22.08.2016 Drucksache 6/2553Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 7. September 2016 Auffüll- und Abschmelzungsbeträge bei Ostrenten in Thüringen Die Kleine Anfrage 1231 vom 7. Juli 2016 hat folgenden Wortlaut: Zum 1. Juli 2016 steigen die Renten in Ostdeutschland in einem Umfang wie seit langem nicht mehr bei der jährlichen Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Renten. Faktisch werden aber viele Rentnerinnen und Rentner tatsächlich nichts oder nicht viel davon haben, weil bei ihnen das für Ostrenten geltende sogenannte "Abschmelzungsverfahren" - festgeschrieben in § 315a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) - zur Anwendung kommt. Es führt zu einer Verrechnung der jeweiligen turnusgemäßen Rentenerhöhung, so dass in vielen Fällen der Zahlbetrag der Rente trotz formaler Erhöhung gleich bleibt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 25. Mai 2005 (Az.: 1 BvR 1304/98 und andere) das Verfahren der Auffüllbeträge und deren Abschmelzung (beginnend mit dem 1. Januar 1996) bezogen auf die in das westdeutsche Rentensystem überführten Ostrenten für zulässig erklärt. Gleichzeitig hat das Gericht in dieser Entscheidung aber auch deutlich gemacht, dass dieses Verfahren nur mit Blick auf die besondere Übergangssituation nach der Wende zulässig ist. Das bedeutet für das weitere rentenpolitische Handeln, dass es keinen rechtlichen Zwang gibt, dieses Abschmelzungsverfahren weiterzuführen . Mehr als 25 Jahre nach der Wende und fast 25 Jahre nach Schließung der Versorgungssysteme der Deutschen Demokratischen Republik (mit Wirkung vom 31. Dezember 1991) stellt sich die Frage nach den immer noch spürbaren Folgen des Abschmelzungsverfahrens für Betroffene in Thüringen und die Frage nach dem weiteren Umgang damit. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Rentenbezieherinnen und Rentenbezieher in Thüringen sind nach Kenntnis der Landesregierung derzeit vom Abschmelzungsverfahren nach § 315a SBG VI betroffen und wie viele Betroffene gab es in Thüringen in den Jahren 2005 bis 2015 (bitte in Jahresscheiben aufschlüsseln)? Inwiefern sind nach Kenntnis der Landesregierung auch Inhaber von Rentenanwartschaften von einer späteren Abschmelzung betroffen und welche Prognosen gibt es für Thüringen hinsichtlich der Anzahl der zukünftig Betroffenen? 2. Welche Rentenarten (Erwerbsminderungsrente, Altersrente und so weiter) sind nach Kenntnis der Landesregierung vom Abschmelzungsverfahren betroffen und inwiefern sind auch derzeitige Rentenanwartschaften betroffen? Inwiefern lassen sich Aussagen treffen zu den Durchschnittsbeträgen, die abgeschmolzen werden (bitte in absoluten Eurobeträgen ausweisen)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stange (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2553 3. Findet nach Kenntnis der Landesregierung eine Abschmelzung auch dann statt, wenn die Abschmelzung dazu führt, dass die beziehungsweise der Betroffene erstmals beziehungsweise weiterhin eine Rente bezieht, die unterhalb der Grenze des grundrechtlich geschützten sozio-kulturellen Existenzminimums liegt und damit erstmals oder weiterhin ein Recht auf den Bezug von Grundsicherung im Alter entsteht? 4. Wie viele der unter Frage 1 "erfragten" Personen beziehen derzeit beziehungsweise haben nach Kenntnis der Landesregierung im Zeitraum von 2005 bis 2015 zuzüglich zu ihrer Rente Grundsicherung im Alter beziehungsweise bei Erwerbsminderung bezogen (bitte in Jahresscheiben aufschlüsseln)? Für den Fall, dass keine absoluten Zahlen vorliegen: Von welchem Prozentsatz an Personen mit zusätzlichem Grundsicherungsbezug geht die Landesregierung in Thüringen aus? 5. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem sogenannten Abschmelzungsverfahren nach § 315a SGB VI auch mit Blick auf den Umgang mit den "Ostrenten" insgesamt und welche "alternativen " Verfahrensweisen werden nach Kenntnis der Landesregierung für den zukünftigen Umgang mit den "Ostrenten" diskutiert (Stichwort zum Beispiel Angleichung des Rentenwerts Ost an den Rentenwert West)? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 22. August 2016 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Um die Rentenbezieher beziehungsweise rentennahen Jahrgänge des Beitrittsgebiets vor unverhältnismäßigen Nachteilen bei der Übertragung des SGB VI auf das Beitrittsgebiet zu schützen, wurden mit dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Rentenüberleitungsgesetz verschiedene Vertrauensschutzregelungen für diesen Personenkreis in das bundesdeutsche Rentenrecht aufgenommen. Unter anderem sieht das SGB VI in bestimmten Fällen eine Aufstockung der dynamischen Rente durch Zusatzleistungen vor. Zu unterscheiden sind hier drei Arten von Zusatzleistungen: Auffüllbeträge nach § 315a SGB VI, Rentenzuschläge nach § 319a SGB VI und Übergangszuschläge nach § 319b SGB VI. Während Auffüllbeträge darauf ausgerichtet waren, den Bestandsrentnern der ehemaligen DDR nach dem Auslaufen des DDR-Rentenrechts zum 31. Dezember 1991 mindestens eine Rente in Höhe des am 31. Dezember 1991 gewährten Zahlbetrages zu garantieren, zielten die Renten- und Übergangszuschläge vor allem darauf ab, den rentennahen Jahrgängen ab 1. Januar 1992 einen Vertrauensschutz auf die Rentenleistungen nach dem Recht des Beitrittsgebiets zum Stand 31. Dezember 1991 einzuräumen. Die genannten Zuschläge waren im Einzelnen an folgende Voraussetzungen geknüpft und wie folgt abzuschmelzen beziehungsweise zu vermindern: Auffüllbeträge: Die Gewährung eines Auffüllbetrags setzte vor allem voraus, dass am 31. Dezember 1991 bereits ein Anspruch auf Rente nach dem Recht des Beitrittsgebiets (1. Rentenverordnung der DDR vom 23. November 1979) bestanden hat. Einen Anspruch auf einen Auffüllbetrag konnten also nur die so genannten Bestandsrentner der ehemaligen DDR erwerben. Ergab sich bei der Überführung der am 31. Dezember 1991 tatsächlich nach dem Recht des Beitrittsgebiets gewährten Rente in das Bundesrecht (durch Umwertung nach § 307a Abs. 1 bis 3 SGB VI beziehungsweise Neuberechnung nach § 307a Abs. 9 und 10 SGB VI) ein niedrigerer Betrag als für die am 31. Dezember 1991 tatsächlich gewährte Rente, war die Differenz als Auffüllbetrag zu leisten. Während der dynamische, auf persönlichen Entgeltpunkten beruhende Teil der umgewerteten beziehungsweise neu berechneten Rente jeweils zu den ab 1. Januar 1992 durchzuführenden Rentenanpassungen zu erhöhen war, wurde der Auffüllbetrag bis zum 31. Dezember 1995 als statischer Betrag in unveränderter Höhe gewährt. Eine Abschmelzung fand bis zum 31. Dezember 1995 nicht statt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 1996 sah § 315a Satz 4 und 5 SGB VI dann eine schrittweise Abschmelzung der Auffüllbeträge anlässlich der Renten-anpassungen vor, wobei bezüglich der berechnungstechnischen Umsetzung zwei Phasen zu unterscheiden sind: Vom 1. Januar 1996 bis zum 30. Juni 2000 war der zum Stand 31. Dezember 1991 errechnete Auffüllbetrag grundsätzlich um ein Fünftel seines Betrags, mindestens jedoch um 20 DM zu vermindern. Um zu verhindern, dass sich der Rentenzahlbetrag durch die Abschmelzung vermindert, war diese auf die jeweilige Rentenanpassung begrenzt. Seit dem 1. Juli 2000 ist der Auffüllbetrag zu jeder Rentenanpassung im Umfang dieser Rentenanpassung abzuschmelzen. Der beschriebene Abschmelzungsalgorithmus führt insbesondere bei Beziehern niedriger Renten mit einem ver- 3 Drucksache 6/2553Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode gleichsweise hohen Auffüllbetrag dazu, dass die Abschmelzung in sehr kleinen Schritten und damit sehr langsam verläuft und so möglicherweise bis zum heutigen Tag noch nicht abgeschlossen ist. Renten- und Übergangszuschläge: Entsprechend der bereits im Einigungsvertrag getroffenen Festlegungen (Art. 30 Abs. 5) war auch den rentennahen Jahrgängen ab 1992 ein betrags- und anspruchsseitiger Vertrauensschutz auf das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Rentenrecht des Beitrittsgebiets einzuräumen. Zu diesem Zweck wurde der Artikel 2 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) geschaffen, welcher im Wesentlichen die bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Regelungen der 1. Rentenverordnung der DDR für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1996 fortführte. Auf der gesetzlichen Grundlage des Artikel 2 RÜG war in Leistungsfällen bis zum 31. Dezember 1996 für die Versicherten im Beitrittsgebiet noch eine Vergleichsrente zu berechnen. Ergab sich für diese Vergleichsrente ein höherer Betrag als für die entsprechende Rente nach dem SGB VI, war zur Rente nach dem SGB VI ein Renten- beziehungsweise Übergangszuschlag zu leisten. Anspruch auf Rentenzuschlag konnte dabei nur bei einem Rentenbeginn bis zum 31. Dezember 1993 entstehen. Übergangszuschläge waren für Rentenansprüche, die bis zum 31. Dezember 1996 begonnen haben, zu leisten . Übergangszuschläge verfolgen zusätzlich das gesetzgeberische Ziel, Minderungen der SGB VI-Rente , die sich aus der Anwendung der Vorschriften über das Zusammentreffen von Renten- und Einkommen (§§ 90 ff SGB VI) ergeben, auszugleichen. Die Abschmelzung der Rentenzuschläge erfolgt in der gleichen Art und Weise, wie auch die der Auffüllbeträge (siehe Erläuterungen zum Stichwort "Auffüllbeträge"). Im Unterschied dazu wurden beziehungsweise werden die Übergangszuschläge von Beginn an zu jeder Rentenanpassung im Umfang der Rentenanpassung vermindert. Zu 1.: Derzeit (Stand: 31. Dezember 2015) sind vom Auffüll- und Abschmelzungsverfahren 9.976 Personen betroffen. Die Anzahl der Betroffenen in Thüringen in den Jahren 2005 bis 2015 gestaltet sich wie folgt. Der Rentenversicherungsträger Knappschaft-Bahn-See verfügt erst über Werte ab dem Jahr 2010. DRV Bund/DRV Mitteldeutschland Knappschaft Bahn See Summe 2005 61.618 61.618 2006 55.998 55.998 2007 48.522 48.522 2008 39.377 39.377 2009 30.582 30.582 2010 27.421 1.452 28.873 2011 23.574 1.333 24.907 2012 19.048 1.193 20.241 2013 14.966 1.038 16.004 2014 11.860 618 12.478 2015 9.442 534 9.976 Versicherte, die ihre Rentenanwartschaft erst in der Zukunft realisieren werden, das heißt erst künftig in Rente gehen, können generell nicht mehr von der Abschmelzungsproblematik betroffen sein, weil für diesen Personenkreis kein Anspruch auf einen einigungsbedingten Zuschlag mehr entstehen kann. Zu 2.: Vom Abschmelzungsverfahren können grundsätzlich die Rentenarten Altersrente, Erwerbsminderungsrente , Witwen- beziehungsweise Witwerrente und Waisenrente betroffen sein. Renten mit einigungsbedingten Zuschlägen konzentrieren sich vor allem auf die Fallgruppe der Altersrenten. Der Rentenversicherungsträger Knappschaft-Bahn-See konnte keine Aussagen zu den Durchschnittsbeträgen , die abgeschmolzen werden, treffen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland teilten hierzu mit: 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2553 Im Jahr 2015 betrug der zu einer Rente gewährte Auffüllbetrag beziehungsweise Rentenzuschlag in Thüringen durchschnittlich noch 113,78 Euro. Am höchsten war er mit durchschnittlich 198,21 Euro bei der Fallgruppe der Erwerbsminderungsrenten. Bei den Altersrenten betrug der Auffüllbetrag beziehungsweise Rentenzuschlag am 31. Dezember 2015 durchschnittlich noch 92,17 Euro, bei den Renten wegen Todes durchschnittlich noch 61,94 Euro. Zu 3.: Die Abschmelzung richtet sich entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 315a Satz 5 SGB VI beziehungsweise § 319a Satz 3 SGB VI ausschließlich nach dem Umfang der Rentenanpassung eines Jahres. Sie wird auch in diesem Umfang realisiert, wenn sich dadurch erstmals oder weiterhin eine Rente unterhalb des grundrechtlich geschützten soziokulturellen Existenzminimums ergibt. Innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung soll nach der derzeitigen Gesetzeslage ausschließlich gewährleistet werden , dass die Abschmelzung nicht zu einer Rentenminderung beziehungsweise zu einer Unterschreitung des am 31. Dezember 1991 tatsächlich geleisteten Zahlbetrages führt. Einen darüber hinausgehenden Ausgleich innerhalb des Systerns der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Zu 4.: Hierzu gibt es keine statistischen Erhebungen. Zu 5.: Die Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert West wurde von der Landesregierung schon des Öfteren, auch im Bundesrat, angemahnt. Dabei plädierte die Landesregierung stets für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, bei der auch andere rentenrechtliche Probleme, die sich im Rahmen der Überleitung des Rentenrechts der DDR an das Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland ergeben haben, mit behandelt werden sollen. Derzeit wird auf Ebene der Bundesregierung ein Gesetzentwurf des BMAS diskutiert, der einen Angleich der Rentenwerte in Ost und West beinhaltet. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wie von Thüringen gefordert , ist dabei nicht vorgesehen. Insoweit könnten darüber hinausgehende Änderungen, wie zum Beispiel der Umgang mit dem Abschmelzungsverfahren nach § 315a SGB VI, nur im zukünftigen Bundesratsverfahren durch entsprechende Anträge der Länder Berücksichtigung finden. Hierzu liegt derzeit keine abschließende Meinungsbildung der Landesregierung vor. Werner Ministerin Auffüll- und Abschmelzungsbeträge bei Ostrenten in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 4.: Zu 5.: