01.08.2017 Drucksache 6/4301Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 10. August 2017 Staatliches Handeln im Vorfeld des Familiendramas in Altenfeld Die Kleine Anfrage 2305 vom 21. Juni 2017 hat folgenden Wortlaut: In Altenfeld ereignete sich ein schreckliches Familiendrama, in dem der Familienvater zwei seiner drei Kinder durch eine Vielzahl von Messerstichen tötete und das dritte Kind schwer verletzte. Im Vorfeld der Gewalttat schlug der Familienvater seine Ehefrau so sehr, dass diese ins Krankenhaus eingewiesen werden musste. Das Landratsamt des Ilm-Kreises teilte in einer Medieninformation mit, dass Ende Mai dem Jugendamt durch die Familienhebamme bekannt wurde, dass partnerschaftliche Konflikte aufgetreten seien. Nach Kenntnis des Fragestellers hatten Verwandte der Kindsmutter am Vortag der Tat die Absicht, die Kinder aus der Einflusssphäre des Ehemanns zu holen. Dies wurde durch das Landratsamt Ilm-Kreis unterbunden . Vielmehr sollten die Kinder von deren Mutter unter Anwesenheit des Jugendamts und der Polizei in Altenfeld am Folgetag abgeholt werden. Nach Medieninformation des Ilm-Kreises war der Entscheidung, die Kinder beim Vater zu belassen, eine Abwägung vorausgegangen, in der die Mutter dies ausdrücklich gewünscht habe. Die Mutter soll zur verabredeten Zeit am Heim der Familie gewesen sein. Absprachewidrig seien Jugendamt und Polizei nicht anwesend gewesen, sondern die Frau wurde mit dem Täter sich selbst überlassen und fand sowohl ihn als auch die Kinder in der Wohnung. Nach dem abgesetzten Notruf seien dann nach 15 Minuten Hilfskräfte und Polizei am Tatort eingetroffen. Ich frage die Landesregierung: 1. Weshalb wurden die Kinder nach dem Hinweis der Verwandten der Familie nicht bereits am Vortag aus der Einflusssphäre des Täters gebracht? 2. Warum waren Jugendamt und Polizei beim Betreten der Wohnung des Täters nicht anwesend? 3. Mit welcher Begründung beließ das Jugendamt die Kinder beim Vater, obwohl dessen Frau von ihm so sehr geschlagen wurde, dass ein Krankenhausaufenthalt folgte? 4. Ist der Wunsch der Mutter, die Kinder zunächst beim Vater zu belassen, schriftlich oder mündlich geäußert worden? 5. Wie stellte das Jugendamt im Rahmen der Abwägung sicher, dass die Mutter in der Situation nach dem tätlichen Angriff auf sie die Entscheidung, die Kinder zunächst beim Vater zu belassen, auch objektiv treffen konnte? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Bühl (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4301 6. Sieht sich die Landesregierung veranlasst, das staatliche Handeln im Vorfeld der Gewalttat zu überprüfen ? Wenn ja, wann ist mit Ergebnissen dieser Überprüfung zu rechnen? Wenn nein, weshalb nicht? Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 31. Juli 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Das Jugendamt hatte nach eigenen Angaben keinen Hinweis von Verwandten am Vortag erhalten. Zu 2.: Mit dem Jugendamt des Ilm-Kreises gab es keinerlei Absprachen, dass am Donnerstag früh die Abholung der Kinder vom Jugendamt begleitet werden sollte. Die Abholung der Kinder sollte auf Wunsch der Mutter von einer Vertrauensperson der Kindesmutter begleitet werden. Als Vertrauensperson der Kindesmutter galt die Hebamme. Die Kindesmutter wollte keine Begleitung durch das Jugendamt. Insofern wurde die Abholung der Kinder ohne Beteiligung des Jugendamtes organisiert. Auch die Polizei war in die Planung der Abholung nicht eingebunden. Weder durch das Jugendamt, die Hebamme, Verwandte oder die Kindesmutter selbst erfolgte eine entsprechende Information, Beauftragung oder Bitte. Zu 3.: Das Jugendamt ist befugt gemäß § 42 SGB VIII Kinder und Jugendliche in die Obhut des Jugendamtes zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes vorliegt, die die Herausnahme aus der Familie bzw. Inobhutnahme erforderlich macht und rechtfertigt. Erforderlich für eine Trennung der Kinder von den Eltern bzw. einem Elternteil ist ein elterliches Fehlverhalten, welches ein solches Ausmaß erreichen muss, dass das Kind beim Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Es muss also, im schlimmsten Fall, bereits ein Schaden beim Kind eingetreten sein oder eine gegenwärtige , in einem solchen Maß vorhandene Gefahr vorliegen, dass sich bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Diese Gefährdungsschwelle lag nach Einschätzung und Beurteilung des Jugendamtes an diesem Abend nicht vor. Die Kinder selbst waren weder an diesem Abend noch in der Vergangenheit von körperlicher Gewalt betroffen. Dies bestätigte auch noch einmal die Kindesmutter. Gegenüber der Polizei gab sie an, dass er sei ein liebenswerter Vater sei und sie möchte, dass die Kinder für die Zeit der ärztlichen Behandlung bei ihm bleiben sollen. Die häusliche Situation hatte sich bereits beruhigt. Die Hebamme war an diesem Abend in der Wohnung und hatte die Kinder noch (gemeinsam mit dem Vater) spätabends ins Bett gebracht. Der Vater hatte die Kinder in der Vergangenheit bereits mehrere Wochen bei einem Krankenhausaufenthalt der Kindesmutter allein ohne Auffälligkeiten betreut. Insofern lagen dem Jugendamt aus der Vergangenheit auch keine Erkenntnisse vor, dass der Vater mit einer solchen Situation bezüglich der Betreuung seiner Kinder und der Haushaltsführung überfordert sein könnte. In Einschätzung der o. g. Punkte wurden die Kinder im Haushalt der Familie und damit in der Obhut des sorgeberechtigten Kindesvaters belassen. Zu 4.: Der Wunsch der Kindesmutter, dass die Kinder beim Kindesvater bleiben, solange sie sich in ärztlicher Behandlung befindet, ist gegenüber dem Polizeibeamten im persönlichen Gespräch im Nachgang zur Tat mündlich geäußert worden und im Polizeibericht dokumentiert. Zu 5.: Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Zu 6.: Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) nimmt im Bereich der Jugendhilfe gegenüber den Landkreisen und kreisfreien Städten keine Rechts- und Fachaufsicht wahr. Die Kommunen 3 Drucksache 6/4301Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode handeln hier im Rahmen ihres eigenen Wirkungskreises, das heißt in kommunaler Selbstverwaltung. Insofern hat das TMBJS bzw. das Landesjugendamt auch keine rechtlichen Möglichkeiten, das Handeln des Jugendamtes bzw. die Vorfälle zu überprüfen. Gleichwohl wird das TMBJS den Vorfall zum Anlass nehmen, die Problematik Kinderschutz und häusliche Gewalt im Rahmen der etablierten Facharbeitskreise, in denen in der Regel alle Jugendamtsleiter/-innen und Leiter/-innen der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) vertreten sind, zu thematisieren und zum Gegenstand von Fachaustausch und Fortbildung zu machen. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Erfurt liegen Anhaltspunkte für eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung der verantwortlich gewesenen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und/ oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes nicht vor. In Vertretung Ohler Staatssekretärin Staatliches Handeln im Vorfeld des Familiendramas in Altenfeld Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: