12.04.2016 Drucksache 6/1997Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 26. April 2016 Umsatzsteuerpflicht der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen Die Kleine Anfrage 918 vom 26. Februar 2016 hat folgenden Wortlaut: Durch das Steueränderungsgesetz 2015 wurde § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) gestrichen und dafür der § 2b eingefügt. In der Folge dieser Steuerrechtsänderungen müssen die Thüringer Kommunen ihre wirtschaftliche Betätigung umsatzsteuerrechtlich neu bewerten. In der kommunalen Praxis treten dabei immer wieder Abgrenzungsprobleme dahin gehend auf, ob erbrachte wirtschaftliche Leistungen dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind oder ob es sich bei der wirtschaftlichen Betätigung um ein Betrieb gewerblicher Art handelt. Um satzsteuerrechtliche Anwendungsprobleme gibt es auch dort, wo kommunale Unternehmen Leistungen ohne öffentlichen Wettbewerb für ihre Kommunen erbringen. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen ergeben sich für die wirtschaftliche Betätigung der Thüringer Kommunen aus dem neuen § 2b UStG? 2. Welche konkreten Leistungen der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen unter liegen durch § 2b UStG der Umsatzsteuerpflicht (bitte Einzelaufstellung)? 3. Inwieweit sind Leistungen der wirtschaftlichen Betätigung, die ohne öffentlichen Wettbewerb durch kommunale Unternehmer für ihre Kommunen erbracht werden, umsatzsteuerpflichtig? Welche der nachgefragten Leistungen unterliegen dabei aus welchen Gründen nicht der Umsatzsteuerpflicht (bitte Einzelaufstellung )? 4. Inwieweit sind Leistungen der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen, die durch einen Regiebetrieb für die eigene Kommune erbracht werden, umsatzsteuerpflichtig? Welche der nachgefragten Leistungen unterliegen dabei aus welchen Gründen nicht der Umsatzsteuerpflicht (bitte Einzelaufstellung)? 5. Inwieweit sind Leistungen der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen, die durch einen Eigenbetrieb für die eigene Kommune erbracht werden, umsatzsteuerpflichtig? Welche der nachgefragten Leistungen unterliegen dabei aus welchen Gründen nicht der Umsatzsteuerpflicht (bitte Einzelaufstellung)? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Kuschel (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Finanzministeriums 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1997 6. Wie gestaltet sich die Umsatzsteuerpflicht bei der wirtschaftlichen Leistungserbringung im Rahmen der kommunalen Gemeinschaftsarbeit für andere Kommunen? Das Thüringer Finanzministerium hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 11. April 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkungen: Mit der Neuregelung der Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) wurde ein neues System zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand geschaffen. Die Neuregelung knüpft nicht mehr an den körperschaftsteuerrechtlichen Begriff des Betriebs gewerblicher Art (§ 4 Körperschaftsteuergesetz - KStG) an. Die im Körperschaftsteuerrecht bestehenden Rechtsgrundsätze sind daher für die Umsatzsteuer künftig nicht mehr anzuwenden. Es wurden zwingend die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie die alle Mitgliedstaaten bindenden Vorgaben der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) umgesetzt. Politisches Ziel dabei war gleichwohl, soweit rechtlich möglich, den Status Quo weitgehend beizubehalten, um die steuerliche Belastung insbesondere der interkommunalen Zusammenarbeit (so genannte Beistandsleistungen) so gering wie möglich zu halten. Die Gesetzesänderung umfasst eine Übergangsregelung, auf deren Grundlage eine juristische Person des öffentlichen Rechts zur Weiteranwendung des bisher geltenden Rechts bis 31. Dezember 2020 optieren kann (§ 27 Abs. 22 UStG). Eine Arbeitsgruppe auf Bund-Länder-Ebene erarbeitet derzeit ein umfassendes Anwendungsschreiben zur gesetzlichen Neuregelung des § 2b UStG. Vor Herausgabe dieses Schreibens ist eine Anhörung der betroffenen Institutionen und Verbände vorgesehen. Zu 1.: Aus der Neuregelung des § 2b UStG ergibt sich, dass Leistungen, die eine Kommune auf privatrechtlicher Grundlage und damit unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer erbringt , stets der Umsatzsteuer unterliegen (es sei denn, es greift eine Steuerbefreiungsnorm des § 4 UStG). Das heißt, die Handlungsform auf Grundlage des Privatrechts ist immer unternehmerisch. Da die Neuregelung nicht mehr an den körperschaftsteuerrechtlichen Begriff des Betriebs gewerblicher Art (§ 4 KStG) anknüpft, ist die für den Betrieb gewerblicher Art geltende Umsatzgrenze von 30.678 Euro, bei deren Überschreiten erst eine steuerlich relevante Tätigkeit anzunehmen ist, für Zwecke der Umsatzsteuer nicht mehr anzuwenden. Umsatzsteuerrechtlich gilt folglich nur noch die Kleinunternehmergrenze des § 19 UStG (Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr <= 17.500 Euro, im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich <= 50.000 Euro). Werden die Kommunen im Rahmen der öffentlichen Gewalt, das heißt im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Sonderregelungen (zum Beisspiel aufgrund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt oder eines öffentlich -rechtlichen Vertrags) tätig, ist zu prüfen, ob eine Nichtbesteuerung der Tätigkeit zu größeren Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Anbietern gleichartiger Leistungen führen würde. In diesem Fall ist abweichend vom Grundsatz, dass Tätigkeiten, die einer Kommune im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht unternehmerisch ausgeübt werden, eine Umsatzbesteuerung vorzunehmen. Größere Wettbewerbsverzerrungen sind aufgrund gesetzlicher Festlegung ausgeschlossen, wenn der voraussichtliche Jahresumsatz der Kommune aus gleichartigen Tätigkeiten die Wettbewerbsgrenze von 17.500 Euro nicht übersteigt oder wenn vergleichbare Leistungen Privater aufgrund einer Steuerbefreiung nicht mit Umsatzsteuer belastet werden (zum Beisspiel Bildungsleistungen). Darüber hinaus ist die Frage, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, anhand der vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten, nur sehr allgemein gehaltenen Kriterien zu klären. Zum Beisspiel darf die Beurteilung der Wettbewerbssituation nicht auf den lokalen Markt beschränkt werden. Der Begriff der Wettbewerbsverzerrungen umfasst auch den potentiellen Wettbewerb, sofern er real und nicht rein hypothetisch ist. Ein Wettbewerb setzt neben der Vergleichbarkeit der Leistungen auch die Vergleichbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen voraus. 3 Drucksache 6/1997Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Hierzu wird das derzeit in Arbeit befindliche Anwendungsschreiben Erläuterungen enthalten. Leistungen im originär hoheitlichen Bereich unterliegen auch weiterhin nicht der Umsatzsteuer. Zu 2.: Die umsatzsteuerrechtliche Würdigung der Leistungen der Kommunen erfolgt immer anhand der konkreten Verhältnisse im Einzelfall. Dabei sind die unter Antwort zu Frage 1 genannten Grundsätze anzuwenden. Eine generelle Auflistung von Leistungen, die der Umsatzsteuer unterliegen, ist mangels Kenntnis der konkreten Verhältnisse in den einzelnen Kommunen nicht möglich. Gegebenenfalls werden im Anwendungsschreiben zu § 2b UStG Beispielsfälle genannt werden. In § 2b Abs. 4 Nr. 5 UStG werden unter Bezug auf Anhang I der MwStSystRL Tätigkeiten benannt, mit denen die Kommunen auf jeden Fall unternehmerisch tätig werden, sofern der Umfang nicht nur unbedeutend ist, zum Beisspiel mit der Lieferung von Wasser, Gas und Strom sowie der Personenbeförderung. Auf das als Anlage* beigefügte Prüfschema wird verwiesen. Zu 3.: Auf die Antworten zu Frage 1 und 2 wird verwiesen. Zu 4.: Für die umsatzsteuerrechtliche Würdigung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen ist es unbeachtlich, ob die Kommunen diese Leistungen im Rahmen eines Regiebetriebs oder eines Eigenbetriebs erbringen. Auf die Antworten zu Frage 1 und 2 wird verwiesen. Zu 5.: Für die umsatzsteuerrechtliche Würdigung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen ist es unbeachtlich, ob die Kommunen diese Leistungen im Rahmen eines Regiebetriebs oder eines Eigenbetriebs erbringen. Auf die Antworten zu Frage 1 und 2 wird verwiesen. Zu 6.: Da die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs insbesondere im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit zu Problemen geführt hat, weil danach auch die sog. Beistandsleistungen, die auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, immer der Umsatzsteuer unterliegen, wurde eine Sonderregelung geschaffen, um bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 UStG generell den Austausch von Leistungen zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht mit Umsatzsteuer zu belasten. Damit soll dem Aspekt Rechnung getragen werden, dass die Zusammenarbeit zum Beisspiel von Kommunen nicht marktorientiert, sondern allein im öffentlichen Interesse bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beziehungsweise der Daseinsvorsorge erfolgt. Keine unternehmerische Tätigkeit der Kommunen liegt daher vor, wenn sich die Zusammenarbeit auf Leistungen bezieht, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen (§ 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG), zum Beisspiel gemeinsame Standes- oder Ordnungsamtsbezirke , Zentralisierung der Tätigkeiten von Einwohnermeldeämtern. Darüber hinausgehend ist die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen nicht umsatzsteuerpflichtig, wenn diese durch gemeinsame spezifische Interessen bestimmt wird (§ 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG). Das heißt die Zusammenarbeit muss auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen (Buchstabe a), dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur (zum Beisspiel Verwaltungs-, Dienstleistungs- oder technische Infrastruktur ) und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe (zum Beisspiel im Rahmen eines Zweckverbandes) (Buchstabe b) dienen. Sie darf ausschließlich gegen Kostenerstattung erfolgen (Buchstabe c) und die leistende Kommune muss in dem von der Zusammenarbeit erfassten Tätigkeitsbereich im Wesentlichen ihre Leistungen für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringen (Buchstabe d). Das heißt, sie darf mit diesen Leistungen nicht überwiegend am Markt (gegenüber Privaten) tätig werden. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/1997 Die in der Regelung des § 2b UStG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe werden im - derzeit in Arbeit befindlichen - Anwendungsschreiben zu § 2b UStG erläutert werden. Auf das als Anlage beigefügte Prüfschema wird verwiesen. Taubert Ministerin Anlage 5 Drucksache 6/1997Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Anlage Anlage: Prüfschema LEISTUNGEN DER ÖFFENTLICHEN HAND GEGEN ENTGELT auf privatrechtlicher Grundlage auf öffentlich-rechtlicher Grundlage im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegend (§ 2b Abs. 1 S. 1 UStG) Tätigkeit i.S.d. § 2b Abs. 4 Nr. 1 UStG? ja nein Tätigkeit i.S.d. § 2b Abs. 4 Nr. 2 UStG? ja nein nur unbedeutender Umfang? nein ja (ggf. potentieller) Wettbewerb mit privaten Anbietern? ja nein größere Wettbewerbsverzerrungen? STEUERBAR NICHT STEUERBAR ja Gesetzesvorbehalt i.S.d. § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG? Umsatz aus gleichartigen Tätigkeiten < 17.500 €? Vergleichbare Leistungen Privater ohne Optionsmöglichkeit steuerfrei? Leistung an andere juristische Person des öffentlichen Rechts? nein ja nein nein ja nein ja nein ja Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt? nein ja Umsatzsteuerpflicht der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkungen: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Anlage