04.12.2015 Drucksache 6/1387Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 22. Dezember 2015 "Reichsbürger" in Thüringen Die Kleine Anfrage 582 vom 13. Oktober 2015 hat folgenden Wortlaut: Medienberichten zufolge (Ostthüringer Zeitung vom 17. September 2015) rechnet das Thüringer Innenministerium mit rund 100 "Reichsbürgern" im Freistaat, Tendenz steigend. Allerdings sei die Gruppe "sehr heterogen ", die konkreten politischen Ansichten verschieden. Wegen ihrer rechtsextremistischen Bezüge würden die "Reichsbürger" vom Verfassungsschutz beobachtet. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich Organisation, personeller Stärke, Zusammensetzung , Herkunft, Anführerschaft, Motivation und Gesinnung, regionaler und örtlicher Treffpunkte, durchgeführter Aktionen, öffentlicher medialer Aktivitäten (Nutzung Internet, soziale Netzwerke) sowie Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren von sogenannten "Reichsbürgern" vor? 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über Verbindungen von sogenannten "Reichsbürgern" zu als rechtsextrem eingestuften Parteien? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Eine einheitliche "Reichsbürgerbewegung" mit festen Strukturen gibt es in Thüringen nicht. Es agieren aber zahlreiche Einzelpersonen und vereinzelt lose Gruppierungen, die dieser Bewegung zuzuordnen sind, weil sie unter Berufung auf die Fortexistenz des Deutschen Reiches (in den Grenzen von 1937 bzw. 1918) die Existenz der Bundesrepublik leugnen und das Grundgesetz, bundesdeutsche Gesetze, Bescheide und Gerichtsurteile für nichtig halten. Im Namen so genannter "Reichsregierungen" (z. B. die "Kommissarische Reichsregierung des Staates 2tes Deutsches Reich", "Die Exilregierung Deutsches Reich") geben sie sich u. a. als "Minister", "Staatssekretäre " oder "Richter des Reichsgerichtshofes" aus und benutzen Fantasiepapiere wie "Reichsführerscheine", "Reichs-personenausweise" oder "Reichsgewerbescheine". In der Regel treten "Reichsbürger" erst dann öffentlich in Erscheinung, wenn sie von behördlichem Handeln (wie Verwaltungsakten) betroffen sind. Sie versuchen sich staatlichen Maßnahmen zu entziehen, in K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Walk (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1387 dem sie jedes behördliche oder gerichtliche Handeln als rechtswidrig darstellen und nicht selten Entscheidungsträgern bis hin zu "Verhaftungen" oder der "Todesstrafe" drohen. Das Reichsbürgerspektrum umfasst sowohl gefestigte Rechtsextremisten aber auch Querulanten, geistig Verwirrte bzw. psychisch erkrankte Personen und "Trittbrettfahrer" mit reiner Zahlungsverweigerungsabsicht. Mediale Auftritte der "Reichsbürger" bzw. ihrer "Reichsregierungen" erfolgen in der Regel im Internet über eigene Homepages (wie www.buerger-der-exilregierung.de, www.freistaat-preussen.info, www.rechtssachverstaendiger .de) und die Video-Plattform "Youtube". Ein bekennender "Reichsbürger" trat auch bei THÜGIDA-Veranstaltungen als Redner bzw. Anmelder auf. In Thüringen sind ca. 200 Personen den so genannten "Reichsbürgern" zuzuordnen. Statistische Erkenntnisse zu Straf- und Ordnungswidrigskeitsverfahren liegen nicht vor. Nachfolgende Aktionen sind zuletzt bekannt geworden: Datum Ort Vorfall Juni 2012 Amtsgericht Gera Erforderlichkeit der Beschlagnahme einer Waffe nach Einzug der Waffenbesitzberechtigung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens 29.11.2012 Amtsgericht Weimar Versuch der Stürmung des Büros und der "Verhaftung" einer Gerichtsvollzieherin mit ca. 6 bis 7 Personen, die dem "Deutschen Polizeihilfswerk" zuzuordnen waren 13.12.2012 Amtsgericht Nordhausen Ungenehmigter Mitschnitt eines Telefonats mit dem Direktor des Amtsgerichts in einer Familiensache und Veröffentlichung dieses Mitschnitts auf der Plattform "Youtube" 14.12.2012 Amtsgericht Sondershausen Ungenehmigter Filmmitschnitt einer Hauptverhandlung in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren und Veröffentlichung dieses Mitschnitts auf der Plattform "Youtube" 16.01.2013 Amtsgericht Mühlhausen Störung des Verlaufs eines Zwangsversteigerungstermins, die nur durch den Einsatz von Wachtmeistern unterbunden werden konnte 16.04.2013 Amtsgericht Eisenach Störung einer Hauptverhandlung mit Missbrauch des Notrufs der Polizei, um einen Einsatz gegen den verhandelnden Vorsitzenden zu erreichen 12.03.2014 Amtsgericht Sömmerda Störung einer Hauptverhandlung durch den Bevollmächtigten einer dieser Bewegung zugehörigen Angeklagten, der auch in der NPD aktiv ist 07.07.2014 Amtsgericht Sondershausen Störung einer Hauptverhandlung 10.02.2015 Amtsgericht Stadtroda Veröffentlichung eines heimlich aufgenommenen Fotos von Gerichtsvollzieherinnen im Internet und Wertung als "Freiberufler " 18.03.2015 Amtsgericht Stadtroda Störung und Blockade einer Hauptverhandlung durch Angeklagten und ca. 15 Sympathisanten 20.04.2015 Amtsgericht Sömmerda Beleidigung der Richterin sowie Videoaufnahme einer Hauptverhandlung mit nachfolgender Einstellung in Youtube unter ",Preussen--Jack’ BRD-Scheingericht" Des Weiteren werden in den letzten Jahren Thüringer Justizbedienstete durch Anhänger der "Reichsbürgerbewegung " vielfach mit Schadensersatzforderungen überzogen, wobei die entsprechenden Schreiben zum Teil an Privatadressen zugestellt werden. Es wurde u. a. versucht, das elektronische Mahnverfahren und die fehlende Erforderlichkeit der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses auszunutzen, um gegen Bedienstete im Bezirk des Thüringer Oberlandesgerichts Vollstreckungstitel zum Teil in Millionenhöhe zu erzielen. Auch gelang es, unter Ausnutzung von EU-Zustellvorschiften angebliche Forderungen gegen Thüringer Justizbedienstete geltend zu machen und diese in ein US-amerikanisches Forderungsverzeichnis eintragen zu lassen. 3 Drucksache 6/1387Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 2.: Der Landesregierung liegen gegenwärtig keine Erkenntnisse über strukturierte Kontakte bzw. Verbindungen von "Reichsbürgern" zu als rechtsextrem eingestuften Parteien in Thüringen vor. Bekannt ist, dass sie vereinzelt an Veranstaltungen (z.B. Versammlungen) rechtsextremistischer Parteien teilnehmen. Dr. Poppenhäger Minister