16.09.2016 Drucksache 6/2672Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 28. September 2016 Glücksspielsucht in Thüringen - Teil I Die Kleine Anfrage 1250 vom 11. Juli 2016 hat folgenden Wortlaut: Glücksspielsucht ist die häufigste nicht substanzgebundene Suchtform. Im Freistaat Thüringen gelten nach Angaben der Fachstelle GlücksSpielSucht circa 8.000 Menschen als spielsüchtig. Dabei ist problematisch, dass Glücksspielsucht nicht nur gravierende negative Auswirkungen für den Süchtigen selbst (zum Beispiel Kontrollverlust, soziale Isolation), sondern auch für seine Mitmenschen und die gesamte Gesellschaft hat (zum Beispiel Verschuldung, Kriminalität). Jeder pathologische Glücksspieler beeinflusst das Leben von acht bis zehn Personen in negativer Weise. Die Prävention von Spielsucht ist daher aus gesundheits- und sozialpolitischer Sicht von enormer Bedeutung. Im Bereich der Glücksspielsucht wird seit dem Jahr 2008 in den Thüringer Suchtberatungsstellen eine Extraerhebung zur Dokumentation "Pathologische Glücksspieler in der ambulanten Thüringer Suchthilfe" des Fachverbands Drogen- und Suchthilfe e. V. durchgeführt. Darin wird deutlich, dass die Anzahl der pathologischen Glücksspielerinnen und Glücksspieler seit dem Jahr 2008 kontinuierlich angestiegen ist. Thüringen setzt seit Längerem ein zielgruppenorientiertes Aktionsprogramm mit breit gefächerten Maßnahmen um. Im Mittelpunkt dabei stehen die Verbesserung des Spieler- und Jugendschutzes sowie der Suchtprävention , -hilfe und -forschung. Die Maßnahmen umfassen unter anderem die Entwicklung neuer Präventionsmaterialien , die Durchführung von Fachveranstaltungen sowie wissenschaftliche Untersuchungen in Form spezieller Dokumentationserhebungen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung den Glücksspieländerungsstaatsvertrag in Bezug auf Spielerschutz und Glücksspielsuchtprävention? 2. Wie schätzt die Landesregierung das Suchtpotential bei Glücksspielwetten in Thüringen ein? 3. Wie hoch ist das Suchtpotential bei Glücksspielsucht im Vergleich zu anderen Süchten? 4. Wie viele Menschen sind nach Einschätzung der Landesregierung in Thüringen süchtig nach Glücksspielen ? 5. Wie hat sich die Zahl der von Glücksspielsucht Betroffenen in den letzten fünf Jahren in Thüringen entwickelt (bitte aufschlüsseln nach folgenden Glücksspielarten: Lotterie, Wetten, Spielautomaten, Glücksspiele in Spielbanken, Onlineglücksspiele)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Pfefferlein (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2672 6. Welche sozioökonomischen Daten liegen über Menschen mit Glücksspielsucht in Thüringen vor? 7. Welche Therapie- und Beratungsmöglichkeiten gibt es in Thüringen bei einer Glücksspielsucht? 8. Mit welchen Einrichtungen wird im Beratungs- und Therapieprozess besonders kooperiert? 9. Existiert eine besondere Kooperation mit Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen? 10. Wie hoch ist nach Kenntnis der Landesregierung die durchschnittliche Höhe der Schulden eines glücksspielsüchtigen Menschen in Thüringen? 11. Welchen Anteil haben Sportwetten beim Gefährdungspotenzial für die Entwicklung eines problematischen und pathologischen Glücksspielverhaltens? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 15. September 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Landesregierung bewertet die Änderungen des Glücksspieländerungstaatsvertrages (GlüÄndStV) bezogen auf das Thema Spielerschutz und die sich daraus ergebende Glücksspielsuchtprävention positiv. Die im Glücksspieländerungstaatsvertrag festgelegten Regelungen stellten einen Konsens zwischen den einzelnen Landesregierungen dar, der den Spielerschutz im Glücksspiel-Bereich zu verbessern half. So wurde zum Beispiel das gewerbliche Spiel - das Spiel an Geldgewinnspielgeräten in Gaststätten und Spielhallen - erstmals mit in das Gesetz aufgenommen und weiter reguliert. Für alle erwähnten Glücksspiele wurden einheitliche Grundanforderungen definiert (zum Beispiel Werbung, Vorhalten von Sozialkonzepten, Personalschulungen und so weiter). Darüber hinaus wurde die nötig gewordene Öffnung des Sportwettenmarktes für private Anbieter zahlenmäßig begrenzt und mit einer Experimentierklausel versehen. Zu 2.: Im Freistaat Thüringen dürfen nur Wetten auf reale Sportereignisse - sogenannte Sportwetten - als Glücksspiel erlaubt werden. Deshalb bezieht sich die Antwort hier auch nur auf die Sportwetten. Grundsätzlich schätzt die Landesregierung das Gefährdungspotential von Sportwetten als hoch ein. Diese Einschätzung wird von anerkannten Glücksspielsuchtforschern geteilt. Sportwetten weisen studienübergreifend ein etwa zehn Mal höheres Suchtpotenzial auf als das konventionelle Lottospielen. Besonderen Anreiz bieten hier insbesondere die bei Sportwetten erzeugte Kontrollillusion (Überschätzung des Expertenwissens), die hohen Gewinnanreize, die bargeldlosen Zahlungen, die hohe Verfügbarkeit und die schnelle Spielabfolge . Die kurze Zeitspanne zwischen Einsatz und Ergebnis erhöhen zusätzlich das Gefährdungspotenzial. Zu 3.: Ein Vergleich von Sucht- und Schadenspotential von Glücksspielsucht mit anderen anerkannten stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen ist nicht möglich, da sowohl substanzbezogene Abhängigkeitserkrankungen als auch verhaltensbezogene Störungen wie das Pathologische Glücksspielen zu erheblichen psychosozialen Belastungen bei Betroffenen führen. Das damit einhergehende Suchtpotential ist nicht messbar und damit auch nicht vergleichbar. Zu 4.: In der Hochrechnung für die deutsche Gesamtbevölkerung der 14 bis 64-Jährigen gelten bezogen auf die Lifetime über eine halbe Million Menschen in Deutschland als pathologische Glücksspieler, circa 776.000 können als problematische Spieler bezeichnet werden und etwa zusätzliche drei Millionen erfüllen ein bis zwei diagnostische Kriterien für problematisches Glücksspielen1. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gibt es bezogen auf die Jahresprävalenz in Deutschland insgesamt 456.000 problematische Spieler und pathologische Spieler.2 Bezogen auf aktuelle Studienergebnisse zur Zwölf-Monats-Prävalenz des problematisch und pathologischen Glücksspielverhaltens in der deutschen Bevölkerung (0,79 Prozent3) gehen wir in Thüringen von circa 11.200 Betroffenen aus.4 Dazu kommen die mitbetroffenen Personen im sozialen Umfeld des Glücksspielers (circa acht bis zehn Personen je Spieler)5. 3 Drucksache 6/2672Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 5.: Eine Entwicklung bezogen auf alle der von Glücksspielsucht Betroffenen im Freistaat lässt sich wegen der nicht erfassten Betroffenen nicht darstellen. Auf der Grundlage der durch das Thüringer Ministerium für Arbeit , Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie jährlich erhobenen Dokumentationsdaten "Pathologische Glücksspieler in der ambulanten Thüringer Suchthilfe" können nur Aussagen über die erfassten Glücksspieler im Thüringer ambulanten Hilfesystem getroffen werden. Pro Jahr werden durchschnittlich 229 neue Hilfesuchende in den Suchtberatungsstellen versorgt. Die folgenden Tabellen stellen die prozentualen Anteile in den letzten fünf Jahren und über die verschiedenen Glücksspielformen (Mehrfachnennungen möglich) dar: 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/2672 Zu 6.: Auf der Grundlage der Dokumentation "Pathologische Glücksspieler in der ambulanten Thüringer Suchthilfe " (Bericht 2015) sind pathologische Glücksspieler im ambulanten Suchthilfesystem in Thüringen überwiegend männlich (81,2 Prozent), größtenteils zwischen 20 und 39 Jahre alt (67,3 Prozent), ledig (69,6 Prozent ) und circa jeder Neunte ist geschieden. Glücksspielsüchtige im ambulanten Hilfesystem sind vor allem deutsche Staatsangehörige (98,2 Prozent), verfügen über einen Realschulabschluss bzw. Abschluss der Polytechnischen Oberschule (58,5 Prozent), haben eine abgeschlossene Lehrausbildung (70,1 Prozent) und wohnen selbstständig (79,0 Prozent). 47,4 Prozent bestritten die letzten sechs Monate vor Betreuungsbeginn ihren Lebensunterhalt überwiegend als Arbeiter, Angestellte und Beamte. 29,1 Prozent sind Empfänger von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II. Insgesamt gehören zu den Glücksspielern in Thüringer ambulanter Beratung 463 eigene Kinder im minderjährigen Alter. Zu 7.: Menschen mit einer Glücksspielproblematik finden Unterstützung in den Thüringer Suchtberatungsstellen. Sie sind auch Anlaufstellen für Familienangehörige, Partnerinnen und Partner sowie andere Personen, die mit glücksspielsuchtgefährdeten oder bereits suchterkrankten Menschen zu tun haben. Einige Beratungsstellen bieten für glücksspielsüchtige Menschen zusätzlich eine, in der Regel durch den zuständigen Rentenversicherungsträger finanzierte, ambulante Entwöhnungsbehandlung an. Die Behandlung von Glücksspielsüchtigen kann auch in einer Fachklink (Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen oder eine psychosomatische Fachklinik) stationär durchgeführt werden. Die Vermittlung in die vom Kostenträger anerkannte Therapieeinrichtung erfolgt über die Suchtberatungsstelle. Eine weitere Anlaufstelle für Betroffene und ihre Angehörigen sind die Selbsthilfegruppen. Im Freistaat gibt es vier Selbsthilfegruppen speziell für Glücksspieler. 5 Drucksache 6/2672Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 8.: Eine Kooperation während des Beratungs- und Therapieprozesses erfolgt insbesondere mit Kosten- und Leistungsträgern, stationären Rehabilitationseinrichtungen (bundesweit), Schuldnerberatungsstellen, ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxen und Selbsthilfegruppen. Zu 9.: Die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen arbeiten im Rahmen von regionalen Netzwerken mit den Einrichtungen der Suchtberatung zusammen. Im Hinblick auf eine ganzheitliche und nachhaltige Beratung der Betroffenen ist diese Zusammenarbeit auch unabdingbar. Zu 10.: In Thüringen haben ambulant betreute Glücksspielsüchtige durchschnittlich 69.070 Euro Schulden. Zu 11.: Die Befunde der bundesdeutschen Repräsentativbefragungen (Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE), BZgA) kommen zu folgenden Ergebnissen: Etwa 25 Prozent der Nutzer von Sportwettangeboten weisen ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten auf. Im Vergleich liegen hier die Nutzer von Geldgewinnspielgräten mit Werten um die 28 Prozent etwas höher, Nutzer von Lotterien mit mindestens problematischem Verhalten liegen mit circa drei Prozent deutlich darunter. In Vertretung Feierabend Staatssekretärin Endnote: 1 Universitätsmedizin Greifswald, Universität zu Lübeck, Forschungsgruppe S:TEP, Forschungsverbund EARLy Intervention in healthrisk behaviors. PAGE Endbericht (2011). 2 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2014). Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2013 und Trends. Köln. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 3 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2016). Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2015 und Trends. Köln. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 4 Zugrundelegung der analog BZgA-Studie Altersgruppe 16 bis 70-Jährige in Thüringen, Thüringer Landesamt für Statistik (Stand 31. Dezember 2015) 5 Zum Beispiel: Lobsinger und Beckett (1996 in Petry, 2005) gehen von 8 bis 10 geschädigten Personen im Umfeld des Spielers aus. Glücksspielsucht in Thüringen - Teil I Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: Endnote: