19.10.2015 Drucksache 6/1191Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 3. November 2015 Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle (LSBTI) in Thüringen Die Kleine Anfrage 492 vom 1. September 2015 hat folgenden Wortlaut: Laut Koalitionsvertrag (Seite 27) fühlt sich die Koalition verpflichtet, Akzeptanz und Gleichstellung aller Lebensweisen zu befördern. Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen sollen in Thüringen laut Koalitionsvertrag diskriminierungsfrei und gleichberechtigt leben können und weder im Alltag noch durch Verwaltungshandeln benachteiligt werden. Das Maßnahmenbündel, welches die Landesregierung vorsieht, beinhaltet vor allem die Entwicklung eines Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt, das in einem gleichberechtigten Dialog von Vereinen und Initiativen aus dem LSBTI-Bereich einerseits und dem Land sowie den Kommunen andererseits Maßnahmen zur Überwindung diskriminierender Regelungen und Verfahren beschreiben sowie die Weiterbildung für Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie den Bildungseinrichtungen des Landes zu diesem Thema befördern soll. Ich frage die Landesregierung: 1. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie viele Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen in Thüringen leben? 2. Wenn Frage 1 mit Ja beantwortet wird: Woher stammen die Erkenntnisse der Landesregierung? 3. Wie viele Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen leben in Thüringen (bitte nach einzelnen Gruppen aufschlüsseln) und wie viel Prozent der Bevölkerung Thüringens entspricht dies jeweils? 4. Falls Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Woraus ergibt sich die Erkenntnis der Landesregierung, dass die Homosexuellen, Bi- und Transsexuellen, Transgender und intergeschlechtliche Menschen eine Gruppe bilden, die in Thüringen besonders schutzbedürftig ist? 5. Wie viele Fälle von Diskriminierung von Homosexuellen, Bi- und Transsexuellen, Transgender und intergeschlechtlichen Menschen sind seit dem Jahr 1991 bekannt (bitte aufschlüsseln nach Jahressescheiben )? Was wird dabei jeweils unter Diskriminierung verstanden? 6. Wie viele Übergriffe auf Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen sind seit dem Jahr 1991 polizeibekannt (bitte aufschlüsseln nach Jahressescheiben und Tatbestand)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Herold (AfD) und A n t w o r t der Thüringer Staatskanzlei 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1191 7. Welche diskriminierenden Regelungen und Verfahren sind in Thüringen konkret existent? Wie plant die Landesregierung gegen diese vorzugehen? 8. Welche Weiterbildungsangebote aus dem LSBTI-Bereich für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und an den Bildungseinrichtungen des Landes sind der Landesregierung bekannt? Welche Weiterbildungsangebote zu diesem Themenbereich sollen neu geschaffen werden? 9. In welcher Höhe werden Mittel für die Entwicklung eines Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt benötigt (bitte geplante Höhe aufschlüsseln nach Haushaltsjahr)? 10. Welche Laufzeit soll das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt haben? Die Thüringer Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1. bis 4.: Die Fragen 1 bis 4 werden im Zusammenhang beantwortet. Nein, und das ist gut so. Die Zeiten des Erfassens solcher Angaben sind vorbei. Im Übrigen wird auf die Drucksache 4/1113 verwiesen. Besondere Schutzbedürftigkeit ergibt sich nicht aus der Anzahl der Betroffenen. Nach der Wertung von Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes würde bereits ein Mensch genügen, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert wird, um den Schutzbereich der Verfassungsnorm zu eröffnen. Den Schutz im Einzelfall durchzusetzen ist jedoch nicht Aufgabe eines zukünftigen Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt, das im Schwerpunkt präventive Wirkung entfalten soll. Dementsprechend sind vorrangige Zielgruppe eines solchen Programms nicht Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen, sondern Menschen, welche die Akzeptanz anderer Lebensweisen und das Verständnis für Vielfalt vermissen lassen. Insoweit findet der politische Wille, ein Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt auf den Weg zu bringen, seine Begründung nicht in der "Anzahl" von Homosexuellen , Bi- und Transsexuellen, Transgender und intergeschlechtlichen Menschen, sondern allein in deren Erfahrungen des Verhaltens ihnen gegenüber. Der diesbezüglich über Jahre auch wissenschaftlich fundiert publizierte Erfahrungshorizont von Betroffenen, bietet Veranlassung genug, hier tätig zu werden. Laut Thüringen-Monitor 2014 war bei 23 Prozent der Thüringer Bevölkerung Homosexuellenfeindlichkeit festzustellen . Dass Homophobie ausagiert wird und nicht nur im mentalen Bereich der Einstellungsträger verbleibt , belegen nicht nur die Erfahrungsberichte Einzelner, sondern eine Vielzahl von Untersuchungen. Stellvertretend seien hier genannt der European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey aus dem Jahr 2013 der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), die Studie des Instituts für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel "Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen schwuler und bisexueller Männer" aus dem Jahr 2013 im Auftrag der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung, die Studie (2010-2012) zu Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen von lesbischen und bisexuellen Frauen und Trans*Personen in Deutschland von LesMigraS (Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin e.V.), der Auswertungsbericht zur Online-Befragung "Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen " zur Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen in Rheinland-Pfalz sowie die Auswertung der Onlinebefragung zur Lebenssituation von LSBTTIQ -Menschen in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2014. Zu 5. und 6.: Die Fragen 5 und 6 werden im Zusammenhang beantwortet. Eine solche Statistik wird in der Thüringer Landesverwaltung nicht geführt. Die Bezeichnungen "Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen " werden im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistik bei Opfern nicht erfasst und können demzufolge nicht recherchiert werden. Die Polizei verfolgt alle Straftaten unabhängig von der sexuellen Orientierung der geschädigten Person. Richtet sich die strafbare Handlung gegen eine Person aufgrund ihrer tatsächlichen sexuellen Orientierung, handelt es sich um eine Straftat, die der Hasskriminalität (sexuelle Orientierung) zugeordnet wird. Bislang wurde ein Fall wegen des Verdachts der Volksverhetzung im Jahr 2013 registriert. 3 Drucksache 6/1191Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 7.: Die Identifizierung diskriminierender Regelungen und Verfahren und die Beschreibung von Maßnahmen zu deren Überwindung ist Teil des im Koalitionsvertrag beschriebenen partizipativen Prozesses zur Entwicklung eines Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt. Zu 8.: Das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien bietet im Rahmen seines zentralen Fortbildungsangebots auch Veranstaltungen an, die den Bereich LSBTI thematisieren. Dies erfolgt jedoch überwiegend nicht als eigenständiges Schwerpunktthema. Die Thematisierung hängt mit der Philosophie der Thüringer Lehrpläne zusammen, die alle Fächer auf individuelle Förderung und Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichten (vgl. Leitgedanken zu den Thüringer Lehrplänen https://www.schulportal-thueringen.de/web/guest/ media/detail?tspi=1382). Darüber hinaus befassen sich die Fächer Ethik und Biologie speziell auch in den Fachlehrplänen mit der Thematik. Im Rahmen der Implementation dieser Lehrpläne wurden nach 2012 zur in Rede stehenden Thematik die Fachlehrer auch zu diesem Themenfeld fortgebildet. Eine spezielle Weiterbildung, wie in Frage 8 angesprochen, wird derzeit für Lehrerinnen und Lehrer nicht angeboten. Sollten sich über die genannten Maßnahmen hinaus Bedarfe abzeichnen, die mit der Lehrplanumsetzung dieses Themenfeldes im Zusammenhang stehen, wird entsprechend der artikulierten Bedarfe reagiert. Im vorliegenden Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Thüringer Lehrpläne vorsehen, dass Schülerinnen und Schüler den LSBTI-Bereich kennen und die dortigen Orientierungen als gleichberechtigte sexuelle Ausrichtungen biologisch wie ethisch ansehen (vgl. Lehrpläne der Fächer Biologie und Ethik). Dem übergeordnet steht der Grundsatz und das explizite Lernziel: "Der Schüler kann Respekt als Voraussetzung für gelingendes menschliches Miteinander akzeptieren" (Lehrplan Ethik). Die Umsetzung der Lehrpläne und die entsprechende Qualifizierung des Personals können auch in schulinternen Fortbildungen erfolgen. Vom Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Meiningen wird im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Polizeivollzugsbeamten die Gleichstellung von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität anlassbezogen berücksichtigt. Bereits im Rahmen der Ausbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes werden Anwärter in verschiedenen Lernbereichen der Ausbildung mit dem benannten Thema konfrontiert und sollen somit in die Lage versetzt werden, sich selbst- und sozialkritisch ebenso mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Im Studienverlauf des Bachelorstudienganges (gehobener Polizeivollzugsdienst) sind vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung stetige Anpassungen an die zu vermittelnden Lehrinhalte erfolgt. Module wie Berufsethik, Rolle und Selbstverständnis beziehen die oben genannte Thematik mit ein. Die Ermittlung des weiteren Bedarfs an Weiterbildungsangeboten für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und an den Bildungseinrichtungen des Landes ist ebenfalls Teil des Prozesses zur Entwicklung eines Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt. Zu 9.: Gesonderte Haushaltsmittel zur Entwicklung des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt wurden nicht ausgewiesen. Es ist beabsichtigt hierfür Haushaltsmittel aus den Titeln 02 01 531 77 - Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen - sowie 02 01 684 77 - Zuweisungen und Zuschüsse für Maßnahmen der Thüringer Antidiskriminierungsstelle - der Titelgruppe 77 - Antidiskriminierungsstelle - einzusetzen. Zu 10.: Die Erörterung der zeitlichen Dimension ist ebenfalls Thema des Dialogprozesses zur Entwicklung des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt. Prof. Dr. Hoff Minister