14.02.2017 Drucksache 6/3425Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 1. März 2017 Bestandsgarantie für die erste Thüringer Landgemeinde Nesse-Apfelstädt (Landkreis Gotha) Die Kleine Anfrage 1638 vom 3. November 2016 hat folgenden Wortlaut: In den Jahren 2010 bis 2013 kam es in Thüringen zu insgesamt 55 freiwilligen Zusammen schlüssen von kreisangehörigen Gemeinden. Mit dem Thüringer Gesetz zur freiwilligen Eingliederung der kreisangehörigen Gemeinde Bernterode in die Gemeinde Breitenworbis sowie zur Bildung der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt (GVBI. S. 413) wurde die erste Thüringer Land gemeinde neu gebildet, die Landgemeinde Nesse-Apfelstädt. Damit wurde dem Willen nach einer Stärkung der kommunalen Verwaltungsstruktur auf freiwil liger Grundlage Rechnung getragen. Aufgrund des herbeigeführten Zusammenschlusses der vorherigen Bestandsgemeinden , im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung, durften diese auf eine langfristige tragfähige Kommunalstruktur vertrauen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie schätzt die Landesregierung die Leistungsfähigkeit der Landgemeinde Nesse- Apfelstädt ein? 2. Besteht für die Landgemeinde Nesse-Apfelstädt bei einer geplanten Gebietsreform Bestandsschutz? 3. Falls Frage 2 verneint wird, wie begründet die Landesregierung diese Entscheidung vor dem Hintergrund geltender Rechtsprechung? 4. Falls Frage 2 verneint wird, welche Neugliederungsmaßnahmen sieht die Landesre gierung für die Landgemeinde Nesse-Apfelstädt vor? 5. Wird die Landgemeinde Nesse-Apfelstädt auch nach einer geplanten Gebietsre form ihre Eigenständigkeit behalten? 6. Plant die Landesregierung im Zuge der Stärkung der Oberzentren eine Eingemein dung der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt oder einzelner Ortsteile in die Stadt Er furt? 7. Wie sollen die Bürger der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt in einen Neugliede rungsprozess eingebunden werden? 8. Wann werden die Bürger und die Verwaltung über eventuelle Neugliederungsmaß nahmen informiert? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Kellner (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3425 Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 13. Februar 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Landgemeinde Nesse-Apfelstädt weist - basierend auf dem Haushaltsplan 2016 und dem Ergebnis der Jahresrechnung 2015 - Überschüsse aus. Die finanzielle Leistungsfähigkeit ist damit derzeit gegeben. Zu 2.: Bestandsschutz bedeutet, dass Rechtsverhältnisse im Hinblick auf die Rechtssicherheit bestehen bleiben, sofern sie bereits vor einer gesetzlichen oder vertraglichen Neuregelung bestanden haben. Im Kommunalrecht gilt dieser Bestandsschutz allerdings nicht uneingeschränkt. Die Selbstverwaltungsgarantie gemäß Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz steht Gebiets- und Bestandsänderungen einzelner Gemeinden nicht entgegen. Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammenschlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebiets- und Bestandsänderungen beeinträchtigen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts deshalb grundsätzlich nicht. Allerdings darf der Gesetzgeber Gemeinden und Kreise nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften auflösen und ihr Gebiet ändern. Auch in der Vergangenheit neu gebildete Gemeindestrukturen können geändert werden, wenn eine erneute Regelung abweichenden Inhalts wegen veränderter Verhältnisse oder neuer Erkenntnisse notwendig oder zweckmäßig erscheint. Es besteht dabei allerdings ein erhöhter Vertrauensschutz. Eine entsprechende Neuregelung liegt durch das Vorschaltgesetz zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen vom 2. Juli 2016 vor. Die Gemeinde Nesse-Apfelstädt im Landkreis Gotha wird im Jahr 2035 bei nur noch 5.015 Einwohnern liegen . Die Gemeinde Nesse-Apfelstädt ist als Grundzentrum ausgewiesen. Damit entspricht sie nicht den Vorgaben des Vorschaltgesetzes, es besteht also für sie Veränderungsbedarf. Zu 3.: Bei der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt ist zu beachten, dass sie erst gemäß § 2 des Thüringer Gesetzes zur freiwilligen Eingliederung der kreisangehörigen Gemeinde Bernterode in die Gemeinde Breitenworbis sowie zur Bildung der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt vom 12. Mai 2009 mit Wirkung vom 1. September 2009 (GVBl. S. 413) entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (unter anderem vom 12. Mai 1992 zur Stadt Papenburg) hat der Gesetzgeber den für die Regelung erheblichen Sachverhalt dem Gesetz zugrundezulegen und die im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung einzustellen. Deshalb ist im Blick auf die Rechtfertigung aus Gründen des öffentlichen Wohls in der gesetzgeberischen Abwägung insbesondere ein Vertrauen der bereits einmal neugegliederten Gemeinde wie auch der Bürgerinnen und Bürger in die Beständigkeit staatlicher Organisationsmaßnahmen zu berücksichtigen. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die Landesregierung bei sämtlichen Neugliederungsmaßnahmen beachten. Zu 4.: § 6 Abs. 2 Thüringer Gebietsreform-Vorschaltgesetz sieht bis zum 31. Oktober 2017 für kreisangehörige Gemeinden eine Freiwilligkeitsphase vor. Bis dahin besteht die Möglichkeit, Partner zu finden und freiwillige Beschlüsse für leitbildgerechte Neugliederungsmaßnahmen zu fassen. Zu 5.: Auf die Antwort zu den Fragen 2 und 4 wird verwiesen. 3 Drucksache 6/3425Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 6.: Gemäß § 5 Abs. 1 Thüringer Gebietsreform-Vorschaltgesetz sollen Gemeinden, die im Landesentwicklungsprogramm Thüringen als Ober- oder Mittelzentrum ausgewiesen sind, durch Eingliederung vergrößert werden. Die Frage, ob dazu die Eingemeindung der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt oder einzelner Ortsteile notwendig ist, ist noch nicht entscheidungsfähig. Zu 7. und 8.: Die Information der Bürger obliegt der Landgemeinde Nesse-Apfelstädt im Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts, zum Beispiel im Rahmen von Einwohnerversammlungen und/oder über andere Informationswege, wie Amtsblatt, Internet et cetera. Gemäß Artikel 92 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen müssen vor einer Gebietsänderung oder einer Auflösung die Bevölkerung und die Gebietskörperschaften der unmittelbar betroffenen Gebiete gehört werden. Diese Vorgaben nimmt § 9 Abs. 3 Thüringer Kommunalordnung auf, der regelt, dass Gebietsänderungen gegen den Willen einer oder mehrerer beteiligter Gemeinden und Bestandsänderungen (Auflösungen) eines Gesetzes bedürfen. Vor Erlass des Gesetzes müssen die beteiligten Gemeinden und die Einwohner, die in den unmittelbar betroffenen Gebieten wohnen, gehört werden. Die Anhörung der Einwohner obliegt der Rechtsaufsichtsbehörde. In Thüringen wurde in der Vergangenheit eine Vielzahl von gesetzlichen Neugliederungen der Gemeindestrukturen durchgeführt, wobei das jeweilige Anhörungsverfahren durch den Thüringer Landtag stets in gleicher Weise durchgeführt wurde. Zwischen der ersten und der zweiten Lesung des Entwurfs eines Neugliederungsgesetzes im Landtag wurde auf der Grundlage eines Beschlusses des Innenausschusses ein förmliches schriftliches Anhörungsverfahren über einen Zeitraum von in der Regel mindestens sechs bis acht Wochen durchgeführt. In diesem Zeitraum hatten die beteiligten Gebietskörperschaften und die in den unmittelbar betroffenen Gebieten wohnenden Einwohner ausreichend Gelegenheit, von der beabsichtigten Neugliederung und deren Begründung Kenntnis zu erhalten, sich eine Meinung zu bilden und bei Bedarf eine Stellungnahme zu der Neugliederungsmaßnahme abzugeben. Die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens wurden im Innenministerium zusammengefasst, ausgewertet und als Bericht zusammen mit allen zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Stellungnahmen dem Landtag zur Einbeziehung in seine Abwägungsentscheidung zugeleitet. Die Information der Verwaltungen über den Bearbeitungsstand ihrer Anträge erfolgt gemäß den vom Innenministerium am 2. Juli 2016 veröffentlichten Allgemeinen Anwendungshinweisen für freiwillige Neugliederungen kreisangehöriger Gemeinden. Dr. Poppenhäger Minister Bestandsgarantie für die erste Thüringer Landgemeinde Nesse-Apfelstädt (Land-kreis Gotha) Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7. und 8.: