13.04.2017 Drucksache 6/3745Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 2. Mai 2017 Umsetzung des "Ergänzenden Hilfesystems" und Beteiligung am "Fonds Sexueller Missbrauch" Die Kleine Anfrage 1984 vom 1. März 2017 hat folgenden Wortlaut: Der von der Bundesregierung eingesetzte Runde Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" hat die Einrichtung eines "Ergänzenden Hilfesystems (EHS)" zur Unterstützung von Betroffenen gefordert. In der Umsetzung wurden zwei verschiedene Systeme entwickelt: - "Fonds Sexueller Missbrauch" im familiären Bereich: Dieser wurde im Mai 2013 eingerichtet. An dem Fonds haben sich bisher der Bund mit 50 Millionen Euro, die Länder Mecklenburg-Vorpommern (1,03 Millionen Euro), Bayern (7,61 Millionen Euro) und Hessen (3,6 Millionen Euro) gemäß Königsteiner Schlüssel beteiligt. Damit standen bisher 62,24 Millionen Euro statt der ursprünglich versprochenen 100 Millionen Euro zur Verfügung. - "Ergänzendes Hilfesystem" für Betroffene in Institutionen: Für den institutionellen Bereich gibt es ein "Ergänzendes Hilfesystem", das ebenfalls im Mai 2013 eingerichtet wurde. Mit Thüringen und elf weiteren Bundesländern sowie zahlreichen nichtstaatlichen Institutionen wurden seither Vereinbarungen durch die Bundesregierung zur Beteiligung am EHS geschlossen. Wir fragen die Landesregierung: 1. Aus welchem Grund hat sich der Freistaat Thüringen bisher nicht am "Fonds Sexueller Missbrauch" im familiären Bereich beteiligt? 2. Was unternimmt der Freistaat Thüringen, um Opfern sexuellen Missbrauchs ergänzende Hilfe zukommen zu lassen, solange die Reform des Opferentschädigungsgesetzes noch aussteht? 3. Ist die Landesregierung durch die Bundesregierung aufgefordert worden, sich an einer gemeinsamen Lösung für Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich zu beteiligen und wenn ja, wie lautete die Antwort? 4. Wie hoch ist der durch den Freistaat Thüringen gemäß Königsteiner Schlüssel zu zahlende Betrag am "Fonds Sexueller Missbrauch" im familiären Bereich und findet sich dieser im Haushalt beziehungsweise den Haushaltplanungen wieder? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Rothe-Beinlich und Pfefferlein (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3745 5. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, bei denen von sexuellem Missbrauch im familiären Bereich Betroffene keine ausreichende Hilfe durch die Regelungen des Opferentschädigungsgesetzes oder den Krankenkassen zu Teil wurde und wenn ja, versuchte die Landesregierung Abhilfe zu schaffen? 6. Wie schätzt die Landesregierung die rechtliche Verpflichtung zur ergänzenden Hilfeleistung durch den Freistaat Thüringen ein? 7. Wie will die Landesregierung das Ziel schneller unbürokratischer Hilfen für von sexuellem Missbrauch im familiären Bereich Betroffener umsetzen? 8. Was unternimmt die Landesregierung, um Betroffenen im vorgenannten Sinn die notwendige Hilfe zur individuellen Aufarbeitung sowie die Nachholung von Schulabschlüssen oder Qualifizierungsmaßnahmen zu ermöglichen? 9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus dem Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe "Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich"? 10. Wie will der Freistaat Thüringen seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gegenüber Betroffenen sexuellen Missbrauchs aus dem familiären Bereich zukünftig gerecht werden? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 13. April 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Der "Fonds sexueller Missbrauch im familiären Bereich" dient der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im familiären Kontext. Wie die meisten Länder sieht auch der Freistaat Thüringen keine Zuständigkeit und damit auch keine Notwendigkeit zur Übernahme gesamtgesellschaftlicher (und zusätzlicher finanzieller) Verantwortung für innerfamiliäre Vorfälle. Anstelle einer Beteiligung an dem "Fonds sexueller Missbrauch" fordern die Länder eine Verbesserung der Regelsysteme (zum Beispiel Opferentschädigung). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich bereits am Runden Tisch die Vertreterinnen und Vertreter der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) dafür ausgesprochen haben, dass alle Opfer einen unbürokratischen Zugang zu den bestehenden Hilfesystemen erhalten müssen, diese Systeme - wenn notwendig - weiter zu entwickeln sind. Zudem sollten die rechtlichen Möglichkeiten der Verursacherhaftung verbessert werden. Gerade Opfer sexueller Gewalt im familiären Bereich, deren Rückgriffsmöglichkeiten stark erschwert sind, brauchen nach Auffassung der JFMK klare Rechtsansprüche auf bedarfsgerechte Hilfen . Die deutlich überwiegende Mehrheit der Länder sprach sich vor diesem Hintergrund gegen ein neues ergänzendes Hilfesystem für Opfer familiärere sexueller Gewalt aus (vgl. Abschlussbericht des Runden Tisches "Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeitsverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich" (Bundestagsdrucksache 17/8117 vom 9. Dezember 2011 - Seite 10; Fn. 17). Leistungen des Fonds sind grundsätzlich freiwillig und werden ohne gesetzliche Verpflichtung erbracht. Mit der Beteiligung am ergänzenden Hilfesystem für Betroffene sexuellen Missbrauchs in (staatlichen) Institutionen hat der Freistaat Thüringen seine Verpflichtung in seiner Rolle als Arbeitgeber und die gesellschaftliche Verantwortung anerkannt. Zu 2.: Opfer von Gewalttaten erleiden häufig psychotraumatische Belastungen. Wesentliches Ergebnis von medizinischen Studien ist, dass die Opfer möglichst frühzeitig einer qualifizierten Untersuchung unterzogen werden sollten, damit erforderliche Maßnahmen der Stabilisierung sowie Therapien schnellstmöglich eingeleitet werden können und damit einer Chronifizierung des Leidens beziehungsweise der Ausbildung psychischer Folgeerkrankungen entgegengewirkt werden kann. Derartige "Sofortmaßnahmen" sind im System der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch oftmals nicht oder nur schwer realisierbar. Aufgrund dessen sind in Thüringen spezielle Traumaambulanzen mit dem Ziel errichtet worden, Gewaltopfern möglichst frühzeitig (innerhalb von 72 Stunden nach der Gewalttat) eine qualifizierte psychologische Betreuung zur Verarbeitung des Erlebten zukommen zu lassen. Erhebungen in Bundesländern, die bereits über Traumaambulanzen verfügen haben gezeigt, dass durch derartige Maßnahmen in etwa 25 Prozent der Fälle eine vollstän- 3 Drucksache 6/3745Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode dige Genesung erreicht werden konnte. Vor diesem Hintergrund wurde auch in Thüringen eine frühzeitige fachärztliche Betreuung von Gewaltopfern angestrebt. Die Kliniken im Freistaat, die über entsprechende Fachbereiche verfügen, wurden nach ihrer Bereitschaft befragt, Traumaambulanzen zu errichten. Das Interesse und die Bereitschaft der Klinken war erfreulicherweise groß, so dass mit neun Einrichtungen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden konnten. Damit ist neben der möglichen Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nunmehr eine flächendeckende Sofortversorgung von Gewaltopfern und mithin auch von Opfern sexuellen Missbrauchs in Thüringen gewährleistet. Zu 3.: Die Bundesregierung hat zur Beteiligung aufgefordert. Die meisten Landesregierungen haben die Beteiligung am "Fonds sexueller Missbrauch im familiären Bereich" aus den in der Antwort zu Frage 1 erwähnten Gründen abgelehnt. Zu 4.: Der Bund hat am 30. November 2011 die Ausstattung des Fonds mit 100 Millionen Euro versprochen, der aus unterschiedlichen Quellen finanziert werden soll. Ausgehend von einem durch die Länder zu finanzierenden Betrag von 50 Millionen Euro, beliefe sich der Anteil Thüringens auf der Basis der Berechnung nach Königsteiner Schlüssel (gegenwärtig 2,69470 Prozent ) auf 1.347.350 Euro. Hinzu treten die Kosten für die Fälle des ergänzenden Hilfesystems für den institutionellen Bereich. Diese lassen sich nicht abschließend beziffern, da jeweils Spitzabrechnungen erfolgen und gegenwärtig nicht absehbar ist, in welchem Umfang die Betroffenen, den je Einzelfall möglichen Höchstbetrag in Höhe von 10.000 Euro ausschöpfen werden. Zu 5.: Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz mit entsprechenden Fallgestaltungen liegen in Thüringen nicht vor. Zu 6.: Eine rechtliche Verpflichtung zur ergänzenden Hilfeleistung existiert nicht. Die Leistungen sind subsidiär zu gesetzlichen Unterstützungssystemen (zum Beispiel gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung , Opferentschädigungsgesetz) und sollen diese nicht ersetzen. Zu 7.: Die Ergebnisse/Erkenntnisse des "Fonds sexueller Missbrauch im familiären Bereich" sollen zu Verbesserungen der (bundesrechtlichen) Regelungen zur Opferentschädigung herangezogen werden. Vorbehaltlich der Kenntnis konkreter Änderungsvorschläge werden diese Bestrebungen unterstützt. Es existieren im Freistaat Thüringen 19 Kinderschutzdienste, die unter anderem Betroffene sexuellen Missbrauchs beraten und unterstützen. Sie sind förderfähig auf Grundlage der Richtlinie "Örtliche Jugendförderung ". Daneben unterstützt der Freistaat Thüringen das Kinder- und Jugendsorgentelefon als niedrigschwelliges Angebot an Kinder und Jugendliche in akuten Krisen- und Problemsituationen. Darüber hinaus ist die Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" mit Unterstützung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) geplant. In diesem Rahmen sollen Schulen bei Fragen im Umgang mit sexuellem Missbrauch unterstützt werden. Zu 8.: Den Betroffenen stehen die gesetzlichen Leistungssysteme zur Aufarbeitung des Geschehenen offen. Für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb von Schulabschlüssen stehen die Angebote der Erwachsenenbildung zur Verfügung. Eventuelle Kosten können bereits durch gesetzliche Leistungssysteme übernommen werden. Im Rahmen des Ergänzenden Hilfesystems in Institutionen, an dem sich der Freistaat Thüringen durch Abschluss entsprechender Vereinbarungen beteiligt, sind entsprechend der Leistungsleitlinien angemessene Kosten zur individuellen Aufarbeitung oder auch Weiterbildungs- oder Qualifikationsmaßnahmen bis zu einem Höchstbetrag von 10.000 Euro finanzierbar. Dies ist mit Blick auf die Subsidiarität der Leistungen 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3745 nur möglich, sofern nachweislich keine Unterstützung durch gesetzliche Leistungssysteme (zum Beispiel BAföG) erfolgt. Zu 9.: Der Freistaat Thüringen hat im Ergebnis des Runden Tisches seine Verantwortung als Arbeitgeber für Fälle sexuellen Missbrauchs in Landeseinrichtungen übernommen und die Bund-Länder-Vereinbarung am 19. Oktober 2015 für Missbrauchsfälle in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 30. Juni 2013 unterzeichnet. Obwohl keine Rechtsnachfolge des Freistaats Thüringen für die Institutionen der Verwaltung der DDR existiert und zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen wurde durch den Freistaat Thüringen am 22. August 2016 die Verwaltungsvereinbarung zu ergänzenden Hilfeleistungen an Betroffene sexuellen Missbrauchs in staatlichen Institutionen der DDR unterzeichnet. Damit können Missbrauchsfälle aus dem Zeitraum 7. Oktober 1949 bis 2. Oktober 1990 ebenfalls Hilfen aus dem EHS erhalten. Zu 10.: Betroffene sexuellen Missbrauchs steht ein breit gefächertes System an gesetzlichen Unterstützungsleistungen zur Verfügung. Thüringen wird auch künftig dessen Weiterentwicklung zur Schließung von Versorgungs - und Entschädigungslücken unterstützen. Ferner wird auf die unter Frage 7 genannten und durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport unterstützten Angebote für Kinder und Jugendliche verwiesen. Für Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich wird derzeit darüber hinaus aus den unter Frage 1 genannten Gründen keine Notwendigkeit zur Beteiligung am ergänzenden Hilfesystem gesehen. In Vertretung Ohler Staatssekretärin Umsetzung des "Ergänzenden Hilfesystems" und Beteiligung am "Fonds Sexuel-ler Missbrauch" Wir fragen die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: