20.10.2015 Drucksache 6/1192Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 3. November 2015 Gespräche zur Lernentwicklung Die Kleine Anfrage 504 vom 2. September 2015 hat folgenden Wortlaut: § 59 a der Thüringer Schulordnung sieht "Gespräche zur Lernentwicklung" in den Klassenstufen 1 bis ein schließlich 9 zwingend und ohne Anlass vor. Diese finden zur Beratung der Eltern und des Schülers min destens einmal im Schuljahr statt. Auf einen konkreten Anlass wird nicht abgestellt. Ich frage die Landesregierung: 1. Inwieweit hält die Landesregierung den Zwang zur Teilnahme der Eltern an den Gesprächen zur Lern entwicklung ohne konkreten Anlass für notwendig? 2. Welche Gründe gab es für die Einführung der Gespräche zur Lernentwicklung? 3. Welchen Mehrwert haben die Gespräche zur Lernentwicklung im Vergleich zu Elternsprechstunden, Elternsprechtagen, Hausbesuchen, Klassenelternversammlungen und klassenübergereifenden Eltern versammlungen? 4. Ist bereits eine Evaluierung dieser Gespräche erfolgt? Wenn ja, wie lauten die Ergebnisse? 5. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob diese Gespräche von den Eltern als Berei cherung empfunden werden? 6. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, diese Gespräche auf freiwilliger Basis und nicht ver pflichtend für alle Schüler durchzuführen? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: In Thüringen haben Schülerinnen und Schüler generell einen Anspruch darauf, in ihrem Lernprozess individu ell unterstützt zu werden. Dies weist der im Thüringer Schulgesetz (ThürSchulG) festgeschriebene Bildungsund Erziehungsauftrag deutlich aus, indem er alle Schulen zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler als durchgängiges Prinzip des Lehrens und Lernens verpflichtet (§ 2 Abs. 2 ThürSchulG). Dazu dienen auch die Bemerkungen zur Lernentwicklung (§ 60 a Thüringer Schulordnung - ThürSchulO) und das K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Brandner (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1192 Gespräch zur Lernentwicklung (§ 59 a ThürSchulO). Grundsätzlich sollen Schülerinnen und Schüler dadurch befähigt werden, das eigene Lernen zu reflektieren, um zunehmend bewusster die eigenen Lernprozesse zu gestalten und somit immer mehr Verantwortung für den eigenen Entwicklungsprozess zu übernehmen. Zu 1.: Das "Gespräch zur Lernentwicklung" ist in das Verfahren zu den "Bemerkungen zur Lernentwicklung" ein gebettet und bezieht sich auf die dort genannten Schwerpunkte, Ziele und Maßnahmen. Grundsätzlich kann bei der Teilnahme der Sorgeberechtigten am "Gespräch zur Lernentwicklung" des Kindes oder des Jugendlichen nicht von Zwang gesprochen werden, da von einem generellen Interesse aller am Lernpro zess beteiligten Personen ausgegangen wird. Eine Teilnahme der Sorgeberechtigten ergibt sich auch aus dem Sachverhalt heraus, dass die Kinder oder Jugendlichen zum Zeitpunkt der "Gespräche zur Lernent wicklung" noch nicht volljährig sind. Nach § 18 ThürSchulO besitzen die Sorgeberechtigten das Recht auf Information bzw. nach § 19 Thür SchulO das Recht auf Elternsprechstunden, Elternsprechtage und Elternversammlungen. Das Gespräch zur Lernentwicklung ist somit der Anlass selbst. Zu 2.: Mit der Änderung der Thüringer Schulordnung (ThürSchulO) vom 7. Juli 2011 sind § 59 a "Gespräch zur Lernentwicklung" und § 60 a "Bemerkungen zur Lernentwicklung" aufgenommen worden. Diese sollten und sollen dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Schule und Sorgeberechtigten im Hinblick auf die Lern entwicklung jeder einzelnen Schülerin/jedes einzelnen Schülers und die individuellen Fördermöglichkeiten zu verbessern. Die Sorgeberechtigten erhalten durch die "Bemerkungen und das Gespräch zur Lernentwick lung" nicht nur eine präzise Rückmeldung, sondern sind auch in den schulischen Lernprozess einbezogen. Für den Lehrer ist das Gespräch zur Lernentwicklung ein wichtiges diagnostisches und lernförderliches In strument zur Förderung der jeweiligen Schülerinnen und Schüler. Es dient gleichzeitig zur Reflexion des ei genen Unterrichts. Zu 3.: Am Gespräch zur Lernentwicklung nehmen die Schüler, die Sorgeberechtigten und der Klassenlehrer teil; auf Wunsch der Gesprächsteilnehmer können weitere Personen (Fachlehrer, Erzieher, Schulsozialarbeiter u. a.) eingeladen werden. Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen die individuelle Lernentwicklung, der indi viduelle Lernprozess des Kindes oder Jugendlichen und der Austausch darüber mit allen Beteiligten. Der Zusammenarbeit der Schule mit den Eltern dienen insbesondere Elternsprechstunden, Elternsprechtage, Klassenelternversammlungen und Elternversammlungen (§ 19 Abs. 1 ThürSchulO). Die Klassenlehrer hal ten wöchentlich eine Elternsprechstunde außerhalb ihrer Unterrichtszeit ab. In jedem Schuljahr wird mindestens ein Elternsprechtag abgehalten, an dem die Lehrer den Eltern zur Ver fügung stehen. Meist finden diese ohne Beisein des Kindes oder des Jugendlichen statt. Klassen- und Stammkurselternversammlungen dienen vorrangig dazu, den Eltern und Sorgeberechtigten insbesondere Erziehungs- und Unterrichtsziele sowie unterrichtliche Verfahrensweisen zu erläutern (§ 19 Abs. 4 ThürSchulO). Individuelle Aussagen zum Leistungsstand bzw. zum individuellen Lernprozess eines Kindes oder Jugendlichen sollten aus datenschutzrechtlichen Gründen bei zentralen Zusammenkünften nicht gegeben werden. Zu 4.: Bisher hat keine datenbasierte Evaluation dieser "Gespräche zur Lernentwicklung" stattgefunden. Aller dings wurden Erfahrungsberichte und Reflexionen aus regionalen oder schulspezifischen Fortbildungen genutzt, um weitere Materialien zur Unterstützung zu erarbeiten bzw. Fortbildungsformate abzuleiten. Zu dem wurden dazu zahlreiche Beispiele von "Bemerkungen und Gesprächen zur Lernentwicklung (Zielfor mulierungen, Unterstützungsmaßnahmen, Einschätzungen zur Lernentwicklung) gesichtet und analysiert. Aus datenschutzrechtlichen Gründen können die Inhalte der Dokumente des "Gesprächs zur Lernentwick lung" oder auch das Gespräch selbst nicht ohne weiteres evaluiert werden. Zu 5.: Zahlreiche Rückmeldungen zu verschiedenen Anlässen bestätigen, dass Eltern in dieser Art der Rückmel dung eine individuelle Unterstützung des Lernprozesses ihres Kindes oder Jugendlichen sehen und sie sich aktiv eingebunden fühlen. Eine auf Daten basierte, generalisierte Erkenntnislage liegt nicht vor. 3 Drucksache 6/1192Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 6.: Dem § 2 ThürSchulG liegt ein Bildungsverständnis zugrunde, das die Subjektposition von Kindern und Ju gendlichen betont. Das bedeutet, auf die unterschiedlichen Bildungsbedürfnisse der Kinder und Jugend lichen einzugehen, was sich in der Individualisierung von Bildungsangeboten unter Berücksichtigung der verschiedenen Lern- und Entwicklungsstände der Schülerinnen und Schüler zeigt. Lernen ist ein individu eller Prozess und verläuft bei jedem Individuum in einer je eigenen Weise, eigenem Tempo und nach eige nen Bedürfnissen. Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen ist es, diesen Lernprozess bei Schülerinnen und Schülern zu begleiten und individuell zu unterstützen. Im Sinne einer lernförderlichen individuellen Zielsetzung und Rückmeldung ist es dabei wichtig, den Schü lerinnen und Schülern zu helfen, sich bewusst zu machen, welche Lernfortschritte sie wie erreicht haben und dass dies Ausgangspunkte für die nächsten Entwicklungsschritte sein können. Unterstützend wird der Einsatz schulinterner Beobachtungs- und Einschätzungsinstrumente sowie der Einsatz von Instrumenten zur Selbsteinschätzung des Schülers empfohlen. Die Durchführung der "Bemerkungen und des Gesprächs zur Lernentwicklung" auf freiwilliger Basis würde eine Ungleichbehandlung der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf förderliche und individuelle Lernbe gleitung darstellen und konträr dem Anspruch auf Chancengleichheit im Rahmen von gebotener Unterstüt zung im Lern- und Entwicklungsprozess der Schülerinnen und Schüler liegen. Ferner müsste für eine Freiwilligkeit der "Bemerkungen und des Gesprächs zur Lernentwicklung" eine Än derung der Schulgesetzgebung erfolgen. In Vertretung Ohler Staatssekretärin