24.07.2017 Drucksache 6/4256Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 3. August 2017 Bildungszugänge für geflüchtete Kinder und Jugendliche Die Kleine Anfrage 2207 vom 18. Mai 2017 hat folgenden Wortlaut: Der Thüringer Flüchtlingsrat führte zu Beginn des Jahres 2017 eine Befragung zur schulischen Situation von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch. Dabei wurden neben Betroffenen selbst Beratungsstellen, Jugendhilfeeinrichtungen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden befragt und eine Reihe von Problemstellen identifiziert. Die Ergebnisse der Befragung wurden unlängst veröffentlicht.1 Ich frage die Landesregierung: 1. Inwiefern ist die sonderpädagogische Diagnostik im Schulbereich auch auf die Feststellung von möglichen sonderpädagogischen und pädagogischen Förderbedarfen geflüchteter Schülerinnen und Schüler ausgerichtet? 2. Inwiefern stehen den Teams zur Qualitätssicherung der sonderpädagogischen Begutachtung mehrsprachige Diagnose- und Testverfahren zur Verfügung und wie ist der aktuelle Sachstand zur Entwicklung gegebenenfalls solcher Instrumente? 3. Wie bewertet die Landesregierung, dass Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund, die innerhalb eines Schuljahres 16 Jahre alt werden, die Schule nicht weiter besuchen dürfen, sondern ohne Schulabschluss ausgeschult werden, mit dem Hinweis, dass sie ihre Schulpflicht erfüllt hätten? 4. Wie steht die Landesregierung zur Forderung des Flüchtlingsrates, die Vollzeitschulpflicht unter Beachtung der in § 19 Thüringer Schulgesetz vorgesehenen Möglichkeit des verlängerten Regelschulbesuchs wohlwollend auszulegen? 5. Inwiefern steht die Praxis, 16-Jährige Geflüchtete auszuschulen, im Widerspruch zum Wortlaut des § 19 des Thüringer Schulgesetzes, in dem die Vollzeitschulpflicht auf zehn Schulbesuchsjahre und nicht nach Alter normiert ist? 6. Wie bewertet die Landesregierung, dass Jugendlichen an einigen Berufsschulen der Zugang zum Berufsvorbereitenden Jahr Sprache aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nach dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens verweigert wurde und wie hoch ist die Zahl der Betroffenen? 7. Wie viele junge geflüchtete Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren besuchen aktuell in Thüringen das Berufsvorbereitende Jahr Sprache? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Rothe-Beinlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4256 8. Wie viele junge geflüchtete Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren besuchten in den vergangenen zwei Jahren und aktuell in Thüringen eine Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 45 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (bitte aufgegliedert nach Landkreis beziehungsweise kreisfreier Stadt und Jahr)? 9. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass die bisherige Bildungsbiografie, die Kompetenzen und die Bildungsziele von geflüchteten jungen Menschen ausreichend Beachtung bei der Wahl der jeweiligen Bildungsgänge finden? 10. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass alle staatlichen Stellen im Schulbereich über die Aufnahmebedingungen von Geflüchteten in die jeweiligen Bildungsgänge ausreichend informiert sind? 11. Wie bewertet die Landesregierung die Forderung nach einer funktionierenden, transparenten Koordinierung und Beratung bei der Vergabe von Schulplätzen für junge Erwachsene bis 27 Jahre (bei Wunsch auch darüber hinaus), welche einen Schulabschluss erreichen möchten? 12. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung, ähnlich wie in Hamburg, anschließend an die Schulpflicht ein Recht auf Bildung einzuführen, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Zugang zu einem Schulabschluss zu ermöglichen? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 21. Juli 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1. und 2.: Die sonderpädagogische Diagnostik ist darauf ausgerichtet, den sonderpädagogischen Förderbedarf eines Schülers zu ermitteln. Die sonderpädagogische Diagnostik im Schulbereich ist dabei nicht speziell auf die Feststellung von möglichen sonderpädagogischen und pädagogischen Förderbedarfen geflüchteter Schülerinnen und Schüler ausgerichtet. Die sprachlichen Kenntnisse der betroffenen Kinder und Jugendlichen spielen bei der Erhebung der für die Diagnose entscheidenden Daten eine erhebliche Rolle. Verfügen die Kinder und Jugendlichen nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und wird bei diesen Kindern und Jugendlichen eine Intelligenzdiagnostik (Überprüfung intellektueller Fähigkeiten mittels standardisierter Verfahren) notwendig, stellt dies aktuell eine Herausforderung für die Diagnostik dar. In diesen Fällen müssen die Gründe für schulische Probleme herausgearbeitet werden, auch wenn noch keine ausreichende sprachliche Grundlage geschaffen wurde. Mehrsprachige Diagnose- und Testverfahren stehen den Teams zur Qualitätssicherung der sonderpädagogischen Begutachtung (TQB) dafür derzeit nicht zur Verfügung. Für die Diagnostik empfiehlt das "Thüringer Diagnostikkonzept zur Qualitätssicherung" die Anwendung mehrerer Tests, da im Vergleich der Testergebnisse eine größere Sicherheit in der Beurteilung des kognitiven Leistungsvermögens gewonnen werden kann. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den TQB entscheiden aufgrund ihrer Sachkenntnis und Erfahrung, welche Diagnose- und Testverfahren in der jeweiligen Situation zur Anwendung kommen. Als Standardinstrumente zur Intelligenzdiagnostik stehen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der TQB drei verschiedene Verfahren zur Verfügung. Die Wechsler Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISC-IV) ist sprachbasiert und eignet sich nur bei ausreichenden Sprachkenntnissen der Schülerinnen und Schüler. Dieser Test ist nicht oder nur in Teilen einsetzbar, wenn die Sprachkompetenz nicht ausreicht. Darüber hinaus ist er nicht kulturfrei, weil er auf der Basis der europäischen beziehungsweise nordamerikanischen Lebensverhältnisse entwickelt wurde. Der Culture Fair Intelligence Test 20 Revision (CFT 20) mit Wortschatztest und Zahlenfolgentest - Revision (WS/ZF-R) ist zwar einsetzbar, ergibt aber nur ein eingeschränktes Bild zu den kognitiven Fähigkeiten. Der Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest für Kinder im Alter von fünf ½ bis 17 Jahren (SON fünf ½ - 17) ist ein sprachfreier Test, der insbesondere für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache Anwendung finden kann. Allerdings ist auch dieses Testverfahren nicht kulturfrei. 3 Drucksache 6/4256Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Derzeit wird die Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV) von vier bis 21 Jahren erprobt. Dieses Verfahren ist mit bildunterstützten Instruktionen so aufgebaut, dass es die Testdurchführung für Schülerinnen und Schüler mit anderem muttersprachlichen Hintergrund erleichtert. Im Ergebnis dieser Erprobung soll zum Ende des Schuljahres 2017/2018 festgelegt werden, ob dieser Test in das Thüringer Diagnostikkonzeptes aufgenommen werden kann. Die Durchführung einer Intelligenzdiagnostik für Schülerinnen und Schüler im berufsbildenden Bereich gestaltet sich schwierig, da die zur Verfügung stehenden Diagnose- und Testverfahren meist nicht mehr das entsprechende Lebensalter abdecken. Entsprechende Verfahren sind in der Regel bis zum Lebensalter von 16 Jahren und elf Monaten genormt. Darüber hinaus existieren so gut wie keine validen Intelligenztests, welche nutzbar sind, da die Intelligenzentwicklung dann als relativ abgeschlossen gilt. Die Diagnose- und Testverfahren für den Erwachsenenbereich (zum Beispiel Wechsler Adult Intelligence Scales - Revision IV [Deutsche Adaption] WAIS-IV) sind unzureichend, da hier umfangreiche Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden. Nach dem Thüringer Diagnostikkonzept ist die Intelligenzdiagnostik jedoch lediglich ein Teilbereich der sonderpädagogischen Diagnostik. Sie dient als erster Anhaltspunkt. Von wesentlicher Bedeutung sind die Beobachtung im Unterrichtsgeschehen, das Auswerten von Schülerleistungen , die Beratung mit den am Erziehungsprozess Beteiligten und die Einbindung in die soziale Lerngruppe . Dies ist unabhängig von der Sprache beziehungsweise dem kulturellen Hintergrund und geschieht durch die TQB sehr gewissenhaft, umfangreich und mit fachlicher Prägnanz. In regelmäßigen Beratungen werden die Mitarbeitenden in den TQBs in diesem Bereich zusätzlich sensibilisiert. Anhand der gewonnen Erkenntnisse kann auch bei Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund ein sonderpädagogisches Gutachten erstellt werden, auf dessen Grundlage die weitere Förderung aufbaut. Zu 3. bis 5.: Die Landesregierung ermöglicht im Interesse der betroffenen Jugendlichen einen möglichst weiten Zugang zur Schulbildung im Rahmen der Regelsysteme. Der § 19 Abs. 2 Thüringer Schulgesetz (ThürSchulG) regelt nicht die Verlängerung der Vollzeitschulpflicht, sondern des Schulbesuchs. Hat eine Schülerin oder ein Schüler nach zehn Schulbesuchsjahren den Hauptschulabschluss noch nicht erreicht, kann unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 ThürSchulG der Schulbesuch im Ausnahmefall um bis zu zwei Jahre verlängert werden. Dies gilt nicht nur für den Besuch der Regelschule, sondern auch für den Besuch der Gemeinschaftsschule , der Gesamtschule oder des Berufsvorbereitungsjahrs an der Berufsschule. Über den weiteren Schulbesuch in einem elften Schulbesuchsjahr entscheidet die Schulleitung nach Anhörung der Klassenkonferenz. Über den weiteren Schulbesuch in einem zwölften Schulbesuchsjahr entscheidet das zuständige Staatliche Schulamt. Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, wurden die Schulleitungen und die Schulämter mit Schreiben des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) vom 22. Juni 2017 über die Aufnahmebedingungen von Geflüchteten in die jeweiligen Bildungsgänge informiert. Dabei wurde klargestellt , dass durch den Fluchthintergrund die Genehmigung der Schulleitung zur Verlängerung des Schulbesuchs stets erteilt werden kann und der vom Schulamt zu prüfende besondere Ausnahmefall des § 19 Abs. 2 ThürSchulG anzunehmen ist. Daneben sind auf der Seite des TMBJS unter der Rubrik "Migration und Integration" umfangreiche Informationen für Menschen, die aus dem Ausland zugezogen sind, veröffentlicht. Unter anderem sind dort unter nachfolgendem Link in der Unterrubrik "Schulbesuch" die "FAQs zur Schulpflicht und Aufnahme von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache" hinterlegt: 2 Die Fälle in denen ein (begonnenes) Schulverhältnis beendet wird ("Ausschulung") sind schulrechtlich abschließend geregelt. Nach § 152 der Thüringer Schulordnung (ThürSchulO) endet das Schulverhältnis "mit dem Abschluss der Schullaufbahn, dem Abgang oder dem auf Dauer verfügten Ausschluss von der Schule ." Das Schulverhältnis einer nicht mehr schulpflichtigen Schülerin oder eines nicht mehr schulpflichtigen Schülers kann auch durch schriftliche Abmeldung oder im Falle von Schulversäumnissen unter den Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 Nr. 2 ThürSchulO beendet werden. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4256 Eine Schülerin oder ein Schüler muss nach § 50 ThürSchulG in der Regel die Schulart oder den Bildungsgang verlassen, wenn er die Abschlussprüfung zweimal nicht bestanden hat (Entlassung wegen mangelnder Leistung). Dies gilt auch, wenn eine Schülerin oder ein Schüler zweimal in derselben Klassenstufe oder in zwei aufeinanderfolgenden Klassenstufen der berufsbildenden Schulen (mit Ausnahme der Berufsschule ) und des Thüringenkollegs nicht versetzt wurde. Der Ausschluss einer Schülerin oder eines Schülers von der bisher besuchten Schule ist nach § 52 ThürSchulG nur dann möglich, wenn deren oder dessen Verbleib in der Schule eine wesentliche Gefahr für die Unterrichtung, die Gesundheit oder die Sicherheit der anderen Schülerinnen und Schüler bedeutet. Der Ausschluss von allen Schulen einer Schulart oder allen Schulen des Landes ist nur in besonders schweren Fällen möglich und auch nur dann, wenn die Schülerin oder der Schüler nicht mehr der Schulpflicht unterliegt. Die Beendigung eines Schulverhältnisses auf eine andere Art als vorab beschrieben, zum Beispiel allein aufgrund des Alters einer Schülerin oder eines Schülers, ist nicht zulässig. Der Landesregierung ist kein solcher Fall aus der Praxis bekannt. Die Landesregierung wirkt durch spezifische Informationen an die Thüringer Schulen darauf hin, dass einem derartigen Ausschluss von Schülern vorgebeugt wird und geht Hinweisen auf etwaige Fälle nach. Zum Zeitpunkt einer gesonderten Erhebung im Schuljahr 2016/2017 mit Stichtag 2. Dezember 2016 besuchten in Thüringen 961 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Alter von 16 bis 17 Jahren allgemeinbildende Schulen und 935 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Alter von 16 bis 17 Jahren besuchten berufsbildende Schulen. Zu 6.: In die Klassen des BVJ-S werden Jugendliche nichtdeutscher Herkunftssprache ohne Hauptschulabschluss aufgenommen, die einen Förderbedarf zum Erwerb der deutschen Sprache haben und deswegen dem Unterricht im Berufsvorbereitungsjahr noch nicht folgen können. Die Aufnahme erfolgt frühestens nach neun Schulbesuchsjahren im Anschluss an das letzte Schulbesuchsjahr an einer allgemeinbildenden Schule. Dabei müssen die vorhandenen Kenntnisse der deutschen Sprache und die Vorbildung der Bewerber erwarten lassen, dass sie dem Unterricht im BVJ-S folgen können. Das bedeutet, dass die Jugendlichen ein Sprachniveau von mindestens dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweisen müssen. Dies soll durch entsprechende Zertifikate (zum Beispiel des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge) nachgewiesen werden beziehungsweise soll im Fall des Fehlens solcher Zertifikate im Rahmen der Ermittlung des Sprachniveaus in Verantwortung der Schule nachgewiesen werden. Weiterhin müssen die betreffenden Jugendlichen einen schulischen Leistungsstand nachweisen, der erwarten lässt, dass sie nach Beendigung des BVJ-S mindestens einen Leistungsstand erreichen werden, der dem eines vergleichbaren Schülers der Regelschule am Ende der Klassenstufen 8 im Anforderungsprofil der Hauptschule entspricht. Abweichungen von den vorgenannten Anforderungen sind in Einzelfällen möglich, sofern die notwendigen räumlichen, sächlichen und personellen Voraussetzungen dies zulassen und die Beschulung derjenigen Jugendlichen sichergestellt ist, die der Schulpflicht unterliegen sowie derjenigen, die alle Voraussetzungen erfüllen. Ein Schwerpunkt der schulischen Ausbildung liegt im BVJ-S auf der Vermittlung der deutschen Sprache. Diese wird nicht nur auf den Deutschunterricht im Sinne des Unterrichts in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) beschränkt, sondern als fächerübergreifendes Konzept auf die gesamte Stundentafel angewendet. Ziel dieses Bildungsganges ist es, dass die Teilnehmer spätestens nach einem Jahr in das reguläre Berufsvorbereitungsjahr wechseln können, in welchem dann ein dem Hauptschulabschluss gleichwertiger Abschluss erworben werden kann. Die vorgenannten Zugangsvoraussetzungen sind aus Sicht der Landesregierung zwingend notwendig, damit die betreffenden Jugendlichen die Zielstellung (Eintritt in das reguläre Berufsvorbereitungsjahr und Erwerb eines dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Abschlusses) erreichen können. Dafür wird ein Sprachniveau auf Stufe A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen als Mindeststandard für erforderlich gehalten. Abweichungen hierfür sind in Einzelfällen möglich, wenn noch freie Kapazitäten sowie eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Abschluss des BVJ-S vorliegen. Über die Zahl der im laufenden Schuljahr aufgrund der oben genannten Standards nicht zum BVJ-S zugelassenen Jugendlichen liegen der Landesregierung keine Kenntnisse vor. 5 Drucksache 6/4256Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Um an dieser Stelle keine "Lücke" in der Förderung der Jugendlichen zu erzeugen, hat das Land Thüringen mit dem Programm "Start Deutsch" einen ersten Schritt getan. Nach der Pilotphase im Jahr 2016 wird nun eine Sprachförderung bis zur Niveaustufe A2 angeboten. Ein darauf aufbauendes Bildungsangebot, mit dem der Erwerb eines Schulabschlusses vorbereitet werden kann, wird derzeit gemeinsam durch das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz und das TMBJS vorbereitet. Darauf aufbauend eröffnen sich für die jungen Flüchtlinge eine Vielzahl von beruflichen und schulischen Qualifikationsmöglichkeiten . Zu 7.: Zum Zeitpunkt der Erfassung der Schulstatistik des Schuljahres 2016/2017 besuchten 752 Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 16 bis 27 Jahren das BVJ-S. Darüber hinaus besuchten 48 Menschen mit Migrationshintergrund mit einem Alter von unter 16 Jahren das BVJ-S. In Anbetracht der großen Anzahl von Flüchtlingen, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, haben das TMBJS, die Staatlichen Schulämter sowie die Berufsschulen im Schuljahr 2015/2016 durch die Bildung von zahlreichen Klassen des BVJ-S auch innerhalb des Schuljahres (Stand: 3. Juni 2016: 49 Klassen des BVJ-S mit 655 Schülerinnen und Schülern) einen Beitrag zur kurzfristigen Schaffung von Bildungsangeboten für Jugendliche und junge Erwachsene nichtdeutscher Herkunftssprache geleistet. Wie sich im Nachhinein bei der statistischen Auswertung zeigte, wurde bei der Aufnahme der Schülerinnen und Schüler nicht durchweg konsequent auf das Vorliegen von notwendigen Voraussetzungen geachtet. Dabei zeigte sich, dass Schülerinnen und Schüler ohne sprachliche und fachliche Vorkenntnisse kaum eine Chance haben, das Bildungsziel (Abschlusszeugnis des BVJ) zu erreichen. Für diese Schülerinnen und Schüler konnten die Stundentafel und der Lehrplan nicht wie geplant umgesetzt werden. Dies betraf insbesondere den fachpraktischen Unterricht. Aufgrund der Verständigungsprobleme musste die Arbeit der Schülerinnen und Schüler mit Maschinen, wegen der potenziellen Gefährdung, eingeschränkt werden. Zu 8.: Laut Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit haben im Jahr 2015 74 Personen, im Jahr 2016 2.239 Personen und im Jahr 2017 (letzter Datenstand 1. Januar bis 28. Februar 2017) 310 Personen an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach SGB Ill teilgenommen. Eine Aufschlüsselung nach Landkreisen und kreisfreien Städten findet sich in der nachfolgenden Übersicht. Teilnehmende in Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung im Alter 16 bis unter 27 Jahre mit Staatsangehörigkeit "Asylherkunftsländer" 3 Thüringen (Gebietsstand Mai 2017) Ausgewählte Berichtsjahre/-monate, Datenstand: Mai 2017 Endgültige Werte zur Förderung stehen erst nach einer Wartezeit von drei Monaten fest. Kreis (Wohnort) Eintritte Bestand Januar 2015 bis Februar 2017 davon 2015 5 2016 5 Januar 2017 Februar 2017 2015 4 2016 4 Januar 2017 Februar 2017 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Thüringen 2.623 74 2.239 141 169 12 442 625 590 Erfurt, Stadt 391 37 336 7 11 4 77 87 60 Gera, Stadt 275 4 203 21 47 0 38 104 108 Jena, Stadt 118 12 92 7 7 3 21 32 34 Suhl, Stadt * - * 3 * - 5 8 6 Weimar, Stadt 78 - 73 * * - 14 23 24 Eisenach, Stadt 77 6 61 5 5 1 11 13 14 Eichsfeld 108 * 103 * * - 20 5 * 6 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4256 Kreis (Wohnort) Eintritte Bestand Januar 2015 bis Februar 2017 davon 2015 5 2016 5 Januar 2017 Februar 20172015 4 2016 4 Januar 2017 Februar 2017 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Nordhausen 155 * 121 21 * 0 17 23 23 Wartburgkreis 76 * 55 16 * 0 10 21 17 Unstrut-Hainich-Kreis 85 - 82 * * - 12 11 12 Kyffhäuserkreis 106 3 99 - 4 1 14 13 10 Schmalkalden-Meiningen 107 * 94 * 6 0 21 22 24 Gotha 84 * 80 * * 1 15 18 18 Sömmerda 65 - 60 * * - 12 10 5 Hildburghausen 78 - 68 6 4 - 13 11 10 Ilm-Kreis 224 * 185 * 29 - 29 46 58 Weimarer Land 67 - 67 - - - 11 12 8 Sonneberg 106 - 97 6 3 0 18 21 16 Saalfeld-Rudolstadt 179 * 141 23 * - 33 68 64 Saale-Holzland-Kreis * * * - * 0 - - * Saale-Orla-Kreis 41 * 38 - * 0 5 13 9 Greiz 50 - 46 * * - 11 16 18 Altenburger Land 129 * 120 * 6 0 36 48 46 Erstellungsdatum: 6. Juni 2017, Statistik-Service Ost, Auftragsnummer 247104 © Statistik der Bundesagentur für Arbeit * Aus Datenschutzgründen und Gründen der statistischen Geheimhaltung werden Zahlenwerte von 1 oder 2 und Daten , aus denen rechnerisch auf einen solchen Zahlenwert geschlossen werden kann, anonymisiert. Zu 9.: Zugewanderte Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter werden entsprechend ihrem Alter und ihrem bisherigen Bildungsgang in die Schule aufgenommen und einer Regelklasse zugewiesen. Gleichzeitig mit der Aufnahme wird geprüft, welchen Förderbedarf, insbesondere zum Erwerb der deutschen Sprache, der Schüler oder die Schülerin hat und wie diese Förderung unter Beachtung der Rahmenbedingungen erfolgen kann. Die Durchführung von Sprachförderangeboten ist an den Gegebenheiten vor Ort orientiert und wird entsprechend organisiert. Es existieren die Möglichkeiten der Einzelförderung, der Gruppenförderung oder der Förderung in Sprachklassen. Zur besseren Koordinierung der Aufnahme in die Schule beziehungsweise Schulart, der Einstufung in eine Klassenstufe und zur Einleitung von Sprachfördermaßnahmen haben das TMBJS und Staatliche Schulämter gemeinsam einen Aufnahmebogen erarbeitet, der als Ergänzung zur Schülerakte genutzt wird. Hierbei werden neben allgemeinen Angaben auch Informationen zum bisherigen Schulbesuch, zu Fremdsprachenkenntnissen und zu gegebenenfalls zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen/Krankheiten, soweit sie für die Schule und eine notwendige individuelle Förderung von Bedeutung sind, erfasst. In einem Folgegespräch mit der Schulleitung wird der Hilfe- und Unterstützungsbedarf genau erfasst. Dabei gehören die Erstellung von Förderplänen und die Dokumentation des Lernfortschritts der Schülerinnen und Schüler zum schulischen Alltag. Unter nachfolgendem Link sind in der Rubrik "Migration und Integration" Informationen und Materialien für Schulen und Interessierte öffentlich abrufbar (zum Beispiel die fachlichen Empfehlung "Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache in Thüringen", die unter anderem Vorlagen für die Erstellung eines Förderplans enthält, Aufnahmebögen, FAQs zur Schulpflicht und zur Aufnahme in die Schule sowie Informationen zu Sprachmittlern): 2 7 Drucksache 6/4256Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Ausländische Schülerinnen und Schüler können in die Klassenstufen 5 bis 10 des Gymnasiums aufgenommen werden, wenn sie anhand von Zeugnissen eine dem gymnasialen Bildungsgang entsprechende Vorbildung nachweisen können. Liegt kein Nachweis vor, können diese Schülerinnen und Schüler vorläufig in das Gymnasium aufgenommen werden. Im Gymnasium ist das Erlernen von zwei Fremdsprachen Pflicht. Dabei kann die zweite Fremdsprache auch intensiv mit sechs Wochenstunden Unterricht in Klassenstufe 10 nachgeholt werden. Zur Entlastung der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund soll eine Regelung in die Thüringer Schulordnung aufgenommen werden, wonach die Amtssprache des Herkunftslandes oder die Herkunftssprache die zweite Pflichtfremdsprache ersetzen kann. Hierbei wird bei Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache, die in die Klassenstufen 7 bis 10 aufgenommen werden, eine Sprachstandsfeststellung vorgenommen, soweit dies organisatorisch und personell möglich ist. Die Einführung ist für das Schuljahr 2018/2019 beabsichtigt. Zu 10.: Auf die Antworten zu den Fragen 3 bis 5 wird verwiesen. Die Schulen und Schulämter sind die Ansprechpartner für die anderen Stellen, zu deren Aufgabenbereich eine entsprechende Beratung zählt. Auf der Seite des TMBJS sind unter der Rubrik "Migration und Integration" umfangreiche Informationen veröffentlicht . Diese Informationen sind sowohl für den Schulbereich als auch für Eltern und Beratungsstellen hilfreich. Unter anderem sind dort unter nachfolgendem Link in der Unterrubrik "Schulbesuch" die "FAQs zur Schulpflicht und Aufnahme von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache" hinterlegt: 2 Ebenso findet sich hier die "Fachliche Empfehlung zum Schulbesuch und zur Förderung von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache in Thüringen" mit Informationen zum Schulbesuch nach Bildungsgängen . Über die Fachliche Empfehlung, die Einrichtung der Homepage sowie weitere Neuerungen werden Schulämter und Schulleitungen über Schreiben der Mitteilungsmoduls informiert, das alle Schulen erreicht. Weiterhin finden regelmäßige Beratungen der Verantwortlichen im TMBJS und den Schulämtern sowie dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien statt, in denen ein Erfahrungsaustausch stattfindet und Vorhaben besprochen werden. Dies wird über die Schulämter sowohl den Schulen kommuniziert als auch in die regionalen Netzwerke weitergegeben. Zu 11.: Die Sorgeberechtigten und die Schülerinnen und Schüler haben einen Anspruch auf Auskunft und Beratung nach § 31 ThürSchulG und § 127 ThürSchulO. Dazu gehören insbesondere die Zugangsvoraussetzungen für die einzelnen Schularten und -formen, die Abschlüsse sowie die Grundzüge der Unterrichtsinhalte, der Unterrichtsziele und der Leistungsbewertung sowie die verschiedenen schulischen Bildungswege, das regionale Schulangebot und das Übertrittsverfahren . Weiterhin bieten die Schulen den Eltern für die Wahl der Schullaufbahn eine Beratung an. Auch junge Menschen mit unterbrochener Schullaufbahn, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, können in Thüringen verschiedenste Bildungsangebote von Schule bis Studium sowie im Rahmen der Erwachsenenbildung wahrnehmen. Die Wege dorthin gestalten sich in Abhängigkeit der Voraussetzungen der jeweiligen Bildungsangebote unterschiedlich. Das vorab beschriebene Auskunfts- und Beratungsangebot besteht für diese Schülerinnen und Schüler die schulischen Bildungswege betreffend gleichermaßen. Von den 14.306 im Schuljahr 2016/2017 an Thüringer Schulen beschulten Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind 4.621 im Alter von 16 Jahren oder älter. Davon besuchten 1.140 Jugendliche eine allgemeinbildende Schule und 3.481 eine berufsbildende Schule. Zu 12.: Diese Forderung wird in Thüringen umgesetzt. Artikel 20 der Verfassung des Freistaats Thüringen gewährt ein Recht auf Bildung: 8 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4256 "Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der freie und gleiche Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen wird nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. Begabte, Behinderte und sozial Benachteiligte sind besonders zu fördern." Das Thüringer Schulgesetz als gesetzliche Ausformung des verfassungsrechtlichen garantierten Rechts auf Bildung trifft dazu in § 1 Abs. 1 Satz 1 (ähnlich wie § 1 des Hamburgischen Schulgesetzes) folgende Aussage : "Jeder junge Mensch hat ein Recht auf schulische Bildung und Förderung." Dieses Recht besteht unabhängig von der Schulpflicht. Schülerinnen und Schüler, die sich zum Ablauf der Vollzeitschulpflicht bereits in einem Bildungsgang befinden, können diesen beenden. Dieses Recht besteht längstens bis zum Abschluss des Bildungsgangs oder bis zum endgültigen Nichtbestehen. Auch die Erwachsenenbildung, als eigenständige Säule des Bildungswesens, erfüllt diesen verfassungsrechtlichen Auftrag, insbesondere durch das Angebot, die Erwachsenen auf das Nachholen von Schulabschlüssen vorzubereiten. In Vertretung Ohler Staatssekretärin Endnote: 1 Vergleiche http://www.fluechtlingsrat-thr.de/sites/fluechtlingsrat/files/presse/pdf/2017%2005%2017%20PM%20Schule %20f%C3%BCr%20Alle%21%20Bildungsumfrage.pdf. 2 http://www.thueringen.de/th2/tmbjs/bildung/migration/index.aspx 3 Asylherkunftsländer: Afghanistan, Eritrea, Irak, Islamische Republik Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Arabische Republik Syrien; vgl. "Glossar Fluchtmigration" 4 Jahressumme 5 Jahresdurchschnitt Bildungszugänge für geflüchtete Kinder und Jugendliche Ich frage die Landesregierung: Zu 1. und 2.: Zu 3. bis 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 10.: Zu 11.: Zu 12.: Endnote: