29.08.2016 Drucksache 6/2598Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 13. September 2016 Zustand und Schutzmaßnahmen der Avifauna in Thüringen - Bedeutung der Arbeit der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach Die Kleine Anfrage 1228 vom 6. Juli 2016 hat folgenden Wortlaut: Der aktuelle Zustand der Vogelwelt in Thüringen und die Ermittlung von Bedrohungspotentialen rücken die Arbeit der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach und der regionalen Naturschutzverbände vor allem bei Fragen des Bestandsschutzes bedrohter Vogelarten in den Fokus des öffentlichen Interesses. Im Rahmen von Klima und Naturschutz in Thüringen spielt auch die Beobachtung und Bewertung des Zustands der heimischen Vogelwelt als sensibler Indikator für Klimaveränderungen, Schadstoffeinwirkungen und dem allgemeinen Zustand der Ökosysteme eine wachsende und weitreichende Rolle. Auch die Auswirkungen von immer mehr Windkraftanlagen in Thüringen auf die regionale Avifauna müssen intensiver untersucht, bewertet und beachtet werden. Einen Beitrag leistet dabei auch die Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg. Seit dem Jahr 2002 werden die sogenannten "Schlagopfer" von Windenergieanlagen (WEA) bundesweit durch eine zentrale Datensammlung von dieser Vogelschutzwarte erfasst. Dabei soll es sich aber fast nur um Zufallsfunde handeln , die Zahl der tatsächlich verunglückten Tiere soll deutlich höher sein. Zu den am stärksten betroffenen Arten zählen die Greifvögel. Darüber hinaus werden mit dem gemeinsamen "Helgoländer Papier" der Landesarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten bereits seit dem Jahr 2007 und in aktualisierter Form seit dem Jahr 2015 Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen von gefährdeten Vogelpopulationen und Brutplätzen gegeben. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung die Aussagekraft der zentralen Datensammlung der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg bezogen auf die sogenannten "Schlagopfer" von Windenergieanlagen und welche Erfahrungen hat speziell die Staatliche Vogelschutzwarte Seebach - als nachgeordnete Behörde des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz - mit dieser Datensammlung gemacht? 2. Wie kann das gezielte und rechtzeitige Auffinden von den durch Windenergieanlagen getöteten Greifvögeln zur Verbesserung der Datengrundlagen optimiert werden? Welche Erfahrungen und welche Expertise liegen der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach diesbezüglich vor und wie beabsichtigt die Landesregierung deren Umsetzung? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Tasch (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2598 3. Wie bewertet die Landesregierung das mit dem voranschreitenden Ausbau der Windenergie wachsende Kollisionsrisiko? Wie werden dabei die Verluste von seltenen Vogelarten wie Schwarzstorch, Uhu oder Rotmilan bezüglich der Bestandsgefährdung lokaler Populationen eingeschätzt? Inwiefern vertritt die Staatliche Vogelschutzwarte Seebach weitergehende oder abweichende Auffassungen aus fachlicher Sicht? 4. Wie werden die Abstandsempfehlungen der Landesarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten von der Landesregierung beziehungsweise den Regionalen Planungsgemeinschaften umgesetzt? Inwiefern wird dabei auf die Expertise der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach zurückgegriffen? 5. Wie wirkt die Staatliche Vogelschutzwarte Seebach bei der Entwicklung von verbindlichen Gebietsregelungen und notwendigen Erweiterungen der EG-Vogelschutzgebiete in Thüringen mit, von denen es bisher 44 in Thüringen gibt? 6. Wie hat sich die Biodiversität der Avifauna in Thüringen entwickelt und welche Potentiale und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten (zum Beispiel Managementpläne für die Avifauna in NATURA-2000-Gebieten , auch bezüglich der Fortschreibung der Regionalen Raumordnungspläne) werden von der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach entwickelt beziehungsweise wurden schon umgesetzt? 7. Welche Datenerhebung und welche negativen Wirkungen wurden für die im "Avifaunistischen Fachbeitrag zur Fortschreibung der Regionalpläne 2015-2018" der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie erwogenen 25 WEA-sensiblen Vogelarten zu dieser Einordnung zugrunde gelegt? Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 29. August 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die zentrale Schlagopfersammlung wurde 2002 auf Beschluss der Länder an der Vogelschutzwarte Brandenburg eingerichtet. Ursprünglich wurde damit das Ziel verfolgt, Schlagereignisse behördlich zu dokumentieren und das betroffene Artenspektrum zu dokumentieren. Dieses Ziel wurde in den vergangenen 14 Jahren erreicht. Dabei zeigen die Erfahrungen der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach, Referat 31, der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (im Folgenden: VSW Seebach), dass sich die bundesweit in der Datensammlung als schlaggefährdet eingestuften Arten mit den Thüringer Schlagopfer-Beobachtungen decken. Zu 2.: Grundsätzlich können mit methodisch standardisierten Schlagopfersuchen im Offenland in Abhängigkeit von der Zugänglichkeit der Flächen und der vorhandenen Vegetation statistisch gesicherte Erkenntnisse erlangt werden. An der VSW Seebach sind dazu die erforderlichen Erfahrungen aus eigenen Untersuchungen vorhanden. Diese Expertise betrifft insbesondere Begehungstermine, die Abgrenzung von Suchradien sowie die Bestimmung von Entdeckungswahrscheinlichkeiten und Abtragraten. Allerdings ist dies nur mit sehr hohem zeitlichen beziehungsweise personellen Aufwand möglich. So findet man ein Schlagopfer bei einer Begehung nur alle 27 Kilometer (vergleiche die Studie "Ermittlung der Kollisionsraten von [Greif-]Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen (PROGRESS)" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, 06/2016). Das bedeutet bei einer durchschnittlichen Suchgeschwindigkeit von max. 0,5 Kilometer pro Stunde 54 Stunden für ein gefundenes Schlagopfer. Dies kann nicht durch Personal der VSW Seebach geleistet werden. Zu 3.: Die Landesregierung geht auf Grund der fachlichen Beratung durch die VSW Seebach davon aus, dass das Kollisionsrisiko zwar anwachsen, aber bei dem im Koalitionsvertrag geplanten und im Rahmen der Abstimmung zwischen dem Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) und dem Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft konkretisierten Ausbau der Windenergie auf ein Prozent der Landesfläche nicht zu einer Gefährdung lokaler Populationen seltener Vogelarten in Thüringen führen wird. Eine wesentliche Voraussetzung für Letztgenanntes ist jedoch, dass die von der VSW Seebach bereitgestellten Vollzugsgrundlagen in den jeweiligen Genehmigungsverfahren und auf den vorgelagerten Planungsebenen berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass bei der Standortwahl immer ein Kompromiss zwischen energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Interessen einerseits und naturschutzfachlichen Anforderungen andererseits gefunden werden muss. 3 Drucksache 6/2598Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 4.: Die Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten vom April 2015 der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) stellen für die Einzelfallprüfung im Genehmigungsverfahren einen wichtigen Bewertungsmaßstab dar. In Umsetzung des Beschlusses der 55. Amtschefkonferenz am 21. Mai 2015 im Kloster Banz zu TOP 12, wonach unter anderem einheitliche Empfehlungen auf Bundesebene aus fachlichen Gründen nicht möglich sind, werden von der VSW Seebach derzeit thüringenspezifische Empfehlungen erarbeitet. Im Erlass zur Planung von Vorranggebieten "Windenergie", die zugleich die Wirkung von Eignungsgebieten haben (Windenergieerlass) wird unter Punkt 2.2.2 auf die Belange des Artenschutzes unter beispielhafter Nennung von Dichtezentren besonders windenergiesensitiver Arten hingewiesen. Die VSW Seebach hat zur Gewährleistung der Berücksichtigung der Artenschutzbelange im Rahmen der Regionalplanung einen "Avifaunistischen Fachbeitrag zur Fortschreibung der Regionalpläne 2015-2018" erstellt. Diese Belange sind von den Regionalen Planungsgemeinschaften im Rahmen der einzelfallbezogenen Abwägung zu berücksichtigen. Für weiterreichende fachliche Fragestellungen steht die VSW Seebach den zuständigen Verwaltungsbehörden auf Anfrage zur Verfügung. Die Regionale Planungsgemeinschaft Mittelthüringen setzt im Entwurf des Sachlichen Teilplanes "Windenergie " vom 14. Januar 2016 die Abstandsempfehlungen beziehungsweise deren Anpassung an die Thüringer Situation in Form des avifaunistischen Fachbeitrags der VSW Seebach, wie im Windenergieerlass dargestellt, um. Die Regionale Planungsgemeinschaft Ostthüringen verfährt entsprechend. Die beiden Regionalen Planungsgemeinschaften Nordthüringen und Südwestthüringen haben noch keine Planentwürfe beschlossen. Zu 5.: Die durch den Freistaat Thüringen an die EU gemeldeten und in der Thüringer Natura 2000-Erhaltungsziele -Verordnung (ThürNEzVO) vom 29. Mai 2008 ausgewiesenen Schutzgebiete werden sowohl von der EU- Kommission als auch von der Landesregierung derzeit als ausreichend angesehen, um die Bestände der wertgebenden Vogelarten nach Anhang I und Artikel 4 Abs. 2 der EG-Vogelschutzrichtlinie in Thüringen zu erhalten. Aktuell liegt in der VSW Seebach daher kein Prüfauftrag zu Überarbeitung der Gebietskulisse vor. Bei den Gebietsregelungen sind die Thüringer Natura 2000-Erhaltungsziele-Verordnung und die behördenverbindlichen Maßnahmenpläne für die EG-Vogelschutzgebiete von Bedeutung. Aktuell wird die Thüringer Natura 2000-Erhaltungsziele-Verordnung grundlegend überarbeitet. Die VSW Seebach steht dazu in engem Kontakt mit dem vom TMUEN beauftragten Planungsbüro und stellt diesem die verfügbaren, entsprechend aufbereiteten Daten zur Verfügung. Außerdem wirkt sie bei der Abstimmung der fachlichen Verordnungsinhalte zu den gebietsspezifischen Schutzgütern und Erhaltungszielen mit. Die Erarbeitung der Maßnahmenpläne für alle 44 EG-Vogelschutzgebiete erfolgt durch die Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie bis Ende 2019, wofür das TMUEN zusätzliche Stellen geschaffen hat. Hierzu hat die VSW Seebach die avifaunistische Grunddatenerfassung konzipiert. Durch die VSW Seebach wird die Datenprüfung und Aufbereitung für die Maßnahmenplanung vorgenommen. Zu 6.: Entsprechend § 6 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) hat die VSW Seebach das Vogelmonitoring, das heißt die Beobachtung der Bestände heimischer Vogelarten und die Bereitstellung avifaunistischer Daten für den Verwaltungsvollzug (insbesondere Artenschutz nach § 44 BNatSchG und Gebietsschutz nach § 34 BNatSchG), übernommen. Dabei wird die Entwicklung der Biodiversität der Avifauna alle zehn Jahre über die sogenannte Rote Liste (Aves) beurteilt. Kurz zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bewirkt das menschliche Handeln tiefgreifende Veränderungen in der Landschaft , die nicht ohne Folgen für die Biodiversität bleiben. Aktuell geben insbesondere die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft sowie die Realisierung von Verkehrs- und Infrastrukturprojekten Anlass zur Sorge. Vielerorts hat dies die Zerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen und das unwiederbringliche Verschwinden von Artvorkommen zur Folge gehabt. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2598 In der aktuellen Roten Liste sind 21 in Thüringen heimische Brutvogelarten in der Kategorie "ausgestorben" verzeichnet. Dabei ist der Verlust von Birkhuhn, Großem Brachvogel und Ortolan besonders eklatant. Diese Arten sind jeweils für intakte Moorlandschaften, Feuchtwiesen und extensiv bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen charakteristisch. Ihr Verschwinden steht für irreversible Schäden im Naturhaushalt und damit für weniger Landschafts- und Lebensqualität in Thüringen. Weitere 31 Brutvogelarten sind als gefährdet eingestuft. Neben der kontinuierlichen Erfassung von Artdaten erarbeitet die VSW Seebach folgende aktuelle Grundlagen für die praktische Umsetzung von Maßnahmen im Vogelschutz beziehungsweise wirkt an deren Erarbeitung mit: • Konzeption von Agrarumweltmaßnahmen, Zuarbeit Förderkulissen • Abstandsempfehlungen der LAG VSW • Avifaunistischer Fachbeitrag zur Fortschreibung der Regionalpläne 2015-2018 • Forschungs- und Entwicklungsvorhaben "Avifaunistische Methodenstandards für WEA-Genehmigungsvorhaben " • Leitfaden zur Umsetzung des Arten- und Gebietsschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) in Thüringen (in Arbeit) • EG-Vogelschutzgebiete: Monitoringkonzeption • EG-Vogelschutzgebiete: Bewertungsrahmen zur Beurteilung des Erhaltungszustandes wertgebender Vogelarten • Liste planungsrelevanter Vogelarten • Leitfaden zum Umbau von Pappelgehölzen • Zuarbeiten für SPA-Maßnahmenplanung (vergleiche Antwort zu Frage 5) • Artenhilfsprogramm Wiedehopf (wissenschaftliche Beratung) Zu 7.: Die Auswahl der Arten orientiert sich im Wesentlichen an den Ergebnissen der zentralen Schlagopfersammlung in Brandenburg (vergleiche Antwort zu Frage 1), soweit die betroffenen Arten in Thüringen vorkommen . Außerdem wurden über 200 aktuelle Fachpublikationen einschließlich der verfügbaren Metapublikationen ausgewertet. Eine Dokumentation der zu Grunde liegenden Quellen/Literatur kann im Internet* eingesehen werden. Siegesmund Ministerin Endnote * Vergleiche http://www.lugv.brandenburg.de/cms/media.php/lbm1.a.3310.de/vsw_dokwind_voegel.pdf. Zustand und Schutzmaßnahmen der Avifauna in Thüringen - Bedeutung der Arbeit der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Endnote