10.11.2016 Drucksache 6/3015Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 8. Dezember 2016 Sechstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Blindengeldgesetzes - Allgemeine Aspekte des Regelungsvorhabens Die Kleine Anfrage 1503 vom 28. September 2016 hat folgenden Wortlaut: Ich frage die Landesregierung: 1. Welche rechtlichen Verpflichtungen gibt es zur Regelung? Wenn es keine rechtlichen Verpflichtungen gibt: Woher kommen die Regelungsforderungen? 2. Kann die Regelung befristet werden und wie begründet die Landesregierung ihre Antwort? 3. Ist ein weiteres Änderungsbedürfnis schon jetzt abzusehen (bitte auflisten nach Art des Bedürfnisses und dem erwarteten Zeitpunkt)? 4. In welchen anderen Vorschriften wird der Regelungssachverhalt gegebenenfalls bereits erfasst? 5. Welche Vorschriften des bisher geltenden Rechts werden durch die Neuregelung vereinfacht? 6. Welche Flächenländer haben nach Kenntnis der Landesregierung eine Regelung des Sachgebiets bereits wann getroffen? 7. Welches Regelungsmodell soll in Thüringen umgesetzt werden? 8. Mit welchem Ergebnis wurde die Vollzugsgeeignetheit der Regelung vorab geprüft? 9. Zu welchem Ergebnis kam eine zuvor durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse? 10. Wie viele Informationspflichten enthält die Regelung und wer sind die Adressaten (bitte aufschlüsseln nach "Bürger", "Unternehmen", "kommunale Gebietskörperschaften" und "Behörden")? 11. Welche Alternativen der Informationserlangung sind denkbar? 12. Ist das Land oder die kommunale Gebietskörperschaft für den Vollzug zuständig? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Krumpe (fraktionslos) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3015 13. Welche neuen Behörden oder Organisationseinheiten werden gegebenenfalls für den Vollzug geschaffen? 14. Wo und in welchem Umfang ist für den Vollzug zusätzliches Personal erforderlich? 15. Welche haushaltsmäßigen Vorkehrungen sind für die geplante Maßnahme im laufenden Haushaltsjahr getroffen worden? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 9. November 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Es gibt keine rechtlichen Verpflichtungen zur Regelung. Die Höhe der Landesblindengelder ist im Bundesdurchschnitt angestiegen. Der bundesdurchschnittliche Betrag liegt derzeit bei 406 Euro. Eine angemessene Berücksichtigung taubblinder Menschen als Menschen mit schwersten Sinnesbehinderungen findet zudem bislang nicht statt. Grund für die Gewährung des Blindengeldes ist die Tatsache, dass blinde Menschen aufgrund ihrer Behinderung erhebliche Mehraufwendungen für Hilfsmittel und Unterstützungsleistungen haben, die nur teilweise oder gar nicht von den Krankenkassen finanziert werden. Es handelt sich dabei im Grundsatz um den Aufwand für technische Hilfsmittel und Assistenzleistungen. Eine eingehendere Darstellung dieser Mehraufwendungen ist der Begründung zum Gesetzentwurf zu entnehmen. Taubblinde Menschen haben durch die Kombination zweier Sinnesbehinderungen einen noch höheren behinderungsbedingten Mehraufwand. Bei taubblinden Menschen sind technische Hilfsmittel und Assistenzleistungen - insbesondere spezielle Dolmetscherleistungen - in noch größerem Umfang erforderlich, sodass eine zusätzliche Leistung neben dem Blindengeld für diesen Personenkreis konsequent ist. Aufgrund des kaum abschließend und für alle Einzelfälle eindeutig zu definierenden Umfangs des Bedarfs an Assistenzleistungen beziehungsweise Dolmetscherleistungen können die vorgesehenen Beträge für das Blindengeld nicht als bedarfsdeckend angesehen werden. Sie sind vielmehr als Beitrag zur Bedarfsdeckung zu betrachten. Aufgrund dessen haben die die Regierung tragenden Parteien im Koalitionsvertrag (S. 32 Pkt. 3.12) eine schrittweise Erhöhung des Landesblindengeldes von derzeit 270 Euro auf in der Endstufe 400 Euro beginnend am 1. Juli 2016 vereinbart. Zu 2.: Nein. Der Bedarf für einen staatlichen Beitrag zur Deckung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs besteht dauerhaft. Zu 3.: Nein. Zu 4.: Die einkommens- und vermögensunabhängige Gewährung des Blindengeldes bzw. des Taubblindengeldes als Nachteilsausgleich wird ausschließlich vom Thüringer Blindengeldgesetz erfasst. Zu 5.: Keine. Zu 6.: Folgende Länder haben bereits eine Regelung getroffen: Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen , Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Saarland und Sachsen. Statistische Daten, zu welchem Zeitpunkt in den vorgenannten Flächenländern entsprechende Regelungen getroffen worden sind, liegen nicht vor. 3 Drucksache 6/3015Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 7.: Es soll das Thüringer Regelungsmodell umgesetzt werden. Zu 8.: In Thüringen wird das Blindengeld bereits seit dem Jahr 1992 mit einer Unterbrechung in den Jahren 2006 und 2007 gewährt. Insoweit hat sich die Vollzugsgeeignetheit in der Praxis bewährt. Zu 9.: Eine Kosten-Nutzen-Analyse wurde durchgeführt. Ausgehend vom Haushaltsjahr 2015 mit etatisierten 9.500.000 Euro bleiben die Gesamtausgaben auch im Haushaltsjahr 2016 bei 9.500.000 Euro. Die Gesamtausgaben erhöhen sich für das Haushaltsjahr 2017 auf 10.619.000 Euro, für das Haushaltsjahr 2018 auf 11.945.200 Euro und für das Haushaltsjahr 2019 und die Folgejahre auf 13.271.500 Euro. Diese stufenweise Kostensteigerung ist bedingt durch die stufenweise Erhöhung des Sinnesbehindertengeldes für blinde Menschen und zum anderen durch das jeweils um ein halbes Jahr zeitlich versetzte Kostenerstattungsverfahren (§ 8 Abs. 3 ThürBliGG) gegenüber den Kommunen. Das bedeutet zusammenfassend, dass ab dem Haushaltsjahr 2019 mit Wirksamwerden der vollen Erhöhung des Sinnesbehindertengeldes voraussichtlich 3.771.500 Euro Mehrausgaben für das Sinnesbehindertengeld , bezogen auf das Haushaltsjahr 2015, entstehen. Genaue statistische Daten über die Anzahl der in Thüringen lebenden taubblinden Menschen werden nicht erhoben. Da dieser Personenkreis - aufgrund von Erfahrungswerten wird von höchstens 40 Fällen ausgegangen - wegen der bestehenden Blindheit jedoch bereits Blindengeld bezieht, ist mit keinen nennenswert höheren Verwaltungsausgaben für die ausführenden Landkreise und kreisfreien Städte zu rechnen. Seit dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Blindengeldgesetzes vom 9. September 2010 (GVBl. S. 290) sind über sechs Jahre vergangen. Dabei wurde deutlich, dass die Höhe des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes auch mit Blick auf die anderen Bundesländer mit derzeit 270 Euro weit am unteren Rand der Skala liegt. So liegt der Bundesdurchschnitt der Höhe der Landesblindengelder zurzeit bei rund 406 Euro. Die Gewährung von Landesblindengeldern in allen Bundesländern hat ihren Grund in dem behinderungsbedingten Mehrbedarf blinder Menschen (vgl. hierzu auch Antwort zu Frage 1). Der derzeitige Betrag des Blindengeldes ist nicht als bedarfsdeckend anzusehen, da auch technische Hilfsmittel in größeren Abständen aufgrund technischer Entwicklungen (beispielsweise im Bereich der Software) und Abnutzungserscheinungen (beispielsweise bei mechanischen Elementen bei Screenreadern mit Ausgabe in Braille-Schrift) erneuert werden müssen. Der Bedarf an Assistenzleistungen bei notwendigen Erledigungen wie z.B. bei Arzt- und Behördenbesuchen ist ebenfalls kontinuierlich in höherem Maße vorhanden. Daher erscheint eine Erhöhung des derzeitigen Betrags auf den Bundesdurchschnitt als eine maßvolle Anpassung des Beitrags des Landes zur Bedarfsdeckung. Darüber hinaus wurde deutlich, dass der Personenkreis der blinden und taubblinden Menschen in der Vergangenheit undifferenziert im Hinblick auf behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche betrachtet wurde. Durch die Kombination von Gehörlosigkeit und Blindheit sind taubblinde Menschen in besonderem Maße beeinträchtigt: Hilfsmittel, die bei blinden Menschen geeignet sind, durch Nutzung des Hörsinnes die Sehbeeinträchtigung zu kompensieren, sind für taubblinde Menschen oft nutzlos. Sie sind außerdem in besonders hohem Maße auf Kommunikationsassistenz angewiesen. Hier verursacht insbesondere die Inanspruchnahme von in der Taubblindensprache geschulten Dolmetschern (Lormen) erhebliche Kosten in Höhe von rund 75 Euro pro Stunde zuzüglich Fahrtkosten. Nicht nur blinde, sondern auch taubblinde Menschen haben somit einen unvermeidbaren Mehrbedarf, der vom Staat vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen Deutschlands aus Artikel 28 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl. 2008 II S. 1419) auszugleichen ist und nicht länger von einer Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Sozialhilfe abhängig gemacht werden darf. Die Koalitionspartner der Bundesregierung haben sich zur aktiven Begleitung der Erarbeitung eines einkommens- und vermögensunabhängigen Bundesteilhabe- 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3015 gesetzes verpflichtet, das ein Bundesteilhabegeld regeln sollte. Angesichts des mittlerweile auf bundesgesetzlicher Ebene nicht mehr verfolgten Ansatzes eines Bundesteilhabegeldes ist die Notwendigkeit umso größer, auf Landesebene einen Nachteilsausgleich auch für taubblinde Menschen zu schaffen, wie dies in den mitteldeutschen Nachbarländern Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein seit vielen Jahren der Fall ist. Als Beitrag zur Bedarfsdeckung wird mit diesem Gesetz daher ein zusätzlicher Nachteilsausgleich für taubblinde Menschen in Höhe von 100 Euro monatlich eingeführt. Schon bei einer monatlichen Inanspruchnahme von eineinhalb Stunden Lorm-Dolmetscherleistung wird der geplante Betrag von 100 Euro erreicht beziehungsweise überschritten. Es ist mithin offenkundig, dass gesellschaftliche Teilhabe einen Bedarf in dieser Höhe ohne weiteres mit sich bringt. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die mit der Erhöhung des Landesblindengeldes sowie der Einführung eines erhöhten Blindengeldes für taubblinde Menschen verbundenen Mehraufwendungen zu einer höheren Lebensqualität für diesen Personenkreis führen wird und zugleich einen Beitrag zur Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe darstellt. Diese sozialpolitische Maßnahme ist somit angemessen und gerechtfertigt. Zu 10.: Keine. Zu 11.: Entfällt. (Vgl. Antwort zu Frage 10). Zu 12.: Für den Vollzug des Thüringer Blindengeldgesetzes sind die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Zu 13.: Keine. Zu 14.: Die im Gesetzentwurf getroffenen Regelungen werden zu keinem erhöhten Personalbedarf führen. Die Anzahl der in Thüringen lebenden taubblinden Menschen wird statistisch nicht erfasst. Da dieser Personenkreis , aufgrund von Erfahrungswerten wird von höchstens 40 Fällen ausgegangen, wegen der bestehenden Blindheit jedoch bereits Blindengeld bezieht, führt die Schaffung eines zusätzlichen Nachteilsausgleichs für taubblinde Menschen zu keinen erhöhten Personalbedarf. Werner Ministerin