22.11.2016 Drucksache 6/3071Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 15. Dezember 2016 Beobachtung der sogenannten "Identitären Bewegung" in Thüringen Die Kleine Anfrage 1445 vom 31. August 2016 hat folgenden Wortlaut: In einer am Mittwoch, den 24. August 2016 ausgestrahlten Reportage namens "ZDFzoom: Die Neue Rech te" äußerte sich der Präsident des Amts für Verfassungsschutz, Stephan J. Kramer, zur Beobachtung der sogenannten "Identitären Bewegung" wie folgt: "Da geht es tatsächlich um ein Überkommen des gegenwärtigen Staatssystems, der Grundprinzipien, auf denen unser Staat aufbaut. Dass sie noch in den Kinderschuhen stecken, macht sie nicht weniger beach tenswert, um nicht zu sagen, auch gefährlich und deswegen schauen wir auf sie drauf und versuchen früh zeitig zu erkennen, wohin die Reise geht, um dann mit den anderen Kollegen sowohl in den Behörden, aber auch in der Zivilgesellschaft nach Möglichkeit gegenzusteuern." Die Aufgaben des Amts für Verfassungs schutz sind im § 4 Abs. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVerfSchG) aufgeführt. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der "Identitären Bewegung" ausgehende a) "Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder" (§ 4 Abs. 1 ThürVerfSchG); b) "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Si cherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben" (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerfSchG); c) "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht" (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerfSchG); d) "Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder da rauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland ge fährden" (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerfSchG); e) "Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes, Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind" (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerfSchG); liegen dem Amt für Verfassungsschutz beziehungsweise der Landesregierung vor? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Brandner (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3071 2. Liegen dem Amt für Verfassungsschutz beziehungsweise der Landesregierung Erkenntnisse vor, wo nach die "Identitäre Bewegung" in Wort und/oder in Schrift und/oder in Tat die Verfasstheit der Bundes republik Deutschland in Frage gestellt hätte? Wenn ja, wann genau und in welcher Form erfolgte die se Infragestellung? 3. Welche Erkenntnisse liegen dem Präsidenten des Amts für Verfassungsschutz vor, um die Aussage zu begründen, bei der "Identitären Bewegung" "[ginge] es tatsächlich um ein Überkommen des gegenwär tigen Staatssystems, der Grundprinzipien, auf denen unser Staat aufbaut"? 4. Wie ist die Aussage des Präsidenten des Amts für Verfassungsschutz zu deuten, bei der "ldentitären Bewegung" sei "nach Möglichkeit gegenzusteuern"? Welche konkreten Maßnahmen zur "Gegensteue rung" sind geplant? 5. Auf welche "anderen Kollegen sowohl in den Behörden, aber auch in der Zivilgesellschaft" bezog sich die Aussage des Präsidenten des Amts für Verfassungsschutz? 6. Stimmt die Landesregierung der Aussage zu, dass die Beobachtung und Erfassung politisch motivier ter Kriminalität (und Vorbereitungshandlungen hierzu), nicht aber die Bekämpfung von vermeintlich "fal schen" oder "unbequemen" Ideologien die vornehmliche Aufgabe des Amts für Verfassungsschutz sein muss (bitte die Antwort begründen)? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 21. November 2016 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Beobachtung der Gruppierung "Identitäre Bewegung Thüringen" (IB Thüringen) durch das Amt für Ver fassungsschutz erfolgt auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerfSchG. Es liegen tatsächliche Anhalts punkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor. Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass sich die "Identitäre Bewegung" gegen einzelne im Grundge setz konkretisierte Menschenrechte (Grundrecht auf Asyl Artikel 16a GG; Gleichheitssatz Artikel 3 GG), die Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind, sowie gegen das Demokratieprinzip (Artikel 20 Abs. 1 GG) und das Repräsentationsprinzip (Artikel 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 GG) und somit auch die freiheitli che demokratische Grundordnung in Gänze richtet. Die "Identitäre Bewegung" beruft sich ideologisch auf die Inhalte und Ideen der sogenannten "Konservati ven Revolution" und ihrer Vertreter, die durch die weitgehende Ablehnung des Parlamentarismus und der Parteien als Mittel der politischen Willensbildung geprägt waren. Ihre Ideologie basiert auf dem Abstammungsprinzip und der Abgrenzung zu anderen Kulturen. Ziel ist eine "ethnokulturell" homogene Gesellschaft. Die Bewegung ist insbesondere in der AntiAsylAgitation im Rah men des Flüchtlingszustroms in extremistischer Weise in Erscheinung getreten. Im Rahmen der Kampagne "Der große Austausch" werden asyl, fremden, und islamfeindliche Parolen ver breitet, die im rechtsextremistischen Spektrum nahezu inhaltsgleich im Rahmen der sogenannten "Volkstod" Kampagne propagiert werden. Tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung können sich auch unabhängig von einzelnen Bestandteilen vertretener Ansichten und Aktivitäten aus der Gesamt schau aller vorliegenden Anhaltspunkte ergeben. So ist auch der rechtsextremistische Hintergrund einer Vielzahl an Aktivisten der "Identitären Bewegung" zu berücksichtigen. Die "IB Thüringen" führt auch gemeinsame Veranstaltungen mit der rechtsextremistischen Burschenschaft "Normannia" durch. Ergänzend wird auf die bisherige Berichterstattung der Landesregierung zur "Identitären Bewegung" ver wiesen, insbesondere auf die Antwort der Kleinen Anfrage 1126 (Drucksache 6/2422) und Nr. 1287 (Druck sache 6/2683). 3 Drucksache 6/3071Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 2.: Eine vollständige Auflistung der Verlautbarungen der "Identitären Bewegung" zur Infragestellung der Ver fasstheit der Bundesrepublik Deutschland ist nicht möglich. Die nachfolgende Nennung ist daher beispiel haft zu verstehen. Die "Identitäre Bewegung" wendet sich gegen das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Ein führendes Mitglied der "Identitären Bewegung Sachsen" äußert sich in einem Video METAPOLITIK IN UNTER 60 SE KUNDEN, #07 ~ "Wirkliche Demokratie", (www.youtube.com, abgerufen am 19. Oktober 2016) wie folgt: "Eine solche Form der Demokratie ist auf keinen Parlamentarismus angewiesen. Sie braucht keinen Par teienstaat …". Die "Identitäre Bewegung" argumentiert in ihrem Beitrag "Identitär Eine Idee", abrufbar unter www.identita eregeneration.info/identitaereineidee/ (abgerufen am 14.09.2016.): "Entweder die IB oder die herrschen de Ideologie. Einen Mittelweg gibt es hier nicht." Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Zu 3.: Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Zu 4.: Die "Identitäre Bewegung Thüringen" wird im Rahmen der Befugnisse des Thüringer Verfassungsschutz gesetzes vom Amt für Verfassungsschutz beobachtet und die Bevölkerung, die Politik und die zuständigen Stellen über deren Aktivitäten informiert, um zu ermöglichen, dass rechtzeitig die erforderlichen Maßnah men zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung" getroffen werden. Zu 5.: Es finden eine enge Zusammenarbeit und ein Informationsaustausch innerhalb des Verfassungsschutzver bundes sowie mit den Polizeibehörden statt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Zu 6.: Die Aufgaben des Amtes für Verfassungsschutz sind insbesondere in den §§ 1, 4 und 5 des Thüringer Ver fassungsschutzgesetzes geregelt. Die "Beobachtung und Erfassung politisch motivierter Kriminalität" ist kei ne originäre Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern unter anderem die Beobachtung von Bestrebun gen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dr. Poppenhäger Minister