08.03.2017 Drucksache 6/3555Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 29. März 2017 Inklusive Bildung im Landkreis Schmalkalden-Meiningen - Teil 2 Die Kleine Anfrage 1854 vom 24. Januar 2017 hat folgenden Wortlaut: In den vergangenen Wochen erreichten die Fraktion der CDU Hinweise, dass es bei der Umsetzung der inklusiven Bildung im Landkreis Schmalkalden-Meiningen Probleme gibt. Angeblich tagt die Steuerungsgruppe zur ʺWeiterentwicklung der Förderzentren und des Gemeinsamen Unterrichtsʺ (im Folgenden: WFG-Steuerungsgruppe ) derzeit nicht. Des Weiteren soll sich die Zusammensetzung der Gruppe kürzlich verändert haben. Ich frage die Landesregierung: 1. Welches aktuelle Konzept gibt es zur regionalen Umsetzung des "Thüringer Entwicklungsplans zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Artikel 7 und 24) im Bildungstresen bis 2020"? 2. Wie wird die Umsetzung des Entwicklungsplans Inklusion wissenschaftlich begleitet? 3. Wie wird ein regionales und schulinternes Fördersystem aufgebaut, beziehungsweise wie wird der Aufbau fachlich unterstützt? 4. Wie wird das Konzept des Gemeinsamen Unterrichts für die Einzelschulen zum wirklichen Entwicklungsauftrag und welche Aufgaben werden dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien beziehungsweise den Beratern für Schulentwicklung dabei zugeordnet? 5. Wie kann Individualisierung in den heterogenen Gruppen der Grundschulklassen gelingen und welche Orientierungsmodelle beziehungsweise Praxiserfahrungen gibt es zum individualisierten Unterricht? 6. Wie hoch sind die aktuellen lnklusionsquoten in Thüringen (bitte nach Landkreisen aufschlüsseln)? 7. Gibt es Best-Practice-Beispiele in Thüringen und wie unterscheiden sich diese Schulen von anderen? 8. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basiert die Annahme, dass ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen erst in der dritten Klasse diagnostiziert werden kann? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Tischner (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3555 Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 7. März 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Entwicklung regionaler Konzepte orientiert sich an den bestehenden gesetzlichen Grundlagen (insbesondere Thüringer Schulgesetz § 2 Abs. 2, Thüringer Förderschulgesetz § 1 Abs. 2), am Thüringer Entwicklungsplan Inklusion sowie an den regionalen Gegebenheiten und Erfordernissen. Die im Thüringer Entwicklungsplan Inklusion von den Sachverständigen für den Landkreis Schmalkalden-Meiningen empfohlenen Maßnahmen: - Intensive Bemühungen um Erhöhung der Inklusionsquote an staatlichen allgemeinbildenden Schulen, - Weiterentwicklung der staatlichen Förderzentren, - Entwicklung von pädagogischen Konzepten zur Verstärkung der Unterstützung des Gemeinsamen Unterrichts in Regelschulen, - Entwicklung von sonderpädagogischen Konzepten für "temporäre Lerngruppen", - Verstärkung der Kooperation zwischen den aufeinanderfolgenden Bildungsstufen, - Entwicklung von regionalen Konzepten zur Weiterentwicklung des Gemeinsamen Unterrichts in berufsbildenden Schulen (insbesondere bezogen auf den Förderschwerpunkt Lernen), wurden zielgerichtet ins Auge gefasst und sind Schwerpunkt der Weiterentwicklung der Förderzentren und des Gemeinsamen Unterrichts sowie der Zusammenarbeit in der Steuergruppe WFG des Landkreises Schmalkalden-Meiningen. Zu 2.: In Thüringen gibt es eine Forschungs- und Arbeitsstelle für den Gemeinsamen Unterricht/Inklusion. Die Forschungs - und Arbeitsstelle bietet allen Interessierten Information, Vernetzung, Unterstützung sowie Wissenschaftliche Begleitung schulischer Integration/Gemeinsamen Unterrichts an. Unter Federführung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport und mit Beteiligung des ThILLM koordiniert und begleitet eine Steuergruppe die Umsetzung des Thüringer Entwicklungsplans Inklusion. Mitglieder in dieser Steuergruppe sind die Abteilungsleiter des Bildungsministeriums sowie der ThILLM - Direktor. Zu 3. und 4.: Alle Thüringer Schulen, insbesondere jedoch die Förderzentren, sind aufgefordert, in Eigenverantwortung ihre pädagogischen Konzepte auf der Grundlage der Thüringer Schulgesetze auszurichten und den Gemeinsamen Unterricht auch inhaltlich weiterzuentwickeln. Damit liegt die Verantwortung zunächst beim Schulleiter der jeweiligen Schule. Er hat Sorge dafür zu tragen, dass für alle Schüler der Schule gemäß § 2 Thüringer Schulgesetz die individuelle Förderung gewährleistet werden kann. Ergibt sich ein erhöhter Bedarf durch die Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf bei Schülern, so steht ein Förderpädagoge an der Schule zur Unterstützung der Lehrkräfte und der Schüler zur Verfügung, darüber hinaus wird das jeweilige Netzwerkförderzentrum beratend und unterstützend tätig. Anhand einiger Beispiele wird aufgezeigt, welche Aktivitäten derzeit im Bereich des Staatlichen Schulamts Südthüringen und somit auch im Landkreis Schmalkalden-Meiningen zu verzeichnen sind: - regelmäßiges fachliches und inhaltliches Thematisieren von Entwicklungsschwerpunkten in den Dienstberatungen der Schulleiter aller Schularten, - Regionalisierung sonderpädagogischer Förderung unter der federführenden Verantwortung des Netzwerkförderzentren , - Etablierung thematischer Arbeitskreise (unter Federführung der Netzwerkförderzentren) zur Umsetzung der Leitlinien für Schüler mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung unter Beteiligung aller Schularten, des ThILLM sowie Vertretern des Schulamtes, der örtlichen Schulträger sowie der Jugendämter, - Entwicklung von Konzepten für "temporäre Lerngruppen", - Einbeziehung der Förderzentren mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und Sprache bei der Regionalisierung sonderpädagogischer Förderung, - enge Kommunikation mit weiteren Beteiligten (zum Beispiel Sozialpädiatrischen Zentren, Kinder- und Jugendpsychiatrien, Psychotherapeuten, Leistungsträgern der Sozialhilfe, Frühförderstellen, …) - vielfältige Aktivitäten zur Lehrerfortbildung (zum Beispiel durch die Netzwerkförderzentren, das ThILLM, Fachberater zu verschiedenen Förderschwerpunkten, externe Referenten oder Anbieter auf der Grundlage des Fortbildungsbudgets der Schulen,…) - vielfältige Beratungsangebote (zum Beispiel durch die Mitarbeiter des schulpsychologischen Dienstes des Schulamtes, die Koordinatoren für den Gemeinsamen Unterricht, externe Berater,…) 3 Drucksache 6/3555Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Das ThILLM setzt derzeit ein modularisiertes Qualifikationskonzept zum Thema "Inklusive Bildung" mit vielfältigen thematischen Veranstaltungen um, die zentral angeboten und von Schulen oder Schulämtern regional abgerufen werden können. Fachberater beispielsweise zu sonderpädagogischen Schwerpunktfragen können zu Fortbildungen oder auch zur einzelfallbezogenen Beratung herangezogen werden. Darüber hinaus können Berater zur Schulentwicklung zur Begleitung einzelner Schulen angefordert werden, die den Entwicklungsprozess der Einzelschule über einen längeren Zeitraum begleiten können. Zu 5.: Zunächst ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Schülerschaft in allen Schularten heterogen ist. Wichtigste Voraussetzung für eine gelingende Individualisierung ist zunächst die Aufgeschlossenheit der Lehrkräfte und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Schulkonzepte. Die Grundschule bietet insbesondere über die Schuleingangsphase durch die Jahrgangsmischung und der unterschiedlichen Verweildauer der Schüler in jahrgangsgemischten Gruppen die Möglichkeit, dem unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsständen sowie den verschiedenen Lerntempi der Schüler Rechnung tragen zu können. Darüber hinaus liegt es in der Verantwortung und damit in der Hand des unterrichtenden Lehrers, entsprechende differenzierte Angebote für alle seine Schüler vorzuhalten. Verschiedene reformpädagogische Konzepte bieten den Schulen für ihre Entwicklung eine Orientierung. Ein bestimmtes Konzept kann dabei nicht favorisiert werden, häufig sind in der Praxis auch Mischformen anzutreffen. Zu 6.: Die erbetenen Angaben sind in der Anlage* dargestellt. Zu 7.: Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Grundsätzlich beschulen zwischenzeitlich fast alle allgemeinen Schulen auch Schüler/-innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Die Schulen, die eine positive Grundeinstellung bzgl. der Vielfalt leben, gemeinsame inklusive Wertevorstellungen entwickelt haben, Teamarbeit nutzen und Netzwerke aufgebaut haben , sind auch in der Umsetzung der Inklusion erfolgreich. Dies trifft insbesondere auf die folgenden, aber auch auf andere Schulen zu. Grundschule Martini Mühlhausen: Einrichtung einer temporären Lerngruppe zur Umsetzung der Leitlinien für Schüler mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung (ESE-Leitlinien); Kooperationen mit dem Ökumenischen Hainich Klinikum Mühlhausen und dem Jugendamt bezüglich familienbegleitender Unterstützung Regelschule Ellrich, Regelschule Uder, Thüringer Gemeinschaftsschule Oldisleben, Grundschule Albert- Kuntz Nordhausen, Grundschule Bleicherode, Grundschule Ellrich, Grundschule Katharinenberg: Schüler mit Handicap sind hier willkommen, der Probleme wird sich angenommen, Lösungskonzepte werden entwickelt und umgesetzt. Staatlichen Grundschulen "Ludwig Bechstein", Neuhaus am Rennweg, "Ringbergschule" Suhl und die Staatliche Grundschule Benshausen: Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf werden in verschiedenen Bereichen erfolgreich im Gemeinsamen Unterricht beschult. Die enge Zusammenarbeit aller Lehrkräfte der Schule auch mit den Sonderpädagogen sowie mit der zuständigen Netzwerkschule ist hier der Garant für die gelungene Integration . Problemsituationen werden konstruktiv und offen mit allen Beteiligten besprochen und bearbeitet. Weitere Gelingensbedingungen sind entsprechende Fortbildungen, die Begleitung der Pädagogen bei der Planung von Unterricht und das gegenseitige regelmäßige Reflektieren. Staatliche Regelschule in Floh-Seligenthal: Hier wird ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der geistigen Entwicklung unterrichtet . Dort kann eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften der Regelschule und der Förderschule beobachtet werden. Der Schüler ist an der Schule sozial integriert, er macht seinen Mög- 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3555 lichkeiten entsprechend kontinuierliche Entwicklungsfortschritte, fühlt sich wohl und kann an allen schulischen Aktivitäten teilhaben. Staatliche Thüringer Gemeinschaftsschule Tonna: Auf der Grundlage der Zuweisung der entsprechenden LWS durch das zuständige Förderzentrum arbeiten die Lehrerinnen und Lehrer integrativ und inklusiv. Schüler werden altersgemischt und altersgerecht, geschlechtergemischt und geschlechtergetrennt sowie behinderungsgemischt und behinderungsgetrennt beschult. Es gibt keine starre Festlegung. Die Individualität ist die Grundlage der Arbeit. Den Schülern steht ein breites Angebot an spezifischem Lern- und Übungsmaterial in einer Lernwerkstatt zur Verfügung, welches zum jeweiligen Thema oder der notwendigen Wissensfestigung von den Lehrern eingesetzt wird. Sie absolvieren gemeinsam mit Haupt- und Realschülern den Unterricht, Klassenaktivitäten und Praktika. Staatliche Regelschule "Friedrich Ludwig Jahn" Kölleda: Die im Schulversuch "Unterrichtung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen im gemeinsamen Unterricht nach den Lehrplänen der Grund- und Regelschule (GULP; bis 2014/2015) gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen gingen in die individuelle Schulentwicklung ein. Staatliche Gemeinschaftsschule am Großen Herrenberg: Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf, die im gemeinsamen Unterricht beschult werden, führen ihren Praxistag oder ihre Praxistage im Rahmen der praxisnahen Berufsorientierung in der Jugendberufsförderung ERFURT gGmbH von Klasse 7-9 durch. Staatliche Gemeinschaftsschule "Friedrich-Schiller" Erfurt: In der Schillerschule in Erfurt wird die Daltonpädagogik gelehrt. Das (reformpädagogische) Konzept des Dalton-Planes ist ein offenes, welches keine bestimmten Methoden oder Regeln vorgibt. Zu 8.: Bereits im Gesetz über die Förderschulen in Thüringen vom 21. Juli 1992 war in § 10 Abs. 2 geregelt, dass der Bildungsgang zur Lernförderung an der Förderschule in den Klassenstufen 3 bis 9 vorgehalten wird. Gemäß den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Förderschwerpunkt "Lernen" besteht sonderpädagogischer Förderbedarf in diesem Förderschwerpunkt bei Kindern und Jugendlichen, "die in ihrer Lern- und Leistungsentwicklung so erheblichen Beeinträchtigungen unterliegen, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden können. Demzufolge erfolgt eine Zuschreibung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Förderschwerpunkt "Lernen" und die damit einhergehende Zuordnung zum Bildungsgang zur individuellen Lernförderung frühestens ab Klasse 3 und genau dann, wenn sich erwiesen hat, dass der Schüler die an ihn gestellten Anforderungen der Grundschule nicht erfüllen kann. Nach neuerem Verständnis beschreiben Begriffe wie "Lernbehinderung" beziehungsweise sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt "Lernen" eine mangelnde Passung zwischen den Handlungsund Lernmöglichkeiten eines Kindes und den Anforderungen der Schule, wobei die Ursachen hierfür vielfältig sein können. Lernbehinderung kann folglich als besonderes, von den allgemeinen Erwartungen abweichendes Verhältnis zwischen dem individuellen schulischen Lernfortschritt und den schulischen Leistungserwartungen verstanden werden (Eberwein, 1997; Werning & Lütje-Klose 2016). In Vertretung Ohler Staatssekretärin 5 Drucksache 6/3555Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Anlage Seite 7 von 7 Inklusionsquote nach Geografie sowie Schuljahr nach Geografie Schulträger: ∑ Schultyp: allgemeinbildende Schule Schulart: ∑ Förderbedarf: ∑ Measures: Inklusionsquote Geografie Schuljahr 15/16 16/17 - Thüringen 36,5% 39,9% - Mittelthüringen 37,3% 40,1% + Erfurt-Stadt 37,8% 40,1% + Weimar-Stadt 22,2% 23,8% + Sömmerda 44,0% 41,0% + Weimarer Land 52,8% 61,8% - Nordthüringen 33,4% 34,0% + Eichsfeld 42,3% 43,2% + Nordhausen 26,5% 26,4% + Unstrut-Hainich-Kreis 30,9% 33,3% + Kyffhäuserkreis 37,7% 36,1% - Ostthüringen 44,5% 48,2% + Gera-Stadt 39,2% 43,9% + Jena-Stadt 83,9% 89,5% + Saale-Holzland-Kreis 36,7% 36,8% + Saale-Orla-Kreis 48,8% 49,7% + Greiz 26,3% 33,5% + Altenburger Land 35,2% 35,7% - Südthüringen 29,0% 34,9% + Suhl-Stadt 16,4% 22,2% + Schmalkalden-Meiningen 29,5% 32,6% + Hildburghausen 26,5% 30,2% + Sonneberg 29,6% 37,5% + Saalfeld-Rudolstadt 33,9% 41,8% - Westthüringen 34,4% 39,1% + Eisenach-Stadt 20,2% 20,1% + Wartburgkreis 37,4% 42,4% + Gotha 38,7% 46,8% + Ilm-Kreis 35,8% 39,4% Inklusive Bildung im Landkreis Schmalkalden-Meiningen - Teil 2 Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3. und 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Anlage