16.04.2015 Drucksache 6/429Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 23. April 2015 Berufliche Ausbildung von Flüchtlingen in Thüringen Die Kleine Anfrage 187 vom 26. Februar 2015 hat folgenden Wortlaut: Die Thüringer Presse berichtete am 13. Februar 2015 von einer Initiative der Industrie- und Handelskammer Erfurt zur beruflichen Integration von Flüchtlingen in die duale Ausbildung. Ziel soll es sein, Asylbewerberinnen und Asylbewerbern die Aufnahme einer dualen Ausbildung zu ermöglichen. Hierzu soll am 2. März 2015 in Erfurt bereits ein Kompetenzzentrum gegründet werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben jeweils in den Jahren 2009 bis 2014 in Thüringen eine duale Ausbildung aufgenommen? Wie war die Aufteilung dieser aufgenommenen Ausbildungen nach Berufen und nach geografischen Gesichtspunkten (Landkreise bzw. Kammerbezirke)? 2. Wie hoch war die Abschlussquote bei diesen aufgenommenen Ausbildungen (bitte nach Jahren, Berufen und Landkreisen bzw. Kammerbezirken aufschlüsseln)? 3. Falls es nicht zu einem Abschluss kam, sind die Gründe bekannt und wie lassen sich diese aufschlüsseln? 4. Gab es im Zusammenhang mit der Aufnahme von dualer Ausbildung durch Asylbewerber Förderanträge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bzw. Dritten Buch Sozialgesetzbuch? Wie wurden diese beschieden (bei Ablehnung bitte Grund angeben)? 5. Welche Aufgaben soll das in Erfurt geplante Kompetenzzentrum wahrnehmen, wer ist daran beteiligt, wie soll es ausgestattet werden und wie gestaltet sich seine Arbeit? 6. Verfügt die Landesregierung über Kenntnis darüber, ob neben dem geplanten Zentrum in Erfurt weitere Kompetenzzentren oder aufgabengleiche Strukturen in Planung sind? Wenn ja, wo und durch wen? Gibt es darüber hinaus zum Thema bereits Arbeitskontakte der Thüringer Kammern oder der Ministerien mit der Bundesagentur für Arbeit? 7. Welche unterstützenden Maßnahmen für das Gelingen einer beruflichen Ausbildung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern hat das Land in der Vergangenheit durchgeführt (z.B. Sprachförderung) und gibt es hierzu entsprechende Planungen für die Zukunft (bitte mit Angabe der Höhe bzw. des Umfangs der Förderung)? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Wolf (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/429 8. Hat das Land im Zusammenhang mit der beruflichen Ausbildung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern Förderprogramme der EU und des Bundes genutzt? Was wurde in welchem Zeitraum in welcher Höhe gefördert? Was ist in der Förderperiode bis 2020 diesbezüglich vorgesehen? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 15. April 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1. und 2.: Derartige Angaben werden unter dem Status "Asylbewerber" von der Bundesagentur für Arbeit (zuständige Regionaldirektion Sachsen-An halt‒Thüringen) nicht erfasst. Angaben zur Aufnahme einer dualen Ausbildung durch Asylbewerber sind auch über das Ausländerzentralregister (AZR) nicht gespeichert. Über die zuständigen Stellen nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. der Handwerksordnung (Kammern) sind zwar Erfassungen nach der Staatsbürgerschaft möglich, allerdings wird dabei der bleiberechtliche Status der Personen nicht berücksichtigt, so dass keine Auswertung in Bezug auf die Ausbildung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern präsentiert werden kann. Zu 3.: Da es keine statistische Erfassung der verschiedenen Einzelfälle gibt, ist die in der Fragestellung angesprochene Aufschlüsselung nicht möglich. Dennoch sind Tendenzaussagen zu den Ursachen von Abbrüchen möglich. Nach Erfahrungswerten der Kammern ist die Abbrecherquote von Migranten circa fünf Prozentpunkte höher als die Abbruchquote insgesamt (2012 vom Bundesinstitut für Berufsbildung [BIBB] mit 29,1 Prozent für Thüringen ausgewiesen). Ursache für einen Ausbildungsabbruch und gleichzeitig entscheidender Hinderungsgrund vor der Aufnahme einer Ausbildung ist zumeist die unzu reichende deutsche Sprachkompetenz. Der Wegzug in ein anderes Bundesland ist eine weitere mögliche Ursache für nichtbeendete Ausbildungen. Das tritt teilweise dann ein, wenn die Aufenthaltserlaubnis während einer Ausbildung erteilt wird und dies zum Anlass eines Wegzugs aus Thüringen wird. Zu 4.: Die Vorrausetzungen für eine Förderung nach BAföG und SGB III sind nur eingeschränkt gegeben. Zumal die duale Ausbildung an sich nicht in den Anwendungsbereich des Bundesausbildungsförderunggesetzes fällt. Auch im Fall der Berufsausbildungsbeihilfe (§ 56 SGB III) besteht kaum Spielraum für eine Förderung der Ausbildung während des Asylverfahrens. Ebenso ist die Gewährung ausbildungsbegleitender Hilfen an längere Voraufenthaltszeiten in Deutschland geknüpft. Es hat deshalb im Sinne der Fragestellung nur sehr wenige Förderanträge gegeben, zu denen keine Auswertung vorliegt. Zu 5.: Das in der Thüringer Tagespresse als Kompetenzzentrum bezeichnete "Vocational Training Center" ist eine Eigeninitiative der Industrie- und Handelskammer Erfurt und arbeitet selbstverantwortlich in seiner Aufgabengestaltung . Die Kammer beabsichtigt, Flüchtlinge und Migranten über eine gezielte Beratung und mit Hilfe von Informationen an eine duale Ausbildung in den Kammerberufen heranzuführen. Nach dem Kenntnisstand der Landesregierung ist das "Vocational Training Center" mit einer Personalstelle besetzt, allerdings sind darüber hinaus auch weitere Mitarbeiter der Kammer mit konkreten Beratungsaufgaben betraut. Die IHK hat das Abstimmungsgespräch und die Vernetzung mit den an der Flüchtlingsbetreuung beteiligten Akteuren gesucht. Die IHK Erfurt möchte 16- bis 25-jährige Flüchtlinge im Raum Erfurt für eine Ausbildung gewinnen bzw. zumindest in vorbereitende Strukturen integrieren. Zu 6.: Die Landesregierung begrüßt die Eigeninitiative der IHK Erfurt zur Vorbereitung und Heranführung von Flüchtlingen und Migranten an die duale Berufsausbildung über das neu eröffnete "Vocational Training Center". 3 Drucksache 6/429Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Diese Eigeninitiative und Verantwortungsübernahme der Wirtschaft ist sinnvoll, damit die vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Bemühungen zur beruflichen Integration der Flüchtlinge und Migranten fruchten können. Nur mit der Bereitschaft von Ausbildungsbetrieben zur tatsächlichen Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten in Ausbildung kann sich die vielfach gesellschaftlich eingeforderte Integration der Flüchtlinge am Arbeitsmarkt auch ergeben. Darüber hinaus sind weitere derartige Aktivitäten nicht bekannt. Sollte das Beispiel der IHK Erfurt erfolgreich und wirksam sein, wird die Initiative möglicherweise regional ausgeweitet. Selbstverständlich gibt es zu den Themen der Heranführung der Flüchtlinge und Migranten an Ausbildung und deren Integration auf dem Arbeitsmarkt vielfältige Arbeitskontakte, insbesondere zur Bundesagentur für Arbeit, zwischen den Ministerien sowie zu den Kammern und den in Zuwanderungsfragen tätigen Akteuren. Über den beim Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz angesiedelten Landesintegrationsbeirat wurde im März 2015 die AG "Integration in den Arbeitsmarkt" initiiert, in der die arbeitsmarktpolitisch relevanten Institutionen sich auf Landesebene zu den Themen der Flüchtlings betreuung im Kontext des Arbeitsmarktes abstimmen. Darüber hinaus haben sich die in der Migrantenbetreuung tätigen Thüringer Akteure in der Initiative Willkommenskultur, über das Netzwerk des Welcome Centers Thuringia, das Netzwerk "Integration durch Qualifizierung" (Landesnetzwerk Thüringen) sowie über das Projekt "to arrange ‒ pro job. Initiativ Flüchtlinge in Arbeit" schon in den vergangenen Jahren gut vernetzt. Zu 7.: Im Rahmen der Förderung der beruflichen Ausbildung wurden bisher keine speziellen unterstützenden Maßnahmen für Asylbewerber durchgeführt. Auszubildenden standen bisher und stehen auch künftig - unabhängig von ihrer Herkunft - in gleichem Maße die bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten des Landes offen. Asylbewerber können, soweit sie die Zuwendungsvoraussetzungen der entsprechenden Richtlinie erfüllen und die gesetzlichen Voraussetzungen bezüglich des Arbeitsmarktzugangs gegeben sind, an Fördermaßnahmen zur Berufsausbildung teilnehmen. Über die "Ausbildungsrichtlinie" des ESF werden überbetriebliche Lehrgänge zur Ergänzung notwendiger Inhalte der betrieblichen Ausbildung für Auszubildende in Thüringen gefördert. Außerdem kann eine individuelle Betreuung vor und während der Ausbildung in einem Unternehmen ebenso wie Maßnahmen zum Abbau von Bildungsdefiziten durch individuelle Unterstützung gefördert werden. Diese Möglichkeiten stehen allen potentiellen Auszubildenden und den Ausbildungsbetrieben offen. Ein Anteil der bisher in diesem Zusammenhang ausgegebenen Fördermittel an Asylbewerber ist nicht ausweisbar. In Thüringen hat das Welcome Center Thuringia (WCT) eine koordinierende und unterstützende Funktion, Migranten bei der beruflichen Integration zu unterstützen. Das Welcome Center widmet sich aufgrund der Nachfrage mittlerweile immer deutlicher auch der Beratung und Vorbereitung der beruflichen Integration von Asylbewerben und Flüchtlingen. Das Welcome Center Thuringia ist ein über den ESF gefördertes Teil projekt der Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung (ThAFF). Die Planung des WCT für die kommenden Jahre wird derzeit in Abstimmung mit dem Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erarbeitet. Mit der "Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen des Freistaats Thüringen für die Förderung der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund" wurden seit dem Jahr 2008 jährlich etwa 30 Projekte von dem für Integration zuständigen Ministerium gefördert. Dabei werden folgende Schwerpunkte zur Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund (darunter auch Asylbewerber) berücksichtigt: • Unterstützung und Beratung im Bereich der beruflichen Integration, • Minimierung sprachlicher Defizite durch Förderkurse und Schulungen, • Schaffung von Grundlagen für den weiteren beruflichen und sozialen Integrationsprozess, • Ergänzende Sprach- und Bildungsangebote, • Vermittlung zu Integrations- und Sprachangeboten, • Aktivierung der Selbsthilfekräfte/Ressourcen zur Erhöhung eigenständiger Handlungskompetenz, Hilfe zur Selbsthilfe, • Bewerbungstrainings, • Förderung von Kindern und Jugendlichen zur positiven Beeinflussung ihres Bildungsweges. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/429 Darüber hinaus plant das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, eine besondere Form des Berufsvorbereitenden Jahres (BVJ) direkt auf die Belange des gezielten Spracherwerbs von Migranten (BVJS als "BVJ-Sprache" für Schüler und Schülerinnen nichtdeutscher Herkunftssprache) in der Berufsvorbereitung auszurichten. Dafür ist geplant, eine gesonderte Stundentafel mit erhöhtem Deutschunterricht (12 Std./Woche) zu erlassen, die der Zielgruppe eine größere Chance zum Wissenserwerb in der deutschen Sprache einräumen soll. Danach können diese Schülerinnen und Schüler in das reguläre BVJ wechseln, um einen gleichwertigen Hauptschulabschluss zu erwerben. Zu 8.: Das Land und der Bund unterstützten u. a. über die Fördermöglichkeiten des ESF Initiativen und Modellprojekte , die sich auch verschiedenen Aspekten der Betreuung von Migranten widmen. Die Förderung der beruflichen Ausbildung speziell von Asylbewerbern war in der Vergangenheit in Thüringen aufgrund geringer Fallzahlen allerdings noch nicht prioritär bzw. Auszubildenden standen generell - unabhängig von Herkunft und Status - in gleichem Maße die bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten des Landes offen (siehe Antwort zu Frage 7). Im Zusammenhang mit der Förderung aus ESF-Mitteln über den Bund ist das Landesnetzwerk Thüringen "Integration durch Qualifizierung" (IQ) zu nennen. Allerdings ist das Netzwerk IQ kein spezielles Projekt zur Begleitung von Asylbewerbern bei der Ausbildung, sondern widmet sich verschiedenen Aspekten der Unterstützung von Migranten, insbesondere bei der Berufsanerkennung. Das Netzwerk IQ umfasst in Thüringen derzeit 13 Teilprojekte. Es hat eine Struktur von vier Informationsund Beratungsstellen Anerkennung (IBAT in Erfurt, Jena, Gera, Mühlhausen) aufgebaut, die flächendeckend beraten, um die im Ausland erworbenen Qualifikationen in Thüringen anerkennen zu lassen. In der letzten Förderphase wurden 1187 Menschen beraten. 26 Prozent dieser Menschen verfügten über einen Berufsabschluss aus dem Ausland. Das Netzwerk wird voraussichtlich bis 2018 fortgeführt und berät Menschen mit Migrationshintergrund, unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status und damit auch Asylbewerber . In den kommenden zwei Jahren ist eine Erweiterung des Netzwerkes um weitere Teilprojekte geplant. Durch verschiedene gesetzliche Änderungen in den letzten Jahren erhielten junge Flüchtlinge einen erleichterten Ausbildungszugang. Sie werden in Thüringen über das Projekt "to arrange ‒ pro job. Initiativ Flüchtlinge in Arbeit." (eines von 28 Bleiberechtsnetzwerken in Deutschland) vom Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS) bezüglich Schulabschlüssen, Anerkennungsverfahren und Ausbildung beraten. Ziel ist es, junge Flüchtlinge auf den Besuch einer Berufsschule sprachlich und fachlich vorzubereiten, um eine erfolgreiche Ausbildung zu ermöglichen. Zudem werden Multiplikatoren zur arbeitsmarktrechtlichen Situation von Flüchtlingen geschult und informiert. Die Arbeit des Netzwerks bzw. des Gesamtprojekts "to arrange ‒ pro job. Initiativ Flüchtlinge in Arbeit" ist bereits seit dem Jahr 2011 von der Landesregierung unterstützt worden. Es handelt sich bei dem Projekt um einen Bestandteil des "ESF-Bundesprogramms zur arbeitsmarktlichen Unterstützung von Bleibeberechtigten und Flüchtlingen mit Zugang zum Arbeitsmarkt". Dieses Bundesprogramm bot bisher Möglichkeiten zur konkreten Unterstützung der Arbeitsmarktintegration von Personen, die über einen zumindest nachrangigen Arbeitsmarktzugang, aber noch nicht zwangsläufig über einen verfestigten Aufenthaltsstatus verfügen. Die Finanzierung der operativen Projektarbeit sollte zum Jahresende 2013 beendet werden. Aufgrund länderübergreifender Forderungen gegenüber der Bundesregierung wurde für die Weiterführung dieses Programms im Jahr 2014 eine Zwischenlösung gefunden und ab 2015 ein neues ESF-gefördertes Programm vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgelegt: "Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen" (IvAF). Für dieses Programm hat das IBS einen Antrag gestellt, um die in Thüringen aufgebauten Strukturen zu erhalten und die erfolgreiche Arbeit des Netzwerks weiterzuführen. Dieses Vorhaben wird weiterhin durch die Landesregierung unterstützt. Werner Ministerin