04.07.2017 Drucksache 6/4165Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 11. Juli 2017 Bodycam-Pilotversuch bei der Thüringer Polizei Die Kleine Anfrage 2160 vom 4. Mai 2017 hat folgenden Wortlaut: Am 31. März 2017 übergab der Thüringer Minister für Inneres und Kommunales im Rahmen einer Pressevorstellung Bodycams für einen Pilotversuch bei der Thüringer Polizei. In der Vorstellung wurde die Durchführung des Pilotversuchs auch mit den Erfahrungen aus dem Bundesland Hessen begründet. Dort seien Übergriffe auf Polizeibeamte um 37,5 Prozent während einer Testphase der Körperkameras zurückgegangen . Dem ist entgegenzuhalten, dass entsprechende Veränderungen der Fallzahlen in anderen Orten auch ohne Bodycam erreicht wurden und dass der Nutzen von Bodycams durch Wissenschaftler, Juristen und Datenschützer angezweifelt wird. Sie seien demnach weder angemessen noch geeignet, wirksam Gewalt gegen Polizisten zu reduzieren. Auch gäbe es Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit. Internationale Studien weisen auf eine Zunahme von Gewalt während dem Einsatz von Bodycams hin. Gerade die Trageversuche in Hessen sind in der Fachwelt auf Kritik gestoßen, da zum Beispiel während eines Pilotversuchs in Alt-Sachsenhausen (Frankfurt) zwischen Mai und Oktober lediglich an 34 Tagen die Bodycam zum Einsatz kam, weil Beamte auch in Gruppen von bis zu vier Beamten unterwegs waren, weil keine Kontrollgruppen eingesetzt wurden und keine wissenschaftliche Evaluierung stattfand. Ich frage die Landesregierung: 1. Was sind die konkreten Inhalte des Erprobungskonzepts für den Bodycam-Pilotversuch in Thüringen und welchen Zeitplan sieht die Erprobung von Projektstart bis zum Ende der Auswertung vor? 2. Bei welchen Einsatzbereichen, -lagen, -gebieten und in welchen örtlichen Bereichen wird die Bodycam im Rahmen des Pilotversuchs eingesetzt und durch wie viele Beamte jeweils getragen (bitte genaue Aufstellung)? 3. Bei welchen Einsatzbereichen, -lagen, -gebieten und in welchen örtlichen Zusammenhängen ist der Einsatz von Bodycams im Rahmen des Pilotversuchs ausgeschlossen? 4. Kommen die eingesetzten Bodycams jeweils 24 Stunden zum Einsatz, wenn nein, wie viele Bodycams werden auf den Dienststellen jeweils für welchen Zeitraum getragen (bitte jeweils mit Angabe der Tage/ Stunden)? 5. Aufgrund welcher Kriterien werden die Bodycams in den Thüringer Pilotstandorten jeweils zu welchen Zeiten und bei welchen Einsatzbereichen, -lagen und -gebieten getragen beziehungsweise nicht getragen? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dittes (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4165 6. In welchen Teamgrößen sollen die Bodycams zum Einsatz kommen und inwiefern verändert sich dadurch die bisher übliche Teamgröße der Beamten? 7. Welche rechtlichen Voraussetzungen und welche Beschränkungen bestehen für die Aktivierung der Aufzeichnungsfunktion im Rahmen des Pilotversuchs? 8. Inwiefern findet während des Pilotversuchs eine wissenschaftliche Begleitung und wissenschaftliche Evaluierung statt, um Messfehler, methodische Probleme oder andere Ursachen für die zugeschriebene Wirkung der Bodycams im Rahmen des Pilotversuchs zu erkennen beziehungsweise auszuschließen? 9. In welcher Weise werden bei dem Pilotversuch Kontrollgruppen an gleichen oder ähnlich strukturierten Orten auch ohne Bodycams eingesetzt und in die Auswertung einbezogen? 10. Wie ist die Auswertung der Messergebnisse unter Einbeziehung welcher wissenschaftlichen Evaluationsstelle konkret geplant und nach welcher Methodik und welchen Vergleichszeiträumen/-größen sollen mögliche Auswirkungen des Pilotversuchs mit Blick auf eine Veränderung der Angriffe und Widerstandsdelikte gegen Polizeibeamte bemessen werden? 11. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, die während des Pilotversuchs in Thüringen von der Kamera erfasst wurden, in die Aufzeichnungsdaten Einsicht zu nehmen oder die Daten löschen zu lassen, und an welche Stelle müssen sich Betroffene wenden? 12. Wie erklärt die Landesregierung die erheblichen Schwankungen bei Widerstandsdelikten gegen Polizeivollzugsbeamte im Jahr 2015 im Weimarer Land (- 38,7 Prozent) oder im Altenburger Land (- 48,8 Prozent ) ohne den Einsatz von Bodycams bei der Polizei? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 30. Juni 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Am 3. April 2017 startete der Trageversuch im Rahmen des benannten Pilotprojektes der Thüringer Polizei. Dieser wird voraussichtlich am 30. September 2017 beendet. Zum Ende des Jahres wird ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion erwartet. Es werden drei unterschiedliche Kameramodelle hinsichtlich ihrer Wirkung bezüglich des Schutzes der eingesetzten Polizeibeamten, ihrer technischen Funktionalität sowie ihrer praktischen Handhabung erprobt. Zu 2.: Die Bodycams werden überwiegend im täglichen Dienst des Einsatz- und Streifendienstes, in Ausnahmen gegebenenfalls auch bei besonderen polizeilichen Einsatzlagen, getragen. Die Dienststellen, in welchen die Erprobung der Bodycams durchgeführt wird, sind der Inspektionsdienst (ID) der Landespolizeiinspektion Gotha, der Inspektionsdienst -Nord- der Landespolizeiinspektion Erfurt sowie die Polizeiinspektion (PI) Sonneberg. Die Anzahl der Beamten, welche für das Tragen der Bodycams vorgesehen sind, beläuft sich auf insgesamt 37 (zwölf Beamte ID Gotha, elf Beamte ID -Nord- der LPI EF, vierzehn Beamte PI Sonneberg). Grundlage für die Auswahl der Beamten war deren eigene Bereitschaft zur Teilnahme am Pilotprojekt sowie eine sich anschließende Fortbildung hinsichtlich rechtlicher, taktischer, technischer und administrativer Belange. Zu 3.: Der Einsatz von Bodycams ist in Wohnungen sowie bei Versammlungen ausgeschlossen. Zu 4.: Die Bodycams werden im Rahmen des Wechselschichtdienstes über die gesamte Zeitspanne von 24 Stunden am Tag und an sieben Tagen pro Woche getragen. 3 Drucksache 6/4165Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 5.: Auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 4 wird verwiesen. Zu 6.: Die übliche Größe eines Streifenteams im Einsatz- und Streifendienst wurde vor dem Hintergrund des in Rede stehenden Pilotprojektes nicht geändert, sodass ein Team auch unter Verwendung von Bodycams aus zwei Polizeibeamten besteht. Zu 7.: Die Rechtsgrundlage für den Einsatz der Bodycams im Rahmen des Pilotprojektes ist § 33 Abs. 6 Polizeiaufgabengesetz (PAG). Danach kann die Polizei zum Schutz der Polizeibeamten bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen an öffentlich zugänglichen Orten Bildaufzeichnungen durch den offenen Einsatz technischer Mittel anfertigen. Dies gilt auch dann, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind. § 33 Abs. 6 PAG ermöglicht ausschließlich Bildaufzeichnungen. Tonaufzeichnungen sind nicht hinterlegt. Überdies ist auch ein sogenanntes Pre-Recording außerhalb der genannten Situationen unzulässig. Die Anfertigung von Bildaufzeichnungen ist zum "Schutz der Polizeibeamten" legitimiert, das heißt, es muss sich um ein Einsatzgeschehen handeln, bei dem mit einer Aggression/Eskalation gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten zu rechnen ist. Ob eine Gefährdung der Beamten in einer Einsatzsituation besteht, obliegt der Entscheidung der betroffenen Beamten im Einzelfall. Die Bildaufzeichnungen erfolgen offen. Dem wird dergestalt Rechnung getragen, dass an der Einsatzkleidung des Kameraträgers eine deutlich sichtbare Kennzeichnung mit der Aufschrift "Video" oder "Videoaufzeichnung " vorhanden ist. Die Aufzeichnung wird grundsätzlich zusätzlich von den Polizeibeamten im Vorhinein mündlich angekündigt. Ergänzend hierzu kann die Aufzeichnung an einem Tonsignal und einem roten LED-Licht erkannt werden. Die mittels Bodycam aufgezeichneten Daten werden spätestens nach 48 Stunden gelöscht, sofern sie nicht zu Beweiszwecken im Rahmen der Strafverfolgung benötigt werden (gemäß § 33 Abs. 6 Satz 3 PAG). Eine Speicherung der Daten zu anderen Zwecken als der Strafverfolgung ist nicht zulässig. Eine anonymisierte Verwendung von Aufzeichnungen zu Schulungszwecken ist möglich (gemäß § 33 Abs. 6 Satz 4 PAG). Zu 8.: Eine interne wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch den Fachbereich -Polizei- der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Zudem ist eine externe wissenschaftliche Arbeit avisiert, um die Akzeptanz von Bodycams in der Bevölkerung zu beleuchten. Zu 9.: Polizeiliche Einsatzlagen finden unter nicht duplizierbaren Bedingungen statt, sodass von einem Einsatz von Kontrollgruppen während der Projektphase abgesehen wird. Zu 10.: Die Ergebnisse der Testphase werden durch die Landespolizeidirektion in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich -Polizei- der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung zusammengefasst, ausgewertet und in einem Abschlussbericht dargestellt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Erhebung, Auswertung und Bewertung von Erkenntnissen hinsichtlich der Folgen der getragenen Bodycam im polizeilichen Einsatz während der Projektphase. Hierbei wird sowohl der Einfluss auf die Adressaten der polizeilichen Maßnahmen als auch die Wirkung auf die eingesetzten Polizeibeamten betrachtet. Zudem erscheint ein Abgleich mit den korrelierenden Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik für den Freistaat Thüringen mit Blick auf Delikte mit der Opferspezifik "Polizeibeamte als Opfer von Gewalt" zielführend. Detaillierte Festlegungen zu Umfang dessen und zu Vergleichszeiträumen stehen noch aus. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4165 Zu 11.: Die Betroffenen haben ein Auskunftsrecht über die zu ihrer Person gespeicherten Daten nach § 47 Abs. 1 PAG. Sie müssen sich dafür innerhalb der in § 33 Abs. 6 Satz 3 PAG normierten Speicherfrist (48 Stunden) an die örtlich zuständige Dienststelle wenden, um die gefertigte Videodatei einsehen zu können. Nach Einleitung eines Strafverfahrens richtet sich das Auskunftsrecht des Betroffenen nicht mehr nach § 47 Abs. 1 PAG, sondern nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung. Die Einsichtnahme muss sodann über die Staatsanwaltschaft beziehungsweise das Gericht beantragt werden. Zu 12.: Angesichts der im Vergleich geringen Fallzahlen für die in Rede stehenden Bereiche ergeben sich bei jährlichen Abweichungen hohe prozentuale Schwankungen. Betrachtet man die Entwicklung der Anzahl der Widerstandsdelikte im Freistaat Thüringen vom Jahr 2015 zum Jahr 2016, stellt sich diese gegenläufig dar. Hier ist ein Anstieg von 20,3 Prozent zu verzeichnen. Zudem bildet die Anzahl von Widerstandsdelikten gegen Polizeivollzugsbeamte lediglich eine Teilmenge der Delikte ab, bei denen Polizeibeamte Opfer von Gewalt werden. Die Dezimierung aller dieser Fälle ist jedoch Ziel des Einsatzes von Bodycams und zugleich Gegenstand der Betrachtung. Dr. Poppenhäger Minister Bodycam-Pilotversuch bei der Thüringer Polizei Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: Zu 12.: