siehe Anhang) gibt eine Darstellung der Erkrankungszahlen nach Meldejahr und Stadt- bzw. Landkreis. Zu 2.: Masernerkrankungen sind weltweit verbreitet. Es handelt sich um eine hochansteckende Erkrankung mit einem Übertragungsindex von fast 100 Prozent. Aufgrund der sehr hohen Kontagiösität des Erregers entwickeln fast alle ungeschützten Personen (ohne Immunität wegen fehlender Impfung oder nicht durchgemachter Masernerkrankung) klinische Symptome einer Masernerkrankung nach Kontakt mit dem Erreger. Masernerkrankungen treten zyklisch auf mit Erkrankungsmaxima alle drei bis fünf Jahre. In Thüringen wechselten sich seit 2001 Jahre, in denen kleinere Masern-Ausbrüche registriert worden waren , mit Jahren völlig ohne Erkrankungen oder lediglich Einzelfällen ab (siehe Anlage, Tabelle 1). Ursache für die relativ niedrigen Erkrankungszahlen in Thüringen sind die im Bundesvergleich hohen Durchimpfungsraten von fast 95 Prozent, obwohl keine Impfpflicht besteht. Größere Ausbrüche treten vor allem dann auf, wenn in bestimmten Populationen (sog. Clustern) größere Impflücken bestehen, sodass keine ausreichende Herdenimmunität besteht. Dies sind in Deutschland vor allem bestimmte Schulen und Gemeinschaftseinrichtungen in freier Trägerschaft, die von Kindern besucht werden, deren Eltern sich in der Regel gegenüber Impfungen ablehnend verhalten. Dies war auch bei den letzten beiden Ausbrüchen 2013 und 2015 in Thüringen der Fall. Unter solchen Umständen können sich die Erreger in der Einrichtung sowie im Familienkreis schnell ausbreiten. Zu 3.: Durchimpfungsraten gegen Masern werden in Thüringen seit 1997 im Rahmen der Untersuchungen des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes erhoben. Für Erwachsene liegen keine Daten vor. Tabelle 2 zeigt die Entwicklung der Durchimpfungsraten in Thüringen bei Kindern verschiedener Altersklassen. Tabelle 2: Altersgerechter Impfschutz bei Schülern und Vorschulkindern in Thüringen (in Prozent der untersuchten Kinder, bei denen der Impfausweis vorlag; Datenquelle: Statistik kinder- und jugendärztlicher Untersuchungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Thüringen) Schuljahr Kindergarten/ Vorschule Einschulung 4. Klasse 8. Klasse 1997/1998 3,9 21,4 94,2 95,6 1998/1999 4,1 24,7 88,5 97,0 1999/2000 3,5 29,6 78,2 97,5 2000/2001 6,0 33,1 75,3 97,2 2001/2002 16,9 43,1 74,9 97,6 2002/2003 45,7 62,3 79,4 96,0 2003/2004 68,6 75,9 83,4 91,3 2004/2005 80,9 83,5 85,5 89,3 2005/2006 87,6 88,3 87,2 89,6 2006/2007 91,2 92,4 89,3 88,5 2007/2008 92,8 94,1 91,2 90,5 2008/2009 92,3 95,1 93,7 90,9 2009/2010 93,5 94,9 94,6 92,5 2010/2011 93,0 94,8 95,6 92,7 2011/2012 92,9 94,6 96,3 93,5 3 Drucksache 6/1167Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 4.: Durch vielfältige Maßnahmen, wie z.B. anlassbezogene Impfaufrufe, Druck von Flyern, Vortragsserie zur Thüringer Gesundheitsmesse, Integration des Impfthemas in den Thüringer Gesundheitswochen, Impfbuchkontrollen durch die Kinder- und Jugendärztlichen Dienste der Gesundheitsämter, Pilotprojekt mit niedergelassenen Arztpraxen zum Impfrecall, wird versucht, den Schutz gegen die Verbreitung der Masern zu gewährleisten. Zudem erfolgt durch die Thüringer Gesundheitsämter eine aufwendige Verfolgung der einzelnen Masernfälle, um eine Weiterverbreitung zu verhindern. Ein 100-prozentiger Schutz kann jedoch nicht gewährleistet werden, da es keine Impfpflicht gibt und sich ein geringer Teil der Bevölkerung als Impfgegner bekennt. Eine Übersicht über die seit 2009 bereitgestellten Haushaltsmittel für Maßnahmen zum Schutz vor Masern sind der Tabelle 3 im Anhang zu entnehmen. Zu 5.: Eine allgemeine Impfpflicht für Infektionskrankheiten ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Deshalb wird auf Aufklärung gesetzt sowie auf die in § 1 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz verankerte Eigenverantwortung jedes Einzelnen, bei der Prävention übertragbarer Krankheiten mitzuwirken und sich selbst sowie seine Kinder durch Impfungen vor schwerwiegenden Erkrankungen zu schützen. Zu 6.: Nach dem Infektionsschutzgesetz besteht keine Übermittlungspflicht über den Status des Erkrankten (Asylbewerber oder nicht). Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist die Übermittlung dieser Daten im Rahmen der gesetzlichen Meldepflicht nicht zulässig. Aus diesem Grund sind hier keine Angaben möglich. Zu 7.: Den Flüchtlingen werden in den Erstaufnahmeeinrichtungen und dann ergänzend durch die Gesundheitsämter in Abhängigkeit vom Alter Impfungen nach den Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO ) angeboten. Gründe dafür sind die Verhinderung von Ausbrüchen von Infektionen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und anderen Asylbewerberunterkünften, der Schutz der einheimischen Bevölkerung und bezüglich Masern und Röteln das Erreichen des WHO-Ziels zur Masern- und Rötelneliminierung. Der Haushaltstitel 685 01 "Impfstoffe" wurde deshalb in 2014 auf 239.700 Euro aufgestockt und für 2015 wegen der deutlich gestiegenen Anzahl an Asylbewerbern mit 1,3 Millionen Euro angesetzt. Zu 8.: In Thüringen wurde ein solcher Zusammenhang bislang nicht festgestellt. In Vertretung Feierabend Staatssekretärin Anlage*) *) Hinweis: Auf den Abdruck der Anlage wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlage erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek . Des Weiteren kann sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden. Anlage: Tabelle 1: Aufschlüsselung der Masernerkrankungen in Thüringen nach Jahren sowie Landkreisen und kreisfreien Städten (Datenstand: 18.08.2015) Anzahl der Masern-Erkrankungen nach Jahren Landkreis/Stadt 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 LK Altenburger Land 0 0 0 0 0 LK Eichsfeld 3 1 6 0 1 LK Gotha 0 0 1 0 0 9 LK Greiz 0 3 0 1 0 LK Hildburghausen 6 6 1 0 0 2 LK Ilm-Kreis 0 1 1 0 0 2 LK Kyffhäuserkreis 1 0 0 0 3 LK Nordhausen 0 0 0 0 0 LK Saale-Holzland-Kreis 0 0 0 4 0 LK Saale-Orla-Kreis 1 0 0 0 2 LK Saalfeld-Rudolstadt 0 0 0 0 1 LK Schmalkalden-Meiningen 1 0 0 1 2 LK Sömmerda 2 0 0 2 0 1 LK Sonneberg 0 6 1 0 0 LK Unstrut-Hainich-Kreis 3 0 1 0 0 1 LK Wartburgkreis 0 1 0 0 1 LK Weimarer Land 0 0 0 4 8 0 SK Eisenach 1 1 0 0 0 SK Erfurt 1 0 1 0 11 0 111 SK Gera 0 0 0 1 0 0 SK Jena 0 0 0 1 16 3 SK Suhl 0 1 0 0 16 SK Weimar 0 1 0 10 19 9 gesamt 19 21 3 1 1 7 0 14 1 1 13 0 49 0 164 Tabelle 3: Maßnahmen und Haushaltsmittel in Thüringen zum Schutz gegen die Verbreitung der Masern Titel Maßnahme Titel Maßnahme Titel Maßnahme Jahr HH-Kapitel 0829 Titel 547 71, Nr. 7 eingestellte Mittel Teilnahme am MasernInterventionsprogramm : Druck von Merkblättern zur Aufklärung der Thüringer Bevölkerung (ausgegebene Mittel) HH-Kapitel 0829 Titel 547 71, Nr. 6 eingestellte Mittel Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt zu Masernkranken (ausgegebene Mittel) HH-Kapitel 0829 Titel 685 01 eingestellte Mittel für alle Impfstoffe (lt. Jahresschreiben für die Bereitstellung von Impfstoffen für das subsidiäre Angebot von unentgeltlichen Schutzimpfungen in öffentlichen Terminen der Thüringer Gesundheitsämter) Impfung von Asylbewerbern, subsidiäres Angebot und Impflückenschließung in Gemeinschaftseinrichtungen , hier: MMR- und MMRVImpfungen (ausgegebene Mittel) 2009 4.000,00 € keine 25.000,00 € 4.727,28 € 120.000,00 € 11.285,25 € (u.a. spezielles Projekt zur Impflückenschließung bei Berufsschülern) 2010 4.000,00 € 2.847,00 € 25.000,00 € 4.581,43 € 120.000,00 € 8.303,94 € (u.a. spezielles Projekt zur Impflückenschließung bei Berufsschülern) 2011 3.000,00 € 1.411,74 € 25.000,00 € 11.622,31 € 120.000,00 € 17.437,78 € 2012 3.000,00 € 714,72 € (u.a. Karten zur Impferinnerung 146,25 €) 25.000,00 € 27.456,33 € 120.000,00 € 16.288,46 € 2013 1.500,00 € 711,16 € (u.a. Karten zur Impferinnerung 397,21 €) 32.000 € 51.799,66 € 119.700,00 € 21.505,47 € (u.a. Impftag in Jena anlässlich Masernerkrankung (Impfung von 51 Personen =1.396 €)) 2014 1.500,00 € keine 32.000,00 € 29.827,67 € 239.700,00 € 24.712,73 €