29.02.2016 Drucksache 6/1817Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 15. März 2016 Obdachlosigkeit in Thüringen Die Kleine Anfrage 753 vom 6. Januar 2016 hat folgenden Wortlaut: Laut Thüringer Allgemeine vom 2. November 2015 sind die Thüringer Obdachlosenunterkünfte für den Winter gerüstet. Dabei beruft sich die Thüringer Allgemeine auf eine Umfrage in den größeren Städten. Aufgrund des eintretenden Winters besteht die Notwendigkeit, die Versorgung von obdachlosen Personen zu optimieren. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Obdach- und Wohnungslose gibt es nach Kenntnis der Landesregierung derzeit in Thüringen und wie hat sich die Zahl in den vergangenen fünf Jahren verändert (bitte Einzelaufstellung nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? 2. Wie stellen sich nach Kenntnis der Landesregierung Altersstruktur und das Zahlenverhältnis von Männern und Frauen der Obdach- und Wohnungslosen dar und wie hoch ist der Anteil der Alleinerziehenden und wie viele Familien sind betroffen (bitte Einzelaufstellung nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? 3. Wie viele Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose existieren nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen (bitte aufschlüsseln nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? 4. Auf welcher Grundlage wird nach Kenntnis der Landesregierung der jeweilige Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten ermittelt? 5. Wie hoch ist nach Kenntnis der Landesregierung die Anzahl derjenigen Menschen, die in sogenannten Gewährleistungswohnungen untergebracht sind (bitte Einzelaufstellungen nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? 6. Welche Einrichtungen mit welchen Angeboten werden nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen für die Versorgung von Obdachlosen vorgehalten und welche finanziellen, materiellen und anderweitigen Angebote stehen Obdach-, Wohnungslosen sowie von Wohnungsverlust bedrohten Personen in Thüringen zur Verfügung und wie werden diese Angebote jeweils in Anspruch genommen? 7. Sieht die Landesregierung hinsichtlich der Obdach- und Wohnungslosigkeit in Thüringen Handlungsbedarf , wenn ja, welchen, wenn nein, wie wird dies begründet? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Herold (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1817 8. Befürwortet die Landesregierung, insbesondere mit Blick auf das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip , die Einführung einer Bundesstatistik, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Deutschland amtlich zu erfassen und damit die Grundlage eines wirkungsvollen präventiven Agierens gegen Wohnungsnotfälle zu schaffen und wie begründet sie ihre diesbezügliche Position? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 29. Februar 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Die Unterbringung und Betreuung obdachloser Personen ist eine Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung . Eine gesetzliche Verpflichtung zur statistischen Erfassung in diesem Bereich besteht nicht, die Datenerfassung beruht auf freiwilliger Basis. Zudem sind die Begrifflichkeiten nicht einheitlich: Als obdachlos gelten Personen, die über keinen festen Wohnsitz verfügen und im öffentlichen Raum, im Freien oder in dafür kommunal vorgehaltenen Unterkünften übernachten. Weitergehend wird der Begriff der Wohnungslosigkeit unter Heranziehung der Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe in Deutschland verwendet. Danach gilt generell als wohnungslos, wer über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt. Aus den der Landesregierung vorliegenden Mitteilungen ist keine einheitliche begriffliche Zuordnung der Daten erkennbar. Unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen relativiert sich daher der Aussagegehalt der in der Kleinen Anfrage erbetenen statistischen Zusammenstellungen. Zu 1.: Die in Tabelle 1 (Anlage 1) enthaltenen Angaben beziehen sich auf die Quartalsmeldungen der Kommunen an den überörtlichen Sozialhilfeträger sowie der ARGEn/Jobcenter an das in Thüringen für den Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zuständige Ministerium. Die Meldungen beruhen auf freiwilliger Basis und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch liegt der Datensammlung keine einheitliche Systematik zugrunde und bereits die Umstrukturierung der Leistungsträger nach dem SGB II ab 2011 hatte Änderungen in der Erfassung zur Folge. Eine Erklärung der Schwankungen in den Zahlenwerten ist angesichts der in der Vorbemerkung dargestellten unspezifischen Erfassungslage nicht möglich. Zu 2.: Die in Tabelle 2 (Anlage 2) enthaltenen Angaben sind den Quartalsmeldungen der Sozialhilfeträger an den überörtlichen Sozialhilfeträger entnommen. Der Familienstatus wird nur vereinzelt übermittelt, so dass die Datenbasis nicht valide ist. Die Meldungen insgesamt beruhen ohnehin auf freiwilliger Basis und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Einheitlichkeit in der Systematik. Die ARGEn/Jobcenter erheben keine Daten nach Altersstruktur bzw. nach männlich und weiblich. Zu 3. bis 5.: Zu den Fragen 3 bis 5 liegen der Thüringer Landesregierung keine Informationen vor. Zu 6.: Das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - sieht in den §§ 67 bis 69 Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vor. Hiernach sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind und keine Hilfen nach dem SGB XII oder dem SGB VIII vorrangig sind. Die Leistungen umfassen alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere Beratung und persönliche Betreuung für die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. 3 Drucksache 6/1817Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Obdachlose können derartige Hilfen in Anspruch nehmen. Sie können bspw. in Obdachlosenunterkünften bestehen. Der Vollzug dieser Hilfen obliegt den örtlichen Sozialhilfeträgern - den Landkreisen und kreisfreien Städten - im eigenen Wirkungskreis. In Thüringen gab es am 31. Dezember 2014 2.163 Empfänger von Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten; im Jahr 2014 betrugen die Bruttoausgaben hierfür 8.828.643 Euro. Konkrete Erkenntnisse über die Angebote im Einzelnen und deren Auslastung liegen der Landesregierung aufgrund der Natur der Aufgabe - Vollzug im eigenen Wirkungskreis als Aufgabe der örtlichen Daseinsvorsorge - nicht vor. Zu 7.: Handlungsbedarf besteht fortlaufend, dem vor Ort auch mit vielfältigen Maßnahmen begegnet wird. So können hinsichtlich der konkreten Wohnsituation vorhandene Hilfebedarfe im Einzelfall durch das sozialgesetzliche Leistungs- und Beratungssystem im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch aufgefangen werden . Auch das Wohngeldgesetz gehört in diesen Sachzusammenhang. Bei drohendem Wohnungsverlust stellen die Anordnungen über Mitteilungen in Zivilsachen sicher, dass die zuständigen örtlichen Behörden vom Amtsgericht Mitteilung über anhängige Räumungsklagen erhalten. Die örtlich vielfältig vorhandenen niedrigschwelligen Angebote ergänzen diese gesetzlichen Leistungen. Sie dienen auch der Kontaktaufnahme zu Menschen, die bereits obdachlos sind, um diese zu befähigen, in die Gesellschaft zurück zu finden. Zu 8.: Die Einführung einer Bundesstatistik wird seit vielen Jahren diskutiert, so dass die Vor- und Nachteile als bekannt voraus gesetzt werden. Unabhängig davon und ausgehend von der Überzeugung, dass nur die Gesamtbetrachtung aller sozialrelevanten Merkmale vor Ort zielführend ist, Armut zu bekämpfen und entgegen zu wirken, unterstützt und begleitet die Thüringer Landesregierung die Thüringer Kommunen in ihrer örtlichen Sozialplanung. Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit als ein Erscheinungsbild von Armut bedürfen daher der Einbeziehung in die sozialräumliche Betrachtung als Bestandteil einer nachhaltigen örtlichen Sozialplanung. Eine amtliche Bundesstatistik wird dies nicht ersetzen können, aber weiteren finanziellen und ggfs. auch personellen Aufwand mit sich bringen. Werner Ministerin Anlagen*) *) Hinweis: Auf den Abdruck der Anlagen wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlagen erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek. Des Weiteren können sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden. Anlage 1 zu KA 753 Landkreis / kreisfreie Stadt Obdachlose zum 31. Dezember 2011 2012 2013 2014 2015 Altenburger Land 15 14 10 5 3 Eichsfeld 6 0 0 0 0 Gotha 0 0 3 5 7 Greiz 15 11 4 2 7 Hildburghausen 0 0 0 0 3 Ilmkreis 39 35 12 5 3 Kyffhäuserkreis 17 10 15 16 9 Nordhausen 4 0 2 1 0 Saale-Holzland-Kreis 12 8 5 12 6 Saale-Orla-Kreis 7 7 11 11 25 Saalfeld-Rudolstadt 16 17 25 27 27 Schmalkalden-Meiningen 8 17 15 11 14 Sömmerda 0 1 7 4 1 Sonneberg 8 12 12 10 10 Unstrut-Hainich-Kreis 39 53 10 43 6 Wartburg-Kreis 2 6 1 8 10 Weimarer Land 10 7 9 2 5 Eisenach 3 0 0 0 8 Erfurt 182 177 165 197 233 Gera 80 90 35 51 41 Jena 9 7 8 19 19 Suhl 51 36 40 39 20 Weimar 57 93 107 139 115 Gesamt 580 601 496 607 572 Quelle: verwaltungsinterne Erfassung Anlage 2 zu KA 753 Altersstruktur gemeldete Anzahl durch örtliche Träger der Sozialhilfe (31.12.13) gemeldete Anzahl durch örtliche Träger der Sozialhilfe (31.12.14) gemeldete Anzahl durch örtliche Träger der Sozialhilfe (31.12.15) Alter gesamt männl. weibl. gesamt männl. weibl. gesamt männl. weibl. 0 - 3 26 10 16 29 16 13 34 16 18 4 - 6 21 13 8 27 10 17 21 9 12 7 - 10 16 8 8 27 13 14 28 15 13 11 - 17 26 18 8 35 6 29 37 29 8 18 - 25 31 15 16 52 34 18 34 15 20 26 - 35 45 21 24 75 57 18 55 21 34 36 - 45 35 21 14 39 29 10 48 26 22 46 - 55 52 28 24 48 37 11 48 20 28 56 - 56 35 21 59 43 16 58 38 20 Summe 308 169 139 391 245 146 364 189 175 Quelle: verwaltungsinterne Erfassung