01.09.2016 Drucksache 6/2623Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 20. September 2016 Gesundheitssituation von Kindern in Thüringen Die Kleine Anfrage 1235 vom 8. Juli 2016 hat folgenden Wortlaut: Durch das Bundesministerium für Gesundheit wird die Situation der Kindergesundheit in Deutschland als gut beschrieben. Die Untersuchungen im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert- Koch-Instituts haben ergeben, dass die gesundheitlichen Chancen auf ein von Krankheit und Gesundheitsstörungen unbelastetes Leben nicht gleich verteilt sind. Laut der Studie trifft ein erhöhtes Gesundheitsrisiko vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Gesundheitssituation von Kindern in Thüringen? 2. Welche Einflussfaktoren auf die Gesundheitssituation von Kindern in Thüringen kann die Landesregierung identifizieren? 3. Wie hat sich der Anteil der übergewichtigen und der adipösen Kinder und Jugendlichen seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Altersgruppe aufschlüsseln)? 4. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über die Entwicklung der Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Mangel- und Überflusserkrankungen seit dem Jahr 1990 in Thüringen vor? 5. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Zahl der übergewichtigen beziehungsweise adipösen Kinder in Thüringen zu senken? 6. Wie hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 7. Wie hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Sprech- und Sprachstörungen seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 8. Wie hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit motorischen Störungen seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Muhsal (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2623 9. Wie hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Gesundheitsproblemen seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 10. Wie hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Allergien seit dem Jahr 1990 in Thüringen entwickelt (bitte nach Jahresscheiben, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 11. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zu der Teilnahmerate an den Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 in Thüringen vor? Wie hat sich diese Zahl in den letzten zehn Jahren entwickelt? 12. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Gesundheit von Kindern in Thüringen zu erhöhen (bitte einzeln auflisten nach Durchführungsjahr und Ziel der Maßnahme)? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 30. August 2016 sowie 13. September 2016 (zu Frage 12) wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Auswertungen der schulärztlichen Untersuchungen zeigen, dass der Gesundheits- und Entwicklungsstand der Thüringer Kinder im nationalen Vergleich als gut zu bezeichnen ist. Zu 2.: Besondere Risikogruppen sind nach wie vor Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Die soziale Lage wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, wozu das Familieneinkommen, der Bildungsstand und der Berufsstatus zählen. In vielen sozialepidemiologischen Studien kann immer wieder gezeigt werden, dass Personen die von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind, einen vergleichsweise schlechteren Gesundheitszustand aufweisen und häufiger krank sind als Menschen mit hohem Sozialstatus. Dies macht die Kindheit auch in Bezug auf die Gesundheit zu einer besonders kritischen Phase, in der Interventionsmaßnahmen zur Verminderung der gesundheitlichen Ungleichheit ansetzten müssen. Aufgrund des veränderten Krankheitsspektrums sollen zukünftig auch Aussagen zur psychischen und seelischen Gesundheit der Kinder, zum Gesundheitsstatus von Kindern mit Migrationshintergrund und zum Sozialstatus der Familien getroffen werden. Hier sind veränderte Messindikatoren zur Erfassung notwendig, die ab kommendem Schuljahr in Thüringen auf freiwilliger Basis erstmalig im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung erfasst werden. Zu 3.: Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen 3 Drucksache 6/2623Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bei der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas sind bei jüngeren Kindern nicht sehr ausgeprägt. Bei den Acht- beziehungsweise Neuntklässlern fällt auf, dass von 1992/1993 bis 2004/2005 immer die Mädchen und seit 2005/2006 durchgehend die Jungen höhere Werte aufweisen. Bei den Viertklässlern weisen die Jungen seit 1998/1999 durchgehend höhere Adipositasraten auf. Zu 4.: Da Mangel- und Überflusserkrankungen in der Regel mit Übergewicht und Adipositas oder Untergewicht korrelieren, wird zur Abbildung der Entwicklung auf die Antwort zu Frage drei verwiesen. Zu 5.: Kinder übernehmen meist den Lebensstil, den sie in ihrer Kindheit und Jugend erlebt haben, und halten diesen auch im Erwachsenenalter aufrecht. Diese Entwicklung kann durch strukturiertes Vorgehen, vor allem in Form der Etablierung von gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen und Strukturen sowie durch Beeinflussung des individuellen Lebensstiles gebremst, wenn nicht sogar verhindert werden. Vor diesem Hintergrund vereint die Gesundheitsziele Arbeitsgruppe: "Entwicklung und Festigung eines gesunden Lebensstils" die Vielfalt der Träger, die in den Bereichen Bewegung, Ernährung und psychosoziale Gesundheit mit dem Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen mit ihren Familien in Thüringen arbeiten und die Umsetzung der Teilziele unterstützen. Langfristiges Ziel ist es, dass das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im Alter bis zu 17 Jahren sowie der Anteil Übergewichtiger an den Altersgleichen nicht weiter ansteigt. Dieses Ziel soll bis zum Jahr 2020 erreicht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden sechs Teilziele formuliert, die • sich der Etablierung ernährungspädagogischer Angebote sowie der Orientierung an den Qualitätskriterien für Gemeinschaftsverpflegung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) an Kitas und Schulen widmen, • die Schaffung von Bewegungsangeboten und räumlichen Voraussetzungen, die bewusste Integration von Bewegung in den Alltag im Fokus haben und • eine rechtzeitige Identifikation von Risikopersonen für die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas sowie die Etablierung von Interventionsangeboten unterstützen. Zur Umsetzung der Teilziele trug bisher ein vielfältiges Maßnahmenbündel bei, getragen von unterschiedlichen Akteuren. Begleitet, gefördert und unterstützt werden diese Träger und ihre Angebote durch das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, das TMBWK, Bundesinitiativen, wie zum Beispiel den Nationalen Aktionsplan "IN FORM" und Krankenkassen. Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen, wie zum Beispiel der Universität Jena, stellen für die Bearbeitung der Themen notwendige epidemiologische Daten zur Verfügung. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2623 Zu 6.: Nachfolgende Graphik zeigt den prozentualen Verlauf der Verhaltensauffälligkeiten während der letzten knapp zwanzig Jahre. Bei den Verhaltensauffälligkeiten gibt es starke geschlechterspezifische Unterschiede. Mit zwei Dritteln der Verhaltensauffälligkeiten sind die Jungen deutlich häufiger betroffen als die Mädchen. Für die Entwicklungsverzögerungen (Verhalten, Sprache, Motorik) gilt allgemein, dass diese im Rahmen der Untersuchungen der Kinder- und Jugendärzte stärker im Fokus stehen als noch vor zwei Jahrzenten. Die Auffassung darüber, was unter psychischen Auffälligkeiten zu verstehen ist, hat sich zudem deutlich gewandelt . Entsprechende methodische Erfassungssysteme für eine präzise und einheitliche Diagnostik werden im Rahmen des Arbeitskreises der Kinder- und Jugendärzte bereits diskutiert. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen Zu 7.: Nachfolgende Graphik zeigt den Verlauf der Sprech-, Sprach-, und Stimmstörungen innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte. Knapp zwei Drittel der Auffälligkeiten betreffen die Jungen. Die Erkrankungsraten für die 4. und 8. Klassen sind aufgrund der geringen Zahlen nicht betrachtenswert. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen 5 Drucksache 6/2623Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 8.: Der Unterschied zwischen den Jungen (ca. 70 Prozent) und Mädchen (30 Prozent) ist signifikant. Die Erkrankungsraten für die 4. und 8. Klassen sind aufgrund der geringen Zahlen nicht betrachtenswert. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen Zu 9.: Eine Definition von chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter ist aufgrund der Heterogenität pädiatrischer Erkrankungsbilder und ihrer Verläufe schwer möglich, Aussagen dazu können demzufolge nicht getroffen werden. Zu 10.: Nachfolgende Graphik zeigt den Verlauf der letzten knapp 20 Jahre der allergischen Rhinitis. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen 6 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2623 Nachfolgende Graphik zeigt die Entwicklung des Asthmas. Jungen sind häufiger von Asthma betroffen als Mädchen. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen Die Prävalenzen für den Befund Ekzem liegen bei fünf bis sieben Prozent mit einer höchsten Prävalenzrate zum Zeitpunkt der Einschulung. Quelle: Thüringer Landesverwaltungsamt/Thüringer Landesverwaltungsamt/Gesundheitsämter in Thüringen Zu 11.: Die Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen ist innerhalb der letzten zehn Jahre in Thüringen kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2005/2006 lagen die Untersuchungsquoten für die Teilnahme an der U1-U7 bei 90 Prozent, im Schuljahr 2013/2014 bereits bei 94,4 Prozent. Gleichzeitig ist ein deutlicher Anstieg für die U8-U9 während der letzten zehn Jahre zu beobachten. 2005/2006 haben nur 73,9 Prozent der Kinder an der U8 beziehungsweise U9 teilgenommen, im Schuljahr 2013/2014 waren es dann bereits bei 93,1 Prozent. Die Teilnahme an den U-Untersuchungen lag in Thüringen signifikant höher als im Bundesdurchschnitt (82,2 Prozent). 7 Drucksache 6/2623Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 12.: Die Landesregierung hält keine eigenen Maßnahmen zur Erhöhung der Kindergesundheit in Thüringen vor. Diese werden auf Grund der räumlichen Nähe durch die kommunale Selbstverwaltung regionalspezifisch und dem Bedarf angepasst realisiert. Im Rahmen der Pauschalen des Mehrbelastungsausgleichs für übertragene Aufgaben werden durch den Freistaat unter anderem Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der kommunalen Gesundheitsämter bereitgestellt . In deren Aufgabenbereich fällt die Vorhaltung der oben genannten Kinder- und Jugendärztlichen sowie -zahnärztlichen Dienste, welche die Gesundheit der Thüringer Kinder fördern, beobachten, bewerten und schützen und umfangreiche Beratungsangebote für Kinder und deren Familien absichern. Mit Kindergesundheit befassen sich zudem weitere durch den Freistaat geförderte Thüringer Institutionen, wie beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Sektion Thüringen, die Suchthilfe in Thüringen - Präventionszentrum Erfurt oder die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. - AGETHUR. Darüber hinaus ist die Gesundheitsbildung und die Gesundheitserziehung eine Querschnittsaufgabe in der frühkindlichen sowie der schulischen Bildung und Erziehung. So widmet der Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre der Gesundheitsbildung und -erziehung ein ganzes Kapitel: "2.2 Physische und psychische Gesundheitsbildung ". In den kompetenzorientierten Thüringer Lehrplänen ist die Gesundheitsbildung als Querschnittaufgabe in allen Schulformen und zahlreichen Unterrichtsfächern verankert. Dabei geht es von der Bewegung über die Vermittlung von Kenntnissen über den eigenen Körper und die Körperhygiene bis hin zu gesunder Ernährung und Drogenprävention. So erlernen Schülerinnen und Schüler zum Beispiel in der Grundschule im Heimat- und Sachkundeunterricht laut Lehrplan Regeln zum "verantwortungsbewussten Umgang in Bezug auf gesundheitsfördernde Ernährung, Körperhygiene und Zahnpflege, vorbeugenden Gesundheitsschutz sowie das Verhalten bei Krankheiten". Darauf aufbauend werden sie im Biologieunterricht der Klassenstufen 7/8 dazu befähigt, "Maßnahmen und Verhaltensweisen zur Gesunderhaltung des eigenen Körpers" abzuleiten und zu begründen. Mit dem Ziel, den Verzehr von Obst und Gemüse bei Kindern im Grundschulalter zu steigern und so deren Ernährungsgewohnheiten nachhaltig im Hinblick auf eine gesunde und ausgewogene Kost zu prägen, beteiligt sich Thüringen seit 2010 am Schulobst- und -gemüseprogramm der Europäischen Union. Des Weiteren ist die Sicherung und Verbesserung von Kindergesundheit in Thüringen fest etabliert in der Arbeit der Thüringer Gesundheitszielbereiche unter dem Ziel 1 "Gesund alt werden, eine Herausforderung für jedes Lebensalter". Die oben zu Frage 5 erwähnte Arbeitsgruppe befasst sich seit 2007 mit Themen der Ernährung, Bewegung, seelischen Gesundheit sowie Identifizierung von Risikogruppen in der kindlichen Entwicklung. Hierbei kommt die Expertise von Wissenschaft, Politik, Krankenkassen und vielfältigen Akteuren aus Thüringen zum Tragen. Werner Ministerin Gesundheitssituation von Kindern in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: Zu 12.: