25.05.2016 Drucksache 6/2204Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 14. Juni 2016 Zahnmedizinische Versorgung von Asylsuchenden in Thüringen - Teil 1 Die Kleine Anfrage 956 vom 10. März 2016 hat folgenden Wortlaut: Bereits im Jahr 2011 gab es in Thüringen nach diversen Medienberichten heftige Debatten rund um die Problematik der zahnmedizinischen Versorgung von Geflüchteten. Hintergrund waren Berichte darüber, dass Betroffenen wiederholt Zähne gezogen wurden, obgleich eine andere Behandlung angezeigt und erforderlich gewesen wäre. Dies wurde damals unter anderem von den Oppositionsfraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, der Fraktion der SPD und dem Flüchtlingsrat Thüringen e.V. als eine Form der Körperverletzung kritisiert. Der SPD-Abgeordnete Dr. Hartung hatte damals mehrere Kleine Anfragen dazu an die Landesregierung gestellt. Diese betrafen den Zeitraum von 2006 bis 2011. In der letzten Woche im Rahmen eines Fachgesprächs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen zur gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen informierten Zahnärzte erneut über diese fragwürdige Praxis in Thüringen. Handlungsleitend für dieses Vorgehen seien auch Maßgaben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Thüringen. Bezogen wurde sich hier unter anderem auf das Rundschreiben Nummer 3/2015 vom 18. Juni 2015. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele zahnmedizinische Behandlungen wurden seit dem Jahr 2012 in Thüringen an Asylsuchenden vorgenommen (bitte nach Landkreis, kreisfreier Stadt und Jahr aufschlüsseln)? 2. Wie viele dieser Behandlungen endeten mit einer Zahnextraktion (Ziehen des Zahnes; bitte nach Landkreis , kreisfreier Stadt und Jahr aufschlüsseln)? 3. Wie hoch war im selben Zeitraum der Anteil der Zahnextraktionen an den zahnmedizinischen Behandlungen in der Thüringer Bevölkerung mit deutschem Pass? 4. Wie hoch waren die durchschnittlichen Kosten der zahnmedizinischen Behandlung je Asylsuchendem seit dem Jahr 2012 (bitte nach Landkreis, kreisfreier Staat und Jahr aufschlüsseln)? 5. Warum und mit welcher Begründung wird gegebenenfalls bei Asylsuchenden der Extraktion vor der Sanierung und dem Erhalt des Zahnes Vorrang gegeben? 6. Werden bei der Behandlung von Asylsuchenden mit Blick auf die Wahl zwischen Zahnerhalt und Zahnextraktion in jedem Fall die Regeln medizinischer Kunst eingehalten und wenn nein, wie reagierte die Landesregierung auf diese möglichen Körperverletzungen? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Rothe-Beinlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2204 7. Welche Notwendigkeiten haben begründet, dass diese durch den Zahnverlust verstümmelnde Praxis seit dem Jahr 2011 trotz der kontroversen Debatte damals Fortsetzung fand? 8. Ist in allen Fällen der erfolgten Extraktion bei Asylsuchenden in den letzten vier Jahren eine Aufklärung nach den Standards der Rechtsprechung vom Leitbild des Heileingriffs als Körperverletzung erfolgt und dokumentiert? 9. Unter welchen Bedingungen hatte beziehungsweise hat der Patient in diesen Fällen eine Wahlmöglichkeit bezüglich der Behandlungsalternativen? 10. Wie wurde beziehungsweise wird sichergestellt, dass die Aufklärung in einer für den Betroffenen verständlichen ("laienverständlichen") Sprache erfolgte beziehungsweise erfolgt? 11. Ist der Patient jeweils darüber aufgeklärt worden, dass nach der Extraktion gegebenenfalls eine prothetische Versorgung erfolgen muss, wenn die Funktion erhalten werden soll, und dass dies nicht zu den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gehört? 12. Wie häufig wurde seit dem Jahr 2012 tatsächlich eine zahnerhaltende Maßnahme bei Asylsuchenden durchgeführt (bitte nach Landkreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln)? 13. Wie bewertet die Landesregierung gegebenenfalls die Diskrepanz zwischen der geübten Praxis der großzügigeren Extraktion einerseits und andererseits den Qualitätsvorgaben der entsprechenden zahnärztlichen Standes- und Vertretungsorgane, die die Erhaltung des Zahnes zum vorrangigen Ziel erklären? 14. Sollte es Defizite bei der Aufklärung, Einwilligung und Dokumentation geben, wie gedenkt die Landesregierung darauf zu reagieren? 15. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung diesbezüglich gegenüber den kommunalen Einrichtungen? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 24. Mai 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Eine Verpflichtung, statistische Erhebungen im Sinne der Fragestellung durchzuführen, besteht nicht. Trotz mehrmaliger Nachfrage durch das Landesverwaltungsamt sah sich die Mehrheit der Landkreise und kreisfreien Städte nicht in der Lage, die nachgefragten Daten zuzuarbeiten. Zu 1. und 2.: Zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 wird auf die Vorbemerkung sowie die als Anlage* beigefügte Übersicht verwiesen. Zu 3.: Im derzeitigen Abrechnungssystem für die gesetzlich krankenversicherten Patienten werden Zahnextraktionen nicht gesondert nach Staatsangehörigkeit abgebildet. Insofern können keine statistischen Erhebungen vorgenommen werden. Des Weiteren liegen für privatversicherte Patientinnen und Patienten, die Anspruch auf Versorgung innerhalb anderer Versorgungssysteme haben, keine Daten vor. Zu 4.: Auf die Vorbemerkung sowie die als Anlage* beigefügte Übersicht wird verwiesen. Zu 5.: Nach § 4 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) sind die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. 3 Drucksache 6/2204Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Durch diese bundesgesetzliche Regelung wird neben der Beschränkung auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände auch der Leistungsumfang auf das zur Beseitigung dieser akuten Erkrankungen oder des Schmerzzustandes Erforderliche begrenzt. Ob und welche zahnärztliche Behandlung erforderlich ist, ist im Einzelfall nach medizinischen Gesichtspunkten unter Beachtung der vorgenannten Kriterien zu entscheiden . Das Landesverwaltungsamt hat in diesem Zusammenhang mit Schreiben vom 27. Januar 2012 gegenüber den Landkreisen und kreisfreien Städten klargestellt, dass zahnerhaltenden Maßnahmen der Vorrang vor einer Extraktion einzuräumen ist, sofern nach zahnmedizinischer Einschätzung Zähne erhalten werden können. Zu 6.: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass die im Rahmen von §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes von Thüringer Zahnärzten erbrachten medizinischen Leistungen nicht qualitätsgerecht auf dem Niveau des wissenschaftlichen Standes erbracht werden. Die Thüringer Ärzte- und Zahnärzteschaft stellt sich der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung von Asylbewerbern mit großem Engagement und ausgewiesener Kompetenz. Die Landeszahnärztekammer Thüringen bestätigt diese Auffassung. Zudem hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung Thüringen den behandelnden Zahnärzten ein Merkblatt zur zahnärztlichen Behandlung von Flüchtlingen an die Hand gegeben. Zu 7.: Auf die Antworten zu den Fragen 5 und 6 wird verwiesen. Zu 8. bis 11.: Sowohl die auf der Internetseite der Bundeszahnärztekammer und die auf der Webseite der Landeszahnärztekammer Thüringen zur Verfügung gestellten Informationen zur zahnmedizinischen Behandlung von Asylbewerbern als auch der in 15 Sprachen eingestellte Fragebogen zur Notfallbehandlung bei Sprachbarriere einschließlich Piktogramm machen deutlich, dass die Zahnärzteschaft ihren Aufgaben hinsichtlich Aufklärung, Einwilligung und Dokumentation mit großer Verantwortung nachkommt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Thüringer Zahnärzte die Aufklärung und Einwilligung auch ihrer ausländischen , fremdsprachigen Patienten mit der gebotenen Gründlichkeit sicherstellen. Zu 12.: Nach Mitteilung des Landesverwaltungsamtes wurden im Kyffhäuserkreis im Zeitraum 2012 bis 2015 669 Füllungen gelegt sowie im Saale-Orla-Kreis in 1.164 Fällen zahnerhaltende Maßnahmen durchgeführt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 12.: Auf die Antworten zu den Fragen 5 und 6 wird verwiesen. Zu 13.: Der Landesregierung liegen keine Informationen über entsprechende Defizite vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 8 bis 11 verwiesen. Zu 14.: Aufklärung, Einholung einer Einwilligung und Dokumentation sind berufsrechtlich geregelte Pflichtaufgaben der Zahnärzte, die sie bei all ihren Patienten zu gewährleisten haben. Kommunale Einrichtungen sind damit nicht unmittelbar befasst. Lauinger Minister Anlage 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2204 Anlage Landkreis/kreisfreie Stadt Jahr Anzahl zahnmedizinischer Behandlungen Anzahl Zahnextraktionen Durchschnittliche Kosten der zahnmedizinischen Behandlungen Eisenach 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Erfurt 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Gera 2012 78 k. A. 39,33 Euro 2013 93 46,01 Euro 2014 109 42,69 Euro 2015 276 49,01 Euro Jena 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Suhl 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 47 69,00 Euro Weimar 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Altenburger Land 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Eichsfeldkreis 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 351 193 66,59 Euro Gotha 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 440 46 Euro bis 74 Euro Greiz 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Hildburghausen 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 277 50 Euro bis 100 Euro 2014 2015 Ilm-Kreis 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 5 Drucksache 6/2204Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Landkreis/kreisfreie Stadt Jahr Anzahl zahnmedizinischer Behandlungen Anzahl Zahnextraktionen Durchschnittliche Kosten der zahnmedizinischen Behandlungen Kyffhäuserkreis 2012 639 377 87,78 Euro 2013 2014 2015 Nordhausen 2012 k. A. k. A. 2013 2014 2015 299 148 40,67 Euro Saale-Holzland-Kreis 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Saale-Orla-Kreis 2012 203 15 39,33 Euro 2013 631 57 46,01 Euro 2014 701 38 42,69 Euro 2015 1.529 136 49,01 Euro Saalfeld-Rudolstadt 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 168 33 17,82 Euro Schmalkalden-Meiningen 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Sömmerda 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Sonneberg 2012 k. A. k. A. k. A 2013 2014 2015 Unstrut-Hainich-Kreis 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Wartburgkreis 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Weimarer Land 2012 k. A. k. A. k. A. 2013 2014 2015 Quelle: Landesverwaltungsamt Zahnmedizinische Versorgung von Asylsuchenden in Thüringen - Teil 1 Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkung: Zu 1. und 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8. bis 11.: Zu 12.: Zu 12.: Zu 13.: Zu 14.: Anlage