01.03.2016 Drucksache 6/1821Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 16. März 2016 Einigung zur Revision der Regionalisierungsmittel - Folgen der Zustimmung des Ministerpräsidenten für den Thüringer Nahverkehr Die Kleine Anfrage 762 vom 5. Januar 2016 hat folgenden Wortlaut: Medienberichten zufolge hat Thüringens Ministerpräsident auf dem sogenannten "Flüchtlingsgipfel" am 24. September 2015 einem Kompromiss zur Revision der Regionalisierungsmittel (mit Verweis auf Protokollerklärungen ) zugestimmt. Absehbar ist, dass der Anteil Thüringens an den Regionalisierungsmitteln ab dem Jahr 2016 deutlich sinkt. Der Schienenpersonennahverkehr sieht einer gravierenden Unterfinanzierung entgegen. Es muss in den kommenden Jahren mit gravierenden Einschnitten im Thüringer Nahverkehrsangebot gerechnet werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie hat sich das Volumen der vom Bund an den Freistaat Thüringen gezahlten Regionalisierungsmittel seit dem Jahr 1996 entwickelt und wie hoch veranschlagt die Landesregierung auf der Grundlage des auf dem sogenannten "Flüchtlingsgipfel" am 24. September 2015 beschlossenen Kompromisses das zukünftig zu erwartende Volumen (bitte Angaben pro Jahr von 2015 bis 2030)? 2. Hatte der Thüringer Ministerpräsident bei den Verhandlungen in Berlin Kenntnis über die Existenz und den Inhalt der auf früheren Konferenzen der Verkehrsminister gemeinsam abgestimmten Position zur Revision der Regionalisierungsmittel, wenn nein, warum nicht und wenn ja, warum hat er sich diese Position nicht zu Eigen gemacht und einem Ergebnis zugestimmt, das Thüringen künftig deutlich schlechter stellt? 3. Wie bewertet die Landesregierung den bei den Verhandlungen erreichten Kompromiss im Hinblick auf die zukünftige Finanzierung und Entwicklung des Angebots von Schienenpersonennahverkehr im Freistaat insgesamt? 4. Plant die Landesregierung Einschnitte oder Reduzierungen im Thüringer Schienenpersonennahverkehr und wenn ja, welche? 5. Gibt es innerhalb der Landesregierung Überlegungen, aufgrund des absehbar unzureichenden Mittelvolumens , die Verkehrsleistungen auf Bahnstrecken in Thüringen abzubestellen beziehungsweise Nahverkehrsverträge nicht zu verlängern? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Malsch (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1821 a) Wenn ja, welche Bahnstrecken und Nahverkehrsverträge sind Gegenstand dieser Überlegungen? b) Wenn nein, wie will die Landesregierung das für eine Fortführung oder Ausweitung des Angebots erforderliche Finanzierungsvolumen sicherstellen? 6. Plant die Landesregierung im Lichte der zukünftigen Finanzierungsprobleme im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs die neuen verkehrspolitischen Zielstellungen, die im Koalitionsvertrag verankert sind und beispielsweise lauten: die Stärkung des Schienenverkehrs, die Einführung eines Thüringentakts, die Einführung eines Sozialtickets und eines für Auszubildende kostengünstigen Nah- und Regionalverkehrstickets sowie ein verstärkter Ausbau von Radwegen, umzusetzen, wenn ja, wie und wenn nein, warum nicht? Das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 26. Februar 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Jahr Zuweisung Bund in Millionen Euro 1996 233,6 1997 249,9 1998 255,3 1999 247,5 2000 273,0 2001 275,3 2002 269,2 2003 273,2 2004 271,8 2005 281,5 2006 281,4 2007 267,7 2008 266,3 2009 270,3 2010 274,4 2011 278,5 2012 282,7 2013 286,9 2014 291,2 2015 295,6 Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 3, 4 und 5 verwiesen. Zu 2.: Zu keinem Zeitpunkt gab es in der Ministerpräsidentenkonferenz am 24. September 2015 eine Abstimmung über die Regionalisierungsmittel und somit konnte auch keine Zustimmung des Thüringer Ministerpräsidenten zu einer Änderung der bestehenden Vereinbarungen erfolgen. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben auf ihrer Konferenz vom 15./17. Oktober 2014 die einstimmig gefassten Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz vom 11. Juli 2014 und vom 1./2. Oktober 2014 zur Revision der Regionalisierungsmittel unterstützt. In dem Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 15./17. Oktober 2014 heißt es hierzu weiter wörtlich: "Der von den Ländern in ihrem Gutachten ermittelte, bundesweite Gesamtbedarf von 8,5 Milliarden Euro im Jahr 2015 bildet aus Sicht der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder die Basis für die von den Ländern benötigten Mittel. Das anstehende Gesetzgebungsverfahren sollte die Mittel deshalb an dieser Zahl ausrichten und eine an der tatsächlichen Kostenentwicklung orien- 3 Drucksache 6/1821Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode tierte Dynamisierung der Regionalisierungsmittel mit zwei Prozent jährlich berücksichtigen. Diese Ausstattung ist zwingend Grundlage des vorgelegten Verteilungsschlüssels, ebenso wie die jährliche 1,25-prozentige Mindeststeigerung der heute in absoluten Zahlen zur Verfügung stehenden Mittel für jedes Land. Das neue Regionalisierungsgesetz sollte eine Geltungsdauer von 15 Jahren haben, um die nötige Planungssicherheit für langfristige Verkehrsverträge zu schaffen." Dem Thüringer Ministerpräsidenten waren die Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz und der Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 15./17. Oktober 2014 bei den Verhandlungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015 bekannt. Nach diesen Beschlüssen war der vorgelegte Verteilungsschlüssel (sogenannter "Kieler Schlüssel") so ausgestaltet , dass allen Ländern eine Statussicherung (mit einer Dynamisierung um 1,25 Prozent auf Basis der Zahlungen aus 2014) zugesichert war. Mit dieser Mindestsicherung begründeten die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder ihren Beschluss vom 15./17. Oktober 2014 und auch ihren Gesetzentwurf im Bundesrat vom 28. November 2014 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes , Bundesrat Drucksache 557/14). Die Mindestsicherung (oder auch Sperrklinke) war eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass die von den Ländern gemeinsam geforderten 8,5 Milliarden Euro und die jährliche Steigerungsrate von zwei Prozent vom Bund nicht zur Verfügung gestellt würden. Mit der Bereitstellung von nur acht Milliarden Euro und einer jährlichen Steigerungsrate von 1,8 Prozent ist dieser Fall nun eingetreten. Diese inhaltliche Interpretation der Beschlüsse der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und der Verkehrsministerkonferenz wird von allen Regierungschefs der ostdeutschen Länder geteilt. Das Thema Regionalisierungsmittel wurde weder vom Bund noch von einem der Länder zu der Besprechung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder untereinander oder zu der Besprechung mit der Bundeskanzlerin am 24. September 2015 angemeldet. In der Ministerpräsidentenkonferenz und in der gemeinsamen Besprechung mit der Bundeskanzlerin wurde das Thema Regionalisierungsmittel nicht aufgerufen oder debattiert. Ein Auftrag, mit der Bundesregierung zu diesem Thema zu verhandeln wurde ebenfalls nicht ausgelöst. Gleichwohl wurde am Ende der Besprechung mit der Bundeskanzlerin, basierend auf dem Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die in der Sitzung gebildet wurde, deren Auftrag weiterhin nicht Verhandlungen zum Thema Regionalisierungsmittel beinhaltete, ein Ergebnisprotokoll verteilt, das im Gegensatz zu allen Vorentwürfen überraschend auch eine Regelung zu den Regionalisierungsmitteln enthielt. Die betreffende Regelung wurde in der bereits erwähnten Bund-Länder-Arbeitsgruppe von wenigen Ministerpräsidenten mit dem Bundesfinanzminister Schäuble ausgehandelt und war den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Sitzung zuvor weder formal noch inhaltlich bekannt. Da die Besprechung der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin beendet wurde, ohne dass eine Erörterung dieses Punktes vorgenommen oder eine Entscheidung darüber im Plenum herbeigeführt wurde, hat der Thüringer Ministerpräsident dem Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015 in einem Schreiben an Frau Bundeskanzlerin Merkel in diesem Punkt unverzüglich widersprochen. Unabhängig davon hatte Thüringen in einer Protokollerklärung zum Beschluss vom 24. September 2015 deutlich gemacht, dass die Finanzierungszusagen des Bundes den tatsächlichen Herausforderungen in Ländern und Kommunen nicht ansatzweise gerecht werden. Das schließt letztlich auch die Regionalisierungsmittel ein, selbst wenn sie - unter den genannten Rahmenbedingungen - gar nicht Ausgangspunkt der Protokollerklärung gewesen sein konnten. Die Entscheidung des Thüringer Ministerpräsidenten, dem Verfahren der Beratungen und Entscheidungsfindung über die Regionalisierungsmittel in der Ministerpräsidentenkonferenz zu widersprechen, speist sich zudem aus den parallel durchgeführten Beratungen über die Regionalisierungsmittel im Vermittlungsausschuss . Der Bundesrat hatte am 27. März 2015 den Vermittlungsausschuss zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes vom 5. März 2015 angerufen. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1821 Erst am 9. September 2015 wurde hierzu eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Nach Auffassung der Thüringer Landesregierung sind die Umstände der Vereinbarung vom 24. September 2015 geeignet, den Eindruck einer Missachtung des Vermittlungsausschusses zu erwecken. Der Vermittlungsausschuss ist jedoch aus Sicht der Thüringer Landesregierung das in der Verfassung vorgesehene Instrument zur Lösung entsprechender föderaler Konfliktlagen. Am 16. Oktober 2015 hat der Bundesrat dem im Vermittlungsausschuss am 14. Oktober 2015 erzielten Kompromiss zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes zugestimmt. Diesem Vorgehen hat sich nun überraschenderweise eine große Anzahl von Westländern verweigert und behauptet, dass es nur noch den Kieler Schlüssel gäbe. Das vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats beschlossene Gesetz ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates "unter Zugrundelegung der Entwicklung der Verkehrsleistung und der Bevölkerungsentwicklung" die Verteilung der Regionalisierungsmittel festzulegen (§ 5 Abs. 4 Regionalisierungsgesetz). Die Rechtsverordnung des Bundes liegt bisher noch nicht vor. Für die Länder gilt es nun, gemeinsam mit dem Bund einen Verteilungsschlüssel festzulegen, der allen gerecht wird und der langfristig die Aufrechterhaltung von zukunftsfähigen Strukturen für den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr in Deutschland sicherstellt. Die Thüringer Landesregierung ist der Auffassung , dass die Verteilung der Mittel auf der Basis der Beschlüsse der VMK und der MPK vom Oktober 2014 und damit auf der Basis eines sach- und bedarfsgerechten Schlüssels erfolgen muss." Zu 3. bis 5.: Die Fragen 3, 4 und 5 werden wegen ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Gegenwärtig steht noch nicht fest, in welcher konkreten Höhe der Freistaat Mittelzuweisungen gemäß Regionalisierungsgesetz vom Bund erhält. Die gemäß Regionalisierungsgesetz vorgesehene Rechtsverordnung liegt der Landesregierung nicht vor. Insofern können derzeit keine verbindlichen Angaben zur künftigen Ausgestaltung des Schienenpersonennahverkehrs gemacht werden. Zu 6.: Die Landesregierung hält an den verkehrspolitischen Zielstellungen fest und wird unter Maßgabe der konkreten Finanzmittelausstattung sowie den Maßgaben des jeweiligen Landeshaushalts an deren Umsetzung arbeiten. Keller Ministerin