11.05.2017 Drucksache 6/3893Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 24. Mai 2017 Polygamie in Thüringen Die Kleine Anfrage 2068 vom 23. März 2017 hat folgenden Wortlaut: In Europa ist die Mehrehe verboten, die Verheiratung von einem Mann mit mehreren Frauen in muslimisch geprägten Ländern oft erlaubt. Im Zuge der Einwanderung von Menschen aus solchen muslimisch geprägten Ländern ist davon auszugehen, dass auch Menschen mit mehreren Ehepartnern nach Deutschland gekommen sind und weiterhin kommen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Migranten, die nach ausländischem Recht gültig mit mehreren Ehegatten verheiratet sind, lebten in den Jahren 2012 bis 2016 in Thüringen? a) Aus welchen Ländern stammen die Ehegatten jeweils? b) In welchen Ländern wurden die polygamen Ehen jeweils geschlossen? 2. Wie wird eine nach ausländischem Recht gültig geschlossene polygame Ehe in Thüringen in Bezug auf die Bildung einer Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in Bezug auf das steuerliche Ehegattensplitting behandelt? 3. Welche Religionsgemeinschaften führen nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen religiöse Eheschließungen durch und wie viele Mitglieder haben diese Religionsgemeinschaften in Thüringen insgesamt ? 4. Wie viele Fälle lediglich religiös geschlossener Ehen gab es nach Kenntnis der Landesregierung in den letzten fünf Jahren (bitte nach Jahren und Religionsgemeinschaften aufschlüsseln)? 5. Welche Religionsgemeinschaften schließen nach Kenntnis der Landesregierung durch Prüfung von Voraussetzungen der Brautleute eine Mehrfachehe aus? 6. Wie bewertet die Landesregierung die religiöse Praktik, Mehrfachehen zuzulassen, vor dem Hintergrund, dass nach deutschem Recht lediglich religiös geschlossene Ehen keine rechtliche Wirkung entfalten? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Muhsal (AfD) und A n t w o r t der Thüringer Staatskanzlei 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/3893 Die Thüringer Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 10. Mai 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Statistische Erhebungen im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor. Zu 2.: Die Regelungen für die Zugehörigkeit der Partnerin oder des Partners von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zur Bedarfsgemeinschaft sind in § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a bis c Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verankert. Die Umsetzung des SGB II erfolgt durch die Jobcenter. Die Jobcenter agieren in der weit überwiegenden Zahl als gemeinsame Einrichtung der beiden Träger von SGB-II-Leistungen, das heißt von Bundesagentur für Arbeit und kommunalem Träger (in Thüringen: Landkreis beziehungsweise kreisfreier Stadt). Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat im Rahmen ihrer Aufsichtszuständigkeit an die gemeinsamen Einrichtungen bundesweit geltende Fachliche Weisungen erlassen, so unter anderem auch im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 SGB II. Darin werden nachfolgende Ausführungen im Hinblick auf "Vielehen" gemacht: "In einer BG1 kann nur eine Person als Partner der oder des eLb2 berücksichtigt werden. Das islamische Recht sieht die Möglichkeit von Vielehen vor (bis zu vier Frauen), die in Deutschland nur religiös (vor einem Imam) abgeschlossen werden können. Die 'Zweit- oder Drittfrau' bildet im SGB II regelmäßig keine BG mit dem 'Ehegatten'. Einer Berücksichtigung als Partnerin im Sinne § 7 Absatz 3 Nr. 3 Buchstabe a SGB II steht entgegen, dass nach dem Wortlaut nur eine Ehegattin mit dem eLb eine BG bilden kann. Auch eine Berücksichtigung nach § 7 Absatz 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II scheidet aus, da eine Partnerschaft in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87; BSG, Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 34/12 R)." Von Seiten des Landes sind keine von den Fachlichen Weisungen der BA abweichenden Regelungen gegenüber den Jobcentern der zugelassenen kommunalen Träger nach §§ 6a, 6b SGB II erlassen worden. Das sogenannte Ehegattensplitting kommt gemäß § 32a Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) zur Anwendung , wenn Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Zunächst ist festzustellen, dass selbst im Falle des Vorliegens einer polygamen Ehe dies keine Auswirkungen auf die Berechnung der Einkommensteuer hätte, weil nach dem Gesetzeswortlaut des § 32a Absatz 5 EStG ("Bei Ehegatten, die ... zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, beträgt die tarifliche Einkommensteuer ... das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens ... ergibt (Splitting-Verfahren).") die Anzahl der Ehegatten für den Berechnungsmodus unerheblich ist. Für eine Zusammenveranlagung von Ehegatten ist nach § 26 EStG das Bestehen einer (intakten) Ehe Voraussetzung , das heißt die Ehegatten dürfen nicht dauernd getrennt leben. Welche Personen für diese Beurteilung als Ehegatten anzusehen sind, bestimmt sich nach dem Zivilrecht. Wurde die Ehe im Ausland geschlossen, ist die Frage, ob eine gültige Ehe vorliegt nach den Gesetzen des Heimatlandes des Steuerpflichtigen zu beurteilen. Liegt also eine von ausländischen Staatsangehörigen in deren Heimatland geschlossene gültige Ehe vor, wird diese auch in Deutschland anerkannt. Dies gilt auch für eine nach ausländischem Recht gültige polygame Ehe. Darüber hinaus müssen für eine Zusammenveranlagung die Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sein, das heißt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Sofern bei einer anzuerkennenden polygamen ausländischen Ehe mehr als zwei Ehepartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, kommt unseres Erachtens dennoch nur eine Zusammenveranlagung von zwei Ehepartnern in Betracht, da § 26 EStG konzeptionell von der Einehe, das heißt zwei Ehegatten, ausgeht, was sich im Übrigen auch in der daran anknüpfenden, zuvor dargestellten Regelung zum Splitting-Verfahren widerspiegelt. Der Frage, ob im Zuge der Einwanderung von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern und der dort möglichen Mehrehe eine verstärkte Inanspruchnahme des Ehegattensplittings durch mehr als zwei Ehegatten zu verzeichnen ist, kommt keine praktische Relevanz zu. Weder in Thüringen noch aus anderen Bundesländern wurde bisher die Frage der Anwendung des Ehegattensplittings bei mehr als zwei Ehegatten aufgeworfen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu diesem Themenkreis stammt aus dem Jahr 1985 und betraf ausschließlich die Frage, ob eine Zusammenveranlagung bei einer Mehrehe mit der einen unbeschränkt steuerpflichtigen Ehefrau erfolgen kann. 3 Drucksache 6/3893Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Im Ergebnis ist deshalb auch die der Fragestellung implizierte Folgewirkung, dass die Anwendung des Ehegattensplittings bei ausländischen polygamen Ehen in Deutschland zu Steuermindereinnahmen führen kann, auszuschließen. Zu 3., 4. und 5.: In Thüringen werden religiöse Eheschließungen nach Maßgabe kirchlichen Ehe- oder Traurechts vor allem durch christliche Religionsgemeinschaften durchgeführt. Ausweislich des Statistischen Jahrbuchs Thüringen 2016 haben allein die evangelischen Landeskirchen 491.939 und die römisch-katholischen Bistümer 169.083 Mitglieder. Wirkungen im staatlichen Rechtsbereich, insbesondere die Rechtswirkungen einer standesamtlich geschlossenen Ehe, sind damit nicht verbunden. Erkenntnisse über die nach kirchlichem Recht erforderlichen Voraussetzungen liegen der Landesregierung nicht vor. Da es sich um eine Tätigkeit handelt, die im Rahmen kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erfolgt, unterliegt diese keiner staatlichen Erfassung. Zu 6.: Mehrfachehen sind in Deutschland nach staatlichem Recht unzulässig und verboten, § 1306 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 172 Strafgesetzbuch, und Eheversprechen in Deutschland, die nicht vor dem Standesbeamten erfolgen, § 1310 Abs. 1 BGB, mithin auch allein religiös geschlossene Ehen werden als solche nicht anerkannt, sogenannte Nichtehen. Aus diesen Nichtehen ergeben sich insbesondere im Hinblick auf das Unterhaltsrecht, § 1360 BGB, oder das Recht zur Zeugnisverweigerung bei Straftatvorwürfen gegenüber dem Ehegatten, § 52 Abs. 1 Nr. 2 Strafprozessordnung, keine Rechtsfolgen. Nach § 30 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird weiteren Ehegatten keine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 und 3 AufenthG erteilt, wenn im Falle einer Mehrehe bereits ein Ehegatte mit einem Ehegatten im Bundesgebiet zusammen lebt. Hierbei handelt es sich um eine bundesrechtliche Vorschrift , die Artikel 4 Abs. 4 UA 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familiennachzugsrichtlinie - ABl. EU Nr. L 251 S. 12) entspricht. Prof. Dr. Hoff Minister Endnote: 1 Bedarfsgemeinschaft. 2 Erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Polygamie in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3., 4. und 5.: Zu 6.: Endnote: