07.03.2017 Drucksache 6/3548Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 27. März 2017 Entwicklung von Sprachstörungen bei Kindern im Freistaat Thüringen Die Kleine Anfrage 1834 vom 24. Januar 2017 hat folgenden Wortlaut: Wie die Ostthüringer Zeitung in ihrer Ausgabe vom 10. Januar 2017 berichtet, wird in Thüringen "bei Kindern im Vorschul- und Schulalter immer häufiger eine Störung der Sprachentwicklung diagnostiziert: Nach Angaben der Barmer stellten Ärzte und Therapeuten im Jahr 2015 bei rund elf Prozent der Kinder im Alter zwischen fünf und 14 Jahren ein sprachliches Defizit fest. Landesweit etwa 18.900 Kinder dieser Altersgruppe mussten behandelt werden. 2011 seien es hingegen noch rund 3.400 weniger gewesen." Die Förderung von Kindern mit Sprachstörungen, Sprachentwicklungsverzögerungen und stark eingeschränkter Kommunikations- und Sozialfähigkeit hat sich die Freie Fröbelschule Keilhau zur Aufgabe gemacht . Dort werden Schüler durch eine diagnosegeleitete, individuelle sonderpädagogische Förderung an die Leistungsanforderungen der Grund- und Regelschule herangeführt. Das bedeutet immanente, ganztägige Förderung in jedem Unterrichtsfach sowie in speziellen Fördermaßnahmen und im Förderunterricht durch ausgebildete Fachkräfte. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Informationen zu Entwicklungstendenzen bei Sprachstörungen im Kindesalter liegen der Landesregierung vor und wie hat sich danach die Anzahl der diagnostizierten Sprachstörungen in den letzten zehn Jahren entwickelt (Auflistung nach Altersgruppen absolut und im Verhältnis zur entsprechenden Gesamtkinderzahl)? 2. Inwieweit können die Erhebung der Barmer und die im Artikel der Ostthüringer Zeitung vom 10. Januar 2017 genannten Zahlen mit eigenen Statistiken der Landesregierung untersetzt werden? 3. Wie hat sich der Anteil der Kinder, die Kindertagesstätten besuchen, im Vergleich zur entsprechenden Gesamtkinderzahl in den letzten zehn Jahren entwickelt? 4. Welche Kenntnisse zu den Ursachen und Einflussfaktoren für Sprachstörungen bei Kindern und diesbezüglicher Veränderungen in den letzten zehn Jahren liegen der Landesregierung vor? 5. Welche Schlussfolgerungen aus der Entwicklung von Sprachstörungen von Kindern ergeben sich für die Landesregierung? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Kowalleck (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3548 6. Welche Bildungs- und Erziehungsangebote gibt es speziell für Kinder mit Sprachstörungen im schulpflichtigen Alter? 7. Welchen Stellenwert misst die Landesregierung der diagnosegeleiteten individuellen Förderung von Kindern im schulpflichtigen Alter zu und welche Rolle spielen dabei Bildungseinrichtungen wie die Freie Fröbelschule Keilhau? 8. Welche Pläne verfolgt die Landesregierung, um Sprachstörungen bei Kindern zukünftig noch wirksamer zu begegnen? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 7. März 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Eine Zunahme der Häufigkeit von Entwicklungsstörungen ist nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit zu verzeichnen. Nachfolgende Abbildung zeigt die Entwicklung des Befundes Sprech-, Sprach- und Stimmstörung im Rahmen der Kinder- und Jugendärztlichen Untersuchungen in Thüringen über knapp zwei Jahrzehnte hinweg. Bei den Kindern im Kindergarten beziehungsweise in der Vorschule ist die Befundhäufigkeit über den gesamten Zeitraum hinweg ansteigend bis knapp 35 Prozent in den letzten fünf Jahren. Zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung stagnierten die Häufigkeiten bei circa einem Viertel der Kinder. In den 4. und 8. Klassen wird im Vergleich zu den ersten Untersuchungszeitpunkten dieser Befund kaum beschrieben. Hier ist über den gesamten Zeitraum sogar ein leicht rückläufiger Trend sichtbar. Insgesamt sind Jungen von Sprachauffälligkeiten häufiger betroffen. Auch wenn zum Zeitpunkt der Einschulung noch vergleichsweise viele Kinder von Sprech-, Sprach-, und Stimmstörungen betroffen sind, so sind diese im Laufe der Schulzeit und im Altersverlauf von immer geringerer Bedeutung. Zu 2.: Es wird auf Beantwortung zu Frage 1 verwiesen. Zu 3.. Die Entwicklung der Anzahl und des Anteils der Kinder, die in Tageseinrichtungen und in der öffentlich geförderten Tagespflege betreut wurden und werden, kann der folgenden Tabelle entnommen werden: 3 Drucksache 6/3548Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Stichtag Anzahl betreuter Kinder1) Kinder insgesamt2) Betreuungsquote in Prozent 15.03.2006 68.045 102.227 66,6 15.03.2007 67.583 101.084 66,9 15.03.2008 68.136 100.849 67,6 01.03.2009 70.064 101.188 69,2 01.03.2010 71.051 101.336 70,1 01.03.2011 72.717 101.916 71,3 01.03.2012 75.114 102.279 73,4 01.03.2013 77.191 103.773 74,4 01.03.2014 78.341 104.658 74,9 01.03.2015 79.008 105.904 74,6 01.03.2016 80.971 109.620 73,9 1) Ohne Kinder in Kindertagespflege, die zusätzlich eine Kindertageseinrichtung oder eine Ganztagsschule besuchen 2) Am 31. Dezember des Vorjahres; ab 2012: fortgeschriebene Bevölkerungszahl auf Datenbasis des Zensus Zu 4.: Die Frage kann in dieser Form nicht beantwortet werden, da keine entsprechenden Daten vorliegen. Allgemein werden Sprachauffälligkeiten im Kindesalter eingeteilt in 1. Sprachentwicklungsstörungen im Rahmen von primären Störungen (geistig, organisch) und in 2. spezifische Sprachentwicklungsstörungen (ohne organische, durch mentale oder emotionale Schädigungen ). Wegen der vielfältigen Ursachen und Bedingungen, die einer Sprachentwicklungsstörung zugrunde liegen können, erfordert ihre Abklärung immer ein interdisziplinäres Vorgehen von Ärzten, Psychologen und Logopäden beziehungsweise Sprachtherapeuten. Zugleich ist auf ärztlicher Seite die enge Kooperation verschiedener Fachdisziplinen (Pädiater, Phoniater-Pädaudiologe, HNO-Arzt, Augenarzt, gegebenenfalls Neurologe , Psychiater, Kieferorthopäde) unumgänglich. Zu 5.: Dem frühzeitigen Erkennen, der Diagnostik und dem Behandeln einer Sprachentwicklungsstörung kommt eine große Bedeutung zu. Häufig ist aufgrund deren Komplexität ein multidisziplinäres Vorgehen bei der Förderung notwendig. Bei Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung sollten zunächst folgende Fragen geklärt werden: - Welche Ursachen führten zur Sprachentwicklungsstörung? - Tritt diese Störung isoliert oder als Teil einer gesamten Entwicklungsretardierung auf? - Wie ist der sprachliche Entwicklungsstand des betreffenden Kindes und in welchem Ausmaß sind die verschiedenen linguistischen Ebenen betroffen? Bei der Therapie/Behandlung sollte unmittelbar an den Symptomen selbst angesetzt werden. Zusatzsymptome , insbesondere Verhaltensauffälligkeiten, sollten im Behandlungskonzept ausreichend berücksichtigt und mit den Eltern, Erziehern beziehungsweise Lehrern abgestimmt werden. Zu 6.: In Thüringen erfahren alle Kinder in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen gemäß des Thüringer Bildungsplans bis zum 10. Lebensjahr eine alltagsintegrierte sprachliche Bildung. Das heißt, sie erhalten eine umfassende systematische Unterstützung und Begleitung der natürlichen Sprachentwicklung, die über die gesamte Verweildauer der Kinder in der jeweiligen Einrichtung das Handeln der pädagogischen Fachkräfte während der alltäglichen pädagogischen Arbeit bestimmt. Die Berücksichtigung sprachlich-kommunikativer Problemlagen und eine daraus resultierende Förderung erfolgt sowohl bei den Schülerinnen und Schülern mit leichten Sprachstörungen als auch denen mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3548 Der Abbau von Lernbarrieren erfolgt unter anderem mit der Ausgestaltung des Klassenraums (zum Beispiel Schaukasten mit aktuellen Materialien für Gesprächsanlässe) sowie mit vielfältigen Hilfen und Unterstützung im Unterricht in Bezug auf Unterrichtssprache, Medien, Materialien, Sozialformen (zum Beispiel Partner- oder Kleingruppengespräche) et cetera. Die Sprache des Lehrers, aber auch Lesetexte, Arbeitsblätter , Arbeitsaufträge, Aufgabenstellungen werden sprachlich so gestaltet, dass die betroffenen Schüler erfolgreich und selbständig lernen können. Die Vereinfachungen betreffen die grammatische Struktur der Texte (zum Beispiel eingeschobene Nebensätze, Schachtelsätze), die Wortebene (Vermeidung mehrdeutiger Wörter oder Redewendungen, Trennung von zusammengesetzten Wörtern, gegebenenfalls Visualisierungen für schwierige Wörter, und die Textebene (Gliederung durch Haupt- und Zwischenüberschriften). Die Durchführung von speziellen diagnostischen Verfahren zur Beurteilung der Sprachentwicklung ist nicht Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte dieser Einrichtungen. Im Regelfall sind es die Fachtherapeuten (Logopäden , Sprachtherapeuten), die den Spracherwerb durch gezielte Förderprogramme beziehungsweise Verordnung von Heilmittelleistungen im Bereich Logopädie mit spezifischen, individuell auf das Kind abgestimmten Therapien anregen. Zu 7.: Die diagnosegeleitete individuelle Förderung von Kindern im schulpflichtigen Alter hat einen zentralen Stellenwert . Daher wurde im Jahr 2013 das Thüringer Diagnostikkonzept zur Qualitätssicherung in der sonderpädagogischen Begutachtung entwickelt. Unabhängig von pädagogischem oder sonderpädagogischem Förderbedarf und ebenfalls unabhängig von der Organisationsform des Lernens kann die zusätzliche spezialisierte Förderung und Unterstützung nur erfolgreich sein, wenn im Vorfeld eine sorgfältige, pädagogisch qualifizierte Ist-Analyse erstellt wird. Ein je individuelles Bedarfsprofil, welches die Stärken und Schwächen, die Begabungen und Defizite eines Kindes nachvollziehbar ausleuchtet, bildet die Basis für eine zielgerichtete und individualisierte Förderung. Dabei bilden die Diagnostik, gegebenenfalls die Gutachtenerstellung und die auf dieser Grundlage zu entwickelnde je individuellspezifische Förderplanung eine Handlungseinheit. Das für den Freistaat Thüringen hierzu entwickelte Konzept soll sicherstellen, • dass die diagnostischen Fachkräfte dieser komplexen und schwierigen Aufgabe professionell gerecht werden können, • dass die Begutachtung landesweit vergleichbar wird, • dass Über- oder Unterdiagnostizierung verhindert werden und • dass Kinder mit mehr oder weniger ausgeprägten Schwierigkeiten im Lernen, Verhalten und/oder Sprechen eine ihrem Bedarfsprofil angemessene, qualifizierte Förderung erhalten. In den Grundschulen und den weiterführenden Schulen werden mit Hilfe von Lernstandsdiagnosen die Sprachstände erhoben, die Lernentwicklung beobachtet und die Wirksamkeit der Unterrichtsarrangements und der Fördermaßnahmen evaluiert. Die Aufgabe des Deutschunterrichts besteht dabei darin, die unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen der Kinder sowohl im Bereich der gesprochenen als auch der geschriebenen Sprache aufzugreifen und so wirksam wie möglich zu entfalten und zu erweitern als Voraussetzung für die Entwicklung von Kompetenzen in allen anderen Fächern. Alle Fächer müssen immanent ihren Beitrag zur Entwicklung der sprachlichen Kompetenz leisten. Die "Freie Fröbelschule Keilhau" wird seit 1. September 1999 in Trägerschaft des Jugendsozialwerks Nordhausen als Förderschule für Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt "Sprache" betrieben. Diese Förderschule hat, wie auch die anderen 23 Förderschulen in freier Trägerschaft, einen hohen Stellenwert bei der individuellen Förderung von Kindern. Zu 8.: Die Landesregierung sieht derzeit keinen Bedarf, am bestehenden System Änderungen vorzunehmen. In Vertretung Ohler Staatssekretärin Entwicklung von Sprachstörungen bei Kindern im Freistaat Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.. Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: