19.01.2016 Drucksache 6/1627Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 1. Februar 2016 Kontrollpraxis bei Verkehrsunternehmen Die Kleine Anfrage 686 vom 25. November 2015 hat folgenden Wortlaut: Die Berufskraftfahrer müssen lückenlose Nachweise ihrer Arbeitszeiten einschließlich der Lenk- und Ruhezeiten erbringen. Als zuständige Kontrollbehörden fungieren das Bundesamt für Güterverkehr und die Polizei, welche eventuelle Verstöße aufnehmen und an die Verfolgungsbehörde weiterleiten; in Thüringen ist dies das Landesamt für Verbraucherschutz. Von der Verkehrsbranche wird die Praxis der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten kritisiert, da weder die besondere Arbeitssituation der Kraftfahrer noch die Aktivitäten der Unternehmen zur Einhaltung der Sozialvorschriften verlässlich in die Bewertung von Verstößen einbezogen werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Gibt es EU-einheitliche Vorschriften zur Durchführung von Kontrollen der EU-Sozialvorschriften sowie zur Ahndung von Verstößen gegen diese und wenn ja, wie lauten diese? 2. Wenn Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Gibt es bundeseinheitliche Vorschriften zur Durchführung von Kontrollen der EU-Sozialvorschriften sowie zur Ahndung von Verstößen gegen diese und wie lauten diese? 3. Gibt es eine Bagatellgrenze, wonach die Kontrollbehörden auf eine Anzeige bei geringfügigen Verstößen verzichten (beispielsweise Überschreitung der Tageslenkzeit um maximal drei Prozent und Ähnliches)? 4. Wenn Frage 3 mit Ja beantwortet wird: In welcher Kontroll- beziehungsweise Durchführungsrichtlinie ist diese Bagatellgrenze verbindlich niedergeschrieben? 5. Gibt es eine Bagatellgrenze, wonach die Verfolgungsbehörden auf eine Geldbuße bei geringfügigen Verstößen verzichten können? 6. Wenn Frage 5 mit Ja beantwortet wird: In welcher Kontroll- beziehungsweise Durchführungsrichtlinie ist diese verbindlich niedergeschrieben? 7. Wenn Frage 5 mit Nein beantwortet wird: Wie ist die Positionierung der Landesregierung zur Einführung einer Bagatellgrenze in dieser Frage? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Worm (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1627 8. Wie werden Fehler, die sich aus einer Fehlbedienung des Kontrollgeräts ergeben, im Vergleich zu fahrlässigen beziehungsweise vorsätzlichen Verstößen geahndet? 9. Gibt es eine verbindliche Plausibilitätsprüfung bei der Anzeige von Bedienungsfehlern, um diese zu verifizieren? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 18. Januar 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkungen: In Thüringen sind gemäß § 2 in Verbindung mit der Anlage Verzeichnis III lfd. Nr. 4.4 und 4.5 der Thüringer Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes (ThürASZustVO) vom 8. August 2013 (GVBl. S. 208) bezüglich der Sozialvorschriften im Straßenverkehr zuständige Kontrollbehörden : • im Rahmen der Verkehrsüberwachung die Polizeibehörde, • in Unternehmen des Bergbaus, auch soweit diese am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, bei Aufsichtsmaßnahmen im Betrieb oder auf dem Betriebsgelände, das Thüringer Landesbergamt und • im Übrigen das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz. Für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Sinne der Sozialvorschriften im Straßenverkehr sind zuständig: • im Rahmen der Verkehrsüberwachung durch Verwarnungsgeld die Polizeibehörde, • in Unternehmen des Bergbaus, auch soweit diese am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, bei Aufsichtsmaßnahmen im Betrieb oder auf dem Betriebsgelände, das Thüringer Landesbergamt und • im Übrigen das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) überprüft im Rahmen der Straßenkontrollen nach dem Güterkraftverkehrsgesetz die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten sowie die Beachtung der Vorschriften zum Kontrollgerät . Die Kontrolleure des Bundesamtes sind befugt, in- und ausländische Kraftfahrzeuge der Güterbeförderung sowie Omnibusse anzuhalten und zu kontrollieren. Werden bei der Kontrolle bestimmte Zuwiderhandlungen festgestellt, übermittelt das BAG derartige Feststellungen den zuständigen Behörden. Zu den EU-Sozialvorschriften zählen: • Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des EU-Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr. Sie regelt insbesondere die zulässigen Lenk- und Ruhezeiten. • Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr. Sie regelt insbesondere die Pflicht zum Einbau eines Kontrollgerätes und die Benutzung des Kontrollgerätes. Die VO (EWG) Nr. 3821/85 wird ab dem 2. März 2016 vollständig durch die neue Verordnung (EU) Nr. 165/2014 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr ersetzt. Die Artikel 24, 34 und 45 dieser Verordnung gelten ab dem 2. März 2015, die übrigen Vorschriften gelten ab 2. März 2016. • Europäisches Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) und das AETR-Änderungsgesetz. Das AETR trifft im Wesentlichen den EU-Vorschriften entsprechenden Reglungen für grenzüberschreitende Verkehre mit den Vertragsstaaten des AETR. Zu den nationalen Sozialvorschriften im Straßenverkehr zählen: • Gesetz über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (Fahrpersonalgesetz - FPersG): Es regelt u. a. die nationale Durchführung der EU-Sozialvorschriften und des AETR, insbesondere die Zuständigkeiten zum Vollzug der Sozialvorschriften und die Ahndung von Verstößen. • Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonalverordnung - FPersV): Sie regelt u. a. die Lenk- und Ruhezeiten sowie Art und Umfang der Aufzeichnungen für Güterbeförderungsfahrzeuge , deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger mehr als 2,8 Tonnen und nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt und für Linienomnibusse mit einer Linienlänge bis zu 50 Kilometer. • Arbeitszeitgesetz (ArbZG): Es legt mit § 21 a ArbZG für die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Straßentransport , für die die EG-Vorschriften gelten, Bestimmungen zur höchstzulässigen Arbeitszeit und zu tarifvertraglichen Regelungen fest. • Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern: Es regelt die Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, die hauptsächlich Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben. 3 Drucksache 6/1627Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 1.: Zur Durchführung von Kontrollen der EU-Sozialvorschriften geben die Richtlinie 2006/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestbedingungen für die Durchführung der Verordnungen (EWG) Nr. 3820/85 und (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über Sozialvorschriften für Tätigkeiten im Kraftverkehr sowie die Richtlinie 2009/5/EG der Kommission vom 30. Januar 2009 zur Änderung von Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG verbindliche Vorgaben. Anhang III enthält Leitlinien für die Aufteilung von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 in bestimmte Kategorien gemäß ihrer Schwere (sehr schwerwiegender Verstoß, schwerwiegender Verstoß, geringfügiger Verstoß). Die oben angeführte, im Weiteren bezeichnete EG-Kontrollrichtlinie, dient der harmonisierten Auslegung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr durch die Festlegung von Mindestanforderungen für die einheitliche und wirksame Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen durch die Mitgliedstaaten. Im Rahmen der Kontrollen soll der Anteil der kontrollierten Arbeitstage von Fahrern in Fahrzeugen, die unter die Sozialvorschriften fallen, stufenweise auf vier Prozent erhöht werden; seit dem 1. Januar 2010 umfasst der Kontrollumfang zurzeit mindestens drei Prozent der Arbeitstage von Fahrern. Mindestens 30 Prozent aller überprüften Arbeitstage sind bei Straßenkontrollen und mindestens 50 Prozent der überprüften Arbeitstage sind bei Kontrollen auf dem Betriebsgelände von Unternehmen zu prüfen. Unternehmen mit einer hohen Risikoeinstufung sind strenger und häufiger zu prüfen. Dafür haben die Mitgliedsstaaten ein Risikoeinstufungssystem zu errichten. Die nationale Umsetzung der EG-Kontrollrichtlinie erfolgte durch Bekanntgabe eines entsprechenden Erlasses des Bundesministeriums für Verkehr vom 2. Februar 2007 (VkBl. 2007 S. 73 bis 76). Mit Beschluss des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) zur 56. LASI-Sitzung am 8./9. September 2010 unter TOP 9.2 haben die Länder ein Konzept für ein System zur Risikoeinstufung von unter die Sozialvorschriften im Straßenverkehr fallenden Betriebe eingeführt, nach dem auch in Thüringen verfahren wird. Zu 2.: Die Antwort erübrigt sich aufgrund der Ausführungen zu Frage 1. Zu 3. bis 6.: Die Fragen 3 bis 6 werden gemeinsam wie folgt beantwortet: Die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten liegen im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde (Opportunitätsgrundsatz, § 47 Abs. 1 Satz 2 Ordnungswidrigkeitengesetz - OWiG). Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann die Verwaltungsbehörde dem oder der Betroffenen eine Verwarnung anbieten. Eine Verwarnung kann mit und ohne Verwarngeld in Höhe von 5,00 bis 35,00 Euro erhoben werden (§ 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit hat die Verwaltungsvorschrift - Grundsätze für die Verfolgung und Ahndung von Verstößen auf dem Gebiet des Fahrpersonalrechts vom 12. September 2012 (ThürStAnz Nr. 45/2012 S. 1699 bis 1729) erlassen, die sich an der LASI-Veröffentlichung LV 49 "Buß- und Verwarnungsgeldkataloge zum Fahrpersonalrecht" orientiert. Bagatellgrenzen, wonach die Kontrollbehörden auf eine Anzeige bei geringfügigen Verstößen bzw. die Verfolgungsbehörden auf eine Geldbuße bei geringfügigen Verstößen verzichten können, sind darin nicht vorgesehen . Bei einem festgestellten Verstoß ist bei der Bemessung und Festsetzung der Bußgeldhöhe zunächst von dem Regelsatz in den Buß- und Verwarnungsgeldkatalogen auszugehen. Unter Beachtung des Ordnungswidrigkeitengesetzes sind dann die ersichtlichen Umstände des Einzelfalles, u.a. auch die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit zu prüfen und in der abschließenden Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen . Eine Ermäßigung des Regelsatzes kommt u. a. auch in Betracht, wenn im Einzelfalle der Vorwurf geringer erscheint, als dies für durchschnittlich vorwerfbares Handeln angezeigt ist. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1627 Zu 7.: Die Landesregierung sieht keine Notwendigkeit für die Einführung einer Bagatellgrenze, bei der regelmäßig auf die Verfolgung und Ahndung von geringfügigen Verstößen verzichtet wird. Es wird auf das Opportunitätsprinzip nach Ordnungswidrigkeitengesetz und die Ermessensentscheidung verwiesen, die der zuständigen Behörde das Recht einräumt, in begründeten Einzelfällen unter der Berücksichtigung der Gesamtumstände von einer Anzeige oder der Ahndung eines geringfügigen Verstoßes abzusehen. Mit der Festlegung von Bagatellgrenzen würden faktisch die festgelegten maximalen Lenkzeiten bzw. Mindestfahrtunterbrechungen oder Mindestruhezeiten durch neue Bestimmungen (z. B. zulässige Tageslenkzeit von neun Stunden plus drei Prozent sind neun Stunden und 16,2 Minuten!) ersetzt. Dies würde sowohl mit den EU-Sozialvorschriften als auch mit den nationalen Bestimmungen und dem Ordnungswidrigkeitenrecht nicht zu vereinbaren sein. Zu 8.: In den Sozialvorschriften im Straßenverkehr ist die ordnungsgemäße Bedienung des Kontrollgerätes vorgeschrieben . Bei einer "Fehlbedienung" handelt es sich in der Regel um eine Ordnungswidrigkeit gemäß der genannten EU-Verordnungen, die im Fahrpersonalgesetz und der Fahrpersonalverordnung konkret als Zuwiderhandlungen des Fahrers definiert sind. Wird durch die Thüringer Polizei bei Straßenkontrollen gegebenenfalls unter Verwendung entsprechender Hard- und Software zum Auslesen und Auswerten der im digitalen Kontrollgerät bzw. auf Fahrerkarten gespeicherten Aufzeichnungen eine Fehlbedienung festgestellt, kann diese als fahrlässige Handlung mit einem Verwarngeld geahndet werden. In den meisten Fällen verzichten die Beamten des Polizeivollzugsdienstes im Rahmen der Anwendung des Opportunitätsprinzips auf das Angebot einer gebührenpflichtigen Verwarnung oder einer Anzeige, wenn es sich um einen geringfügigen Verstoß durch ein nachvollziehbares Versehen des Kraftfahrers bei der Eingabe von Aktivitäten in das Kontrollgerät handelt. Im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wird geprüft, ob es sich um versehentlich falsche manuelle Einträge und damit einen fahrlässigen Verstoß oder ob es sich gegebenenfalls sogar um eine Manipulation wie z. B. die vorsätzliche Verwendung einer fremden Fahrerkarte handelt, was einen Straftatbestand darstellt. In diesem Fall wird eine Strafanzeige erstattet. Die vorsätzliche Fehlbedienung ist nach Artikel 9 Anhang III der Richtlinie 2006/22 EG als sehr schwerwiegender Verstoß eingestuft und wird grundsätzlich mindestens mit einem Bußgeld geahndet. Eine Überprüfung einer Anzeige kann in der Folge aber auch zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG führen. Vergleichbares gilt für das Strafverfahren. Zu 9.: Eine definierte verbindliche Plausibilitätsprüfung ist nicht existent. Bedienungsfehler, z.B. das nicht oder nicht ordnungsgemäße Schalten bzw. Drücken des Zeitgruppenschalters, werden von den Kontrollgeräten nicht angezeigt. Allerdings wird die Plausibilität der Aufzeichnungen grundsätzlich immer geprüft. Dies erfolgt durch das eingesetzte Kontrollpersonal und gehört zur Auswertungsroutine. In Anzeigen von Polizeibehörden oder dem Bundesamt für Güterverkehr zu Lenkzeitverstößen an die Bußgeldbehörde wird dokumentiert, wenn möglicherweise Bedienfehler am Digitaltachograph (DTCO) vorliegen . Im Rahmen der Bearbeitung der Anzeigen und der Auswertung der auf dem Schaublatt, im Massenspeicher des Tachografen oder auf der Fahrerkarte aufgezeichneten analogen oder digitalen Daten und weiterer Nachweise wird diesem Hinweis nachgegangen. Die nicht ordnungsgemäße Bedienung des Kontrollgerätes kann auch im Rahmen der Auswertung aller der Behörde zur Verfügung stehenden, aufgezeichneten digitalen oder analogen Daten über Lenk- und Ruhezeiten sowie weiterer Nachweise festgestellt werden. Auch im Rahmen der Anhörung zu festgestellten Verstößen durch die Behörde wird durch den Fahrer gelegentlich dargelegt, dass das Kontrollgerät versehentlich falsch bedient wurde. Wenn die Angaben glaubhaft sind, wird der betreffende Verstoß in der Verstoß-Liste gelöscht und nicht geahndet. Hierbei handelt es sich jeweils um Prüfungen und Ermessensentscheidungen im Einzelfall. 5 Drucksache 6/1627Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Die Regionalinspektionen des TLV ziehen die Verantwortlichen des Verkehrsunternehmens und den Kraftfahrer als Beteiligte bei der Bewertung der festgestellten Verstöße im Rahmen des schriftlichen und mündlichen Anhörverfahrens und bei Betriebsprüfungen mit ein. Werner Ministerin