14.09.2016 Drucksache 6/2664Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 27. September 2016 Fehlende politische Neutralität an Schulen? - nachgefragt zum Osterlandgymnasium Gera Die Kleine Anfrage 1309 vom 3. August 2016 hat folgenden Wortlaut: Am 28. Juli 2016 erschien im "Zeit Magazin" ein Bericht über das Staatliche Osterlandgymnasium Gera. Der ausführliche Artikel macht deutlich, dass sich viele Schüler über fehlende Neutralität mehrerer Lehrer beklagen und in ihrer freien Meinungsäußerung stark eingeschränkt werden. Insbesondere bringt der Artikel ans Licht, dass Lehrer offen politisch agieren und ihre persönliche Abneigung gegen eine Partei, die im Landtag vertreten ist (nämlich die Alternative für Deutschland [AfD]) und einen Fraktionsvorsitzenden (nämlich den der Fraktion der AfD im Thüringer Landtag) auch im Unterricht zeigen. Die Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage 1057 (vergleiche Drucksache 6/2268) hatte ergeben, dass "das Thüringer Schulgesetz, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen die Notwendigkeit der politischen Neutralität des Unterrichtes regeln und die Grundlage der Unterrichtsgestaltung , des Einsatzes der Lernmittel und der politischen Bildung von Lehrern und Schülern sind." Der im "Zeit Magazin" erschienene Bericht aber - mit dem Titel "Risse in der Fassade" - lässt deutlich an der Neutralität der Lehrer selbst und der Unterrichtsgestaltung am Osterlandgymnasium in Gera zweifeln. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Situation der politischen Einflussnahme auf Schüler an Thüringer Schulen? 2. Sind der Landesregierung vor dem Hintergrund der im "Zeit Magazin" beschriebenen Vorfälle am Osterlandgymnasium Gera weitere vergleichbare Fälle bekannt, in denen nach meiner Auffassung Lehrer bewusst einseitig und zu Lasten einer im Landtag vertretenen Partei und eines Fraktionsvorsitzenden politisch agieren und agitieren und so gegen die ihnen obliegende Verpflichtung zur politischen Neutralität verstoßen (wenn ja, bitte Fälle einzeln auflisten)? 3. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung gegebenenfalls aus den im "Zeit Magazin" beschriebenen Vorfällen am Osterlandgymnasium Gera und möglichen ähnlichen Vorfällen? Sind dienstliche Maßnahmen gegen die im Artikel des "Zeit Magazins" genannten Lehrerinnen eingeleitet oder beabsichtigt? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Lehrer an Thüringer Schulen für die Notwendigkeit der politischen Neutralität im Unterricht zu sensibilisieren (bitte Veranstaltungen wie Fortbildungen et cetera einzeln auflisten)? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Brandner (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2664 5. Welche Möglichkeiten haben Schüler, Eltern und Betroffene gegen Vorfälle, wie die im Artikel geschilderten , vorzugehen? 6. Wie beurteilt die Landesregierung die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung durch Schüler in Thüringer Schulen? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 13. September 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die politische Bildung an Thüringer Schulen richtet sich nach dem Thüringer Schulgesetz, der Thüringer Schulordnung sowie dem "Beutelsbacher Konsens". Dieser beinhaltet festgelegte Grundsätze zur politischen Bildung, welche vor allem in gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfächern Berücksichtigung finden. Zu 2.: Nein Zu 3.: Das betreffende Gymnasium und das Staatliche Schulamt Ostthüringen wurden zum Sachverhalt befragt: Die im Artikel mit Namen benannten Lehrerinnen und das zuständige Schulamt betonen, dass die Grundsätze der politischen Neutralität im Osterlandgymnasium gewahrt wurden und werden. Die im Artikel vorgenommene Darstellung und Deutung machen sich Schule und staatliches Schulamt nicht zu eigen. Aus diesem Grund sind keine dienstlichen Maßnahmen gegen die Lehrerinnen eingeleitet worden und nicht beabsichtigt. Zu 4.: Grundsätzlich werden im Rahmen der Einstellung beziehungsweise Verbeamtung alle Thüringer Lehrkräfte auf das Neutralitätsgebot (Beutelsbacher Konsens) hingewiesen und entsprechend verpflichtet. In den Thüringer Lehrplänen des gesellschaftlichen Aufgabenfeldes (Geschichte, Geographie, Sozialkunde , Wirtschaft und Recht, Ethik, Evangelische Religionslehre, Katholische Religionslehre) wird im Kapitel Leistungseinschätzung durchgängig auf den Beutelsbacher Konsens verwiesen: "Für die Leistungseinschätzung ist insbesondere das Überwältigungsverbot (Quelle: Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife Sozialkunde 2012) zu beachten. Danach ist es nicht erlaubt, den Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu indoktrinieren und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern. Seine Meinungen und Einstellungen sind nicht zu bewerten." Drei Elemente des Beutelsbacher Konsenses sind immanenter Bestandteil der Lehrerfortbildungen des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM): 1. das Überwältigungsverbot (Indoktrination ist unvereinbar mit der Lehrerrolle in einer demokratischen Gesellschaft ), 2. das Kontroversitätsgebot (Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen!) und 3. die Befähigung der Schüler, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren. Diese Aspekte des Beutelsbacher Konsenses wurden vergleiche in folgenden Fortbildungen thematisch umgesetzt . Einbezogen waren dabei außerschulische Lernorte und langjährige Kooperationspartner des Thillm. Die Themen solcher Fortbildungsveranstaltungen für Thüringer Lehrkräfte sind zum Beispiel: • Diktaturenvergleich im Geschichtsunterricht (Stiftung Ettersberg), • Menschenverbrechen und Berufsalltag - Die Erfurter Firma Topf & Söhne (Erinnerungsort Topf & Söhne), • Wozu brauchen wir Erinnerung? (Erinnerungsort Topf & Söhne und Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße ), • Kicker, Kämpfer, Legenden - Juden im deutschen Fußball und in der Zeit des Nationalsozialismus in Thüringen (Erinnerungsort Topf & Söhne), • 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der DDR-Geschichte und deren Vermittlung im Unterricht (Thüringer Landeszentrale für politische Bildung), • Lernfeld: Alltagserfahrungen in der DDR (Point Alpha Akademie), 3 Drucksache 6/2664Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode • Islam - tolerante Religion oder militante Radikale? (Thüringer Polizei), • Tag der Politikwissenschaft 2015 - Menschenrechte in der politischen Bildung (Institut für Politikwissenschaft - Friedrich-Schiller-Universität, DVpB Thüringen und Thüringer Landeszentrale für politische Bildung ), • Jenaer Gespräch zur politischen Bildung: Podiumsdiskussion zum Thema: Nach der Regierungsbildung - Perspektiven für Thüringen unter Rot-Rot-Grün (Institut für Politikwissenschaft - Friedrich-Schiller-Universität , DVpB Thüringen und Thüringer Landeszentrale für politische Bildung), • Projektarbeit in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora "Vermittlung von Tat und Täterschaft" (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora), • Pädagogischer Umgang mit der neuen Dauerausstellung zur Geschichte des KZ Buchenwald (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora) und • Lernort Thüringer Landtag (Thüringer Landeszentrale für politische Bildung). Gegenwärtig wird der 4. Tag der Gesellschaftswissenschaften zum Thema "Die Würde des Menschen ist (un)antastbar" vorbereitet. Die Programmplanung dieser Veranstaltung sieht unter anderem folgende Angebote vor: • "Menschenwürde und Selbstachtung. Wie antastbar ist der unantastbare Höchstwert?" - Impulsreferat von Prof. Dr. Wetz, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd und • "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Aktuelle Betrachtungen zum Thema Menschenrechte und Flüchtlingsproblematik" - Impulsreferat von Dr. Marwan Abou- Taam, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Mainz). Im Bereich der Demokratieerziehung und politischen Bildung in der Schule werden Fortbildungsveranstaltungen auf der Basis des § 2 des Thüringer Schulgesetzes durchgeführt. Dazu zählen unterrichtsbegleitende Projekte zu "Jugend debattiert", Veranstaltungen im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratisch Handeln" und Vorhaben in Kooperation mit dem Thüringer Landesprogramm "Thüringen denkt bunt". Darüber hinaus wird das Thema der Notwendigkeit der politischen Neutralität im Unterricht in verschiedenen Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen behandelt, die sich mit schul- und dienstrechtlichen Schwerpunkten und Fragestellungen befassen. In der Beratungslehrerweiterbildung (500-Stunden-Programm) werden den Teilnehmern die für ihre Tätigkeit relevanten Rechtsfragen wie Gesetze, Verordnungen, Vorschriften und Richtlinien aufgezeigt und mit ihnen besprochen. Beratungslehrer/-innen verfügen über ein beratungsbezogenes Methodenrepertoire im schulischen Kontext und über das Wissen, schulbezogen zu beraten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf ein Modul, welches bei allen Beratungslehrerkursen verpflichtend ist. Die vollständigen Angaben dazu lauten: • VA-Nr.: 172700205; Beratungslehrerkurs 2015-1; Recht, Diagnostik, Begabung, Praktikumsaustausch; 21. November 2016 bis 24. November 2016. Weitere Bereiche, in denen die vorgenannten Thematik behandelt wird, sind zum Beispiel die Führungskräftequalifizierung und die Berufseingangsphase, in denen es immanenter Bestandteil ist, Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Notwendigkeit der politischen Neutralität im Unterricht zu sensibilisieren. Qualifizierungen im Bereich der amtseinführenden und -begleitenden Schulleiterqualifizierung, die immanent rechtliche Aspekte und Fragestellungen einschließen, sind beispielsweise: • 24. Februar 2016 Rolle und Selbstverständnis als Führungskraft, • 26. Februar 2016 Rolle und Selbstverständnis als Führungskraft, • 29. Februar 2016 Amtseinführende Qualifizierung (Ostthüringen), • 6. März 2016 Schule im gesellschaftlichen und bildungspolitischen Kontext, • 13. April 2016 Das Thüringer Schulgesetz und aktuelle Fragestellungen, • 24. August 2016 Rolle und Selbstverständnis als Führungskraft, • 14. September 2016 Personalentwicklung, • 23. September 2016 Kommunikation im Führungsalltag, • 28. September 2016 Arbeits- und Dienstrecht, • 29. September 2016 Schule im gesellschaftlichen und bildungspolitischen Kontext, • 16. November 2016 Kommunikation im Führungsalltag. Darüber hinaus erhalten alle neu ernannten Schuleiterinnen und Schulleiter im Rahmen der vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport grundgelegten Konzeption zur Führungskräftequalifizierung im Rahmen einer dreitägigen Fortbildung zum Thema "Schule und Recht" eine umfassende sowie aktuelle Qualifizierung. In der Phase zwei findet regelmäßig (so zum Beispiel am 7. Dezember 2015; und 23. April 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2664 2016) das Modul 7 "Dienstrecht" statt. In diesem Zusammenhang werden auch die Rechte und Pflichten der Beamten "Unparteilichkeit" (vergleiche § 33 und § 34 des Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und § 5 der Thüringer Lehrerdienstordnung) besprochen. Im Rahmen der Berufseingangsphase wird als ein Thema der Fortbildungen für Berufseinsteiger das Thema "Schulrecht" angeboten. Dieses Thema umfasst folgende Angebote: • Alles, was (der) Schul(e) recht ist, • JUREGIO - Rechts- und Handlungssicherheit in der Schule (Schwerpunkte: Gewalt, Extremismus, Medienmissbrauch , Drogenmissbrauch) und • bedarfsorientierte (schulrechtliche) Themen, die von den Berufseinsteigern benannt werden. Insbesondere in den ersten beiden benannten Angeboten werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Notwendigkeit der politischen Neutralität im Unterricht sensibilisiert. Im Bereich JUREGIO gibt es verschiedene Angebote im Bereich der zentralen, zentral-regionalisierten und der innerschulischen Fortbildung, die sich mit den Themen Schul- und Dienstrecht befassen und deren Inhalt auch das Neutralitätsgebot ist. Im Bereich der schulinternen Fortbildung werden schul- und dienstrechtsbezogene Themen behandelt; vielfach werden kurze Veranstaltungen durchgeführt, deren Inhalt auch das Neutralitätsgebot und seine Auswirkungen sein kann, so zum Beispiel: • rechtliche Grundlagen für den Schulgebrauch, • Bildungsrechte von Kindern mit Fluchterfahrung, • Recht in der Öffentlichkeitsarbeit, • JUREGIO-Rechts und Handlungssicherheit im schulischen Kontext bezüglich illegaler Suchtmittel, Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Symbolen und Auffassungen, • personalrechtliche Angelegenheiten von Landesbediensteten - Rechtsgrundlagen und Umsetzung. Zu 5.: Im dritten Abschnitt des Thüringer Schulgesetzes (ThürSchulG) sind die Rechte und die Möglichkeiten der Mitwirkung von Schülern und Eltern gesetzlich verankert. Nach § 28 Abs. 2 des ThürSchulG "… gehören insbesondere die Wahrnehmung schulischer und sozialer Interessen der Schüler in der Schule und bei den Schulaufsichtsbehörden, die Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen, die Mithilfe bei der Lösung von Konfliktfällen …" zu den Aufgaben der Schülermitwirkung. Weiterhin berät und vermittelt der von der Schülervertretung gewählte Vertrauenslehrer nach § 29 Thür- SchulG bei Beschwerden. Im § 32 des ThürSchulG sind Möglichkeiten der Elternmitwirkung geregelt. Dieser stehen "… besondere Anhörungs-, Auskunfts- und Initiativrechte zu." Zu 6.: Die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung steht nicht in Frage und ist im Thüringer Schulgesetz verankert (§ 26 ThürSchulG, Recht auf freie Meinungsäußerung). Dr. Klaubert Ministerin Fehlende politische Neutralität an Schulen? - nachgefragt zum Osterlandgymnasi-um Gera Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: