13.04.2016 Drucksache 6/2019Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 27. April 2016 Auswirkungen eines "Filtererlasses" auf Thüringer Tierhaltungsbetriebe Die Kleine Anfrage 862 vom 5. Februar 2016 hat folgenden Wortlaut: Mit einem sogenannten "Filtererlass" plant die Thüringer Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine Maßnahme mit erheblichen Auswirkungen auf die Thüringer Landwirtschaft , insbesondere auf die Thüringer Schweinehaltungsbetriebe. Der Entwurf des Filtererlasses fordert unter anderem für große Schweinehaltungsanlagen den Einbau von Abluftreinigungsanlagen zur Reduzierung von Staub-, Ammoniak- und Geruchsimmissionen als Stand der Technik. In gleicher Weise betroffen sind die Güllelagerstätten dieser Betriebe, sofern noch keine geschlossenen Lagerbehälter oder geeignete Abdeckungen vorhanden sind. Die Umsetzung des Erlassentwurfs würde zu einem nachträglichen Änderungsbedarf insbesondere bei den Thüringer Schweinehaltungsbetrieben führen, der die Wirtschaftlichkeit dieser Produktionsstätten erheblich verschlechtert. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die resultierenden Investitions- und jährlichen Nachfolgekosten auf dem deutschen Markt über höhere Stückpreise kompensiert werden. Aufgrund der Betroffenheit fast aller großen Schweinehaltungsstandorte können daraus mittelfristig Betriebsaufgaben resultieren, die zu einem Bestandsabbau in Thüringen führen werden. Mit dem Erlassentwurf geht die Landesregierung hingegen davon aus, dass die Investitions- und Betriebskosten für Abluftreinigungsanlagen in großen Schweinehaltungsanlagen als wirtschaftlich vertretbar und verhältnismäßig anzusehen sind. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie schätzt die Landesregierung die wirtschaftliche Situation in der Schweine- und Geflügelhaltung derzeit ein? Welche Tierbestandsentwicklung ist in Thüringen seit November 2014 zu verzeichnen? 2. In welchen Bundesländern existieren nach Kenntnis der Landesregierung bereits "Filtererlasse", wie hoch ist nach Kenntnis der Landesregierung der relative Anteil der Betriebe in diesen Ländern, die im Geltungsbereich der jeweiligen Erlasse liegen und welche Bundesländer haben nach Kenntnis der Landesregierung die Absicht, entsprechende Regelungen zu treffen? 3. Wie hoch ist der Tierbesatz in diesen Bundesländern im Vergleich zu Thüringen? 4. Welche Gründe hat die Landesregierung, im Erlasswege bereits vor einer bundesweit einheitlichen Novellierung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft spezielle Regelungen für das tierhaltungsarme Thüringen zu treffen? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Malsch (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2019 5. Was sind die Gründe der Landesregierung, Regelungen zu treffen, die weit über die Anforderungen der derzeit gültigen Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft hinausgehen? 6. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass es Aufgabe des Bundes ist, den Stand der Technik als bundesweit gültiges Kriterium zu definieren? 7. Welche Organisationen und Verbände wurden von der Landesregierung zum Entwurf des "Filtererlasses " angehört und wie wird die Auswahl im Einzelnen begründet? Weshalb waren ursprünglich weder der Geflügelwirtschaftsverband noch die Interessengemeinschaft der Schweinehalter oder der Rinderzuchtverband als direkte Betroffene für die Anhörung vorgesehen? 8. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse der Anhörung? 9. Welche Investitions- und Betriebskosten erwartet die Landesregierung infolge des nachträglichen Änderungsbedarfs aufgrund des "Filtererlasses" in wie vielen Schweinehaltungsanlagen? Schätzt die Landesregierung diese Kosten als wirtschaftlich vertretbar und verhältnismäßig ein und wie begründet sie dies? 10. Welche konkreten Auswirkungen hat der "Filtererlass" auf die Wirtschaftlichkeit der Schweinehaltung in den betroffenen Betrieben? Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 12. April 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Thüringer Schweinehalter müssen sich am deutschen Schweinemarkt, genauso wie in den anderen Bundesländern, behaupten. Sie erzeugen mit einem Bestand von derzeit 802.100 Schweinen ca. 75 Prozent des in Thüringen verzehrten Schweinefleisches. Die staatlichen Zuwendungen nehmen im Vergleich zu anderen Betriebszweigen in der Schweinehaltung mit der ausschließlich investiven Förderung einen nur kleinen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit. Im Schweinefleischsektor gibt es bis auf die private Lagerhaltung für Schweinefleisch kaum ausgleichende Marktstützungsmaßnahmen. Damit bestimmen die Erzeugerpreise im Wesentlichen die Höhe des Einkommens der schweinehaltenden Betriebe, aus dem die Produktionskosten (Futter, Tiere, Stall usw.) zu decken sind, den Beschäftigten ein angemessener Lebensunterhalt zu gewähren ist sowie Rücklagen für Investitionen in neue Techniken und Haltungssysteme zu tätigen sind. Mit Stichtag 31. Dezember 2014 lag der mittlere Schlachtpreis als zehnjähriger Durchschnittspreis bei 1,45 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht. Die Dynamik der Betriebsmittelpreise überstieg in den letzten acht Jahren die wirtschaftliche Leistungsentwicklung der schweinehaltenden Betriebe. Es ist davon auszugehen , dass der Ausfall der Russlandexporte und das damit gestiegende lokale Überangebot ab September 2014 zu einem deutlichen Preisverfall führte. Dadurch lagen die Schlachtschweinepreise mit 1,35 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht in den letzten acht Monaten deutlich unter den langjährigen Durchschnittswerten und ermöglichten keine kostendeckende Produktion. Nach Modellrechnungen der Agrarmarkt Informationsgesellschaft mbH (AMI) müssten für eine rentable Schweinemast mindestens 1,53 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht erzielt werden. Die Erlösbedingungen setzen dem Einsatz von Arbeitskräften deutliche Grenzen, die mittlere Anzahl zu betreuender Tierplätze je Voll-Arbeitskraft liegen heute bei über 150 Sauen- bzw. 2.000 Mastplätzen. Werden weniger Tiere je Arbeitskraft betreut, kann ein adäquates Arbeitsentgelt (Mindestlohn) nur ausgeglichen werden, wenn höhere Erzeugerpreise realisiert werden. Eine ähnliche Situation ist in der Geflügelwirtschaft festzustellen. Die Situation der Geflügelwirtschaft verschärft sich weiter durch die anhaltende Niedrigpreis-Strategie des Lebensmitteleinzelhandels. Die Tierbestandsentwicklung bei der Schweine- und Geflügelhaltung in den landwirtschaftlichen Betrieben ist der nachfolgenden Aufstellung zu entnehmen: 3 Drucksache 6/2019Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Tierkategorie 3. November 2014 3. Mai 2015 3. November 2015 Legehennen 1.914.000 1.970.000 Masthähnchen 809.000 834.000 Puten 164.000 142.000 Schweine insgesamt 853.800 811.000 802.100 davon Ferkel 350.900 365.800 377.000 davon Mastschweine 218.500 188.500 195.000 davon Zuchtschweine 101.100 97.900 93.500 (Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik, 2015) Zu 2.: In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen existieren seit 2013 und in Schleswig-Holstein seit 2014 vergleichbare Erlasse. Zu den relativen Anteilen der Betriebe in diesen Ländern, die unter den Geltungsbereich der jeweiligen Erlasse fallen, liegen der Landesregierung keine Daten vor. Ebenso hat die Landesregierung keine Kenntnis darüber, welche Bundesländer eine entsprechende Regelung beabsichtigen. Zu 3.: Nachfolgende Tabelle beziffert den Tierbesatz der Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Thüringen: Bundesland Schleswig- Holstein Niedersachsen Nordrhein- Westfalen Thüringen GVE/100 ha LF 147,9 201,6 256,3 39,1 Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2014 GVE/100 ha LF: Großvieheinheit pro 100 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche Zu 4., 5. und 6.: Große Tierhaltungsanlagen belasten in Deutschland in erheblichem Maße die Umwelt. Viel zu hohe Stickstoffeinträge führen zur Versauerung und Eutrophierung der Ökosysteme. Auf die Landwirtschaft gehen ca. 95 Prozent der Ammoniakemissionen Deutschlands zurück. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um die vorhandenen Möglichkeiten zur Reduzierung der Emissionen zu nutzen und auszuschöpfen. Dies wird auch in den Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen und des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft deutlich. Auch wenn Thüringen hinsichtlich der Viehbesatzdichte als "tierhaltungsarm" gilt, ist die Anzahl der großen Tierhaltungsanlagen bezogen auf das Schadstoffemissionsregister PRTR - Pollutant Release and Transfer Register - (Schwellenwert der Ammoniakemissionen größer 10 Tonnen pro Jahr) vergleichbar mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Diese punktuellen Schwerpunkte rufen hinsichtlich der Ammoniakemissionen und den damit verbundenen Stickstoffimmissionen entsprechend hohe Umweltbelastungen auf lokaler Ebene hervor. Von diesen Anlagen gehen weiterhin in besonderem Maße auch luftgetragene Emissionen wie Gerüche und Stäube aus. Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, einen "Filtererlass" einzuführen. Dieser basiert auf der grundsätzlichen Feststellung, dass sich der Stand der Technik seit der letzten Novellierung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (Verwaltungsvorschrift/TA Luft) im Jahr 2002 weiterentwickelt hat. Zum damaligen Zeitpunkt hatten Abluftreinigungsanlagen noch nicht den technischen Entwicklungsstand, um sie in Tierhaltungsanlagen regelmäßig einsetzen zu können. Inzwischen steht diese Emissionsminderungstechnik praxistauglich zur Verfügung. Bereits im Jahr 2001 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden , dass die zuständigen Behörden von den Anforderungen der TA Luft abweichen können, wenn sich der Stand der Technik seit Erlass der TA Luft geändert hat und der wirtschaftliche Aufwand berücksichtigt wurde . Diese Voraussetzungen können mittlerweile bei großen Anlagen zur Haltung von Schweinen als erfüllt angesehen werden. Die Bundesregierung hat angekündigt, bis Ende 2017 eine Novellierung der TA Luft und damit u. a. diesen Stand der Technik umzusetzen. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2019 Die Landesregierung hält diese Absicht für begrüßenswert, um einen bundeseinheitlichen Vollzug sicherzustellen . Diese Ankündigung ist aber kein Grund vom eingeschlagenen Weg abzuweichen, zumal in den anderen Ländern mit einem "Filterlass" die Maßnahmen bereits erfolgreich umgesetzt werden und es derzeit völlig offen ist, ob die Bundesregierung ihren Zeitplan einhalten kann. Zu 7.: Nachfolgende Organisationen und Verbände wurden zum Entwurf des "Filtererlasses" angehört: - Thüringer Bauernverband e. V. (TBV) - Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. - Thüringer Ökoherz e. V - Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Landesverband Thüringen e. V. - BUND Landesverband Thüringen e. V. - NABU Thüringen e. V - Gemeinde- und Städtebund Thüringen e. V. - Thüringischer Landkreistag Die Auswahl beinhaltete eine ausgewogene Verteilung zwischen den Verbänden der Landwirtschaft, des Natur- und Umweltschutzes und der kommunalen Spitzenverbände. Mit der Annahme, dass vom TBV auch die Mehrzahl der vom Erlassentwurf betroffenen großen Tierhalter vertreten wird, wurden keine weiteren landwirtschaftlichen Einzelverbände beteiligt. Mit der Interessengemeinschaft der Schweinehalter in Thüringen e. V. und der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e. V. stellten zwei Interessenvertreter den Antrag, ebenfalls in die Verbändeanhörung einbezogen zu werden. Diesen Bitten wurde jeweils entsprochen. Zu 8.: Die Auswertung der Ergebnisse der Anhörung ist noch nicht abgeschlossen. Es gab sowohl befürwortende als auch ablehnende Statements zum Entwurf des "Filtererlasses". Aufgrund der noch laufenden Bewertung und Diskussion hinsichtlich der Einarbeitung der Änderungswünsche und Vorschläge in den Entwurf liegen noch keine abschließenden Ergebnisse vor. Zu 9. und 10.: In Thüringen fallen 103 bestehende Schweinehaltungsbetriebe mit mehr als 2.000 Mastschweinen, 750 Zuchtsauen oder 6.000 Ferkel unter die Regelungen des geplanten Erlasses. Das sind 78 Prozent des Thüringer Schweinebestandes (667.600 Tiere), die gegebenenfalls von einer Nachrüstung betroffen sein können. Es wird keine generelle Pflicht zum Einbau einer Abluftreinigungsanlage bei Bestandsanlagen angestrebt . Bei bestehenden großen Anlagen soll es behördliche Prüfungen geben, auf deren Grundlage im Einzelfall über den nachträglichen Einbau entschieden wird. Eine Nachrüstpflicht für bestehende Anlagen besteht nur, wenn der Einbau einer Abluftreinigungsanlage technisch möglich und verhältnismäßig ist. Die konkreten Investitions- und Betriebskosten hängen deshalb ebenfalls vom Ergebnis der Einzelfallprüfung ab. Nachzurüstende Abluftreinigungsanlagen sind dabei auf die jeweilige Situation und Umweltbelastung abzustimmen, so dass auch pauschale Kostenangaben für eine einzelne Anlage nicht möglich sind. Unter der Annahme, dass alle 103 Betriebe von der Nachrüstung betroffen sind, könnte nach Angaben der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft mit einem Investitionsbedarf von bis zu 110,4 Millionen Euro und 19,5 Millionen Euro pro Jahr Betriebskosten gerechnet werden. In den Thüringer Unternehmen sind bereits zehn Abluftreinigungsanlagen in Betrieb. Der Erlass bezieht sich vor allem auf den Neubau großer Tierhaltungsbetriebe und auf größere Umbauten bestehender großer Anlagen. Hier soll eine Abluftreinigungsanlage bereits in der Planungsphase vorgesehen werden. Grundsätzlich ist es zutreffend, dass durch den Einbau und den Betrieb einer Abluftreinigungsanlage zusätzliche Kosten anfallen. In der Literatur gibt es unterschiedliche Aussagen zu den Gesamtkosten (Investitions- und Betriebskosten), die u. a. je nach unterschiedlichen Randbedingungen (z. B. Klimazone, Art der Abluftreinigungsanlage) differieren. In den betroffenen Anlagen erhöhen sich die Stückkosten kumulativ um zirka zwei Euro für ein Systemferkel mit einem Lebendgewicht von 7,5 kg, um zirka zwei Euro für ein handelsübliches Ferkel mit maximal 30 kg und um zirka fünf bis neun Euro für ein Mastschwein. 5 Drucksache 6/2019Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Deutschlandweit werden inzwischen in über 1.000 Schweinehaltungsbetrieben Abluftreinigungsanlagen betrieben. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich der Betrieb von Abluftreinigungsanlagen in großen zwangsbelüfteten Anlagen auch wirtschaftlich darstellen lässt. Siegesmund Ministerin Auswirkungen eines "Filtererlasses" auf Thüringer Tierhaltungsbetriebe Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4., 5. und 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9. und 10.: