28.12.2015 Drucksache 6/1557Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 18. Januar 2016 Thüringer Polizei: Personalbestand, Bedarf und Belastung Die Kleine Anfrage 608 vom 22. Oktober 2015 hat folgenden Wortlaut: Im Zuge der Evaluation der Polizeistrukturreform soll insbesondere geprüft werden, ob die Landespolizei ihren Aufgaben mit dem vorhandenen und zukünftigen Personalbestand effektiv nachkommen kann. Die Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Thüringen, hat bereits mehrfach auf die steigende Belastung der Polizei infolge des vermehrten Zustroms von Asylbewerbern aufmerksam gemacht und eine Berücksichtigung der hieraus resultierenden zusätzlichen Belastungen im Rahmen der Evaluation der Polizeistrukturreform gefordert. Eine Abarbeitung von normalen Fällen sei auf Grund von Arbeitsüberlastung kaum noch möglich und wenn, dann mit Überstunden. Ich frage die Landesregierung: 1. Nach welchen Kriterien wird derzeit der Personalbedarf der Thüringer Polizei ermittelt (z.B. Entwicklung der Straftaten, Bevölkerungsprognosen etc.)? 2. Welche Tatverdächtigenbelastungszahlen hatten die sieben Thüringer Landespolizeiinspektionen im bisherigen Jahresverlauf (bitte nach den einzelnen Landespolizeiinspektionen aufgliedern)? 3. Welche Häufigkeitszahlen hatten die sieben Thüringer Landespolizeiinspektionen im bisherigen Jahresverlauf (bitte nach den einzelnen Landespolizeiinspektionen aufgliedern)? 4. Wie steht Thüringen im Vergleich mit anderen Bundesländern da, was die Polizeidichte angeht (Verhältnis der Soll-Stärke des Polizeivollzugsdienstes zur Einwohnerzahl des Landes)? Wie sieht es hier auch mit Reservekräften bei der Bereitschaftspolizei aus? 5. Hält die Landesregierung den aktuellen Personalbestand der Thüringer Polizei vor dem Hintergrund der gegen beziehungsweise durch Asylbewerber begangenen Straftaten und Aufgaben des Objektschutzes für Asylbewerberunterkünfte und Landeserstaufnahmestellen sowie des Streifendienstes vor Asylbewerberunterkünften und Landeserstaufnahmestellen für ausreichend (wenn ja, bitte ausführlich begründen)? 6. Inwiefern werden bei der Personalzuweisung zu einzelnen Dienststellen (Landespolizeiinspektionen, Polizeiinspektionen, Polizeistationen) besondere Gefährdungslagen (z.B. vermehrte Anzahl von Straftaten ) berücksichtigt? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Kießling (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1557 7. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um die Thüringer Polizei zu entlasten (z.B. Reduzierung des Umfangs der Erfüllung mancher Aufgaben, Übertragung der Aufgaben auf kommunale Ordnungsbehörden oder andere Ressorts der Landesregierung, private Wachdienste etc.)? 8. Wie sollen die Überstunden, die die Polizeibediensteten seit längerem anhäufen, abgebaut werden? Lässt die aktuelle Regelung es zu, dass alle Überstundentage in das Jahr 2016 übernommen werde können oder sollen diese vergütet werden? Wenn nein, was ist geplant, um den Einsatz anzuerkennen? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 (Eingang: 28. Dezember 2015) wie folgt beantwortet: Zu 1.: Grundlage der personellen Ausstattung der Thüringer Polizei bilden die vom Haushaltsgesetzgeber beschlossenen Stellenpläne. Der Personalbedarf für die Abteilung Polizei im Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales sowie für die Polizeibehörden und -einrichtungen der Thüringer Polizei orientiert sich dabei in erster Linie an den zu erledigenden Aufgaben in der gewählten Aufbauorganisation und an den zugewiesenen Haushaltsstellen. Die personelle Ausstattung der Polizeidienststellen erfolgt belastungsabhängig. Hierzu wird unter Berücksichtigung der Kriterien Straftaten- und Verkehrsunfallaufkommen, Einwohnerzahl, Größe des Zuständigkeitsbereichs sowie Einwohnerdichte für jede einzelne Dienststelle eine Sollstärkenberechnung (Dienstpostenanzahl ) vorgenommen. Diese bildet die Basis für die Personalzuweisungen. Zu 2.: Die Tatverdächtigenbelastungs- und Häufigkeitszahlen werden für jedes Kalenderjahr aus den in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Daten ermittelt. Diese können im Jahresverlauf aufgrund von Qualitätskontroll- bzw. Korrekturmaßnahmen sowie Schwankungen in der Kriminalitätslage und der Intensität der Kriminalitätsbekämpfung Änderungen unterliegen. Bei einer Betrachtung der Tatverdächtigenbelastungs - und Häufigkeitszahlen des Jahres 2015 zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde sich daher ein verzerrtes Bild ergeben. Darauf abstellende Wertungen wären damit unseriös. Insoweit wird auf die bereits vorliegende und veröffentlichte Datenbasis der PKS des Jahres 2014 verwiesen.1 Danach ergeben sich für die sieben Landespolizeiinspektionen folgende Tatverdächtigenbelastungs- und Häufigkeitszahlen: Landespolizeiinspektion Tatverdächtigenbelastungszahl Häufigkeitszahl Erfurt 3.767 8.462 Gera 2.880 8.036 Gotha 2.555 5.699 Jena 2.837 6.108 Nordhausen 2.344 5.208 Saalfeld 2.688 6.095 Suhl 2.451 4.763 Zu 3.: Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Zu 4.: Die sogenannte Polizeidichte stellt das Verhältnis der in den Haushaltsplänen ausgebrachten Planstellen des Polizeivollzugsdienstes zur Einwohnerzahl dar. Die Bereitschaftspolizei findet hier bereits vollständig Berücksichtigung, so dass eine "Reserve" nicht besteht. Thüringen ist bei einer Personalbedarfsberechnung auf Basis des Polizeidichtevergleichs als eines der "kleinen Länder" mit wenigen Einwohnern grundsätzlich im Nachteil. Die Gewährleistung der polizeilichen Grundbetreuung in der Fläche erfordert das Vorhalten entsprechender Dienststellen. Je mehr Dienststellen in der Fläche zu unterhalten sind, desto größer ist der Personalanteil, 3 Drucksache 6/1557Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode der für Führungs- und Sicherstellungsaufgaben benötigt wird. Damit reduziert sich der Anteil des Personalkörpers mit operativen Aufgaben. Für Länder mit einer hohen Einwohnerdichte besteht dieses Problem nicht. Eine Übersicht über die Polizeidichte der einzelnen Länder für das Jahr 2014 ist als Anlage beigefügt. Diese beruht auf einer im 2-Jahres-Turnus vom Land Nordrhein-Westfalen initiierten Datenerhebung. Zu 5.: Die Planung und der Einsatz von Kräften und Mitteln der Thüringer Polizei erfolgt entsprechend der konkreten Lage und in Abhängigkeit von definierten Schwerpunkten. Ressourcenbedingt kann dabei eine Aufgabenpriorisierung erforderlich werden. Um die Thüringer Polizei in die Lage zu versetzen, schon im Vorfeld Konfliktpotenzial in und an Gemeinschaftsunterkünften sowie Landesaufnahmestellen zu erkennen, erarbeitete das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales bereits im August dieses Jahres ein entsprechendes 5-Punkte-Programm. Es umfasst unter anderem taktische und technisch-organisatorische Festlegungen sowie gesonderte Personalbedarfsprüfungen für Dienststellen mit besonderen Aufgabenstellungen. Zudem sollen die interkulturelle Kompetenz der Thüringer Polizeibeamtinnen und -beamten gestärkt sowie die polizeilichen Ermittlungen optimiert und dabei insbesondere beschleunigt werden. In Reaktion auf die hohe Einsatzbelastung der Thüringer Polizei beschloss die Landesregierung die nachträgliche Einstellung von 30 zusätzlichen Polizeianwärtern zum 1. November 2015. Damit wurden in diesem Jahr insgesamt 155 Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamte neu eingestellt, so viel, wie seit dem Jahr 2011 nicht mehr. Zu 6.: Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Ergänzend dazu ist anzumerken, dass bei der Sollstärkenberechnung für die Polizeidienststellen das Straftatenaufkommen, wie auch die Anzahl der Verkehrsunfälle, im Vergleich zu den übrigen Belastungskriterien überproportional Berücksichtigung findet. Wesentliche Steuerungsgröße bei der belastungsabhängigen Personalzuweisung sind die alljährlich im Zusammenhang mit der Übernahme der Absolventen der Bildungseinrichtungen in den aktiven Polizeidienst vorzunehmenden Personalplanungen. Ziel dabei sind möglichst ausgeglichene Besetzungsgrade zwischen den Behörden und Dienststellen der Landespolizei. Auf kurzfristige oder temporäre Lageänderungen wird mit gezielten Unterstützungsmaßnahmen durch behördeneigene Einsatzkräfte reagiert. Bei Erfordernis leisten Einsatzkräfte anderer Polizeibehörden, insbesondere der Bereitschaftspolizei, entsprechende Unterstützung. Darüber hinaus sind bei andauernder Schwerpunktsetzung auch längerfristige Personalzuweisungen zur Verstärkung besonders belasteter Dienststellen möglich. Zu 7.: Im Sinne eines effektiven und effizienten Personal- und Ressourceneinsatzes ist auch die Thüringer Polizei gefordert, sich verstärkt auf die eigenen polizeilichen Kernaufgaben zu konzentrieren. Insoweit gilt es, bislang von der Polizei erbrachte Leistungen dahingehend zu prüfen, ob diese eine vollzugspolizeiliche Qualifikation erfordern oder eine Abgabe bzw. Rückübertragung an originär zuständige Behörden oder an Private möglich und sinnvoll ist. Bereits in der Vergangenheit hierzu angestellte Überlegungen hatten zum Ergebnis, dass eine Aufgabenreduzierung in der Thüringer Polizei regelmäßig zu einer Aufgabenmehrung in anderen Bereichen der Landesverwaltung führen würde. Eine finanzielle oder personelle Entlastung ergäbe sich für den Freistaat somit in der Summe nicht. Auch eine mögliche Übernahme bislang von der Polizei wahrgenommener Aufgaben durch die Kommunen (Ordnungsbehörden) dürfte an dem dann durch diese aufzubringenden finanziellen und personellen Mehrbedarf scheitern. Andere für eine Abgabe oder Reduzierung identifizierte Aufgabenfelder wurden aufgrund bestehender bundesrechtlicher Zuständigkeiten oder mangels erzielbarer Einsparpotenziale nicht weiter verfolgt. Dennoch konnte eine Entlastung der Thüringer Polizei in bestimmten Aufgabenbereichen durch eine Beauftragung Dritter realisiert werden (z.B. Teilprivatisierung von Objektschutzaufgaben und Gutachtertätigkeiten). 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1557 Die Regierung tragenden Parteien verständigten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf, eine weitere Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben auszuschließen. Gleichwohl besteht nach wie vor die Absicht, Maßnahmen zur Entlastung der Thüringer Polizei zu identifizieren und einzuleiten. Insoweit werden die Themenfelder Aufgabenkritik und -reduzierung auch Gegenstand der bereits begonnenen Evaluation der Polizeistrukturreform sein. Zu 8.: In Interpretation der Fragestellung ist davon auszugehen, dass unter dem verwendeten und nicht näher bestimmten Begriff der "Überstunden" sowohl Mehrdienstleistungen im Sinne der Thüringer Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten2 als auch Mehrarbeit im Sinne des Thüringer Beamtengesetzes zu verstehen sind. Mehrdienstleistungen von Polizeivollzugsbeamten werden im Rahmen des Jahresarbeitszeitkontos grundsätzlich innerhalb des laufenden Kalenderjahres durch Dienstbefreiung ausgeglichen. Im Ausnahmefall können Zeitguthaben von bis zu 60 Stunden in das Folgejahr übernommen werden. Sofern eine über die regelmäßige (Jahres-)Arbeitszeit hinausgehenden Inanspruchnahme in Form der Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erforderlich werden sollte, ist nach § 59 Abs. 4 des Thüringer Beamtengesetzes für geleistete Mehrarbeit von mehr als fünf Stunden im Monat innerhalb eines Jahres entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für bis zu 480 Stunden im Jahr eine Mehrarbeitsvergütung erhalten. Eine etwaige Vergütung von Mehrarbeit wird nach Maßgabe der Thüringer Mehrarbeitsvergütungsverordnung gezahlt. Dr. Poppenhäger Minister Anlage3 Endnote: 1 Vergleiche hierzu Jahrbuch zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2014, Seite 60 und Anlagen; veröffentlicht unter: http:// www.thueringen.de/mam/th3/polizei/tlka/jahrbuch_2014_neu.pdf. 2 Mehrdienstleistungen sind gemäß § 2 Abs. 4 der Thüringer Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten Dienstleistungen im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit, die über die dienstplanmäßige oder die selbst bestimmte Arbeitszeit hinausgehen, soweit sie ein Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit überschreiten. 3 Hinweis: Auf den Abdruck der Anlage wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlage erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek. Des Weiteren kann sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden. Anlage Baden-Württemberg 24.000 10.631.278 443 Bayern 32.108 12.604.244 393 Berlin 16.420 3.421.829 208 Brandenburg 7.456 2.449.193 328 Bremen 2.802 657.391 235 Hamburg 7.728 1.746.342 226 Hessen 13.737 6.045.425 440 Mecklenburg-Vorpommern 5.124 1.596.505 312 Niedersachsen 18.135 7.790.559 430 Nordrhein-Westfalen 40.150 17.571.856 438 Rheinland-Pfalz 9.278 3.994.366 431 Saarland 2.746 990.718 361 Sachsen 10.865 4.046.385 372 Sachsen-Anhalt 6.407 2.244.577 350 Schleswig-Holstein 6.538 2.815.955 431 Thüringen 6.338 2.160.840 341 Summe 243.735 80.767.463 331 * Stand 31.12.2013 (Quelle Statistisches Bundesamt) Übersicht Polizeidichte - Haushaltsjahr 2014 - Land Planstellen Polizeivollzugsdienst (PVD) Einwohner (EW)* Verhältnis PVD zu EW 1 zu …