10.05.2016 Drucksache 6/2147Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 31. Mai 2016 Weisungsgebundene Staatsanwaltschaft Die Kleine Anfrage 980 vom 17. März 2016 hat folgenden Wortlaut: Die Staatsanwaltschaft als eine nach dem Grundgesetz der Exekutive zugeordnete Behörde der Strafverfolgung ist zugleich in die Justiz eingegliedert (Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 20. Februar 2001, Randnummer 41). Dadurch erwächst im Rahmen der Gewaltenteilung ein konstitutionelles Spannungsfeld: Der Justizminister als Politiker kann bestrebt sein, eine politisch erwünschte Entscheidung der Staatsanwaltschaft zu erreichen (Neue Justiz, Heft 4, 2003, Seiten 169 ff). Neben der Alternative für Deutschland fordern auch Vertreter der Richter und Staatsanwälte aufgrund der potentiellen Möglichkeit zur Einflussnahme des Justizministeriums auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft mehr Unabhängig- und Eigenständigkeit von der Politik ("Richter und Staatsanwälte wollen weg vom 'Gängelband der Politik'", in: Thüringische Landeszeitung vom 30. Dezember 2015). Ich frage die Landesregierung: 1. Ist es korrekt, dass das Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten zur Entscheidung berechtigt, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erheben oder die Anklageerhebung unterlassen soll? 2. Hat die Landesregierung eine Verordnung erlassen, die das Weisungsrecht des Thüringer Justizministeriums oder des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft beschränkt? 3. Gibt es eine (freiwillige) Selbstbeschränkung des Thüringer Justizministeriums oder des Justizministers, auf das Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft zu verzichten? 4. In wie vielen Fällen wurde seit dem Jahr 1990 durch den jeweiligen Minister oder durch Beamte des Justizministeriums vom Weisungsrecht Gebrauch gemacht (bitte Angabe der Weisungen nach Jahr und jeweiliger Staatsanwaltschaft)? 5. In welchem Maße, wann und in welcher Form wurde die Weisungsgewalt der Justizverwaltung seit dem Jahr 1990 ausgeübt? 6. Lässt sich ausschließen, dass durch informelles Handeln eine dem Weisungsrecht im Ergebnis entsprechende Anordnung durch Dritte (zum Beispiel Generalstaatsanwalt, Abteilungsleiter oder leitende Oberstaatsanwälte ) Einfluss auf die Aktivitäten der Staatsanwaltschaft nimmt? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Brandner (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2147 7. In wie vielen Fällen haben Generalstaatsanwälte und/oder (leitende) Oberstaatsanwälte und/oder Abteilungs - und/oder Gruppenleiter in Vertretung oder Delegation seit dem Jahr 1991 in Form dienstlicher Anweisungen Einfluss auf Entscheidungen der Staatsanwälte genommen, mit denen eine richterliche Entscheidung zur jeweiligen Tat- oder Rechtsfrage erwirkt werden sollte (bitte Angabe der Weisungen nach Jahr und jeweiliger Staatsanwaltschaft)? 8. In wie vielen Fällen haben Generalstaatsanwälte, Abteilungsleiter oder (leitende) Oberstaatsanwälte auf Entscheidungen von Staatsanwälten und/oder Oberstaatsanwälten seit dem Jahr 1991 bezüglich der Anklageerhebung Einfluss genommen? 9. Was ist der Grund, dass der Justizminister, über die Kontrolle und den Vollzug der Pflichten und Rechte der Staatsanwaltschaft durch gesetzliche Vorschriften, wie zum Beispiel die Strafvereitlung im Amt (§ 258a Strafgesetzbuch [StGB]) und die Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) hinaus, ein weitergehendes Zugriffsrecht auf die Staatsanwaltschaft in Form der Weisungsgebundenheit hat und wofür wird dieses Recht benötigt? 10. Über welche Möglichkeiten verfügt der jeweils ermittelnde Staatsanwalt, sich einer Anordnung, Weisung (auch: Prüfbitten, Bitten auf Wiedervorlagen sowie angeordnete oder untersagte Anklageerhebung) zu erwehren? 11. Welcher Kontrolle unterliegt der weisungsberechtigte Vorgesetzte, auch der Minister, wenn er Weisungen erteilt und wie wird diese Kontrolle sichergestellt? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 9. Mai 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Nach § 147 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) obliegt der Landesjustizverwaltung die Aufsicht und Leitung hinsichtlich der staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes. Das Weisungsrecht dient der Erfüllung dieser Aufgabe und erstreckt sich auch auf die Frage einer Anklageerhebung. Dabei ist die Landesjustizverwaltung ebenso wie die Staatsanwaltschaft an die gesetzlichen Vorgaben gebunden , die in § 170 Abs. 1 der Strafprozessordung (StPO) vorsehen, dass die öffentliche Klage zu erheben ist, wenn die Ermittlungen dafür genügenden Anlass geben, weil der Beschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist (§ 203 StPO). Zu 2.: nein Zu 3.: Eine ausdrücklich erklärte Selbstbeschränkung im Sinne der Fragestellung gibt es bislang nicht. In der Praxis wird das Weisungsrecht, wie den Antworten auf die nachfolgenden Fragen zu entnehmen ist, jedoch sehr restriktiv gehandhabt. Auch wird aktuell geprüft, wie im Rahmen der Vorgaben des Grundgesetzes und des Gerichtsverfassungsgesetzes (vgl. Antwort zu Frage 9) eine Selbstbeschränkung in verfassungskonformer Weise ausgestaltet werden könnte. Zu 4.: Entsprechende statistische Daten liegen nicht vor. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Frage auf Weisungen im Einzelfall bezieht und nicht allgemeine Weisungen, wie sie etwa im Rahmen der bundeseinheitlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) bestehen, im Blick hat. Zu 5.: Auf die Antwort zu Frage 4 wird Bezug genommen. Mangels personeller Kontinuität kann eine Einschätzung über den erfragten Zeitraum von 26 Jahren nicht gegeben werden. Aus den letzten Jahren ist eine Weisung, die sich über die von einer Staatsanwaltschaft auch nach Erörterung weiterhin in Aussicht genommene Verfahrensweise hinwegsetzt, nicht erinnerlich. 3 Drucksache 6/2147Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 6.: Nein; um der ihr nach § 147 Nr. 2 GVG obliegenden Aufgabe der Aufsicht und Leitung hinsichtlich der staatsanwaltschaftlichen Beamten nachkommen zu können, steht die Landesjustizverwaltung in dienstlichem Kontakt mit den Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes. Im diesem Rahmen finden Erörterungen, etwa zu Rechtsfragen, statt, was im Einzelfall Einfluss auf das Handeln der Staatsanwaltschaft haben kann. Zu 7.: Entsprechende statistische Daten liegen nicht vor. Nach § 147 Nr. 3 GVG obliegt den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht und den Landgerichten die Aufsicht und Leitung hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks. Etwaige dienstliche Anweisungen sind der Erfüllung dieser Leitungs- und Aufsichtspflicht geschuldet und daher in einer vom Gesetzgeber hierarchisch ausgestalteten Behördenstruktur keine Besonderheit. Zu 8.: Entsprechende statistische Daten liegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 Bezug genommen . Zu 9.: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Gemäß Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, was einen nach Artikel 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Verfassungsgrundsatz beinhaltet. Daraus folgt, dass das Handeln der Staatsanwaltschaften als Exekutive einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen muss. Diese Kontrolle wird durch den Justizminister vermittelt, der seiner Verantwortung gegenüber dem Parlament nur gerecht werden kann, wenn er auch die Möglichkeit der Einflussnahme auf Entscheidungen der Staatsanwaltschaft durch allgemeine Weisungen oder durch Einzelfallweisungen hat. Dem hat der Bundesgesetzgeber mit der Regelung in § 147 GVG Rechnung getragen. Für die in der Frage zitierten Strafnormen (§§ 258a, 344 Strafgesetzbuch) gilt im Übrigen, dass auch deren Anwendung im Rahmen der Aufsicht und Leitung der Landesjustizverwaltung sicherzustellen ist, wofür wiederum der Minister die parlamentarische Verantwortung trägt. Zu 10.: Den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten stehen die Möglichkeiten offen, die das Beamtenrecht vorsieht. Nach § 36 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz) haben Beamtinnen und Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten , haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen oder Beamten erkennbar ist. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen. Zu 11.: Auf die Antworten zu den Fragen 1, 7, 9 und 10 wird Bezug genommen. Danach wird die Kontrolle im Rahmen der hierarchischen Struktur der Staatsanwaltschaften durch den jeweils nächst höheren Vorgesetzten sichergestellt bis hin zur Aufsicht und Leitung durch die Landesjustizverwaltung, an deren Spitze der Minister steht, der seinerseits der parlamentarischen Kontrolle durch den Landtag unterliegt. Lauinger Minister Weisungsgebundene Staatsanwaltschaft Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: